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VG Augsburg, Urteil v. 07.02.2020 – Au 4 K 18.31322
Titel:

Inländische Fluchtalternative bei Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure in Sierra Leone

Normenkette:
AsylG § 3c Nr. 3
Leitsatz:
Einem jungen, arbeitsfähigen und gesunden Mann ist es zuzumuten und auch möglich, in anderen Landesteilen von Sierra Leone seine Existenz zu sichern.  (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sierra Leone, nichtstaatlichen Akteure, inländische Fluchtalternative, Existenzminimum
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 30.03.2020 – 9 ZB 20.30690
Fundstelle:
BeckRS 2020, 9705

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die positive Verbescheidung seines Asylantrags sowie hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsverboten.
2
Der (alles nach eigenen Angaben) am * in Sierra Leone geborene Kläger gibt an, Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein und dem Volk der Fullah anzugehören; er sei Moslem. Nach seinen Angaben reiste er aus Frankreich kommend am 7. Januar 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Schreiben vom 23. April 2018, eingegangen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. April 2018 wurde durch den damals bestellten Vormund ein Asylantrag gestellt.
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Bei der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags am 20. Juni 2018 gab der Kläger an, er sei zunächst am 25. Juli 2017 in Italien angekommen. Von dort sei er im Oktober nach Frankreich gegangen, wo sein Asylantrag abgelehnt worden sei. Am 5. Januar 2018 habe er Frankreich verlassen.
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Bei der Anhörung gemäß § 25 AsylG am 20. Juni 2018 vor dem Bundesamt gab der Kläger im Wesentlichen an: Er habe Sierra Leone wegen zweier Sachen verlassen. Erstens seien vieler seiner Familienangehörigen während der Epidemie an Ebola verstorben sowie auch bei einer Überschwemmung, bei der auch sein Vater gestorben sei. Er habe nur seine Mutter und seine Geschwister und wisse nicht, wo diese sind. Sein zweiter Grund sei, dass er nach dem Tod seines Vaters keine Unterstützung mehr gehabt habe. Er habe auch einen Unfall gebaut im Februar 2016. Ein Freund von ihm habe ihm das Motorradfahren beibringen wollen. Er sei schnell gefahren, und habe nicht gewusst, wie man bremse. Der Mann sei auf dem Gehweg gewesen. Er habe das Motorrad nicht kontrollieren können und habe nicht gewusst, was er machen sollte. Dann habe er diesen Mann überfahren. Er sei eine Woche nach dem Unfall im Krankenhaus gewesen und zur Polizei gebracht worden, als es ihm besser gegangen sei. Er sei dort befragt worden und nach einer Woche freigelassen worden, weil er minderjährig gewesen sei. Die Familie des Mannes sei dann zur Polizei gegangen und habe nach dem Grund gefragt, weswegen er freigelassen worden sei. Dann hätten sie gesagt, wenn sie ihn fänden, würden sie ihn umbringen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll zur Anhörung Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 18. Juli 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), auf Asylanerkennung (Ziffer 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Die Abschiebung nach Sierra Leone wurde angedroht (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
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Gegen den Bescheid ließ der Kläger am 30. Juli 2018 Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben und beantragen,
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1. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
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hilfsweise festzustellen, dass er die Voraussetzungen des subsidiären Schutzes erfüllt,
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hilfsweise festzustellen, dass für ihn Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG bestehen,
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hilfsweise das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben bzw. kürzer zu befristen.
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2. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Juli 2018, adressiert an den Kläger (Gz: *-272), wird aufgehoben, soweit er der o.g. Verpflichtung entgegensteht.
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Eine ausführliche Begründung werde in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen. Zunächst werde auf die Angaben des Klägers in der Anhörung nach § 25 AsylG Bezug genommen.
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Die Beklagte übermittelte die elektronische Akte; in der Sache äußerte sie sich nicht.
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Mit Beschluss vom 23. Dezember 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Am 7. Februar 2020 fand mündliche Verhandlung statt. Weder der Kläger noch ein Vertreter der Beklagten ist zur mündlichen Verhandlung erschienen.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte und die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers sowie eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Klage entscheiden, da die Ladung den Hinweis nach § 102 Abs. 2 VwGO enthielt.
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. auf Gewährung subsidiären Schutzes. Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen in der Person des Klägers nicht vor (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO). Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes ist insgesamt rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
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Das Gericht ist der Überzeugung, dass das Vorbringen des Klägers vor dem Bundesamt sowie die Situation in Sierra Leone, insbesondere im Hinblick auf politische, wirtschaftliche und humanitäre Aspekte auch die Folgen für den Kläger bei einer Rückkehr in dem streitgegenständlichen Bescheid zutreffend dargestellt, gewürdigt und beurteilt wurden. Das Gericht nimmt daher Bezug auf die Begründung des angefochtenen Bescheids, folgt ihr und sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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Ergänzend wird ausgeführt:
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1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG. Zu Recht hat das Bundesamt in dem angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass die geltend gemachten Ursachen für die Ausreise aus Sierra Leone nicht an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpfen. Dies gilt zum einen bezüglich des Vortrags, seine Familienangehörigen seien an Ebola gestorben bzw. sein Vater infolge einer Überschwemmung. Dies gilt aber auch im Hinblick auf die Tatsache, dass er einen Unfall verursacht haben will, bei dem ein Mensch ums Leben gekommen ist. Von staatlicher Seite aus hatte der Kläger nach eigenem Vortrag nichts (mehr) zu befürchten, nachdem er angehört aber nach einer Woche von der Polizei wegen Minderjährigkeit wieder freigelassen wurde.
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2. Der Antrag auf Gewährung subsidiären Abschiebungsschutzes bleibt nach § 4 AsylG ebenfalls ohne Erfolg.
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Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei auch die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG). Die Art der Behandlung oder Bestrafung muss eine Schwere erreichen, die dem Schutzbereich des Art. 3 EMRK zuzuordnen ist und für den Fall, dass die Schlechtbehandlung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht, muss der Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sein, Schutz zu gewähren (§ 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG i.V.m. § 3 c Nr. 3 AsylG).
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Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, dass der Vortrag, der Kläger habe einen tödlichen Unfall verursacht, tatsächlich der Wahrheit entspricht. Insoweit erscheint es in keiner Weise glaubhaft, dass er zunächst bei seinem Freund geblieben sein will, obwohl die Familie des getöteten Mannes dies gewusst habe und ihn dort auch gesucht hat, der Freund aber gesagt habe, dass er abgehauen sei.
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Selbst wenn man allerdings das vom Kläger behauptete Unfallgeschehen als wahr unterstellt sowie darüber hinaus die Bedrohungen durch dessen Familie, so hätte der Kläger jedenfalls die Möglichkeit, sich in einem anderen Landesteil von Sierra Leone anzusiedeln, ihm stünde insoweit eine interne Fluchtalternative zur Verfügung (§ 3e AsylG). Der Kläger kann sich in allen Landesteilen ansiedeln, beispielsweise in * oder, wo er aufgrund der hohen Bevölkerungszahl von der Familie des angeblich bei dem Unfall getöteten Mannes unentdeckt leben könnte. Gleiches gilt für die Stadt, mit schätzungsweise knapp 175.000 Einwohnern oder auch erst recht die *. Als jungem, arbeitsfähigem und gesundem Mann ist es ihm zuzumuten und wird es ihm auch möglich sein, in anderen Landesteilen seine Existenz zu sichern. Der Kläger hat selbst in der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, dass er beispielsweise in Algerien in der Landwirtschaft gearbeitet hat (dort S. 2 Niederschrift, Bl. 46 Bundesamtsakte).
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3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
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Insoweit wird wiederum zunächst Bezug genommen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid (dort S. 5 ff). Dem Kläger ist die Rückkehr als jungem und arbeitsfähigem und gesundem Mann zumutbar. Er kann sich in Sierra Leone ein Existenzminimum erwirtschaften - wenn auch unter Mühen und ggf. unter Rückgriff auf Subsistenzwirtschaft. Es ist dem alleinstehenden Kläger zuzumuten, in seine Heimat zurückzukehren, auch wenn dies mit Schwierigkeiten verbunden sein wird.
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4. Die auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandro hung ist ebenfalls rechtmäßig, da die Voraussetzungen dieser Bestimmungen vorliegen. Die Ausreisefrist von 30 Tagen ergibt sich aus § 38 Abs. 1 Satz 1 AsylG.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.