Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.03.2020 – 10 ZB 19.423
Titel:

Erfolgreicher Berufungszulassungsantrag

Normenketten:
PAG Art. 38 Abs. 1, Art. 40 Abs. 1, Art. 54 Abs. 3 S. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsatz:
Art. 40 Abs. 1 Nr. 1 PAG setzt voraus, dass die Gesamtwürdigung der Person einschließlich ihrer bisherigen Straftaten erwarten lässt, dass von ihr auch künftig eine Gefahr für bedeutende Rechtsgüter ausgeht. Ein alleiniger Verweis auf verwaltungsinterne Richtlinien, nach denen die Prognosekriterien des Art. 40 Abs. 1 PAG bei bestimmten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung regelmäßig erfüllt sind, genügt dabei nicht. (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Zulassung der Berufung, ernstliche Zweifel an Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils, Löschung personenbezogener Daten, Kriminalaktennachweis (KAN), Verlängerung der Regelüberprüfungsfristen, Gefahrenprognose anhand Gesamtwürdigung der Person, bloße Verweisung auf verwaltungsinterne Richtlinien durch Gericht, Anspruch auf effektiven Rechtsschutz, Berufungszulassung, Selbstbestimmung, Prognosekriterien, Gefahrenprognose, personenbezogenen Daten, Gesamtwürdigung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 11.12.2018 – AN 15 K 18.1108
Fundstelle:
BeckRS 2020, 9489

Tenor

Die Berufung wird zugelassen, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteil bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Gründe

1
Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils bestehen, weil das Verwaltungsgericht den Anspruch des Klägers auf Löschung seiner personenbezogenen Daten im Kriminalaktennachweis (KAN) unter Zugrundelegung einer zwanzigjährigen Überprüfungsfrist verneint hat, ohne das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen einer Verlängerung der zehnjährigen Regelüberprüfungsfrist nach Art. 54 Abs. 2 Satz 3 PAG (zum Charakter dieser Frist als Regelhöchstfrist BayVerfGH, E.v. 19.10.1994 - Vf. 12-VII/92 u.a. - NVwZ 1996, 166/168; allgemein zu ihrer Verlängerung Schmidbauer in Schmidbauer/Steiner, Bayerisches Polizeiaufgabengesetz, 4. Auflage 2014, Art. 38 Rn. 70 ff.) zu prüfen. Nach Art. 54 Abs. 3 Satz 1 PAG ist eine Verlängerung der Regelfristen nur in Fällen des Art. 40 Abs. 1 PAG zulässig. Art. 40 Abs. 1 Nr. 1 PAG (Nr. 2 und Nr. 3 dürften vorliegend nicht in Betracht kommen) setzt dabei voraus, dass die Gesamtwürdigung der Person einschließlich ihrer bisherigen Straftaten erwarten lässt, dass von ihr auch künftig eine Gefahr für bedeutende Rechtsgüter ausgeht. Das Verwaltungsgericht hat eine solche Gesamtwürdigung nicht vorgenommen. Sein alleiniger Verweis auf verwaltungsinterne Richtlinien, nach denen die Prognosekriterien des Art. 40 Abs. 1 PAG (bzw. Art. 38 Abs. 1 PAG a.F.) bei bestimmten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung regelmäßig erfüllt seien, kann die dem Gericht aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) obliegende eigene Gefahrenprognose (vgl. zuletzt etwa BVerfG, B.v. 20.4.2017 - 2 BvR 1754/14 - juris Rn. 46) nicht ersetzen.