Titel:
Kein vorläufiger Rechtsschutz gegen Abschiebung nach Griechenland gegenüber der Ausländerbehörde
Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 60a Abs. 2, Abs. 2c, Abs. 2d
AsylG § 34a Abs. 1
Leitsatz:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat beim Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen; für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG bleibt kein Raum. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abschiebung, Griechenland, Erlass einer Abschiebungsanordnung, rechtliche Unmöglichkeit, Erkrankung, inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis, zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, Zuständigkeit der Ausländerbehörde, ärztliche Bescheinigung, Duldung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 15.04.2020 – 10 CE 20.369
Fundstelle:
BeckRS 2020, 9485
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 1.250,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die angeordnete und bevorstehende Abschiebung nach Griechenland.
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Der am ... geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste bereits im Jahr 2015 aus Griechenland kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er arbeitete. Erst am 7. Dezember 2018 stellte er einen Asylantrag.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt trug er vor, dass er über Griechenland eingereist sei. Er habe die Türkei im Jahr 2003 oder 2004 verlassen und sei seitdem nicht mehr in der Türkei gewesen. Er sei Mitglied einer linksgerichteten Gruppe namens THKP-C bzw. Devlimci sol gewesen. Man habe ihn in der Türkei wegen Terror zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Er habe aber nur an Protestaktionen für Arbeiter teilgenommen, er sei nie bewaffnet gewesen. Die türkische Polizei habe ihn gesucht und sein Haus sei vier Mal durchsucht worden. Bei einer Rückkehr in die Türkei befürchte er, dass er in Haft käme und womöglich sogar getötet werden könnte. Die vor dem Bundesamt angegebenen Gründe seien die gleichen, die er auch in seiner Asylanhörung seinerzeit in Griechenland angegeben habe. Dort habe er nach vier Jahren einen Pass bekommen. Er sei in Griechenland arbeitslos gewesen und habe Kleidung auf der Straße verkauft. Er habe nichts zu essen bekommen, er sei von Polizisten geschlagen worden und Asylanten würden immer gequält werden.
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Mit Schreiben vom 7. August 2019 teilten die griechischen Behörden mit, dass dem Kläger am 28. Mai 2012 Flüchtlingsschutz zuerkannt worden sei.
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Mit Bescheid vom 28. August 2019 wurde der Antrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 2). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Es wurde verfügt, dass er nicht in die Türkei abgeschoben werden darf (Ziffer 3). In Ziffer 4 wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Dem Kläger sei bereits in Griechenland Schutz gewährt worden. Eine Verletzung des Art. 3 EMRK komme nicht in Betracht.
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Der Eilantrag (Au 8 S 19.31223) sowie die Klage (Au 8 K 19.31222) blieben erfolglos. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Dezember 2019 (Au 8 K 19.31222) wurde ein Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, eine Entscheidung steht noch aus.
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Der Kläger ließ durch seinen Bevollmächtigten am 13. Januar 2020 beantragen,
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den Antragsgegner zu verpflichten, von aufenthaltsbeenden Maßnahmen gegen den Antragsteller Abstand zu nehmen und den weiteren Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland vorerst bis 19.6.2020 zu dulden.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die notwendige Betreuung des Antragstellers vereitelt werde. Durch das vorgelegte psychiatrische Gutachten vom 19. Dezember 2019 (Bl. 89 ff. der Gerichtsakte) sei belegt, dass der Antragsteller dauerhaft an einer geistigen Behinderung im Sinne von § 1896 BGB leide. Er sei hilfsbedürftig und auf eine Betreuung angewiesen. Durch Beschluss des Amtsgerichts ... vom 20. Dezember 2019 (Bl. 98 ff. der Gerichtsakte) sei für den Kläger eine gesetzliche Betreuung bestimmt worden, die vorläufig bis 19. Juni 2020 befristet sei. Die Betreuung könne ausschließlich hier stattfinden. Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2020 wurde betont, dass die geistige Erkrankung des Antragstellers der Abschiebung entgegenstehe. Die Betreuung sei nun bis 15 Januar 2027 befristet worden.
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Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2020 beantragt der Antragsgegner,
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den Antrag abzulehnen.
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Der Antragsteller habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die Abschiebung nach Griechenland sei tatsächlich möglich, Reisedokumente lägen vor. Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis sei nicht gegeben. Gesundheitliche Gründe stünden der Abschiebung nicht entgegen. Aus dem vorgelegten Gutachten ergebe sich nicht, dass der Antragsteller reise- oder transportunfähig sei. Sofern sich der Antragsteller auf zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse beziehe, sei der Antragsgegner nicht passivlegitimiert. Hierfür sei das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. An die Entscheidung des Bundesamts sei der Antragsgegner gebunden.
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Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtssowie vom Antragsgegner vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist unbegründet.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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1. Ein Anordnungsgrund wurde glaubhaft gemacht, da davon auszugehen ist, dass die Regierung von ... aufenthaltsbeendende Maßnahmen beabsichtigt.
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2. Der Antragsteller kann sich jedoch nicht mit Erfolg auf einen Anordnungsanspruch berufen. Nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.
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a) Die Abschiebung ist nicht aus tatsächlichen Gründen unmöglich, da für den An tragsteller Reisedokumente vorliegen.
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b) Die Abschiebung ist auch nicht aus rechtlichen Gründen unmöglich. Insbesondere liegt kein Duldungsgrund aufgrund der rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung in Folge einer Reiseunfähigkeit des Antragstellers gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 2c, 2d AufenthG vor.
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Eine Abschiebung ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn durch die Aufenthaltsbeendigung eine konkrete Leibes- oder Lebensgefahr zu befürchten ist, sodass eine Abschiebung unter Berücksichtigung des Schutzes nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aus rechtlichen Gründen auszusetzen ist. Notwendig ist dabei, dass sich infolge der Abschiebung als solcher - unabhängig vom konkreten Zielstaat - eine erhebliche oder wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes ergibt, dieses ernsthafte Risiko dem betroffenen Ausländer konkret droht (BayVGH, B.v. 9.5.2017 - 10 CE 17.750 - juris Rn. 3 m.w.N.) und diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (VGH Baden-Württemberg, B.v. 22.2.2017 - 11 S 447/17 - juris Rn. 4; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand Juni 2017, § 60a AufenthG Rn. 138 ff.). In Betracht kommen damit nur inlandsbezogene Abschiebungsverbote. Eine bestehende Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in zwei Fällen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie - außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (BayVGH, B.v. 9.5.2017 - 10 CE 17.750 - juris Rn. 3 m.w.N.).
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Gemäß § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG wird grundsätzlich vermutet, dass der Abschiebung eines Ausländers gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Betroffene muss diese Vermutung vielmehr anhand einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung (vgl. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG) widerlegen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlichmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
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Dies ist dem Antragsteller nicht gelungen. Das vorliegende psychiatrische Gutachten vom 19. Dezember 2019 belegt lediglich, dass der Antragsteller an einer leichte Intelligenzminderung (ICD 10 F 70) leidet (Bl. 92 der Gerichtsakte). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsteller reiseunfähig im oben genannten Sinne wäre, sind hingegen nicht gegeben und auch nicht geltend gemacht.
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c) Sofern sich der Antragsteller auf die Notwendigkeit der gesetzlichen Betreuung stützt, kann auch dies seinem Antrag nicht zum Erfolg verhelfen.
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Für die Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen - wie vom Antragsteller geltend gemacht - ist nicht der Antragsgegner sondern vielmehr das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. Nach der Rechtsprechung hat das Bundesamt beim Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung und damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigenen Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. BayVGH, B.v. 21.4.2015 - 10 CE 15.810 - juris Rn. 4 m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 - juris Rn. 4; OVG Saarl., B.v. 25.4.2014 - 2 B 215/14 und OVG LSA, B.v. 3.9.2014 - 2 M 68/14 - jeweils juris; BVerfG, B.v. 17.9.2014 - 2 BvR 732/14 - juris Rn. 11; siehe auch OVG NRW, B.v. 2.1.2019 - 13 A 4599/18.A - juris Rn. 8).
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Das Bundesamt hat mit Bescheid vom 28. August 2019 das Vorliegen von Abschiebungsverboten verneint. Gegen das die Klage abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Dezember 2019 hat der Antragsteller die Zulassung der Berufung beantragt, eine Entscheidung steht noch aus. Der Antragsteller, der seine Intelligenzminderung und Betreuungsbedürftigkeit im Dublinverfahren bisher nicht geltend gemacht hat, kann dies noch im Verfahren auf Zulassung der Berufung vorbringen. Der Antragsgegner ist an die Feststellung des Bundesamts, dass zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nicht vorliegen, gebunden.
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d) Der Antragsteller hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaub nis, eine solche hat er auch gar nicht beantragt.
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Teil hat der Antragsteller die Verfahrenskosten zu tragen. Die Streitwertfestsetzung folgt den Vorgaben der §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. den Ziffern 8.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.