Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 03.02.2020 – RN 14 K 18.32054
Titel:

Kein Abschiebungsverbot für sierra-leonischen Staatsangehörigen

Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, S. 3, S. 4, S. 5, § 60a Abs. 2c S. 2, S. 3
EMRK Art. 3
AsylG § 74 Abs. 2
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Von einem Ausländer, der sich zur Begründung eines Abschiebungsverbots auf eine Erkrankung beruft, ist ein substantiierter, durch ein (fach)ärztliches Attest belegter Vortrag zu erwarten (Rn. 27). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sierra Leone, Abschiebungsverbot, Lebensbedingungen, Existenzminimum, Erkrankung, ärztliche Bescheinigung, Amtsermittlungsgrundsatz, Mitwirkungspflicht, extreme Gefahrenlage
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 26.03.2020 – 9 ZB 20.30660
Fundstelle:
BeckRS 2020, 9689

Tenor

I. Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Der Kläger, ein am …1986 geborener sierra-leonischer Staatsangehöriger vom Volk der Temne muslimischen Glaubens begehrt mit seiner Klage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung subsidiären Schutzes, wiederum hilfsweise die Feststellung des Bestehens von Abschiebeverboten.
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Der Kläger reiste nach eigenen Angaben auf dem Landweg am 18.11.2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 31.1.2017 hier einen Asylantrag.
3
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 13.2.2017 gab der Kläger an, in Sierra Leone sechs Jahre die Schule besucht zu haben. Er habe nicht gearbeitet, sondern sei vor seiner Ausreise aus Sierra Leone im Jahr 1999 Rebell gewesen. Er habe bis zu seinem 8. Lebensjahr gemeinsam mit seinen Eltern, Großeltern und Geschwistern in Freetown gelebt. Danach sei er Soldatenjunge gewesen und sei herumgereist. Auf seiner Flucht habe er sich 3 Jahre in Liberia aufgehalten und 13 Jahre in Italien. In seinem Heimatland lebten nach wie vor seine Geschwister und die Großfamilie, er habe aber keinerlei Kontakt mehr zu ihnen.
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Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Kläger an, er sei ein Rebell gewesen und habe als Kindersoldat gegen die Regierung gekämpft. Er habe kämpfen gelernt und habe mit der Waffe AK47 zu tun gehabt. Er habe niemanden ermordet. In Sierra Leone habe es aber die Organisation EKOMAG/EKOWAS gegeben. Diese Mitglieder hätten willkürlich Ex-Kindersoldaten getötet, weil diese Kindersoldaten gewesen sein. Diese Organisation wolle auch den Kläger umbringen. Es sei ganz oft bedroht worden und sei im Jahr 1998 sogar im Gefängnis gewesen. Die Polizei sei hinter ihnen her gewesen. Außerdem habe er seine Familie verloren und habe keine Möglichkeit alleine in Sierra Leone zu überleben. Zudem hätten sie in Italien entdeckt, dass er an TBC erkrankt sei.
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Im Laufe des Verfahrens wurden einige ärztliche Stellungnahmen betreffend die TBC-Erkrankung des Klägers vorgelegt. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Unterlagen, die dem Gericht zum Gesundheitszustand des Klägers vorliegen:
- vorläufiger Entlassungsbrief des Klinikums … in … vom 24.10.2017 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 13.10.2017 bis 24.10.2017
- vorläufiger Entlassungsbericht des Klinikums … vom 14.06.2018 über den stationären Aufenthalt des Klägers vom 13.06.2018 bis 15.06.2018
- vorläufiger Entlassungsbericht des Klinikums … vom 11.08.2018 über die stationäre Behandlung vom 10.08.2018 bis 11.08.2018
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorliegenden ärztlichen Befunde verwiesen. Neuere Befunde liegen dem Gericht nicht vor.
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Mit Bescheid vom 10.7.2018, zugestellt am 17.07.2018, versagte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), versagte ihm die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 4). In Ziffer 5 wurde der Kläger aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Sierra Leone abgeschoben. Er könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in denen er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Das gesetzliche Einreiseund Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6). Selbst wenn der Vortrag des Klägers zuträfe, dass er in den 1990 er Jahren im Bürgerkrieg ein Kindersoldat gewesen wäre, sei nicht ersichtlich, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr nach Sierra Leone gegenwärtig Verfolgung in Anknüpfung an einen der genannten Verfolgungsgründe drohen würde. Es könne davon ausgegangen werden, dass das einstige Bürgerkriegsgeschehen keine in die Gegenwart reichenden Auswirkungen auf die machtpolitischen Gegebenheiten sowie die gesellschaftlichen Strukturen Sierra Leone mehr hätten. Somit sei nicht erkennbar, dass dem Kläger bei einer Rückkehr aufgrund seiner vorgebrachten Verstrickungen das Kriegsgeschehen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohe. Gründe für die Gewährung des subsidiären Schutzes seien nicht ersichtlich. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Der Kläger sei ein junger und erwerbsfähiger Mann. Es könne ihm daher bei einer Rückkehr nach Sierra Leone trotz der schwierigen Bedingungen zugemutet werden, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen und sich damit eine Existenz aufzubauen. Es sei trotz der nachgewiesenen TBC-Erkrankung des Klägers nicht ersichtlich, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei einer Rückkehr ins Heimatland aufgrund der dortigen medizinischen Versorgungslage alsbald wesentlich oder gar lebensbedrohlich verändern würde. Zur Begründung im Einzelnen wird auf den Inhalt des Bescheides verwiesen.
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Gegen diesen Bescheid hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 31.7.2018, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg erhoben. Zunächst wurde beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 10.7.2018 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm den subsidiären Schutz zuzuerkennen und wiederum hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
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In der mündlichen Verhandlung am 29.1.2020 wurde der Kläger erneut zu den Fluchtgründen und zu seinen gesundheitlichen Beschwerden angehört. Bezüglich seiner Angaben wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen. Trotz der vom Klägervertreter erbetenen Schriftsatzfrist zur Vorlage eines aktuellen ärztlichen Attestes gingen beim Gericht bis zum Entscheidungszeitpunkt keine weiteren Unterlagen ein.
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In der mündlichen Verhandlung am 29.1.2020 hat der Kläger seinen ursprünglichen Antrag, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zurückgenommen.
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Er beantragt zuletzt sinngemäß,
ihm ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Sierra Leone zu gewähren.
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Für die Beklagte beantragt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
die Klage abzuweisen.
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Zur Ergänzung der Sachverhaltsschilderung wird auf den weiteren Inhalt der Gerichts- und der in elektronischer Form vorgelegten Bundesamtsakte ebenso Bezug genommen wie auf das Sitzungsprotokoll vom 29.1.2020.

Entscheidungsgründe

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Bezüglich des ursprünglich seitens des Klägers gestellten Antrags, die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus, hat der Kläger seine Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Insoweit war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
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Im Übrigen ist die zulässige, insbesondere fristgemäß (§ 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) erhobene Klage nicht begründet. Die Entscheidung des Bundesamts, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbotes im Sinne des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG.
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1. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285 - juris), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist, ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen möglich (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C.15.12 - juris = BVerwGE 146, 12; U.v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - juris = BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489; EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 - Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 - NJOZ 2012, 952). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681, Rn. 278, 282 f.) verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Rückführung in den Herkunftsstaat „zwingend“ seien. Solche humanitären Gründe können auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein (so auch BayVGH, U.v. 19.7.2018 - 20 B 18.30800- juris, Rn. 54).
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Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung der Klagepartei in ihr Heimatland nicht angenommen werden. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Wirtschaft wird mit etwa 51,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 26,6% und der Industriesektor mit 22,1% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch, wobei bisher keine verlässlichen statistischen Daten erhoben wurden. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 19 ff.).
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Die Lebensumstände in Sierra Leone sind damit zwar äußerst schwierig. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger in Sierra Leone durch Gelegenheitsarbeiten zumindest ein Existenzminimum erarbeiten kann (so im Ergebnis auch: VG München, B.v. 26.9.2017 - M 21 S 17.47358 - juris). Bei dem Kläger handelt es sich um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen. Dass der Kläger wegen einer Erkrankung in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt wäre, ergibt sich aus den dem Gericht vorliegenden Attesten nicht. Der Kläger hat zumindest einige Jahre die Schule besucht und unterscheidet sich damit nicht wesentlich von einer Vielzahl weiterer junger Männer, die nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland in ihr Heimatland zurückkehren müssen. Er konnte sich offensichtlich auch die vielen Jahre in Italien ohne staatliche Unterstützung über Wasser halten. Er verfügt noch über eine Reihe von Angehörigen, zu denen er auch noch Kontakt hält, die ihn zumindest in der ersten Zeit nach der Rückkehr in sein Heimatland unterstützen können. Diese Familienangehörigen haben den Kläger offenbar auch vor seiner Ausreise unterstützt, so dass der Kläger bis dahin nicht gezwungen war zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalft sicherzustellen. Es ist nichts dafür ersichtlich, warum dies nicht auch bei einer Rückkehr in das Heimatland wieder so sein sollte.
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Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG scheidet daher aus.
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2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
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Eine derartige Gefahr besteht weder aufgrund des Gesundheitszustands des Klägers noch aufgrund der humanitären Verhältnisse, die er im Falle seiner Rückkehr vorfinden würde. Die Gewährung von Abschiebeschutz nach dieser Bestimmung setzt grundsätzlich das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt.
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Erforderlich, aber auch ausreichend für das krankheitsbedingte Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U.v. 17.10.2006, - 1 C 18.05 - juris = BVerwGE 127, 33). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 (BGBl I S. 390 ff. vom 11.3.2016) die Sätze 3 bis 5 des § 60 Abs. 7 AufenthG eingefügt. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 3). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 4) und schließlich liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 5).
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Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG sind zudem die Vorgaben des § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG nicht nur bei der Beurteilung eines inländischen Abschiebungshindernisses, insbesondere einer Reiseunfähigkeit, sondern auch im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses zu berücksichtigen. Nach diesen Vorschriften ist eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen. Die ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
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Um ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot feststellen zu können, ist eine hinreichend konkrete Darlegung der gesundheitlichen Situation erforderlich, die in der Regel durch ein ärztliches Attest zu untermauern ist. Der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen und durch entsprechende ärztliche Atteste nachgewiesen, an einer Erkrankung zu leiden, die ihn in eine derartige Gefahr bringen könnte. Es wird daher gemäß § 60 a Abs. 2 c AufenthG vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen.
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Allein aus den im Verfahren vorgelegten ärztlichen Attesten des Klinikum … vom 24.10.2017, vom 14.6.2018 und vom 11.8.2018 ist das Drohen einer wesentlichen Verschlimmerung einer Erkrankung alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland nicht zu entnehmen. Daraus ergibt sich nur, dass der Kläger wegen einer geschlossenen Lungentuberkulose im Zeitraum vom 13.10.2017 bis zum 24.10.2017 stationär behandelt wurde und für insgesamt 6 Monate eine Anti-Tuberkulose-Therapie empfohlen wurde. Ob im Anschluss daran eine weitere Medikation erforderlich ist oder ob die Krankheit keiner weiteren Behandlung bedarf und welche Konsequenzen es hätte, wenn der Kläger ggf. erforderliche weitere Therapien in seinem Heimatland nicht erhalten könnte, ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Attesten nicht. Die beiden übrigen Atteste beziehen sich auf eine Operation wegen Nierensteinen, die im August 2018 erfolgte. Hinsichtlich dieser Erkrankung ist davon auszugehen, dass diese mit der Durchführung der Operation geheilt wurde. Weitere momentan noch erforderliche Medikamente oder Therapien sind aus sämtlichen vorliegenden Attesten nicht zu entnehmen.
27
Der Kläger hat trotz mehrmaliger Aufforderung sowohl seitens des Bundesamts als auch des Gerichts keine aktuellen ärztlichen Atteste vorgelegt. Zwar ist der Verwaltungsprozess grundsätzlich durch den in § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO statuierten Amtsermittlungsgrundsatz geprägt. Aus § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO und § 74 Abs. 2 AsylG ergibt sich jedoch die Pflicht der Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken, was in besonderem Maße für Umstände gilt, die - wie eine Erkrankung - in die eigene Sphäre des Beteiligten fallen. Insoweit ist von einem Ausländer, der sich zur Begründung eines Abschiebungsverbotes auf eine Erkrankung beruft, ein substantiierter, durch ein (fach-)ärztliches Attest belegter Vortrag zu erwarten. Daran fehlt es hier. Ein krankheitsbedingtes Abschiebeverbot scheidet daher von vorneherein aus.
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Bestehen für bestimmte Personengruppen allgemeine Gefahren, die nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich keine Berücksichtigung finden können, so kann in Einzelfällen gleichwohl Abschiebeschutz gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich im Einzelfall Ausländern, die zwar einer gefährdeten Gruppe im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 GG gebieten danach die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn einer extremen Lebensgefahr oder einer extremen Gefahr der Verletzung der körperlichen Unversehrtheit entgegen gewirkt werden muss, was dann der Fall ist, wenn der Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod ausgeliefert oder erheblichen Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt sein würde (BVerwG, U.v. 17.10.1995 - 9 C 9.95 - juris, Rn. 14 = BVerwGE 99, 324, U.v. 19.11.1996 - 1 C 6.95 - juris, Rn. 34 = BVerwGE 102, 249 sowie U.v. 12.7.2001 - 1 C 5.01 - juris, Rn. 16 = BVerwGE 115, 1). Eine derartige Gefahrensituation kann sich grundsätzlich auch aus den harten Existenzbedingungen und der Versorgungslage im Herkunftsstaat ergeben.
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Eine derartige Gefahr besteht jedoch für den Kläger nicht, was bereits oben unter Nr. 1. dargestellt wurde.
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3. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die der Klagepartei gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
33
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.