Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 15.01.2020 – RN 14 K 18.31251
Titel:

Kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder subsidiären Schutzes

Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. In Sierra Leone besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine gesunder und arbeitsfähiger Mann kann in Sierra Leone ein Existenzminimum erwirtschaften. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylverfahren, Sierra Leone, wirtschaftliche Gründe, innerstaatliche Fluchtalternative
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 30.03.2020 – 9 ZB 20.30689
Fundstelle:
BeckRS 2020, 9693

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), mit dem sein Asylantrag abgelehnt wurde. Er begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie weiterhin hilfsweise die Feststellung nationaler Abschiebungsverbote.
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Der am …1998 geborene Kläger, ein sierra-leonischer Staatsangehöriger vom Stamm der Fulla und islamischen Glaubens, reiste nach seinen eigenen Angaben am 13.2.2017 von Italien kommend mit dem Zug über die Schweiz nach Deutschland, wo er am 21.2.2017 einen Asylantrag stellte.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 5.4.2017 gab der Kläger im Wesentlichen an, es sei in Kuari geboren, wo er auch gelebt habe. Es handele sich dabei um einen großen Stadtteil Freetowns. Ein Lehrer des Klägers, mit dem er französisch gesprochen habe, habe eine Werkstatt betrieben, wo der Kläger gelernt und gearbeitet habe. Mit ihm sei er auch nach Guinea gefahren, wenn man habe Ersatzteile holen müssen. Der Kläger habe sein ganzes Leben lang bis zu seiner Ausreise aus Sierra Leone in Kuari - einem Stadtteil von Freetown - gelebt. Seine Mutter würde immer noch dort wohnen, während sein Vater in Ferry Junction (Freetown) lebe. In Sierra Leone würden noch ein älterer und zwei jüngere Brüder leben sowie drei Stiefbrüder und vier Stiefschwestern. Außerdem gebe es noch die Großfamilie. In die Schule sei er nie gegangen. Er habe Elektriker gelernt und als solcher gearbeitet. Sierra Leone habe er im September 2015 verlassen.
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Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Kläger an, seine Eltern hätten sich getrennt. Der Vater sei mit seiner zweiten Frau und den Kindern zusammengezogen, während der Kläger mit seinen Brüdern bei seiner Mutter geblieben sei. Der Vater habe Häuser und Grundstücke besessen. Der ältere Bruder des Klägers habe davon etwas für die Familie der Mutter beansprucht. Der ältere Bruder und der Vater hätten sich dann gestritten. Der Vater habe dies alles der Familie seiner zweiten Frau erzählt. Daraufhin hätten die Stiefschwestern irgendetwas gemacht und der Bruder des Klägers sei daraufhin verrückt geworden. Seitdem habe der Bruder nichts mehr vom Vater verlangt.
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Daraufhin sei der Kläger selbst zum Vater gegangen und habe ihn gebeten, ihnen etwas zu überlassen. Der Vater habe wiederum alles seiner neuen Familie berichtet. An einem anderen Tag seien dann Banditen gekommen und hätten den Kläger in ein Auto gezerrt und dort gefesselt. Der Kläger sei geschlagen worden und mit schweren und langen Messern an den Armen und am Rücken geschnitten worden. Überall am Körper habe er noch Narben davon. Danach habe man den Kläger mit einem der Männer alleine gelassen. Von diesem Mann habe der Kläger erfahren, dass die Männer von den Stiefschwestern des Klägers bezahlt worden seien, um den Kläger umzubringen. Da der Kläger an den Handgelenken, an denen er gefesselt gewesen sei, geblutet habe, habe er den Mann angefleht, die Fesseln zu lösen. Dies habe der Mann auch getan. Der Mann sei dann einen Augenblick lang unaufmerksam gewesen, sodass dem Kläger die Flucht gelungen sei. Als die Mutter den Kläger gesehen habe, habe sie zwei traditionelle Gewänder verkauft und dem Kläger den Kaufpreis überlassen. Sie habe ihm empfohlen, seine Haut zu retten, woraufhin der Kläger das Land verlassen habe.
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Mit Bescheid vom 4.4.2018, dem Kläger zugestellt am 7.4.2018, erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1) und lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2). Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Ziffer 3). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG würden nicht vorliegen (Ziffer 4). Unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, forderte das Bundesamt den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Der Kläger habe nicht glaubhaft geschildert, auf Veranlassung seiner Stiefschwestern verfolgt worden zu sein. Sein Vortrag bei seiner Anhörung sei sehr vage, oberflächlich und überwiegend nicht nachvollziehbar gewesen. Dem Kläger könne daher internationaler Schutz nicht zuerkannt werden und auch die Anerkennung als Asylberechtigter komme nicht in Betracht. Darüber hinaus würden nationale Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Trotz der schwierigen humanitären Verhältnisse in Sierra Leone müsse davon ausgegangen werden, dass es dem Kläger gelingen werde, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Er habe selbst angegeben, vor seiner Ausreise aus Sierra Leone als Elektriker gearbeitet zu haben und verfüge somit bereits über Berufserfahrung. Auch auf seinem Reiseweg habe er eigenen Angaben zufolge als Helfer von Lkw-Fahrern und in einer Werkstatt gearbeitet. Der junge, gesunde und arbeitsfähige Kläger habe damit bereits bewiesen, dass er in der Lage sei, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des Bescheids verwiesen.
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Am 20.4.2018 ließ der Kläger Klage erheben, die er nicht weiter begründete.
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Er beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 4.4.2018 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und weiterhin hilfsweise für den Kläger nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids,
die Klage abzuweisen.
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In der mündlichen Verhandlung am 13.1.2020 wurde der Kläger erneut angehört. Bezüglich seiner Angaben wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Akten des Bundesamts, die dem Gericht in elektronischer Form vorgelegen haben, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage ist nicht begründet. Die Entscheidungen des Bundesamts, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft sowie den subsidiären Schutzstatus nicht zuzuerkennen, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Entsprechendes gilt für die vorgenommene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die vom Bundesamt gemäß den §§ 31 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG sowie den §§ 75 Nr. 12, 11 Abs. 2 AufenthG getroffenen Entscheidungen sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, nicht zu beanstanden.
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1. Die in Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Entscheidung des Bundesamts (Ablehnung der Asylanerkennung) wurde mit der Klage nicht angegriffen. Insoweit ist der angegriffene Bescheid bestandskräftig geworden (vgl. VGH BW, U.v. 26.10.2016 - A 9 S 908/13 - juris).
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2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
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Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr. 1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet (Nr. 2), dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Buchst. a)) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zu-rückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Buchst. b)). Von einer Verfolgung kann nur dann ausgegangen werden, wenn der Einzelne in Anknüpfung an die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Verfolgungshandlungen im Sinne des § 3a AsylG ausgesetzt ist. Erforderlich ist insoweit, dass der Ausländer gezielte Rechtsverletzungen zu befürchten hat, die ihn wegen ihrer Intensität dazu zwingen, in begründeter Furcht vor einer ausweglosen Lage sein Heimatland zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. An einer gezielten Rechtsverletzung fehlt es regelmäßig bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Herkunftsland zu erleiden hat, etwa infolge von Naturkatastrophen, Arbeitslosigkeit, einer schlechten wirtschaftlichen Lage oder infolge allgemeiner Auswirkungen von Unruhen, Revolution und Kriegen (vgl. OVG NRW, B. v. 28.3.2014 - 13 A 1305/13.A - juris).
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Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3b Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
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Der Kläger hat im Verlauf seines Asylverfahrens nicht vorgetragen, seien Heimatland aus Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG verlassen zu haben. Der Kläger behauptet von der Familie der zweiten Frau seines Vaters verfolgt zu werden, weil er vom Vater seinen Erbteil herausverlangt habe. Eine derartige Verfolgung durch die Stiefschwestern des Klägers würde nicht an Merkmale im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG anknüpfen. Sie würde einzig und allein der Sicherung des Vermögens des Vaters vor (berechtigten) Ansprüchen des Klägers dienen und wäre somit krimineller Natur.
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3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).
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Die Gefahr eines ernsthaften Schadens kann ausgehen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, da § 3c AsylG gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG entsprechend gilt.
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Für die Beurteilung der Frage, ob die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens begründet ist, gilt unabhängig davon, ob ein Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat, der einheitliche Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25.10 - juris, Rn. 22 = BVerwGE 140, 22). Eine Privilegierung desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat, erfolgt aber durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie (QualRL - Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9 ff.). Ein bereits erlittener bzw. vor der Ausreise unmittelbar drohender ernsthafter Schaden, sind danach ernsthafte Hinweise darauf, dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, auch im Falle einer Rückkehr einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Dies gilt nur dann nicht, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Ausländer erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. In der Vergangenheit liegenden Umständen ist damit Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft beizumessen (vgl. auch OVG NRW, U.v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A - juris, Rn. 24).
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Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 - juris, Rn. 16 = BVerwGE 71, 180 und U.v. 11.11.1986 - 9 C 316.85 - juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 16.4.1985 - 9 C 109.84 - juris, Rn. 16, U.v. 1.10.1985 - 9 C 19.85 - juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 - 9 B 239.89 - juris, Rn. 3 = NVwZ 1990, 171).
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a) Dass dem Kläger die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch staatliche Stellen droht, ist nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Kläger selbst hat nicht vorgetragen, von staatlicher Seite irgendetwas befürchten zu müssen. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gab er vielmehr an, er habe in Sierra Leone niemals Probleme mit dem Staat, der Polizei oder anderen staatlichen Stellen gehabt. Deshalb ist es auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass er staatlicherseits mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einen ernsthaften Schaden zu befürchten hat, wenn er nach Sierra Leone zurückkehrt.
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b) Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass für den Kläger die Gefahr besteht, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch nichtstaatliche Akteure nach den §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3c Nr. 3 AsylG zu erleiden.
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Es bestehen bereits ganz erhebliche Zweifel daran, dass sich die vom Kläger im Rahmen seines Asylverfahrens vorgetragenen Geschehnisse tatsächlich zugetragen haben. Bereits das Bundesamt hat im streitgegenständlichen Bescheid dargestellt, dass die Angaben des Klägers zu den Ereignissen im Heimatland vage, oberflächlich und unsubstantiiert waren. Dieser Eindruck hat sich in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
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Gleichwohl kann dahinstehen, ob sich die vom Kläger behaupteten Ereignisse tatsächlich zugetragen haben; denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, hat er im Falle seiner Rückkehr nach Sierra Leone nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, einen ernsthaften Schaden im oben dargestellten Sinn zu erleiden.
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Soweit der Kläger vorgetragen hat, seine Stiefschwestern würden Voodoo anwenden, um ihn zu verfolgen, so ist insoweit darauf hinzuweisen, dass im Bereich des Aberglaubens wurzelnde Bedrohungen keinen ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG darstellen (vgl. auch VG München, B.v. 18.10.2017 - M 21 S 17.38772 - juris, Rn. 20).
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Soweit der Kläger darüber hinaus vorgetragen hat, die Familie der zweiten Frau des Vaters würde ihm - gegebenenfalls unter Einschaltung von Banditen - nach dem Leben trachten, so muss sich der Kläger auf internen Schutz verweisen lassen.
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Nach den §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt, wenn in einem Teil seines Herkunftslandes keine Gefahr besteht, dass er einen ernsthaften Schadens erleidet oder er dort Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach den §§ 4 Abs. 3 Satz 1, 3d AsylG hat (§ 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG) und er sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG).
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Nach den dem Gericht vorliegenden und in das Verfahren eingeführten Erkenntnissen ist dies dann der Fall, wenn sich der Kläger nicht in seiner Herkunftsregion (Freetown) niederlässt. Insbesondere in größeren Städten - etwa in Waterloo, Makeni, Bo, Kenema oder Port Loko -, ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger dort von nichtstaatlichen Akteuren aufgespürt werden könnte. Insbesondere in den größeren Städten Sierra Leones ist es nach der Überzeugung des Gerichts möglich, unbehelligt von nichtstaatlichen Akteuren zu leben. In der Verfassung von Sierra Leone sind uneingeschränkte Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr verankert. Auch wenn es Berichte gibt, wonach Sicherheitskräfte bei Straßensperren außerhalb der Hauptstadt Bestechungsgelder von Fahrzeuglenkern verlangen, ist doch festzustellen, dass die Regierung diese Rechte respektiert (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 18). Angesichts der in Sierra Leone bestehenden infrastrukturellen Mängel ist nicht einmal ansatzweise erkennbar, wie etwaige Verfolger den Kläger auffinden sollten, wenn er sich in einer größeren Stadt niederließe. In Sierra Leone existiert kein ordnungsgemäßes Zivilregister (AA, Auskunft an das Bundesamt vom 17.10.2017), so dass es selbst für staatliche Stellen schwierig sein dürfte, eine bestimmte Person in einer Großstadt ausfindig zu machen. So führt das Auswärtige Amt in einer Auskunft an das Verwaltungsgericht Regensburg vom 4.11.2019 (Gz.: 508-9-516.80/52992) aus, dass sich selbst Straftäter, die wegen eines Tötungsdelikts gesucht werden, durch einen Aufenthaltswechsel oder Fernhalten von der ermittelnden Polizeibehörde innerhalb Sierra Leones einer Strafverfolgung entziehen können. Sierra Leone verfüge nicht über ein funktionierendes zentrales Fahndungsbuch, weshalb nur die Polizeidienststelle, welche wegen des Delikts ermittele, Informationen über vermeintliche Straftäter habe. Wenn man sich aber staatlichen Ermittlungsbehörden und somit einem Strafverfahren durch einen Aufenthaltswechsel relativ einfach entziehen kann, so dürfte es für nichtstaatliche Akteure nahezu unmöglich sein, eine Person ausfindig zu machen, die sich bereits längere Zeit im Ausland aufgehalten hat und dann nach Sierra Leone zurückkehrt, wenn sie sich nicht erneut an ihrem Herkunftsort niederlässt.. Eine konkrete Bedrohung des Klägers durch nichtstaatliche Akteure ist deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich. Das Gericht ist vielmehr nach alledem davon überzeugt, dass die Stiefschwestern und die sonstige Familie der zweiten Frau des Vaters eine Rückkehr des Klägers nach Sierra Leone nicht einmal bemerken würden, wenn er sich außerhalb von Freetown niederlassen würde. Im Übrigen ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass ihn seine vermeintlichen Verfolger landesweit suchen würden. Nach den eigenen Angaben des Klägers habe man ihn deshalb verfolgt, weil er einen (vorgezogenen) Erbteil vom Vater verlangt habe. Diese „Gefahr“ dürfte aus der Sicht der zweiten Familie des Vaters nicht mehr bestehen; denn schließlich hat der Kläger Sierra Leone bereits vor etwa viereinhalb Jahren verlassen und in dieser Zeit auch keinen Erbteil verlangt.
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Ferner wäre es dem Kläger auch zuzumuten, in einen anderen Landesteil zu gehen. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage muss davon ausgegangen werden, dass es ihm möglich ist, sich in jedem Teil Sierra Leones seine Existenz durch Gelegenheitsarbeiten sicherzustellen (vgl. dazu unten 4a)).
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c) Schließlich ist auch eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nicht gegeben. Der in Sierra Leone 11 Jahre andauernde Bürgerkrieg wurde im Jahr 2002 beendet. Die Sicherheitslage im ganzen Land ist stabil. Armee und Polizei sind landesweit stationiert und haben nach dem vollständigen Abzug der UN-Friedenstruppen im Jahr 2005 die Verantwortung für die innere und äußere Sicherheit übernommen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 6; Informationszentrum Asyl und Migration des BAMF, Glossar Islamische Länder - Band 17, Sierra Leone, Mai 2010).
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4. Zuletzt liegen auch Abschiebungsverbote im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vor.
33
a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U. v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285 - juris), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist, ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen möglich (BVerwG, U. v. 31.1.2013 - 10 C.15.12 - juris = BVerwGE 146, 12; U. v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - juris = BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489; EGMR, U. v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U. v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U. v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681, Rn. 278, 282 f.) verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Rückführung in den Herkunftsstaat „zwingend“ seien. Solche humanitären Gründe können auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein (so auch BayVGH, U. v. 19.7.2018 - 20 B 18.30800- juris, Rn. 54).
34
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung der Klagepartei in ihr Heimatland nicht angenommen werden. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Wirtschaft wird mit etwa 51,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 26,6% und der Industriesektor mit 22,1% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 19 ff.).
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Die Lebensumstände in Sierra Leone sind damit zwar äußerst problematisch. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass sich ein gesunder und arbeitsfähiger Mann wie der Kläger in Sierra Leone ein Existenzminimum - wenn auch nur durch Gelegenheitsjobs - erwirtschaften kann. Der Kläger leidet an keinen nachgewiesenen körperlichen Beeinträchtigungen, aufgrund derer seine Arbeitsfähigkeit eingeschränkt wäre. Deshalb ist davon auszugehen, dass sich der Kläger selbst dann, wenn er keinen Familienanschluss mehr finden kann, seine Existenz sichern kann. Eigenen Angaben zufolge ist der Kläger zwar nie in die Schule gegangen und ist Analphabet. Andererseits gab er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt an, in einer Werkstatt Elektriker gelernt und als solcher gearbeitet zu haben. Deshalb ist davon auszugehen, dass es dem Kläger gelingen wird, sich mit einer ähnlichen Tätigkeit oder zumindest durch Gelegenheitsjobs seine Existenz zu sichern.
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b) Ferner besteht auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt grundsätzlich das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt werden muss, was dann der Fall ist, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - juris, Rn. 14 = BVerwGE 99, 324, U.v. 19.11.1996 - 1 C 6.95 - juris, Rn. 34 = BVerwGE 102, 249 sowie U.v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - juris, Rn. 16 = BVerwGE 115, 1). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben.
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Eine derartige Gefahr besteht jedoch nicht, was bereits oben unter Nr. 4. a) dargestellt wurde.
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5. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
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6. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besonderer Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
40
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
41
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
42
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.