Titel:
Keine vorzeitige Entlassung eines Soldaten auf Zeit wegen besonderer Härte – Übernahme des Familienbetriebs
Normenkette:
SG § 55 Abs. 3
Leitsatz:
Das Verbleiben im Wehrdienst stellt für den Soldaten dann eine besondere Härte dar, wenn er in den persönlichen, dh außerdienstlichen, Verhältnissen durch den Eintritt unvorhergesehener, außergewöhnlicher, schicksalhafter und in der Regel existenzgefährdender Veränderungen, denen er sich aus rechtlicher oder sittlicher Pflicht nicht zu entziehen vermag, so hart betroffen wird, dass die daraus folgenden Belastungen nur durch seine vorzeitige Entlassung aus dem Wehrdienst beseitigt werden können. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Soldatenrecht, Soldat auf Zeit, vorzeitige Entlassung aus der Bundeswehr auf eigenen Antrag, besondere Härte, Bundeswehr, Dienstzeit, vorzeitige Entlassung, Familienbetrieb, Unternehmensnachfolger, Stehzeitverpflichtung, Geschäftsführung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 9335
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger steht als Soldat auf Zeit, mittlerweile im Dienstgrad eines Oberfeldwebels (Besoldungsgruppe A 7), seit dem 6. April 2010 im Dienst der Beklagten. Mit einseitiger Verpflichtungserklärung vom 22. November 2016 wurde seine Dienstzeit zuletzt auf 17 Jahre festgesetzt und endet hiernach mit Ablauf des 5. April 2027. Derzeit wird er als Materialdispositionsfeldwebel beim Instandsetzungszentrum 11 in … verwendet.
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Mit undatiertem Schreiben, dem Disziplinarvorgesetzten des Klägers am 24. August 2017 zugegangen, beantragte er seine vorzeitige Entlassung aus dem Dienst der Bundeswehr gemäß § 55 Abs. 3 des Soldatengesetzes (SG). Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dass er die Bundeswehr zur Übernahme des elterlichen Betriebes schnellstmöglich verlassen müsse. Sein Stiefvater habe im August 2017 den Metallbaubetrieb seiner Familie, W. Schlosserei/Metallbau, mit acht Vollzeitbeschäftigten, wiederum von seinem Vater, übernommen. Als nächster in der Nachfolge sei der Zwillingsbruder des Klägers angedacht gewesen. Allerdings habe dieser aufgrund unvorhersehbarer und unüberwindbarer innerfamiliärer Konflikte, darunter Handgreiflichkeiten mit dem Betriebsleiter und unkollegialem Verhalten, den Betrieb verlassen.
Zwar habe der jüngere Stiefbruder des Klägers im August 2017 begonnen, eine Lehre im elterlichen Betrieb abzuleisten. Ob ihm dieser Beruf „liege“ oder ob er für eine Entlastung sorgen könne, sei offen. Trotz Krebserkrankung im Jahr 2013, schwerer Chemotherapie und vielen Krankenhausaufenthalten arbeite die Mutter des Klägers seit August 2017 ebenso im Betrieb. Aus genannten Gründen leide auch der Vater des Klägers mittlerweile unter gesundheitlichen Beschwerden und werde von einem Psychologen betreut. Ein längerer Ausfall seines Vaters bei der derzeit an sich guten Auftragslage könne zu vollständigem Stillstand und damit einhergehenden Untergang des Betriebs - inklusive der Arbeitsplätze sämtlicher Mitarbeiter mit teilweise jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit - führen. Da sich die Auslastung des Betriebs seit dem Rückzug seines Großvaters wesentlich erhöht habe und der Arbeitsmarkt kein qualifiziertes und motiviertes Personal biete, müsse er, um sich die notwendigen Qualifikationen zur Übernahme des Betriebs anzueignen, die Bundeswehr unverzüglich verlassen.
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Der Disziplinarvorgesetzte des Klägers nahm unter dem 30. August 2017 zu dessen Antrag Stellung. Er führte im Wesentlichen aus, der Kläger werde seit März 2017, nach erfolgreicher Absolvierung der allgemeinen militärischen und militärfachlichen Lehrgänge, auf seinem derzeitigen Dienstposten in der Teileinheit Materialsteuerung verwendet. Damit sei er, neben einer zivilen Angestellten in Telearbeit, einzig Verantwortlicher und Erfahrenster in diesem Bereich. Der designierte Nachfolger sei nicht unbeschränkt dienstfähig und arbeite derzeit aus gesundheitlichen Gründen nur in Teilzeit. Der zweite verfügbare Dienstposten sei unbesetzt. Die Ausbildung einer hierfür angedachten Soldatin sei im Januar 2019 abgeschlossen. Folglich könne dem Antrag nur bei gleichwertigem Ersatz, der derzeit nicht ersichtlich sei, zugestimmt werden.
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Der Sozialdienst des Bundeswehrdienstleistungszentrums Münchens wies in seiner Stellungnahme vom 4. September 2017 darauf hin, dass im Falle des Klägers eine besondere familiäre Härte vorläge und dringender Handlungsbedarf bestünde.
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Unter dem 13. Dezember 2017 lehnte der Kläger die Anhörung der Vertrauensperson ab.
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Mit Bescheid vom 17. Januar 2018 lehnte das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr den Antrag ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine besondere Härte, die eine Ausnahme von der langfristigen Bindung eines Soldaten auf Zeit an die Bundeswehr rechtfertige, sei vor allem dann anzunehmen, wenn der Soldat in seinen persönlichen Verhältnissen durch den Eintritt unvorhergesehener, außergewöhnlicher, schicksalhafter und in der Regel existenzgefährdender Veränderungen so hart getroffen werde, dass die hieraus resultierenden Belastungen nur durch eine vorzeitige Entlassung beseitigt werden könnten. Dies sei regelmäßig nicht der Fall bei unerfüllten Laufbahnerwartungen, krankheitsbedingten Einschränkungen, geänderter Einstellung zum Soldatenberuf, Berufsunzufriedenheit, geänderter sicherheitspolitischer Lage, Sorge um den Bestand des bisherigen Dienstpostens, Existenzgründung/berufliche Alternative außerhalb der Bundeswehr, Strukturveränderungen der Streitkräfte oder wegen der Entfernung zwischen Dienst- und Wohnort. Belastungen, die für jeden Soldaten typischerweise allein aufgrund seiner eingegangenen Verpflichtung zur Dienstleistung aufträten, stellten keine besondere Härte dar. Dies sei allerdings vorliegend der Fall. Eine besondere Härte sei auch nicht darin zu sehen, dass man Probleme damit hätte, einen geeigneten Nachfolger für die Übernahme des familiären Betriebs zu finden. Bei seiner Entscheidung, sich für eine Dienstzeit von über 17 Jahren als Soldat auf Zeit zu verpflichten, sei er sich über die grundsätzliche Unauflösbarkeit des Dienstverhältnisses bewusst gewesen. Zuletzt sei nicht erkennbar, warum nur der Kläger den Bestand des Betriebes sichern könne, zumal ihm nach seinen eigenen Angaben noch notwendige Qualifikationen hierzu fehlten.
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Hiergegen ließ der Kläger unter dem 23. Februar 2018 Beschwerde erheben. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, sein Verbleib in der Bundeswehr stelle eine besondere Härte dar. Dies sei bei schwerwiegenden Umständen anzunehmen, denen sich der Soldat auf Zeit nicht entziehen und denen nur durch eine sofortige Entlassung aus dem Soldatenverhältnis Rechnung getragen werde könne. Der Eintritt der besonderen außerdienstlichen Gründe müsse unvorhersehbar, außergewöhnlich und schicksalhaft sein, so dass sich der Soldat ihnen aus rechtlicher und/oder aus sittlicher Pflicht nicht entziehen könne. Dies sei vorliegend der Fall. Die Umstände seien vorliegend für den Kläger unvorhersehbar gewesen, da weder die Erkrankung des Stiefvaters, noch das Ausscheiden des Zwillingsbruders absehbar gewesen seien. Des Weiteren handele es sich bei der Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Eltern des Klägers um außergewöhnliche und schicksalhafte Entwicklungen. Gleiches gelte für das Ausscheiden des Zwillingsbruders. Man könne den Kläger nicht auf die außerfamiliäre Nachfolgesuche und die damit verbundene Unsicherheit des Überlebens des Kleinbetriebes verweisen, da bereits jetzt jederzeit mit einem möglichen Ausfall seines Vaters zu rechnen sei. Bestärkt werde diese Unsicherheit dadurch, dass der Kläger durch seinen Dienst bei der Bundeswehr die für die Übernahme des Betriebs unverzichtbaren Fortbildungen nicht unverzüglich antreten könne. Schlimmstenfalls sähe sich der Kläger, im Falle der Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz seiner Eltern, wie auch seines jüngeren Bruders, sowohl rechtlichen als auch sittlichen Unterhaltspflichten diesen gegenüber ausgesetzt, was die konkrete Gefährdung seiner eigenen wirtschaftlichen Existenz zur Folge habe. Dass die Bundeswehr unter Personalmangel leide, spiele für das Vorliegen einer besonderen Härte beim Kläger keine Rolle.
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Mit Beschwerdebescheid vom 24. April 2018 wies die Beklagte die Beschwerde zu rück. Zur Begründung wurde das bisherige Vorbringen im Wesentlichen wiederholt. Ergänzend führte sie aus, ein Berufswechselwunsch könne keine besondere Härte begründen. Gleiches gelte grundsätzlich für familiäre Probleme und die etwaige Notwendigkeit der finanziellen Unterstützung seiner Familie, da dies alle Soldaten im Dienst der Bundeswehr betreffen könnte. Zumindest der Lebensunterhalt des Klägers sei stets durch seine dienstlichen Bezüge gesichert. Der etwaige Untergang des Betriebs sei keine schicksalhafte Entwicklung im Leben eines Soldaten, zu deren Bewältigung er die Fürsorgepflicht des Bundes in Anspruch nehmen müsse, sondern schlicht das unternehmerische Risiko seines Vaters. Letzterer habe den Betrieb im August 2017 trotz bereits bestehender gesundheitlicher Probleme übernommen. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Kläger seine Nachfolge vor dem Ende seiner Dienstzeit im Jahr 2027 antreten könne. Im Übrigen sei schon nicht substantiiert dargelegt, dass der elterliche Betrieb ohne die Mitarbeit oder Übernahme des Klägers untergehen werde. Selbst wenn der Kläger den elterlichen Betrieb übernähme, sei es - wie am Beispiel des Zwillingsbruders erkennbar - möglich, dass er diesen nach kurzer Zeit wieder verließe.
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Hiergegen ließ der Kläger am 5. Juni 2018 Klage erheben. Er beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 17. Januar 2018 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 24. April 2018 zu verpflichten, ihn aus dem Dienst zu entlassen.
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Zur Begründung wurde das bisherige Vorbringen im Wesentlichen wiederholt.
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Die Beklagte beantragt,
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Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, die Lebenssituation des Klägers sei nicht existenzbedrohend. Sein Vater sei nicht arbeitsunfähig, sondern lediglich gesundheitlich angeschlagen. Das Ausscheiden des Zwillingsbruders sei weder unerwartet noch schicksalhaft gewesen, sondern habe sich im unternehmerischen Risiko des Vaters - der Austritt des Zwillingsbruders sei kurz nach dessen Betriebsübernahme erfolgt - manifestiert. Zudem sei der Kläger für die Übernahme des Betriebs nach seinen eigenen Angaben (noch) nicht qualifiziert. Schließlich könne der Betrieb auch verkauft werden und das erwirtschaftete Geld zum Lebensunterhalt der Eltern und des Bruders dienen. Selbst wenn der elterliche Betrieb folglich keinen Bestand haben sollte, sei die wirtschaftliche Zukunft des Klägers nicht ohne weiteres gefährdet.
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Hierauf ließ der Kläger unter dem 8. November 2018 erwidern, bei Eintritt in das Soldatenverhältnis habe der Kläger nicht absehen können, dass er für die spätere Nachfolge des Betriebsleiters überhaupt infrage käme. Das Argument, die Familie des Klägers könne im Notfall vom Erlös des Verkaufs des Betriebs leben, gehe fehl, da das Geld nur für eine gewisse Zeit zur Verfügung stünde. Dass der Kläger von seinen Dienstbezügen seine Frau, sein Kind, sowie drei weitere Personen (Vater, Mutter und jüngeren Bruder) versorgen könne, sei abwegig. Selbst wenn man dies annähme, sei hierdurch eine besondere Härte aus familiären (häuslichen) Gründen zu bejahen. Mittlerweile sei der Kläger selbst durch die Situation psychisch sehr belastet und deswegen seit über vier Monaten aufgrund somatoformer Schmerzen (ICD-10 F45.4) krankgeschrieben.
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Unter dem 10. Dezember 2019 ließ der Kläger Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG erheben.
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In der öffentlichen Sitzung am 11. Februar 2020 trug der Kläger im Wesentlichen ergänzend vor, er werde vom 28. April bis 4. Dezember 2020 an einer Fachwirtausbildung, zu der er abkommandiert worden sei, teilnehmen, nach deren Abschluss er befähigt sei, den familiären Betrieb zu führen. Sein Vater sei Schlossermeister und werde dem Betrieb auch weiterhin - als Mitarbeiter - zur Verfügung stehen. Der aus dem Betrieb ausgeschiedene Zwillingsbruder des Klägers habe seit seiner Kündigung keinen Kontakt mehr zur Familie. Dass dieser sich nicht um die Familie kümmere, habe sich bereits im Rahmen der Krebserkrankung der Mutter des Klägers angedeutet; der Zwillingsbruder des Klägers sei hier nicht einmal in das Obergeschoss des Wohnhauses gegangen, um sie zu besuchen. Der unter gleicher Adresse wie die Schlosserei geführte Geschenkeladen/-versand „W. Geschenke“ werde mittlerweile von der Schwester des Vaters des Klägers geführt und sei von dem Familienbetrieb unabhängig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte sowie auf die Niederschrift der öffentlichen Sitzung vom 11. Februar 2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entlassung aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Bescheid vom 17. Januar 2018 in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 24. April 2018 ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entlassung nach § 55 Abs. 3 SG.
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Hiernach ist ein Soldat auf Zeit auf seinen Antrag zu entlassen, wenn das Verbleiben im Dienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, beruflicher oder wirtschaftlicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde.
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Der Gesetzgeber verfolgte bei dieser Ausnahmeregelung (ebenso wie mit der entsprechenden Regelung für Berufssoldaten gem. § 46 Abs. 6 SG) das Ziel, dem vorzeitigen Ausscheiden von besonders ausgebildeten und deswegen in ihrer Funktion nicht ohne weiteres zu ersetzenden Soldaten aus der Bundeswehr entgegenzuwirken. Die Vorschrift dient mithin nicht ausschließlich dem Schutz wirtschaftlicher Interessen der Beklagten, sondern ihr Zweck ist es, die Personalplanung und damit die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr zu sichern (BVerwG, U.v. 21.4.1982 - 6 C 3/81 - juris Rn. 20). Daher ist der Begriff der besonderen Härte eng auszulegen (VG Stuttgart, U.v. 20.2.2019 - 8 K 17531/17 - BeckRS 2019, 18860 Rn. 19; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 118, § 55 Rn. 19). Es handelt sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BayVGH, U.v. 31.3.1993 - 3 B 92.2123 - juris Rn. 12). Zudem hat die Behörde bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 55 Abs. 3 SG keine Ermessensentscheidung zu treffen. Vielmehr hat der Soldat einen Anspruch auf Entlassung, wenn eine besondere Härte vorliegt. Für ergänzende Abwägungsentscheidungen und Zumutbarkeitskriterien ist dann kein Raum (Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 117).
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Das Verbleiben im Wehrdienst stellt für den Soldaten dann eine besondere Härte dar, wenn er in den persönlichen, d.h. außerdienstlichen, Verhältnissen durch den Eintritt unvorhergesehener, außergewöhnlicher, schicksalhafter und in der Regel existenzgefährdender Veränderungen, denen er sich aus rechtlicher oder sittlicher Pflicht nicht zu entziehen vermag, so hart betroffen wird, dass die daraus folgenden Belastungen nur durch seine vorzeitige Entlassung aus dem Wehrdienst beseitigt werden können (BVerwG, U.v.16.4.1970 - VII C 183.67 - juris Rn. 9 f.; BayVGH, U.v. 31.3.1993 - 3 B 92.2123 - juris Rn. 12; vgl. zu § 46 Abs. 6 SG Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 10. Auflage 2018, § 46 Rn. 36;
Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 119 m.w.N.). Dies ist nur dann gegeben, wenn dem Soldaten ein weiterer Verbleib schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann (VG München, B.v. 15.10.2009 - M 21 E 09.4209 - juris Rn. 29). Davon ist ausschließlich dann auszugehen, wenn es sich um eine Ausnahmesituation handelt; Belastungen, die für jeden Soldaten in einer bestimmten Situation allein infolge der Pflicht zur militärischen Dienstleistung typischerweise auftreten oder auftreten können, reichen nicht aus (Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 119). Es muss sich um Veränderungen im persönlichen Lebensbereich handeln, die der Soldat nicht selbst, und sei es auch nur mittelbar, veranlasst oder in die Wege geleitet hat (Hamburgisches OVG, B.v. 27.8.2013 - 1 Bf 256/12.Z - juris Rn. 16 m.w.N.; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 118; Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 10. Auflage 2018, § 46 Rn. 38 m.w.N.). Zudem muss es sich um Umstände handeln, die nach Beginn des Dienstverhältnisses eingetreten oder in ihrer Tragweite erkennbar geworden sind (BVerwG, U.v. 16.4.1970 - VII C 183.67 - juris Rn. 16). Eine berufliche Umorientierung oder geänderte Einstellung zum Soldatenberuf reicht nicht aus (Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 3. Auflage 2016, § 46 Rn. 119; Scherer/Alff/Poretschkin/Lucks, Soldatengesetz, 10. Auflage 2018, § 46 Rn. 38; VG Gießen, B.v. 11.5.2000 - 8 G 1511/00 - juris Rn. 10).
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Diesen Maßstab zugrunde gelegt, handelt es sich bei dem Umstand, dass der Kläger als Geschäftsführer des Familienunternehmens vorgesehen ist und dieses in die dritte Generation überführen soll, nicht um einen solchen, der ihn nach seinem Diensteintritt schicksalhaft getroffen hat und dem er sich aus sittlicher Pflicht nicht entziehen kann.
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Dies scheitert zunächst schon daran, dass nicht substantiiert vorgetragen bzw. hinreichend wahrscheinlich ist, dass der familiäre Schlossereibetrieb ohne eine Übernahme durch den Kläger untergehen wird und nur durch den Eintritt des Klägers in den Betrieb gerettet werden kann. Denn - wie die Beklagte zu Recht ausführt - ist der Kläger bislang nach seinen eigenen Angaben weder sofort in der Lage, das Unternehmen zu leiten, noch ist ersichtlich, warum die Übernahme durch ihn die einzige Möglichkeit der Rettung - des bislang noch nicht einmal wirtschaftlich bedrohten - Unternehmens sein solle. Dass die wirtschaftliche Existenz der Familie nicht bis hin zur Mittellosigkeit bedroht ist zeigt im Übrigen schon, dass die Schwester des Stiefvaters des Klägers einen eigenständigen, vom Schlossereibetrieb unabhängigen Geschenkehandel betreibt. Soweit der Kläger vorträgt, bei einer nicht rechtzeitigen Übernahme der Geschäftsführung durch ihn werde die Existenz des Unternehmens und damit mittlerweile acht Arbeitsplätze gefährdet, handelt es sich primär um eine Härte für die betroffenen Personen und nicht für den Kläger selbst. Zumal derzeit zweifelhaft ist, ob die restlichen sieben Jahre Dienstzeit, die der Kläger noch abzuleisten hat, nicht durch eine Übergangslösung - beispielweise über seinen mittlerweile volljährigen, jüngeren Stiefbruder oder eine externe Lösung - überbrückt werden können.
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Unabhängig hiervon steht die Familie seit August 2017 vor der Herausforderung, einen adäquaten Unternehmensnachfolger zu finden, da der Zwillingsbruder des Klägers sich mit seiner (Stief-)Familie überworfen hat und aus dem Unternehmen ausgeschieden ist. Mit dem Kläger konnten sie hierbei allerdings nicht rechnen, da dieser bereits vor dem Zerwürfnis mit seinem Zwillingsbruder in einem Dienstverhältnis bei der Beklagten stand. Der Familie musste daher bewusst gewesen sein, dass der Kläger frühestens nach Ablauf seiner Stehzeitverpflichtung zur Verfügung stehen würde. Dass der Stiefvater des Klägers gesundheitlich nicht in der Lage ist, diesen Zeitpunkt abzuwarten, ist in Anbetracht der Übernahme eines Unternehmens, der hiermit verbundenen Arbeitsbelastung und der bereits seit 2013 an Krebs erkrankten Mutter des Klägers kein Umstand, der nicht vorhersehbar war. Es war vielmehr absehbar, dass der Kläger erst viele Jahre nach Übernahme des Betriebs durch seinen Stiefvater seine Stehzeitverpflichtung erfüllt haben würde und dass es daher unter Umständen zu der Situation kommen könnte, dass eine Übergangslösung gefunden werden muss. Insofern manifestiert sich hierin exakt das unternehmerische Risiko, das der Stiefvater des Klägers bei Betriebsübernahme eingegangen ist. Bei dem Umstand, dass ein nahtloser Übergang der Geschäftsführung auf den Kläger geplant ist, handelt es sich um eine persönliche Veränderung, die er selbst mitveranlasst hat, indem er nicht von vorneherein auf seine Stehzeitverpflichtung hingewiesen hat. Bei dieser beruflichen Umorientierung handelt es sich folglich nicht um eine Situation, die es dem Kläger schlechterdings unmöglich macht, im Dienstverhältnis bis zum Ablauf seiner Stehzeitverpflichtung zu verbleiben (vgl. VG Stuttgart, U.v. 20.2.2019 - 8 K 17531/17 - BeckRS 2019, 18860 Rn. 22).
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Schließlich war auch das Ausscheiden des Zwillingsbruders des Klägers aus dem Betrieb nicht unvorhersehbar oder schicksalshaft. Dass es hierbei Anzeichen für ein späteres Zerwürfnis mit seiner Familie gab, war schon vor der Verpflichtungserklärung des Klägers vom 22. November 2016 offensichtlich. Wie der Kläger selbst vorträgt, hielt es dessen Zwillingsbruder nicht einmal für nötig, sich ein Geschoss im gemeinsamen Zuhause nach oben zu begeben, um seine schwer an Krebs erkrankte Mutter zu besuchen. Hierin ist ein gewichtiger Anhaltspunkt zu sehen, der die Wahrscheinlichkeit des später tatsächlich eingetretenen Zerwürfnisses und vollständigen Kontaktabbruchs zur Familie prophezeit. Zumindest musste der Familie aber bewusst sein, dass auf den Zwillingsbruder des Klägers in der Hinsicht kein Verlass ist, dass er der familiären Gemeinschaft, der er sich schon seit damals in Kernelementen wie Fürsorge und Pflege entzog, erhalten bleiben wird.
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Nach alldem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Klage erfolglos ist, war die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren nicht gem. § 162 Abs. 2 VwGO für notwendig zu erklären.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.