Inhalt

OLG München, Endurteil v. 23.01.2020 – 1 U 2237/17
Titel:

Beweislastumkehr nach schwerem Behandlungsfehler, der zu einer Querschnittslähmung geführt hat 

Normenketten:
BGB § 630h
ZPO § 286
Leitsätze:
1. Ein einfacher Diagnosefehler „sperrt“ (ebenso wie es ein bloßer Diagnoseirrtum würde) die Haftungsgrundlage der unterlassenen Befunderhebung, wenn mehrere andere Ursachen für die vorgetragenen Gesundheitsschädigungen denkbar sind. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird ein Patient postoperativ mit einer erheblichen Überdosierung mit Sufentanil (was neben der Propofol verabreicht wurde) sediert, kann darin ein grober Behandlungsfehler liegen, der zu einer Umkehr der Beweislast führt. (Rn. 35) (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler ist keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden, sondern erfolgt aufgrund der Erschwerung der Beweisführung durch den Patienten nach Treu und Glauben. (Rn. 64) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 € kann bei einem Behandlungsfehler, der bei einer Jugendlichen zu einer Querschnittslähmung geführt hat, angemessen sein. (Rn. 99 – 113) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Arzt, grober Behandlungsfehler, Diagnosefehler, Kausalität, Beweislastumkehr, Querschnittslähmung, Schadensersatz, Schmerzensgeld
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 21.06.2017 – 3 O 2372/09
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe vom -- – VI ZR 180/20
Fundstellen:
BeckRS 2020, 901
VersR 2020, 1191
LSK 2020, 901

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 21.06.2017, Az. 3 O 2372/09, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.04.2009 zu bezahlen.
2. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerin zum Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten einen Betrag von 20.738,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.08.2009 zu bezahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1 verpflichtet ist, der Klägerin jedweden bereits entstandenen und zukünftigen materiellen Schaden aus der fehlerhaften ärztlichen Behandlung vom 16.06.2008 bis 18.07.2008 zu bezahlen, soweit diese Ansprüche nicht von Gesetzes wegen auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen.
4. Im Übrigen wird die Klage gegenüber der Beklagten zu 1 abgewiesen.
5. Gegenüber dem Beklagten zu 2 wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Gerichtskosten des Rechtsstreits in 1. und 2. Instanz tragen die Klägerin und die Beklagte zu 1 je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2 in beiden Instanzen trägt die Klägerin; die der Klägerin trägt die Beklagte zu 1 zur Hälfte; im Übrigen tragen sie die Parteien selbst. Die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin der Klägerin in beiden Instanzen trägt die Beklagte zu 1 ebenfalls zur Hälfte. Der Streithelfer der Beklagten zu 1 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil des Landgerichts ist insoweit ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, als es gemäß Ziffer I dieses Urteils und in der Kostenentscheidung aufrechterhalten wird. Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des je zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.755.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

I.
1
1. Die Parteien streiten um Schmerzensgeld, Schmerzensgeldrente und Feststellung der Haftung der Beklagten wegen einer Behandlung der Klägerin im Hause der Beklagten zu 1 zwischen dem 16.06.2008 und dem 18.07.2008. Bei der damals 14-jährigen Klägerin sollte eine aufgrund angeborener Muskelschwäche (Central Core Disease) vorliegende starke Verkrümmung der Wirbelsäule operativ mittels einer Korrekturspondylodese (Aufrichtungsoperation) korrigiert werden.
2
Der operative Eingriff erfolgte am 19.06.2008. Während der Operation, welche durch Oberarzt Dr. Th. durchgeführt wurde, kam es zu einem gravierenden Blutverlust, einem Hämoglobinabfall und zur Kreislaufinstabilität; bei einem intraoperativen Aufwachtest konnten alle Extremitäten auf Anforderung kräftig bewegt werden. Postoperativ wurde die Klägerin auf die Intensivstation verlegt, für die Zeit direkt nach Verlegung ist ebenfalls eine kräftige Beugung und Streckung beider Beine sowie kräftige Bewegung beider Arme dokumentiert. Gegen 16:15 Uhr wurde der Klägerin wegen ihres kreislaufinstabilen Zustands vom Beklagten zu 2, der angestellter Oberarzt (Anästhesie) bei der Beklagten zu 1 war, ein zentraler Venenkatheter (ZVK) gelegt. Hierbei kam es zu einer Katheterfehllage, indem das Ende des Katheters nicht, wie beabsichtigt, in der Hohlvene vor dem Vorhof des Herzens zum Liegen kam, sondern - mit Eintritt über das Neuroforamen BWK 1/2 - im Spinalkanal. Nach den insoweit im Berufungsverfahren nicht umstrittenen Feststellungen des Landgerichts ist dem Beklagten zu 2 hinsichtlich dieser Fehllage des Katheters kein Behandlungsfehler vorzuwerfen, das Anlegen des ZVK verlief problemlos und es konnte anschließend Blut aus allen drei Lumina aspiriert werden.
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Der weitere Verlauf postoperativ und in der Nacht gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt (vgl. insbesondere Zeittafel Anlage 1 zum Gutachten Professor Dr. Ca. vom 21.04.2010 und „Eintrag Krankengeschichte - Liste“ in der elektronischen Dokumentation im Unterheft Anlagen der Beklagtenpartei zu Blatt 48):
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Bei einer Röntgenkontrolle zur Lage des Katheters um 16:35 Uhr wurde der ZVK als „in loco typico“ befundet. Der Klägerin wurde postoperativ nach Anlage des Katheters u.a. Noradrenalin, Propofol und Sufentanil verabreicht, wobei strittig ist, in welchem Umfang über den ZVK; nach 19:00 Uhr wurde dieser jedenfalls nur mehr mit NaCl befahren. Um 19:00 Uhr war nach der Dokumentation keine suffiziente neurologische Überprüfung der Klägerin möglich; um 20:00 Uhr und um 21:00 Uhr war jeweils der ZVD nicht über den ZVK messbar; um 21:00/ 21:30 Uhr wurden eine fehlende Motorik beider Beine und fragliche Fußbewegungen festgehalten sowie, dass die Patientin noch sehr schläfrig war; um 22:15 Uhr wurde ein Cortisonschema angesetzt; um 23:00 Uhr war die Klägerin deutlich wacher und ansprechbar, konnte aber die Beine nicht bewegen; daraufhin wurde um 23:10 Uhr zunächst die Indikation für ein MRT gestellt, dann aber umgeschwenkt auf ein CT und dieses zwischen 1:55 Uhr und 2:15 Uhr angefertigt; die Befundung erfolgte per Teleradiologie durch die Streithelferin der Klägerin, dort durch den Hämatom geäußert; um 2:08 Uhr und 2:45 Uhr wurden neurologisch leichte Besserungen dokumentiert, insbesondere eine Beugung der Beine in der Hüfte auf Schmerzreize; um 6:50 Uhr erneut keine Beinbewegungen.
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Die Fehllage des ZVK wurde schließlich um 7:30 Uhr am Morgen des 20.06.2008 vom Beklagten zu 2 bei einer Nachbefundung der nächtlichen CT-Bildgebung erkannt. Dies führte zur umgehenden Entfernung des ZVK und (nach weiterer Diagnostik u.a. durch ein MRT) zu einer Dekompressionsoperation. Die Instrumentierung wurde später in einer weiteren Operation wieder eingesetzt. Die Klägerin ist nunmehr unterhalb C4 querschnittsgelähmt (Tetraplegie), ab C7 ist die Lähmung vollständig, die Klägerin bedarf seither umfassender Pflege. Sie wirft den Beklagten Behandlungsfehler bei der nachoperativen Versorgung am 19.06.2008 und in der darauffolgenden Nacht vor und sieht darin die Ursache für ihre Querschnittslähmung.
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Im Einzelnen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Traunstein und ergänzend auf die Sachverhaltsübersicht in der Berufungsbegründung der Beklagten vom 05.09.2017 Bezug genommen.
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2. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 21.06.2017 gegenüber beiden Beklagten nach umfangreicher Beweiserhebung, insbesondere medizinisch beraten durch insgesamt fünf Sachverständige aus den Fachgebieten der Orthopädie, Anästhesie, Radiologie, Neurologie und Neuroradiologie, unter Annahme eines Befunderhebungsfehlers dem Grunde nach voll und in der Höhe weit überwiegend stattgegeben.
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Nach der durchgeführten Röntgenkontrolle zur Lage des ZVK am 19.06.2008 um 16:35 Uhr sei eine notwendige weitere Befundung etwa durch ein weiteres Röntgenbild unter Kontrastmittelgabe oder mittels EKG-Kontrolle unterlassen worden. Dieser einfache Befunderhebungsfehler führe zu einer Beweislastumkehr zulasten der Beklagten. Einer Beweiserhebung über weitere Behandlungsfehlervorwürfe oder behauptete Aufklärungsfehler bedürfe es nicht mehr. Die Kammer gehe von einem venösen Stauungsinfarkt als Ursache der tragischen Beeinträchtigungen der Klägerin aus und davon, dass nicht gesagt werden könne, inwieweit eventuelle Maßnahmen noch erfolgversprechend für eine Besserung oder Reversibilität des Zustands der Klägerin gewesen wären. Die Beklagtenseite könne den ihr obliegenden Nachweis nicht führen, dass durch die unterstellte Durchführung weiterer Lagekontrollmaßnahmen und eine sofortige Reaktion auf die Feststellung der Fehllage des ZVK - durch Ziehen des ZVK - die Schädigung der Klägerin hätte verhindert werden können. Der Höhe nach hielt das Landgericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 453.000,00 € unter Einschränkungen lediglich hinsichtlich der beantragten Verzinsung für angemessen sowie eine zusätzlich beantragte Schmerzensgeldrente von 1.500,00 € pro Quartal. Im Hinblick auf die dauerhafte Beeinträchtigung und Pflegebedürftigkeit der Klägerin hat es den Feststellungsantrag im Wesentlichen zugesprochen. Auch den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hielt es für begründet. Im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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3. Die Beklagten greifen mit ihrer Berufung das Urteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an. Sie monieren insbesondere, dass das Landgericht den Einschätzungen der gerichtlichen Sachverständigen gefolgt ist. Sämtliche Begutachtungen wiesen sowohl Widersprüche in sich als auch gegenüber anderen gerichtlichen Sachverständigen und Privatgutachtern der Beklagten auf. Sie halten die Annahme eines Befunderhebungsfehlers und einer Haftung daraus für verfehlt. Bei der Bewertung des Röntgenbildes zur Lage des ZVK um 16:35 Uhr habe eine vertretbare Diagnosestellung - ein bloßer Diagnoseirrtum, der keine Haftung begründe - vorgelegen. Auch sei die Annahme des Sachverständigen Prof. Dr. Mo., dass eine weitere Diagnostik durch ein Röntgenbild mit Kontrastmittelgabe hätte erfolgen müssen, nicht überzeugend, was auch durch nunmehr neu vorgelegte Privatgutachten von Prof. Dr. Zw. und Prof. Dr. St. belegt werde. Im Übrigen sperre generell der Diagnoseirrtum das Rechtsinstitut der unterlassenen Befunderhebung mit Beweislastumkehr. Schließlich seien die Ausführungen des Landgerichts zur Ursache des Gesundheitsschadens nicht tragfähig, es gebe eine Reihe verschiedener möglicher Schadensursachen, dabei weit wahrscheinlichere als die Fehllage des ZVK. Dabei stehe auch im Raum, dass der Gesundheitsschaden schon mit Anlage des ZVK irreversibel entstanden war, sodass es auf eine Fehldiagnose des Röntgenbildes oder der späteren CT-Auswertung überhaupt nicht mehr ankomme. Jedenfalls hätte man zur Theorie des - ggf. reversiblen - venösen Infarkts, die erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2017 präferiert worden sei, weiter Beweis erheben müssen. Zur Schadenshöhe wenden die Beklagten ein, dass die medizinischen Feststellungen zum Schadensumfang für die Schmerzensgeldbemessung unzureichend seien. Im Einzelnen wird auf die Berufungsbegründung vom 05.09.2017 und den Schriftsatz vom 09.11.2017 Bezug genommen.
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Die Beklagtenseite hat im Verlauf des Berufungsverfahrens zudem ihr erstinstanzliches Vorbringen dazu, dass auch ansonsten kein, jedenfalls kein grober Behandlungsfehler vorliege, vertieft und ergänzt, nachdem der Senat darauf hingewiesen hatte, dass er die Auffassung des Landgerichts zu einer Haftung wegen unterlassener Befunderhebung nicht teile und er daher die Beweiserhebung zu den sonst vorgeworfenen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern fortsetzen werde. Nach Fortsetzung der Beweisaufnahme durch den Senat wenden sie gegen eine Haftung dem Grunde nach im Wesentlichen noch Folgendes ein:
11
Die gerichtlichen Sachverständigen, insbesondere Professor Dr. Mo. und Professor Dr. Me., hätten im Berufungsverfahren erneute Meinungswechsel vollzogen, die Auffassungen der Privatgutachter der Beklagtenseite seien demgegenüber vorzugswürdig. Den Hinweisen des Senats im Hinweisbeschluss vom 05.04.2019 zur vorläufigen Einschätzung hinsichtlich nachgewiesener, teils grober Behandlungsfehler, in Betracht kommender Beweiserleichterungen und zur Kausalität im Übrigen sei nach dem Beweisergebnis, insbesondere aus der letzten mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019, in maßgeblichen Teilen nicht zu folgen.
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Zu Behandlungsfehlern: Die Röntgenkontrollaufnahme von 16:35 Uhr sei nicht fehlerhaft befundet worden; die postoperative Sedierung der Klägerin sei nicht grob fehlerhaft gewesen, habe jedenfalls der Klägerin nicht geschadet; Krankenschwester Ec. sei hinsichtlich fehlender weiterer Aspirationsversuche nach nicht möglicher Messung des ZVD nichts vorzuwerfen; das Belassen des ZVK sei jedenfalls bis zur nächtlichen Bildgebung gegen 3:00 Uhr nur als einfacher Fehler zu bewerten; die Bildgebung in der Nacht sei rechtzeitig angefordert worden, die Durchführung hätte wohl schneller erfolgen müssen; die Befundung der CT-Bildgebung ab 2:15 Uhr durch den Orthopäden im Haus der Beklagten zu 1 und durch die Streithelfer sei lediglich als einfacher Behandlungsfehler zu bewerten.
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Zur Kausalität: Die Theorie eines venösen Infarkts sei nach jetzigem Stand erledigt; eine toxische Schädigung sowohl durch das Propofol wie auch durch das Sufentanil scheide aus, als einzige Möglichkeit verbleibe eine toxische Schädigung durch das Noradrenalin, das lediglich bis 17:00 Uhr gelaufen sei und nach problemloser Anlage des ZVK zunächst auch habe laufen dürfen, sodass eine etwaige toxische Schädigung den Beklagten nicht als Behandlungsfehler zugerechnet werden könne bzw. bei Unterstellung eines einfachen Behandlungsfehlers bei der Befundung der Röntgenkontrollaufnahme von 16:35 Uhr die Kausalität nicht nachgewiesen sei. Es sei also von einem arteriellen Infarkt auszugehen. Hier sei nun bei der letzten Anhörung eine Mitverursachung durch eine mechanische Schädigung der Segmentarterie mit erörtert worden, die nur in Betracht komme, wenn durch das betroffene Neuroforamen überhaupt eine Segmentarterie verlaufe, wozu die Sachverständigen nichts hätten sagen können; daher sei ggf. eine weitere Aufklärung erforderlich, insbesondere durch eine CT-Untersuchung der Klägerin mit Kontrastmittel, die dieser zumutbar sei; im Übrigen handle es sich hier letztlich um eine allenfalls theoretische Möglichkeit eines Beitrags des Katheters für den arteriellen Infarkt, die nicht ausreichend sei.
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Selbst bei Annahme einer (Mit-)Ursächlichkeit des ZVK für den arteriellen Infarkt sei ein solcher grundsätzlich irreversibel. Der in der Anhörung vom 18.09.2019 thematisierte Lowflow-Infarkt relativiere diese Annahme zwar, hier seien aber erforderlichenfalls weitere Sachverhaltsklärungen, insbesondere zur damaligen Blutdrucksituation der Klägerin nötig; es sei zudem äußerst fraglich, ob ein Ziehen des Katheters zu irgendeinem Zeitpunkt noch eine Verbesserung hätte bringen können, letztlich handele es sich bei der Annahme eines reversiblen arteriellen Infarkts um eine höchst theoretische Konstruktion.
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Eine Haftung der Beklagten komme ohnehin nur dann in Betracht, wenn eine Beweislastumkehr Platz greife. Ein grober Behandlungsfehler könne allerdings allenfalls in der Überdosierung des Sufentanils gesehen werden, insofern fehle es aber nachgewiesenermaßen an einer Ursächlichkeit für den Querschnitt. Die nächtliche Auswertung des CT sei entgegen der Auffassung des Senats nicht grob fehlerhaft gewesen. Zudem habe sich dieser Vorgang zwischen 2:30 Uhr und 3:00 Uhr in der Nacht abgespielt, um diese Zeit sei ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang zumindest äußerst unwahrscheinlich, was zur Verneinung der Kausalität ausreiche. Ein grober Behandlungsfehler könne entgegen der vorläufigen Auffassung des Senats auch nicht aus der Gesamtbetrachtung des Behandlungsgeschehens konstruiert werden. Im Übrigen könne sich eine Beweislastumkehr nur nicht mehr in das Geschehen involviert gewesen sei. Prozessual sei das Verfahren nicht zulasten der Beklagten entscheidungsreif.
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Im Einzelnen wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 14.11.2019 sowie ihre sonstigen Schriftsätze im Berufungsverfahren Bezug genommen.
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Der Streithelfer der Beklagten zu 1 hält insbesondere die vorläufige Einschätzung des Senats, dass die teleradiologische Befundung der nächtlichen CT-Aufnahme durch ihn grob fehlerhaft gewesen sei, auf Grundlage der Aussagen der Sachverständigen dazu für unberechtigt. Auf seinen Schriftsatz vom 11.06.2019, mit dem erfolglos der Vorsitzende des Senats wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde, und seine weiteren Schriftsätze im Berufungsverfahren wird ebenfalls Bezug genommen.
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Die Beklagten und der Streithelfer der Beklagten zu 1 beantragen im Berufungsverfahren:
1. Das Urteil des Landgerichts Traunstein, verkündet am 21.06.2017, Az. 3 O 2372/09 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
2. Hilfsweise: das Urteil des Landgerichts Traunstein, verkündet am 21.06.2017, Az. 3 O 2372/09 wird aufgehoben und der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Traunstein zurückverwiesen.
19
Die Klägerin und deren Streithelferin beantragen,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt in der Berufungserwiderung das landgerichtliche Urteil. Das Landgericht sei jedenfalls im Ergebnis zu Recht zu einer Haftung der Beklagten gelangt. Selbst wenn man die Auffassung des Landgerichts nicht teilen sollte, sei eine Vielzahl weiterer grober Behandlungsfehler gerügt worden, die zu einer Haftung führen würden, zuvorderst die völlig unverständliche Nichtreaktion auf den Befund der Teleradiologie in der Nacht, der jedenfalls eine Raumforderung beschrieben habe. Spätestens in der Nacht sei es somit zu einer Beweislastumkehr gekommen und da man nicht sagen könne, ab wann der Schaden irreversibel gewesen sei, würden die Beklagten haften. Auch die Schmerzensgeldbemessung durch das Landgericht sei im Rahmen des diesem eingeräumten richterlichen Ermessens nicht zu beanstanden.
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Die Klägerin hält auch nach dem letzten Stand der Beweisaufnahme eine Haftung der Beklagten für gegeben. Nach der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 mit einer Vielzahl von Gutachtern habe sich die Querschnittslähmung zwischen 21:00 Uhr und 2:00 Uhr entwickelt. Ein grober Behandlungsfehler liege schon durch die in diesem Zeitraum erfolgte Nichtreaktion auf den teleradiologischen Befund vor. Die hochgradige Querschnittslähmung sei nach Einschätzung der gerichtlichen Gutachter, der letztlich auch die Parteigutachter der Beklagten nicht mehr widersprochen hätten, jedenfalls bis 2:00 Uhr reversibel gewesen. Den der Beklagtenseite obliegenden Beweis, dass der grobe Behandlungsfehler nicht Ursache des Zustands der Klägerin gewesen sei, könne diese in einem so komplexen Fall nicht führen.
22
Auf die Berufungserwiderung der Klägerin vom 30.10.2017, ihren Schriftsatz vom 08.11.2019 sowie ihre sonstigen Schriftsätze im Berufungsverfahren wird verwiesen.
23
Die Streithelferin der Klägerin meint abschließend (unter Missachtung von § 67 ZPO a. E.), dass die für sie vom Streithelfer der Beklagten zu 1 durchgeführte Befundung der nächtlichen CT-Aufnahme im Ergebnis nicht fehlerhaft gewesen sei, da dort die Konsequenz, nämlich eine Raumforderung, beschrieben worden sei, wenn auch nicht die Fehllage des Katheters. Jedenfalls liege kein grober Behandlungsfehler vor. Auf den Schriftsatz der Streithelferin vom 11.12.2019 sowie deren vorangegangene Schriftsätze im Berufungsverfahren wird ebenfalls Bezug genommen.
24
Der Senat hat zunächst in der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2017 und mit Beschluss vom 15.03.2018 rechtliche Hinweise erteilt (teilweise erläutert in einer dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 18.04.2018) und insbesondere darauf hingewiesen, dass er die vom Landgericht angenommene Haftungsgrundlage einer unterlassenen Befunderhebung nicht teile, da er von einem einfachen Diagnosefehler bei der Befundung des nach dem Anlegen des ZVK um 16:35 Uhr gefertigten Röntgenbildes ausgehe und dieser die vom Landgericht angenommene unterlassene Befunderhebung „sperre“. Es sei eine weitere Beweiserhebung im Hinblick auf verschiedene Problemstellungen erforderlich. In der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2018 wurde die Klägerin ausführlich informatorisch angehört, insbesondere zu ihrem gesundheitlichen Zustand. Mit Beschlüssen vom 11.07.2018 und 05.04.2019, Verfügungen vom 22.10.2018 und 27.12.2018 und in den mündlichen Verhandlungen vom 31.01.2019 und 18.09.2019 hat der Senat weitere rechtliche Hinweise erteilt und die beabsichtigten Fragestellungen gegenüber verschiedenen Sachverständigen angekündigt. In der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2019 wurden die Sachverständigen Professor Dr. Ka. (Radiologie), Professor Dr. Mo. (Anästhesiologie) und Professor Dr. Ca. (Orthopädie) im Beisein der Privatgutachter Professor Dr. Zw. (Anästhesiologie) und Professor Dr. St. (Radiologie) mündlich angehört; nach Scheitern weiterer Vergleichsbemühungen wurden sodann in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 die Zeugen Birgit Ec. und Arndt Tö. nochmals vernommen und die Sachverständigen Professor Dr. Me. (Neurologie), Professor Dr. Hä. (Neuroradiologie) sowie (nochmals) Professor Dr. Mo. mündlich angehört, im Beisein der Privatgutachter Professor Dr. L. sowie zeitweise Professor Dr. Th. (beide Neuroradiologie). Ein Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 16.04.2018 gegen die Mitglieder des Senats in der damaligen Besetzung wurde nach Erholung dienstlicher Stellungnahmen nicht aufrechterhalten, ein Ablehnungsgesuch des Streithelfers der Beklagten zu 1 vom 11.06.2019 gegen den Vorsitzenden des Senats, VRiOLG Dr. St., mit Beschluss vom 24.07.2019 zurückgewiesen. Auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen und die weiteren Aktenfundstellen wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.
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Die Berufung der Beklagten zu 1 ist zulässig, aber nur der Höhe nach in gewissem Umfang begründet, die Berufung des Beklagten zu 2 ist zulässig und begründet. Das Landgericht hat der Klägerin im Ergebnis zu Recht einen arzthaftungsrechtlichen Anspruch gegen die Beklagte zu 1 aus dem geschlossenen Behandlungsvertrag und unter deliktischen Gesichtspunkten zuerkannt und ihr Schmerzensgeld, die begehrte Feststellung zukünftiger Haftung unter Einschränkung auf noch nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangene Ansprüche sowie vorgerichtliche Anwaltskosten zugesprochen. Abzuändern war auf die Berufung der Beklagten zu 1 allerdings die Aufteilung des Schmerzensgelds in Kapitalbetrag und Rente. Die Verurteilung des Beklagten zu 2 war hingegen aufzuheben, da dieser bereits dem Grunde nach nicht haftet.
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1. Der Senat teilt nach umfangreicher weiterer Beweiserhebung im Ergebnis die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte zu 1 der Klägerin wegen Behandlungsfehlern im Rahmen der nachoperativen Behandlung am 19./20.06.2008 dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet ist.
27
1.1 Der Senat folgt dem Landgericht allerdings nicht in dessen Begründung, dass diese Haftung auf einen Befunderhebungsfehler im Nachgang zu der unmittelbar nach Legen des zentralen Venenkatheters durchgeführten Röntgenkontrolle zur Lagekontrolle gestützt werden kann. Denn der Senat geht entsprechend seinem rechtlichen Hinweis bereits vom 15.03.2018 auch nach dem endgültigen Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass dieses unmittelbar nach dem Anlegen des ZVK (um 16:15 Uhr) gefertigte Röntgenbild von 16:35 Uhr fehlerhaft befundet worden ist, wobei diese Fehlbefundung für sich genommen nicht grob fehlerhaft war (vergleiche unten unter Ziffer 1.2.2). Der somit vorliegende einfache Diagnosefehler „sperrt“ (ebenso wie es ein bloßer Diagnoseirrtum würde) die vom Landgericht angenommene Haftungsgrundlage der unterlassenen Befunderhebung. Auf Grundlage der von den Behandlern vorgenommenen, wenn auch fehlerhaften Beurteilung des nach Legen des ZVK gefertigten Röntgenbildes, wonach sich der Katheter „in loco typico“ befand, die Behandler also weder eine Auffälligkeit erkannten noch die Aufnahme für nicht eindeutig interpretierbar hielten, bestand kein Anlass zu der vom Landgericht als notwendig angesehenen weiteren Befunderhebung in Form etwa einer erneuten Röntgenkontrolle unter Verwendung eines Kontrastmittels.
28
Eine Haftung allein auf Grundlage dieses einfachen Diagnosefehlers kommt nicht in Betracht, da (vgl. näher zur Kausalität unten unter Ziffer 1.3) verschiedene Ursachen für die bei der Klägerin eingetretene Querschnittslähmung in Betracht kommen, die nicht in Zusammenhang mit dem Belassen des fehlplatzierten ZVK stehen, insbesondere eine schicksalhafte Verwirklichung des operationsimmanenten Querschnittrisikos oder ein irreversibles Setzen der Ursache für den Rückenmarksinfarkt bereits während der nicht als Behandlungsfehler vorwerfbaren Fehl-Anlage des ZVK; einen positiven Kausalitätsnachweis kann die Klägerin nicht führen.
29
Die weitere Beweisaufnahme hat aber ergeben, dass der Beklagten zu 1 im Zuge der nachoperativen Behandlung am 19.06.2008 und der folgenden Nacht fachübergreifend mehrere Behandlungsfehler vorzuwerfen sind, die teils für sich, jedenfalls aber in der Zusammenschau mehrerer als grob zu bewerten sind und daher zu einer Beweislastumkehr für die Kausalität zugunsten der Klägerin führen. Die Beklagte zu 1 hat den deshalb erforderlichen Gegenbeweis (Maßstab des § 286 ZPO) zur Überzeugung des Senats weder insgesamt noch isoliert für einzelne Bestandteile der Fehlerkette insoweit geführt, dass der Vorwurf grober Fehlerhaftigkeit für die verbleibenden, nicht ausschließbar kausalen Behandlungsfehler nicht mehr gerechtfertigt wäre.
1.2 Zur Überzeugung des Senats nachgewiesene Behandlungsfehler:
30
1.2.1 Zunächst ist festzuhalten, dass entsprechend den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts (Urteil Seite 8 unter I. 1.a. aa. und bb.) der Beklagten zu 1 kein Behandlungsfehler schon bei der Anlage des zentralen Venenkatheters um 16:15 Uhr, die vom Beklagten zu 2 vorgenommen wurde, vorgeworfen werden kann. Die Anlage konnte ohne größere weitere Auffälligkeiten, etwa in Form von erhöhtem Kraftaufwand, durchgeführt werden und anschließend konnte über alle drei Lumina „dunkles“, also venöses Blut aspiriert werden (vgl. insbesondere Angaben des Zeugen Mü. in der mündlichen Verhandlung vom 26.02.2014, Protokoll LG Seiten 3/4). Der Sachverständige Professor Dr. Mo. (Anästhesiologie) hat bereits im Rahmen seines Erstgutachtens (vom 14.08.2010) ausgeführt, dass Fehlpositionierungen eines ZVK auch bei sorgfältigem und technisch einwandfreiem Vorgehen nicht vermeidbar seien, weshalb diese immanente Komplikation mit der Anlage eines zentralen Venenkatheters einhergehe. Dies steht unter den Parteien auch nicht mehr im Streit.
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1.2.2 In der Befundung der Röntgenkontrollaufnahme von 16:35 Uhr durch den Beklagten zu 2 und weitere behandelnde Ärzte der Beklagten zu 1 (vgl. Angaben des Beklagten zu 2 zum damaligen Behandlungsablauf in der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2013, Protokoll LG Seite 11) mit der Beschreibung „… ZVK in loco typico, kein Anhalt für Pneumothorax“ liegt nicht lediglich ein Diagnoseirrtum, sondern ein Diagnosefehler, also ein Behandlungsfehler vor. Dieser ist als einfacher, nicht als grober Fehler zu bewerten.
32
Maßgeblich ist insoweit, ob der anästhesiologische Facharztstandard eingehalten wurde, fachmedizinisch zuständig für die Beurteilung insoweit ist also der Sachverständige Professor Dr. Mo. (vgl. Gutachten Professor Dr. Ca. - Orthopädie - vom 21.04.2010 Seite 24).
33
Professor Dr. Mo. hat von Beginn an (vgl. Gutachten vom 14.08.2010 Seite 16 f., vom 06.08.2011 Seiten 7 und 14, vom 12.04.2017 Seite 2, auch Anhörung vom 03.05.2017 Protokoll LG Seite 7) ausgeführt, dass in dieser Röntgenaufnahme auffalle, dass der Venenkatheter nicht den typisch geschwungenen Verlauf nehme, wie dies von einem über die linke Halsseite und die V. jugularis interna eingebrachten ZVK erwartet würde. Dieser atypische Verlauf des Katheters sei ein eindeutiger Hinweis dafür, dass der ZVK nicht in loco typico verlaufe und möglicherweise nicht korrekt liege. Die Beklagten hätten in dieser a.p. Thoraxkontrollaufnahme die spinale Fehllage des ZVK fälschlich als korrekte Lage befundet. Andererseits sei dieser von der Norm abweichende Verlauf schwierig zu erkennen gewesen, es hätte großer Erfahrung bedurft, dies direkt zu erkennen. Diese Einschätzung hat der Sachverständige auch im Berufungsverfahren und in Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen von Privatgutachtern der Beklagten, Professor Dr. Br. (Anästhesiologie, schon erstinstanzlich), Professor Dr. Zw. (Anästhesiologie) und Professor Dr. St. (Radiologie), aufrechterhalten. In der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2019 (Protokoll OLG Seite 5) hat er insofern zusammenfassend festgehalten, dass er auch in Kenntnis des neuen Privatgutachtens von Herrn Zw. dabei bleibe, dass das Verkennen der Fehllage des ZVK auf dem betroffenen Röntgenbild nicht dem Facharztstandard entsprochen habe und damit fehlerhaft gewesen sei; er sehe dies aber weiterhin nicht als einen groben Fehler an, weil es wirklich eine singuläre Lage gewesen und der Fokus des Anästhesisten in diesem Moment darauf gerichtet sei, ob der Thorax verletzt worden sei. Er sehe diesbezüglich auch gar keinen Widerspruch zwischen seiner Aussage und der des bzw. der Privatgutachter(s).
34
Der Senat folgt dieser gut nachvollziehbaren Bewertung. Wesentlich erscheint hierbei, dass der Fehlervorwurf nicht dahin geht, dass die befundenden Ärzte die singuläre Fehllage im Spinalkanal nicht erkannt haben, sondern dass sie dem ZVK ausdrücklich - insgesamt - eine typische Lage (“in loco typico“) zugeschrieben haben, obwohl er diese nach der Röntgenkontrollaufnahme gerade nicht hatte und man sich letztlich auf den Ausschluss eines Pneumothorax als einer typischen „Fehllage“ (wohl besser Komplikation, vgl. Gutachten von Professor Dr. Mo. vom 12.04.2017, Seiten 6/7) beschränkt hatte. Insofern liegt auch tatsächlich kein Widerspruch zum fachgleichen Privatgutachter der Beklagten, Herrn Professor Dr. Zw., vor. Auch dieser hat in seiner Stellungnahme vom 28.08.2017 (Anlage BK 1) ausgeführt, dass die Lage des von der linken Seite angelegten ZVK sicherlich atypisch sei und dies auch gelte, wenn man die anatomischen Veränderungen des Kindes berücksichtige. Die Lage mit „Loco Typico“ zu beschreiben sei also schon sehr gewagt. Entsprechend hat er in der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen erklärt, dass auch er es letzten Endes für falsch halte, von einer Katheterlage „in loco typico“ zu sprechen und dies als einen Fehler ansehe. Professor Dr. St. (nicht fachgleich) hält in seiner Stellungnahme vom 02.11.2017 (Anlage BK 2) den Befund durch den befundenden Anästhesisten ebenfalls für nicht korrekt beschrieben. Korrekterweise hätten Zweifel an der Lage des Katheters geäußert werden müssen. Er hält diese Interpretation lediglich in der Wertung für letztlich (noch) nachvollziehbar in Hinblick auf die skoliosebedingte veränderte Anatomie der Klägerin und sieht deswegen lediglich einen Diagnoseirrtum als gegeben. Diese Wertung überzeugt gegenüber der oben beschriebenen des gerichtlichen Sachverständigen und des weiteren fachgleichen Privatgutachters der Beklagten jedoch nicht. Der erstinstanzlich von der Beklagten herangezogene Privatgutachter Professor Dr. Br. hat in seiner Stellungnahme vom 25.11.2016 (Anlage B 21 Seite 6) schließlich ebenfalls ausgeführt, dass es ohne Zweifel nicht korrekt gewesen sei, angesichts der Mängel in der bildgebenden Darstellung die Lage des ZVK als einen in loco typico Befund zu klassifizieren.
35
1.2.3 Ein weiterer Behandlungsfehler liegt zur Überzeugung des Senats in der postoperativen (zwischen 16:15 Uhr und 19:00 Uhr) weit überdosierten Sedierung der Klägerin mit Sufentanil (die neben der Propofolgabe erfolgt ist). Diesen Behandlungsfehler bewertet der Senat als grob.
36
Insofern kann zwar eine neurotoxische Wirkung und damit direkte Mitwirkung an der Querschnittslähmung sowie eine sonstige unmittelbare Schädigung der Klägerin ausgeschlossen werden, die übermäßige Sedierung hat aber die Kontrolle ihres neurologischen Status jedenfalls um 19:00 Uhr und um 21:00 Uhr, letztlich wohl sogar bis 23:00 Uhr beeinträchtigt.
37
Diese Überzeugung des Senats beruht im Wesentlichen wiederum auf der Begutachtung durch den anästhesiologischen Sachverständigen Professor Dr. Mo. Die Problematik einer etwaigen Überdosierung dieses Medikaments wurde erstinstanzlich bereits erörtert (vgl. mündliche Verhandlung vom 26.02.2014, Protokoll LG Seite 8), aber dort nicht erschöpfend behandelt. Gemäß Ankündigung mit Beschluss des Senats vom 11.07.2018 (unter Ziffer I. 3.) wurde diese Thematik mit dem Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2019 (Protokoll Seite 8 ff.) erneut und vertieft erörtert sowie nochmals in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 (Protokoll Seiten 7, 8 und 11) im Hinblick auf eine weitere Stellungnahme des Privatgutachters Professor Dr. Zw. vom 06.09.2019 (Anlage BK 11 Seite 3).
38
Zugrundezulegen ist insoweit entsprechend der Tabelle im Gutachten von Professor Dr. Mo. vom 14.08.2010 (Seite 21), in der die Werte zusammengerechnet wurden, wie sie sich aus der Dokumentation der Beklagten ergaben, dass der Klägerin zwischen 16:15 Uhr und 19:00 Uhr insgesamt 11,25 ml bzw. 168,75 Mikrogramm Sufentanil (über den ZVK) verabreicht wurden. Dies entsprach nach den Darlegungen des Sachverständigen vor dem Landgericht einer Gesamtmenge, die bei einer Herzoperation üblich ist. Bei der Klägerin für eine postoperative Sedierung habe es sich um eine großzügige und reichliche Sedierung gehandelt, die eine komplette Schmerzausschaltung und langanhaltende Sedierung verursacht habe, die gar nicht erforderlich gewesen und in diesem Ausmaß schwer nachvollziehbar sei. In einer Situation postoperativ, wenn man die Neurologie engmaschig überprüfen sollte, bedinge die Verwendung dieses stark wirkenden und langanhaltenden Opioids, dass die neurologische Beurteilung nur verzögert möglich sei. Wenn man die neurologische Überprüfung engmaschig durchführen wolle, sei ein derartiges Sedierungsregime kontraproduktiv. Es hätten auch alternative Medikamente wie Remifentanyl zur Verfügung gestanden. Man könne in dieser Situation aber nicht sagen, dass es ein Fehler sei, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe.
39
Vor dem Senat hat der Sachverständige nochmals bestätigt, dass er die Dosierung als postoperative Medikation nicht nachvollziehen könne. Diese habe der Patientin sicher nicht unmittelbar geschadet, aber die neurologische Diagnostik erschwert. Sufentanil zu geben, sei in Ordnung gewesen, aber nicht in dieser Dosierung, 10 Mikrogramm in der Stunde wären ausreichend gewesen. Auf Vorhalt des Beklagten zu 2 dazu, dass nach der Herstellerinformation die Erhaltungsdosis 0,15 bis 0,7 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht pro Stunde betrage, wurde errechnet, dass sich auch danach (Körpergewicht der Klägerin 40 kg) eine Stundendosis zwischen 6 und 28 Mikrogramm und eine Maximaldosis von 77 Mikrogramm ergeben würde, die von den gegebenen 168,75 Mikrogramm weit überschritten wurde. Seine vor dem Landgericht geäußerte Einschätzung zur fehlenden Grobheit des Fehlers hat Professor Dr. Mo. dann auf nähere Erörterung überdacht und letztlich revidiert. Er hat erläutert, dass der Anästhesist hier mit dem Orthopäden zusammenwirken müsse und darauf angewiesen sei, dass dieser ihm mitteile, wann und in welchem Umfang es einer neurologischen Kontrolle bedürfe. Man passe die Dosis individuell an den Patienten an und es könne bei einer langen Intensivbehandlung mit andauernder Sedierung schon einmal zu einer nur scheinbaren Überdosierung kommen. Bei der Klägerin habe aber kein langstreckiger Verlauf vorgelegen und aus den Akten und der Dokumentation, insbesondere der des GCS, sei keine Erklärung dafür ersichtlich und nachvollziehbar, warum man die Dosis so hoch gegeben habe. Vorbehaltlich einer nachvollziehbaren Erklärung müsse er daher diese Überdosierung als schlechterdings unverständlich bewerten. In der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 hat er keinen Anlass gesehen, seine Beurteilung im Hinblick auf das weitere Privatgutachten von Professor Dr. Zw. hin zu ändern. Er hat nochmals darauf hingewiesen, keine Neurotoxizität durch Sufentanil zu sehen und ergänzend ausgeführt, dass er in Bezug auf die verschleiernde Wirkung den Ansatz des Privatgutachters teile und insoweit zustimme, dass Sufentanil eine kalkulierbare kontextsensitive Halbwertszeit habe. Da seiner Meinung nach dieses Medikament postoperativ in einer ca. zehnfach überhöhten Menge gegeben wurde, wolle er schon dabei bleiben, dass es die neurologischen Überprüfungen bis letztlich sogar 23:00 Uhr beeinflusst habe. Die Wirkung lasse wegen der Halbwertszeit im Laufe der Zeit nach. Die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen überzeugen den Senat, einschließlich dessen Bewertung, dass insoweit ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Klägerin die Höchstdosis nach Herstellerinformationen gegeben werden durfte und damit eine „nur“ gut zweifache Überdosierung - anstelle einer fast achtfachen Überdosierung entsprechend der Berechnung des Sachverständigen - vorläge. Denn es wäre Sache der Beklagten gewesen, besondere Umstände vorzutragen und gegebenenfalls (insbesondere durch die Dokumentation) zu belegen, die es rechtfertigen würden, im Hinblick auf die letztlich unstreitige, im (vorläufigen) Operationsbericht vorgesehene und von mehreren Sachverständigen bestätigte Notwendigkeit einer neurologischen Überprüfung der Klägerin auch postoperativ (vgl. insbesondere Sachverständiger Professor Dr. Ca. in der Anhörung vom 25.09.2013, Protokoll LG Seite 8/9, sowie vom 03.05.2017, Protokoll LG Seite 10), eine höhere Dosierung als üblich bei der Klägerin vorzunehmen. Ein solcher konkreter Vortrag seitens der Beklagten fehlt; insbesondere die Stellungnahme von Professor Dr. Zw. vom 06.09.2019 argumentiert lediglich abstrakt und allgemein damit, dass die Dosierung letztlich den Umständen des Einzelfalls angepasst werden müsse und die Empfindlichkeit von Patienten gegenüber dieser Substanzklasse unter Umständen reduziert sein könne.
40
1.2.4 Zur Überzeugung des Senats liegt ein weiterer Behandlungsfehler im Umgang mit dem misslungenen weiteren Versuch einer ZVD-Messung durch die Zeugin Krankenschwester Ec. um 21:00 Uhr, da dieser letztlich keine adäquate Reaktion seitens der Krankenschwester oder der behandelnden Ärzte nach sich zog. Dieser Behandlungsfehler ist - entgegen der vorläufigen Einschätzung im Beschluss des Senats vom 05.04.2019 - nicht als grober Fehler zu bewerten.
41
Vorab: Einen Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der nicht möglichen ZVD-Messung bereits um 20:00 Uhr durch die Zeugin Ec. sieht der Senat nach ergänzender Beweisaufnahme hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 durch nochmalige Vernehmung der Zeugin Ec., des Zeugen Tö. und Anhörung des Sachverständigen Professor Dr. Mo. nicht als nachgewiesen an. Die Zeugin Ec. hat sich im Wesentlichen auf ihre Angaben bereits vor dem Landgericht am 25.09.2013 bezogen und diese bestätigt, konnte sich aktuell an weniger erinnern als damals. Nach ihren Angaben hat sie bei Dienstbeginn um 19:45 Uhr/20:00 Uhr die Antrittskontrolle gemacht und, nachdem bei der ZVD Messung ein Fragezeichen über den im Zimmer befindlichen Monitor kam, zur Kontrolle Blut aspiriert, und zwar über alle drei Schenkel. Bei dieser Aspiration sei das Blut normal gewesen, jedenfalls nichts Auffälliges, ansonsten hätte sie es notiert. Den Regelfall, dass man aspirieren könne, halte sie hingegen in der Dokumentation nicht fest. Der Sachverständige Professor Dr. Mo., der im Laufe seiner Begutachtung im Hinblick auf die Fehllage des ZVK und darauf, dass dieser „schlecht lief“, mehrmals Zweifel an der Richtigkeit der vorangegangenen Aussage der Zeugin Ec. geäußert hatte, zuletzt in der Verhandlung vom 31.01.2019 (Protokoll OLG Seite 7), hat am 18.09.2019 (Protokoll Seite 6) abschließend gemeint, nicht eindeutig und zweifelsfrei beantworten zu können, ob die Aussage der Zeugin durch das übrige Geschehen widerlegt sei. Entsprechend der bereits im Termin vorgenommenen vorläufigen Beweiswürdigung (Protokoll OLG Seite 7) sieht auch der Senat die Angaben der Zeugin als letztlich nicht widerlegt an und legt daher einen erfolgreichen Aspirationsversuch über alle drei Lumina auch um 20:00 Uhr (nach dem ebenfalls erfolgreichen unmittelbar nach Anlage des ZVK durch den Beklagten zu 2) zugrunde.
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Entgegen der vorläufigen Einschätzung im Hinweisbeschluss vom 05.04.2019 (unter Ziffer I. 3.), die auf dem (vorläufigen) Ergebnis aus der mündlichen Verhandlung vom 31.01.2019 beruhte, sieht der Senat nach Abschluss der Beweisaufnahme den Fehlervorwurf allerdings nicht mehr darin, dass Schwester Ec. von sich aus um 21:00 Uhr einen weiteren Aspirationsversuch hätte unternehmen müssen. Denn dies konnte von ihr aus eigener Initiative nicht gefordert werden. Er geht nunmehr zudem von einem nicht als grob einzustufenden Behandlungsfehler aus.
43
Professor Dr. Mo. hat zuletzt überzeugend ausgeführt (Protokoll OLG vom 18.09.2019 Seiten 9/10), dass Schwester Ec. um 21:00 Uhr den ZVD nicht von Neuem hätte messen müssen. Wenn sie es aber tat und um 20:00 Uhr und erneut um 21:00 Uhr eine ZVD-Messung nicht erfolgreich durchführen konnte, hätte sie es dabei nicht belassen dürfen, sondern zumindest diese Information an den Arzt weitergeben müssen. Der so informierte Arzt hätte der Sache dann selbst oder durch eine Anweisung an die Schwester nachgehen müssen, also entweder noch einmal zu aspirieren versuchen oder der Frage nachgehen müssen, warum das Messgerät zweimal keine erfolgreiche Messung zugelassen hat; man hätte auch überprüfen können, ob frei zu infundieren war. So hätte man die Erkenntnis erhalten, dass mit dem Katheter etwas nicht in Ordnung war, und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von jedenfalls mehr als 50%. Dann sei zunächst wichtig und auch korrekt erfolgt, dass der ZVK nicht weiter befahren werde. Im Übrigen gelte, dass ein nicht benötigter ZVK, welcher nicht laufe, zeitnah zu ziehen sei, wobei das Zeitfenster nicht mit einer Viertelstunde bemessen werden könne, es könne auch 1 Stunde oder, je nach Situation, auch einmal 2 Stunden dauern. Dies gelte auch unter Berücksichtigung des neurologischen Status der Klägerin, weil der diensthabende Anästhesist ja ex ante keinen Anlass gehabt hätte, eine Fehllage des Katheters zu vermuten. Ein Belassen des Katheters auch über 2 Stunden hinaus halte er allerdings nicht für grob fehlerhaft, dies sehe er so erst für die Zeit nach Vorliegen des CT. Es wäre sicher optimal gewesen, den ZVK binnen 1 Stunde zu entfernen, er könne aber nicht wissenschaftlich stichhaltig begründen, dass das in dieser Zeit hätte geschehen müssen, und deswegen auch nicht konstatieren, dass das Belassen des Katheters grob behandlungsfehlerhaft gewesen sei. Daran halte er auch im Hinblick darauf, dass er sich im Termin vom 31.01.2019 anders geäußert oder missverständlich ausgedrückt habe oder missverstanden worden sei, fest. Das Gebot, einen nicht benötigten ZVK möglichst rasch zu ziehen, gelte vor allem unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Infektionen, mechanischen Schädigungen oder Gefäßläsionen.
44
Der Senat schließt sich dieser medizinischen Bewertung in rechtlicher Hinsicht an. Da entweder die Zeugin Ec. die behandelnden Ärzte nicht hinreichend informiert hat (nach ihren Angaben haben diese die Fehlmessung „so beiläufig mitbekommen“) oder die Ärzte nicht angemessen reagiert haben, liegt ein Behandlungsfehler vor. Auch wenn der ZVK aktuell nicht mehr erforderlich war, weil die Patientin (spätestens ab 17:00 Uhr) hämodynamisch stabil war, und er zu dieser Zeit nicht mehr mit Medikamenten (sondern nur mehr mit NaCl) befahren wurde und befahren werden sollte sowie „schlecht lief“, erscheint es auch dem Senat bei objektiver Betrachtung nicht schlechthin unverständlich, dass der ZVK vorerst und vorsorglich belassen wurde (und erst am nächsten Morgen mit den Kollegen bei der Visite besprochen werden sollte, wie mit ihm weiter zu verfahren sei - so Aussage des Zeugen Tö.). Dies insbesondere deswegen, weil aus damaliger Sicht anderes im Vordergrund stand und - wegen der vorherigen Fehlbefundung des Röntgenbildes mit „ZVK in loco typico“- kein Anlass zur Annahme einer etwaigen Fehllage des Katheters bestand.
45
1.2.5 Der nächste Behandlungsfehler liegt darin, dass das nächtliche CT nach Indikationsstellung zunächst für ein MRT gegen 23:10 Uhr durch Dr. Th. dann erst um 0:45 Uhr angefordert und zwischen 1:55 und 2:15 Uhr angefertigt wurde. Auch dieser Behandlungsfehler ist lediglich als einfacher zu bewerten.
46
Der insoweit maßgebliche orthopädische Sachverständige Professor Dr. Ca. hat in seinem Gutachten vom 21.04.2010 (vgl. Seiten 10 und 26/27) zunächst die Auffassung vertreten, dass bereits mit dem Ansetzen des Cortisonschemas um 22:15 Uhr, nachdem man ab 21:00 Uhr den Verdacht hatte, dass möglicherweise ein neurologischer Schaden vorliege, eigentlich auch die Indikation zur bildgebenden Diagnostik zu stellen gewesen wäre. Weiter bleibe zu klären, warum dann der Entscheidungsprozess zwischen Kernspintomografie (MRT) und Computertomografie (CT) mehr als eineinhalb Stunden (23:10 Uhr bis 0:45 Uhr) in Anspruch genommen habe. In der mündlichen Verhandlung vom 25.09.2013 hat er weiter angegeben (Protokoll LG Seite 10), dass bereits um 21:00 Uhr bzw. 23:00 Uhr dokumentiert sei, dass keine Motorik in den Beinen sei. Wenn man sicher sei, keine Motorik in den Beinen, hätte entschieden werden müssen, CT oder  MRT. In der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2017 (Protokoll LG Seiten 3/4) wurde zwar der Ablauf der neurologischen Auffälligkeiten der Klägerin anhand der Dokumentation mit ihm und dem Sachverständigen Professor Dr. Me. (Neurologie) erörtert und hat er nochmals darauf hingewiesen, dass man ein Cortisonschema, das zum Abschwellen dienen soll, bei einem Verdacht auf eine neurologische Schädigung ansetze, ansonsten lag aber dort der Fokus auf anderen Fragen.
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Ausführlich erörtert wurde dieser Punkt bei seiner Anhörung vor dem Senat am 31.01.2019 (Protokoll OLG Seiten 11/12). Dort hat Professor Dr. Ca. plausibel erläutert, dass zunächst um 19:00 Uhr der neurologische Status der sedierten Patientin nicht suffizient überprüft werden konnte und es um 21:00 Uhr den ersten Hinweis einer neurologischen Symptomatik gab. Er verorte den Zeitpunkt, zu dem die Bildgebung anzufordern gewesen sei, zwischen 21:15 und 23:00 Uhr. 23:00 Uhr spätestens, weil man nun zum zweiten Mal neurologische Auffälligkeiten hatte und sogar „keine Beinbewegungen“ mehr vorlagen. Um 23:10 Uhr sei dann auch ein MRT angefordert worden. Als sich dann in der Diskussion mit den Anästhesisten herausgestellt habe, dass wegen der Intubation ein MRT nicht durchführbar sei, hätte man sofort umschalten können und er sei deswegen bereits in seinem schriftlichen Gutachten zu der Einschätzung gekommen, dass es zwischen 23:00 Uhr und 0:45 Uhr insgesamt zu lange gedauert habe, bis das CT angefordert worden sei. Er sehe keine Notwendigkeit, bei Hindernissen gegenüber einem MRT noch groß zu überlegen, ob man anstelle dessen ein CT macht. Er habe auch keinen Hinweis darauf, dass das CT durch einen anderen Patienten blockiert gewesen wäre oder der Transport der Patientin zum CT so lange in Anspruch genommen hätte - worauf die Beklagtenseite klargestellt hat, dass die Radiologie mit dem CT im selben Gebäude wie die Intensivstation sei und es inklusive Umbetten und Beatmen etwa eine Viertelstunde dauern würde, bis man den Patienten vom Bett im CT habe.
48
Auf dieser Grundlage geht der Senat (insoweit abweichend vom Hinweisbeschluss vom 05.04.2019 unter Ziffer I. 4.) davon aus, dass der Beklagtenseite mit der Indikationsstellung für eine Bildgebung (zunächst MRT) erst gegen 23:10 Uhr - anstatt schon nach dem erstmaligen Feststellen einer neurologischen Symptomatik bzw. zeitgleich mit der Anordnung des Cortisonschemas um 22:15 Uhr - kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden kann. Denn entscheidend ist, ab wann die Anforderung einer Bildgebung nicht nur sinnvoll, sondern ohne Unterschreiten des Facharztstandards zwingend indiziert war, und das war erst dann der Fall, als man um 23:00 Uhr zum zweiten Mal neurologische Auffälligkeiten hatte und „keine Beinbewegungen“ mehr vorlagen.
49
Es verbleibt jedoch bei dem Vorwurf (den die Beklagte zu 1 zuletzt auch gar nicht mehr in Abrede gestellt hat), dass nach Diskussion mit den Anästhesisten das „Umschalten“ auf ein CT und dessen Anforderung erst um 0:45 Uhr zu lange Zeit in Anspruch genommen hat; die Bildgebung hätte schneller durchgeführt werden müssen. Dies stellt lediglich einen einfachen Behandlungsfehler dar.
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1.2.6 Der Senat hält schließlich an der Beurteilung im Hinweis vom 05.04.2019 (unter Ziffern I. 5. und I. 6.) fest, dass einerseits die Orthopäden im Haus der Beklagten zu 1 (Oberarzt Dr. Th.) es grob fehlerhaft unterlassen haben, die von 1:55 Uhr bis 2:15 Uhr erstellten CT-Aufnahmen auszuwerten bzw. diese grob fehlerhaft falsch befundet haben, soweit der fehlplatzierte ZVK übersehen wurde, und andererseits auch der Streithelfer der Beklagten zu 1 als Teleradiologe die ihm übermittelten Aufnahmen grob fehlerhaft falsch befundet hat.
51
Seitens der Orthopäden beruht diese Beurteilung wiederum auf der Begutachtung durch den Sachverständigen Professor Dr. Ca. Dieser hat bereits im schriftlichen Gutachten vom 21.04.2010 (Seite 28) ausgeführt, dass die Computertomografie auf mehr als 50 Bildern zeige, dass der ZVK nicht dort lag, wo er liegen sollte, sondern dort, wo er auf gar keinen Fall liegen dürfe. Es sei nicht nur das Nichterkennen dieser Fehllage durch den beurteilenden Radiologen für ihn nicht verständlich, sondern es sei kritisch anzumerken, dass die CT-Aufnahmen offensichtlich von den behandelnden Ärzten zunächst nicht selbst angesehen und/ oder beurteilt wurden. Bei seiner Anhörung am 25.09.2013 (Protokoll LG Seiten 9/10) hat er seine Einschätzung bezüglich der Beurteilung der CT-Bilder bestätigt, es sei für ihn unvorstellbar und eigentlich auch schlechterdings nicht vorstellbar, dass man die Fehlplatzierung nicht gesehen habe. Ergänzend meinte er, dass dies insoweit sein Fachgebiet sei, da die Beurteilung von CT-Bildern der Wirbelsäule sein tägliches Geschäft sei. Er war allerdings der Auffassung, dass die Nichterkennung der Fehlplatzierung durch den Streithelfer der Beklagten zu 1 keine Auswirkungen auf den weiteren Verlauf gehabt hätte, da der neurologische Schaden bereits vor dem CT entstanden sei.
52
In Bezug auf die Beurteilung des CTs von orthopädischer Seite wurde der Sachverständige sodann bei seiner Anhörung vor dem Senat am 31.01.2019 (Protokoll OLG Seiten 11-14) näher befragt. Dort hat er angegeben, dass sich der Orthopäde nicht auf den Radiologen verlassen dürfe, sondern die CT-Bilder selbst anschauen müsse und zwar nicht erst nach dem Eintreffen des radiologischen Befundes, sondern schon zuvor. Dabei sei von ihm zu verlangen, dass er die gesamten Bilder anschaue, denn es könne immer mal sein, dass ein Haken oder eine Schraube fehlplatziert sei und den neurologischen Schaden erkläre. Wenn der Orthopäde das getan hätte, so hätte er erkennen müssen, dass dort ein ZVK fehlerhaft lag. Abgesehen davon müsse der Orthopäde überlegen, wie plausibel der radiologische Befund im Zusammenhang mit seiner eigenen klinischen Beobachtung sei. Hier habe die Beschreibung des Radiologen, wenn man sie nur beziehe auf die Strecke C5 bis T1, nicht der klinischen Situation entsprochen. Auf das Hämatom bezogen seien die Bilder nicht so eindrucksvoll gewesen, dass man sofort hätte operieren müssen. Sie erklärten insofern also auch nicht die neurologische Symptomatik. Die Raumforderung sei im HWS-Bereich beschrieben worden, während die neurologische Symptomatik unterhalb des Halses auffällig gewesen sei, dort wo die Korrektur stattgefunden hatte. Hätte man die Fehllage des ZVK gesehen, hätte man sich mit dem vor Ort befindlichen Anästhesisten besprochen, aber ganz eindeutig wäre dieser ZVK sofort zu ziehen gewesen. Dr. Th. hätte anhand schon eines Bildes aus der CT-Serie sehen müssen, dass dort etwas war, was nicht hingehörte.
53
Da die Beklagte zu 1 auf den Hinweis des Senats vom 05.04.2019 hin mit Schriftsatz vom 11.06.2019 (Seite 8) erneut vorgetragen hat, dass der Operateur, Dr. Th., in der Nacht die Bildgebung am Monitor während der Berechnung der Bilder begutachtet habe, geht der Senat insoweit nicht von einem Befunderhebungsfehler aus. Er verbleibt aber auf Grundlage der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bei seiner Auffassung, dass ein Behandlungsfehler, und zwar ein grober, insofern vorliegt, als von diesem bei dieser eigenen Begutachtung die leicht und offensichtlich erkennbare Fehllage des ZVK übersehen wurde. Die Einschätzung des Sachverständigen ist wie beschrieben eindeutig und klar. Die Beklagte zu 1 kann auch nicht mit Erfolg einwenden, dass an einen Orthopäden, der (lediglich) radiologische Fachkunde habe, nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden dürften wie an einen Radiologen und dass schon bei der radiologischen Befundung richtigerweise nur ein einfacher Fehler anzunehmen sei. Denn diese Argumentation berücksichtigt nicht, dass Dr. Th. einen maßgeblichen Wissensvorsprung gegenüber dem befundenden Teleradiologen hatte. Ihm als Operateur war die Patientin und ihr klinisches Bild präsent, nicht nur eine schriftliche Anforderung; er hatte insbesondere vor Augen, dass dieser ein ZVK gelegt worden war, und konnte überlegen, wie plausibel der radiologische Befund im Zusammenhang mit seiner eigenen klinischen Beobachtung war.
54
Auch seitens des Streithelfers der Beklagten zu 1, Dr. Mo., der die CT-Aufnahmen teleradiologisch befundet hat, geht der Senat wegen der nicht erfolgten Beschreibung des ZVK von einem groben Behandlungsfehler aus.
55
Der radiologische Gutachter Professor Dr. Ka. hat in seinem Gutachten vom 17.08.2012 beschrieben, dass es nicht nachvollziehbar sei, warum die ZVK-Lage im CT von 2:03 Uhr schwierig zu erkennen gewesen sein sollte; auch wenn es sich um eine „extrem seltene Komplikation“ handeln möge, dass ein Katheter im Spinalkanal verlaufe, so könne der Radiologe vielleicht „nicht damit rechnen“, bei einer dezidierten Befundung der postoperativen Situation im Spinalkanal hätte die hyperdense Struktur und die Fehllage des ZVK aber auffallen müssen. Der ZVK sei aufgrund seiner hohen Röntgendichte besonders auffällig und leicht erkennbar; in der Bildabfolge sei diese röntgendichte Struktur offensichtlich als Fremdmaterial zu verifizieren, dessen Verlauf eindeutig zu beschreiben und abschließend als ZVK zu definieren. Das CT zeige zweifelsfrei einen von links zervikal eingebrachten ZVK mit Verlauf bis in den Spinalkanal. Auch wenn in der Anforderung nicht explizit nach einer möglichen ZVK-Lage gefragt worden sei, so müsste bei der Befundung des Myelons und des Spinalkanals (Fragestellung nach „pathomorphologischem Korrelat und Myelonkompression“) das Kathetermaterial im Spinalkanal auffallen, beschrieben und kommuniziert werden. Bei seiner Anhörung am 16.10.2013 (Protokoll LG Seiten 5 und 6) hat der Sachverständige dies dahingehend vertieft, dass er meinte, dass hier ein fehlliegender Katheter zu sehen gewesen sei, der eine Struktur dargestellt habe, die auf jeden Fall im Befund beschrieben werden müsse. Die ZVK-Anlage sei ein sehr häufiges Vorgehen, das in fast allen Fällen radiologisch kontrolliert werde. Die Spitze des ZVK müsse in einer zentralen großvolumigen Vene zum Liegen kommen. Wenn das so sei, müsse man das in einem radiologischen Befund nicht extra erwähnen. Wenn die Lage inkorrekt sei und somit Gefahr im Verzug, sei die inkorrekte Lage auf jeden Fall zu erwähnen. Die auf dem CT zu sehende Lage des ZVK im Spinalkanal sei jenseits von allen Lagen, in denen ein ZVK sein dürfe. Er könne sich Entschuldigungen vorstellen, dass der ZVK nicht erwähnt sei, inhaltlich könne er das aber nicht verstehen. Eine Entschuldigung könnte er sich dahingehend vorstellen, dass es sich hier um eine ungewöhnliche Fehllage gehandelt habe. Das würde er für die Hauptursache für das Nichtgesehenhaben halten. Die Anforderung dürfte primär die Verdachtsdiagnose postoperative Komplikation und Blutungen gewesen sein. Die Anfrage „pathomorphologisches Korrelat? Myelonkompression?“ sei nicht nur allgemein, sondern eine konkrete Anfrage gewesen, was gerade im Spinalkanal passiere. Aus dem Befund des Teleradiologen entnehme er auch, dass dieser nicht nur nach einem Hämatom gesucht habe, sondern den Spinalkanal genau angeschaut habe. Wenn das so sei, hätte er den ZVK nicht übersehen können. Das erscheine ihm unverständlich.
56
Demgegenüber waren die Privatgutachter Professor Dr. St. (Radiologie, Anlage BK 9 vom 03.12.2018) und Professor Dr. Nä. (Radiologische Diagnostik und Neuroradiologie, Anlage StV-K1 vom 13.08.2018) der Auffassung, dass die fehlende Erwähnung des ZVK im Befund zwar fehlerhaft, aber nicht grob fehlerhaft gewesen sei. Sie begründeten das im Wesentlichen damit, dass zwar eine relevante, wenngleich sehr außergewöhnliche und somit mit Sicherheit unerwartete Konstellation nicht beschrieben worden sei, die Aufmerksamkeit des befundenen Arztes aber auch nicht explizit auf die Analyse der Katheterlage gerichtet worden sei; angesichts der klinischen Fragestellung und Beschreibung/Information des Zustandes des Patienten sei die für das weitere Procedere entscheidende Frage nach der Myelonkompression entsprechend korrekt beantwortet worden; der Katheter hätte zwar erwähnt werden müssen, in seiner Deutung aber wäre vom Radiologen nicht zu verlangen gewesen, dies richtig zu interpretieren, viel wichtiger sei gewesen, dass die folgende Flüssigkeitsinfusion der über den Katheter infundierten Flüssigkeiten und Medikamente korrekt beschrieben worden sei, nämlich als epidurale Raumforderung mit Myelonpellotierung (die aber verdachtsdiagnostisch als postoperatives Hämatom gewertet worden sei).
57
Der Sachverständige Professor Dr. Ka. hat zur Stellungnahme von Professor Dr. Nä. kurz vorab am 06.11.2018 schriftlich Stellung genommen, allerdings ohne die früheren Gutachten zur Hand zu haben, und mit lediglich kursorischer Begründung nunmehr gemeint, dass die Befundung durch den Streithelfer der Beklagten zu 1 „in keiner Weise als grob fehlerhaft oder fahrlässig zu bewerten“ sei. Bei seiner Anhörung vor dem Senat am 31.01.2019 (Protokoll OLG Seiten 3/4) im Beisein von Professor Dr. St. hat er sodann zunächst nochmals bestätigt, dass man den ZVK in seinem Verlauf in dem CT erkennen könne und zwar über viele Bilder hinweg, sowie, dass der radiologische Facharzt den ZVK auch erkennen müsse. Wenn Fremdmaterial erkannt werde, welches nicht zu erwarten sei, dann müsse man das beschreiben. Zusammengefasst, der Streithelfer Dr. Mo. hätte den ZVK in seiner Fehllage erkennen und beschreiben müssen. Auf Frage des Senats, wie es zu einem solchen Fehler kommen könne, hat der Sachverständige sodann einen Erklärungsversuch abgegeben, nämlich im Hinblick auf die Fokussierung auf die Fragestellung, die an den Radiologen gestellt werde. Hier habe Dr. Mo. im Hinblick darauf eine möglicherweise bedeutsame Struktur erkannt und beschrieben, er habe eine mögliche Ursache für die ihm mitgeteilten Lähmungserscheinungen gefunden und beschrieben, nämlich die Raumforderung im Spinalkanal; damit sei die an ihn gestellte Frage erfolgreich beantwortet gewesen. Die völlig singuläre Fehllage eines Katheters erscheine demgegenüber sekundär; ein ZVK an der Stelle sei sozusagen außerhalb der Vorstellung. Ergänzend hat Professor Dr. Ka. auf eine Studie verwiesen, bei der in Lungenaufnahmen künstlich ein kleiner Gorilla eingefügt worden sei und die Kollegen den krankhaften Rundherd erkannt, aber nicht den Gorilla wahrgenommen hätten. Insgesamt kam der Sachverständige - nach Erläuterung des groben Behandlungsfehlers durch den Senat - aus seiner medizinischen Sicht zu der abschließenden Einschätzung, dass er den Fehler schon als einen sehr schweren Fehler qualifizieren würde, wenn es das Hämatom nicht gegeben hätte und der ZVK nicht gesehen worden wäre, nicht aber im vorliegenden Fall, in dem die Lage des ZVK gegenüber der von Dr. Mo. gesehenen Raumforderung, die die Lähmungserscheinungen erklären habe können, nicht gleichgewichtig gewesen sei, sondern sekundär.
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Der Senat hält trotz dieser relativierenden Einschätzung des Sachverständigen Professor Dr. Ka. an seiner vorläufigen Einschätzung im Hinweis vom 05.04.2019 (unter Ziffer I. 6.) fest, dass in rechtlicher Hinsicht auf Grundlage der medizinischen Darlegungen des Sachverständigen von einem groben Behandlungsfehler bei der teleradiologischen Beurteilung des CT auszugehen ist. Die Erklärungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung (“Wahrnehmungsphänomen, Gorilla“) mögen das Versagen des Streithelfers der Beklagten zu 1 subjektiv entschuldigen, für die Frage der Grobheit eines Behandlungsfehlers gilt jedoch ein objektiver Maßstab. Grob ist der Fehler, wenn der Behandelnde eindeutig gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht, nicht nach dem Grad subjektiver Vorwerfbarkeit, nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Behandelnden schlechterdings nicht unterlaufen darf. Zu diesen Regeln bzw. Erkenntnissen zählen neben solchen in Leitlinien, Richtlinien oder anderen ausdrücklichen Handlungsanweisungen auch die elementaren medizinischen Grundregeln, die im jeweiligen Fachgebiet vorausgesetzt werden (vgl. nur Palandt/ Weidenkaff, BGB, 79. Aufl. 2020, § 630 h BGB Rn. 9 m. w. N.). Die vom Senat getroffene juristische Bewertung, dass ein grober Fehler in diesem Sinne vorliegt, wird auch von den soeben beschriebenen Ausführungen des Sachverständigen im Gesamtzusammenhang getragen. Danach war der im Spinalkanal fehlliegende ZVK auf einer Vielzahl von Bildern und als auffällige Struktur sehr leicht zu erkennen und diese offensichtliche Abweichung in Verlauf und Lage hätte auch beschrieben und kommuniziert werden müssen, auch und gerade im Hinblick auf die Anforderung durch die Behandler. Da der Befundbericht insgesamt zeigte, dass Dr. Mo. sich nicht nur auf die Suche nach einem Hämatom beschränkt, sondern umfassend den Spinalkanal untersucht hatte, überzeugt auch der Gedanke nicht, dass eine (mögliche) Erklärung für die Lähmungserscheinungen mit der (irrtümlich als postoperatives Hämatom eingeordneten) Raumforderung im Spinalkanal gefunden worden war und damit die an den Radiologen gestellte Frage beantwortet gewesen wäre. Ebenso wenig lassen die Erwägungen zur Studie über Wahrnehmungsphänomene (“Gorilla“) den Fehler in milderem Licht erscheinen. Zum einen, da dies lediglich zu einer subjektiven Entschuldigung führen könnte; zum anderen, da es sich bei dem Fremdmaterial des ZVK im Spinalkanal ja grundsätzlich um etwas handelte, dass in Bezug auf die Begutachtungsfrage von Bedeutung sein konnte - was bei einem kleinen Gorilla in Lungenaufnahmen offensichtlich nicht der Fall ist.
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Selbst wenn man der Auffassung nicht folgen wollte, dass das Übersehen bzw. die Nichtbeschreibung des ZVK durch den Orthopäden einerseits, den Teleradiologen andererseits bereits je für sich grob fehlerhaft wäre, liegt jedenfalls in der Zusammenschau ein grober Behandlungsfehler vor. Denn auch dann läge beides jedenfalls im Grenzbereich zu einem groben Fehler; in der Gesamtbetrachtung hätte es schlichtweg nicht passieren dürfen, dass trotz doppelter Inaugenscheinnahme und Begutachtung der CT-Aufnahmen der fehlliegende Katheter nicht erkannt wurde und die entsprechenden Handlungskonsequenzen nicht ergriffen wurden.
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1.2.7 Nach alledem liegen insgesamt teils einfache, teils bereits für sich genommen grobe Behandlungsfehler von Behandlern der Beklagten zu 1 vor. Durch die Häufung verschiedener fachübergreifender Fehler stellt sich das Behandlungsgeschehen zudem in der Gesamtschau als grob fehlerhaft dar, und das bereits ab dem frühen Abend, selbst wenn man die Übersedierung für sich genommen (noch) nicht als grob bewerten würde.
1.3 Kausalität:
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Aus der festgestellten groben Fehlerhaftigkeit der Behandlung der Klägerin resultiert eine Beweislastumkehr zu ihren Gunsten: Der Kausalitätsnachweis durch sie ist als geführt zu betrachten, wenn er von der Beklagten zu 1 weder insgesamt noch in relevanter Weise für einzelne Fehler (vgl. Hinweis des Senats vom 05.04.2019 unter Ziffer III. 1.) nach dem Maßstab des § 286 ZPO widerlegt werden kann.
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Den danach erforderlichen Kausalitätsgegenbeweis hat die Beklagte zu 1 nicht führen können. Der Senat konnte auf Grundlage der Ausführungen sowohl der gerichtlichen Sachverständigen, insbesondere Professor Dr. Me. (Neurologie) und Professor Dr. Hä. (Neuroradiologie), aber auch Professor Dr. Ca. (Orthopädie) und Professor Dr. Mo. (Anästhesiologie), als auch der Privatgutachter der Beklagten, insbesondere Professor Dr. Li. und Professor Dr. Th. (beide Neuroradiologie), keine hinreichend sichere Überzeugung gewinnen, dass die festgestellten Behandlungsfehler der Beklagten zu 1 für die Entstehung der Querschnittslähmung der Klägerin nicht zumindest mitursächlich gewesen wären und auch nicht davon, dass ein Ziehen des ZVK zu einem früheren Zeitpunkt als geschehen, nämlich noch am Abend des 19.06.2008 und selbst am frühen Morgen zwischen 2:00 Uhr und 3:00 Uhr, ohnehin nicht mehr zu einer Besserung bis hin zu einer vollständigen Rückbildung der Querschnittslähmung geführt hätte.
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1.3.1 Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass entgegen der Auffassung der Beklagten zu 1 der Behandlungsfehler einer grob fehlerhaften Überdosierung des Sufentanil in der Zeit zwischen 16:15 Uhr und 19:00 Uhr nicht von vornherein aus der zu betrachtenden Fehlerkette ausscheidet. Insoweit ist der Kausalitätsgegenbeweis sicher nicht geführt. Der Berufungsführerin ist zwar zuzugeben, dass auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. Mo., die insoweit auch von keiner Seite in Frage gestellt wurden, das Sufentanil nicht unmittelbar ursächlich für den Querschnitt war und auch ansonsten der Klägerin nicht direkt geschadet hat. Die Betrachtung allein dieses Umstands greift allerdings zu kurz. Denn ebenso steht ohne jeden Zweifel, durch die Dokumentation belegt (vgl. Synopsis des neurologischen Status im zeitlichen Verlauf im Gutachten Professor Dr. Me. vom 01.12.2014 Seiten 4-7, „Eintrag Krankengeschichte - Liste“ im Anlagenband Beklagte zu Blatt 48 d. A. um 21:30 Uhr am 19.06.2008: „keine ausreichende Bewegungsprüfung möglich, lt. Anästhesie durch Propofol floppiness erklärbar“ bzw. „Neurologie nur sehr eingeschränkt testbar“), durch Professor Dr. Mo. (vergleiche zuletzt Anhörung vom 18.09.2019 Protokoll OLG Seite 11) und andere Sachverständige, insbesondere Professor Dr. Me. als neurologischem Gutachter (vgl. Gutachten vom 18.01.2017 Seite 8 und dessen Anhörung vom 03.05.2017 Protokoll LG Seite 3 und zuletzt vom 18.09.2019 Protokoll OLG Seite 11), bestätigt, fest, dass die übermäßige Sedierung die neurologische Kontrolle der Klägerin in der betroffenen Nacht, speziell um 19:00 Uhr und um 21:00 Uhr/ 21:30 Uhr, wahrscheinlich auch noch später erschwert hat. Es liegt nahe, dass die Möglichkeit einer suffizienten neurologischen Kontrolle der Klägerin bereits um 19:00 Uhr und/oder um 21:00 Uhr/ 21:30 Uhr dazu hätte führen können, dass bereits weit früher aussagekräftige Feststellungen über die Motorik der Arme und Beine und den neurologischen Status der Klägerin hätten getroffen werden können und entsprechend weit früher als geschehen der Verdacht auf eine neurologische Schädigung hätte getroffen bzw. bestätigt werden können sowie ein entsprechendes Behandlungsregime - Cortisonschema und MRT- bzw. CT-Untersuchung - hätte eingeleitet werden können - ob dann der weitere Ablauf derselbe gewesen wäre oder in diesem Fall die Fehllage des ZVK erkannt und dieser sofort gezogen worden wäre, ist offen.
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Die von der Beklagten zu 1 herangezogene Entscheidung des BGH vom 20.09.2011, Az. VI ZR 55/09, GesR 2011, 718, spricht nicht gegen, sondern für die getroffene Bewertung. Danach ist die Annahme einer Beweislastumkehr nach einem groben Behandlungsfehler keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden, sondern knüpft daran an, dass die Aufklärung des Behandlungsgeschehens wegen des Gewichts des Behandlungsfehlers und seiner Bedeutung für die Behandlung in besonderer Weise erschwert worden ist, so dass der Arzt nach Treu und Glauben dem Patienten den Kausalitätsbeweis nicht zumuten kann (BGH aaO Rn. 12 bei juris). Bestätigt wird das auch durch den Vergleich mit der Beweiserleichterung bei unterlassener Befunderhebung und der diese tragende Überlegung: Hier wie dort schneidet der Behandler dem Patienten eine sonst grundsätzlich mögliche Beweisführung ab. Und genau dieser Umstand ist im vorliegenden Fall von Bedeutung. Denn die Schwierigkeiten der Aufklärung, was denn nun genau die Querschnittslähmung der Klägerin ausgelöst haben mag und inwiefern das Belassen des ZVK dafür eine Rolle gespielt haben mag, sind nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass wegen der starken postoperativen Sedierung der Klägerin keine genaueren Feststellungen zu ihrem motorischen und neurologischen Status am Abend und in der Nacht vom 19.06.2008 auf den 20.08.2008 getroffen werden konnten, etwa dass um 19:00 Uhr lediglich ein in keiner Weise aussagekräftiger verminderter Muskeltonus der Klägerin festgestellt werden konnte, hingegen eine suffiziente neurologische Überprüfung weder zu dieser Zeit noch zwei Stunden später möglich war.
65
1.3.2 Der Senat konnte sich nach dem letzten Stand der Beweisaufnahme, insbesondere auf Grundlage der intensiven Diskussion mit den gerichtlichen Sachverständigen und den Privatgutachtern der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019, über die möglichen bzw. wahrscheinlichen Ursachen für die von der Klägerin erlittene Querschnittslähmung und über deren etwaige Reversibilität durch ein Ziehen des zentralen Venenkatheters noch am Abend/ in der Nacht vom 19.06.2008 auf den 20.06.2008 nicht mit der für § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass die festgestellten Behandlungsfehler der Beklagten zu 1 einzeln oder jedenfalls in der Zusammenschau mehrerer nicht mindestens mitursächlich für den Eintritt des Querschnitts gewesen wären und ein früheres Ziehen des ZVK nicht zu einem günstigeren Ausgang für sie geführt hätte. Dabei hat der Senat bedacht, dass dann, wenn die Beweislastumkehr aus einer Kette von mehreren (teilweise einfachen, teilweise groben) Behandlungsfehler abgeleitet wird, solche Fehler außer Betracht bleiben müssen, für welche die Kausalität für sich genommen von dem Behandler widerlegt werden konnte. Das ist hier freilich für keinen der festgestellten Behandlungsfehler der Fall.
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Dabei sei vorausgeschickt, dass der Senat auch insoweit zwar das Ergebnis, aber nicht den Begründungsansatz des Landgerichts teilt, das auf Grundlage des damaligen Beweisstandes noch vom Vorliegen eines venösen Stauungsinfarkts überzeugt war und aufgrunddessen den Kausalitätsgegenbeweis als nicht führbar ansah. Nach den in der weiteren Beweisaufnahme gewonnenen Erkenntnissen erscheint ein venöser Stauungsinfarkt hingegen unwahrscheinlich, ob er auf eine bloße theoretische Möglichkeit reduziert ist, kann dahinstehen. Denn der Senat kann zugunsten der Beklagten zu 1 entsprechend der Bewertung durch die Privatgutachter Professor Dr. Li. und Professor Dr. Th., der sich zuletzt auch der gerichtliche Sachverständige Professor Dr. Me. nicht mehr verschlossen hat, einen arteriellen Infarkt zugrunde legen, und zwar in Form eines hämodynamischen sog. Lowflow-Infarkts. Auch in diesem Fall kann nicht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, ausgeschlossen werden, dass der liegende ZVK jedenfalls über eine mechanische Wirkung an der Entstehung des Infakts mitgewirkt haben mag und sein früheres Ziehen den Eintritt der bleibenden Querschnittslähmung der Klägerin hätte verhindern können.
1.3.2.1 Zugrunde zu legende Eckpunkte für die Kausalitätsbetrachtung:
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Die Querschnittslähmung der Klägerin ist nach dem klinischen und kernspintomografischen Bild zurückzuführen auf einen Infarkt (Schlaganfall) der Arteria spinalis anterior (vordere Spinalarterie) mit typischen motorischen schlaffen Paresen bei erhaltener Sensibilität. Insoweit sind sich die gerichtlichen und die privaten Sachverständigen einig, während die Ursache für diesen Infarkt - Nachwirkung der Aufrichtungsoperation mit gravierendem Blutverlust und Kreislaufinstabilität, chemisch/toxische Ursache oder Komponente durch über den ZVK verabreichte Pharmaka, mechanische Ursache oder Komponente durch die Lage der Spitze des ZVK im dorsalen epiduralen Venengeflecht des Spinalkanals oder durch dessen fehlgeleiteten Eintritt/ Verlauf in den Spinalkanal über das Neuroforamen BWK 1/2 - sowie das Vorliegen eines arteriellen Infarkts oder eines venösen Stauungsinfarkts und die etwaige Reversibilität des dadurch eingetretenen Zustands der Klägerin im Streit stehen.
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Örtlich hat sich dieser Rückenmarksinfarkt im Bereich des Halsrückenmarks (gem. MRT vom 20.06.2008 HWK 4 bis HWK 6) ereignet, oberhalb und in gewisser Distanz zum Eintrittsbereich des Venenkatheters in den Spinalkanal, der durch das Foramen intervertebrale BWK 1/2 nach intraspinal verlief und dessen Spitze in Höhe BWK 5 oder sogar tiefer lag (vgl. Gutachten Professor Dr. Hä. vom 22.05.2015). Das Operationsgebiet der Aufrichtungsoperation der Klägerin vom 19.06.2008 lag ebenfalls in Distanz zum Infarktgebiet und zudem unterhalb des Scheitelpunkts des ZVK, nämlich unterhalb von BWK 2 (vgl. Gutachten Professor Dr. Me. vom 26.08.2015 Seiten 5/6 und 15). Auch dies konnte gutachtlich geklärt werden und steht nicht mehr in Streit.
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Ebenfalls geklärt werden konnte, dass der im Spinalkanal fehlplatzierte ZVK mit seiner Spitze in einer Vene im dorsalen epiduralen Venenplexus zum Liegen kam, nicht im Subarachnoidalraum. Diese Frage, über die die Sachverständigen Professor Dr. Ca., Professor Dr. Mo. und Professor Dr. Me. zunächst nur spekulieren konnten (mangels hinreichender eigener Sachkunde insoweit), wurde im Wesentlichen durch die neuroradiologische Begutachtung durch Professor Dr. Hä. aufgeklärt und gestützt durch das Ergebnis der Beweisaufnahme, dass jedenfalls unmittelbar nach Anlage des ZVK durch den Beklagten zu 2 erfolgreich Blut aus allen drei Lumina aspiriert werden konnte.
70
Nicht (aus der Bildgebung oder durch sonstige Erkenntnisse) geklärt werden konnte hingegen, ob sich im Eintrittsbereich des Venenkatheters in den Spinalkanal durch das Foramen intervertebrale BWK 1/2 ein arterieller Zufluss, eine relevante Radikulararterie/ Segmentarterie befand.
71
Zeitlich hat sich der Rückenmarksinfarkt sicher nicht bereits während der technisch schwierigen und aufwändigen Aufrichtungsoperation der Klägerin zwischen 7:45 Uhr und 14:32 Uhr ereignet, als diese einerseits einen schweren Blutverlust erlitt und kreislaufinstabil mit einem Blutdruckabfall auf 60 mmHG systolisch wurde und bei der sie darüber hinaus Spannungen und Zug auf das Rückenmark und die das Rückenmark versorgenden Gefäße ausgesetzt war. Denn nach dem Operationsbericht hat die Klägerin bei einem intraoperativen Aufwachtest alle Extremitäten auf Aufforderung kräftig bewegt und auch nach Verlegung auf die Intensivstation im Anschluss an die Operation ist um 15:20 Uhr und 15:33 Uhr dokumentiert, dass die Klägerin dort nach temporärer Lockerung der Narkose kräftig die Beine beugte, beide Füße hob und senkte und beide Arme bewegte („beugt und streckt kräftig beide Beine“ bzw. „bewegt kräftig Arme und Beine“) sowie gegen 15:00 Uhr reflektorisch die Beine in Hüft- und Kniegelenk sowie die Arme anzog (vgl. Gutachten Professor Dr. Me. vom 01.12.2014 Seiten 4/5 und 15/16, Anhörung Professor Dr. Ca. vom 03.05.2017 Protokoll LG Seite 10, „Eintrag Krankengeschichte - Liste“ im Anlagenband Beklagte zu Blatt 48 d. A.).
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Der weitere Zustand der Klägerin am Abend und in der Nacht vom 19.06.2008 auf den 20.06.2008 stellte sich nach der von den Sachverständigen ausgewerteten Dokumentation in entscheidungserheblichen Punkten wie folgt dar:
Um 19:00 Uhr war die Klägerin weiterhin schläfrig, öffnete die Augen auf Ansprache und wies einen schwachen Muskeltonus auf. Über die Gliedmaßenbeweglichkeit zu diesem Zeitpunkt ist nichts dokumentiert. Um 21:15 Uhr/21:30 Uhr (Dokumentationszeit) war sie noch intubiert, reagierte auf Ansprache, war noch „sehr schläfrig“ und hypoton und bewegte diskret die Hände und fraglich die Füße („ganz minimale Bewegung der Hände > Füße sichtbar, keine ausreichende Bewegungsprüfung möglich, lt. Anästhesie durch Propofol floppiness erklärbar“); es war nur intermittierend eine nonverbale Kommunikation durch minimale Kopfbewegungen möglich und sie wies bei nur sehr eingeschränkt testbarer Neurologie am gesamten Körper einen schlaffen Muskeltonus auf. Um 23:00 Uhr/23:35 Uhr war die Klägerin deutlich wacher, noch intubiert, bewegte die Arme beidseits und gab an, Gefühl in den Beinen zu haben; eine Bewegung der Beine war nicht sichtbar. Sie konnte den Oberarm rotieren, nicht aber die Faust schließen und die Beine/Füße bewegen, genaueres Nachfragen zeigte ein Kribbeln beider Beine und Schweregefühl der Extremitäten. Um 2:08 Uhr am 20.06.2008 ist eine schlaffe Lähmung (Parese) der oberen und unteren Gliedmaßen (Extremitäten) dokumentiert. Der Status war im Verlauf leicht gebessert, so dass die Klägerin auf Aufforderung einen „nun fassbaren part. Tonus der oberen Extr.“ aufwies und sie auf Anforderung die Arme sowie links auch die Finger beugte; an den unteren Extremitäten wurde „auf Schmerzreize beiderseits leicht akt. in den Hüften gebeugt - Dies war 1 Stunde zuvor noch nicht möglich/vorhanden“. Um 2:45 Uhr ist festgehalten: „Nach (und schon vor) der CT-Untersuchung bewegt die Pat. auf Schmerzreize beide Beine (Flexion im HG 2/5), Händedruck links etwas gebessert“ (vgl. zum Ganzen Gutachten Professor Dr. Me. vom 01.12.2014 Seiten 5-7, „Eintrag Krankengeschichte - Liste“ im Anlagenband Beklagte zu Blatt 48 d. A.).
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Daneben ist im handschriftlichen „intensivmedizinischneurologischen Überwachungsbogen nach Wirbelsäuleneingriffen“ vom 19.06.2008 (im Anlagenband Beklagte Band I Krankenunterlagen zum Schriftsatz vom 21.10.2009) für 21:00 Uhr ein GCS von 12 sowie durch Pluszeichen, teils eingeklammert, und Minuszeichen festgehalten, dass zwar Sensibilität in Armen und Beinen vorliege, jedoch keine Motorik der Beine und nur eine eingeschränkte der Arme. Für 23:00 Uhr wird dort auf den OP-Bericht und die Intensivakte verwiesen, für 4:00 Uhr, 5:00 Uhr, und 6:00 Uhr ist „idem“ eingetragen. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass der Senat bei abschließender Bewertung (abweichend vom Hinweisbeschluss vom 05.04.2019 unter Ziffer III. 1. b. 1) und zugunsten der Beklagten zu 1) davon ausgeht, dass das „idem“ im Ergebnis nicht unklar ist, sondern sich bei lebensnaher Auslegung auf die entsprechende letzte dortige Eintragung, nämlich auf die für 21:00 Uhr bezieht, nicht auf anderweitige Dokumentationen. Das heißt, dass auch zu diesen Zeiten in den frühen Morgenstunden des 20.06.2008 je keine Beinbewegungen der Klägerin festgestellt werden konnten.
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Grundsätzlich kommen für die Infarktentstehung verschiedene (Mit-)Ursachen in Betracht, die nur teilweise mit den festgestellten Behandlungsfehlern in Zusammenhang stehen und, soweit sie dies nicht tun, nicht zu einer Haftung der Beklagten zu 1 führen würden: Sollte das eingetretene Arteria spinalis anterior Syndrom mit ausreichender Sicherheit allein auf eine „Nachwirkung“ der vorangegangenen, behandlungsfehlerfreien Aufrichtungsoperation zurückzuführen sein und/oder auf die nicht als Behandlungsfehler vorwerfbare Anlage des ZVK selbst mit dessen Fehlplatzierung oder auch auf ein Befahren des ZVK mit neurotoxischen oder gefäßverengenden Wirkstoffen zu einer Zeit, als der Beklagten zu 1 noch kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden konnte, dann wäre der ihr obliegende Kausalitätsgegenbeweis geführt. Darüber hinaus wäre er auch dann geführt, wenn mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden könnte, dass ein bei behandlungsfehlerfreiem Vorgehen gebotenes Ziehen des fehlplatzierten Katheters an dem Infarktgeschehen und der eingetretenen Querschnittslähmung nichts mehr geändert hätte.
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1.3.2.2 Dies konnte die Beklagte zu 1 aber nicht zur Überzeugung des Senats beweisen.
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Letztlich entscheidend dafür ist, dass sich der Senat nach der abschließenden Diskussion zur Kausalität mit den gerichtlichen Sachverständigen Professor Dr. Me. und Professor Dr. Hä. unter Beteiligung der Privatgutachter Professor Dr. Th. und Professor Dr. Li. in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 (vgl. Protokoll OLG ab Seite 11, schriftliche Stellungnahme Professor Dr. Th. vom 14.01.2018 Anlage BK 5, schriftliche Stellungnahmen Professor Dr. Li. vom 07.02.2018 Anlage BK 6 und vom 21.08.2019 Anlage BK 10), bei der nun alle Sachverständigen von einer Lage des ZVK in einer epiduralen Vene ausgingen (anders noch Professor Dr. Li. in der Stellungnahme vom 21.08.2019), nicht mit hinreichender Sicherheit (§ 286 ZPO) davon überzeugen konnte, dass bei der Infarktentwicklung eine mechanische Beeinträchtigung durch den liegenden ZVK keinen, auch keinen lediglich mitwirkenden Beitrag geleistet hätte, und seine Entfernung (sei es nun zeitnah zur fehlenden neurologischen Überprüfbarkeit der Klägerin um 19:00 Uhr, zu den ersten dokumentierten Hinweisen auf eine neurologische Symptomatik der Klägerin und der nicht möglichen ZVD-Messung um 21:00 Uhr/ 21:30 Uhr, und selbst noch zur Zeit der - verspäteten - Anfertigung und Befundung der nächtlichen CT-Aufnahmen gegen 2:00 Uhr bis 3:00 Uhr morgens) für die Querschnittslähmung der Klägerin ohnehin keine Rolle mehr gespielt hätte, da ihr Zustand bereits irreversibel gewesen wäre. Auf die Komponente einer möglichen toxischen/chemischen Mitwirkung durch die Verabreichung von Noradrenalin und Propofol über den Katheter kommt es daneben nicht mehr an.
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Hinsichtlich der Ursache des bei der Klägerin eingetretenen Infarktes der Arteria spinalis anterior unterschied und unterscheidet sich die Bewertung durch die gerichtlichen Sachverständigen einerseits und der Privatgutachter der Beklagten andererseits vor allem wie folgt: Die gerichtlichen Gutachter (auch Professor Dr. Ca. und Professor Dr. Mo.) erachteten und erachten eine Verursachung des Infarktes (allein) durch die vorangegangene Aufrichtungsoperation selbst (Spannungen und Zug, schwerer Blutverlust, auch postoperativ noch bis etwa 17:00 Uhr anhaltende Kreislaufinstabilität) für zwar möglich, aber eher unwahrscheinlich; als wichtige Argumente hierfür nannten sie die zeitliche Distanz zwischen der Operation und den ersten Anzeichen neurologischer Defizite sowie die fehlende räumliche Nähe des Infarktgeschehens zum Operationsgebiet in Zusammenschau mit dem Umstand, dass Rückenmarksinfarkte in der Regel als Reaktion auf ein unmittelbar vorangegangenes Ereignis plötzlich aufträten und meist binnen Sekunden bis Minuten zum klinischen Erscheinungsbild eines derartigen Infarktes führten (so insbesondere schon Gutachten Professor Dr. Me. vom 01.12.2014 Seiten 15/16 und 22/23; vgl. auch Gutachten Professor Dr. Hä. vom 10.08.2015 Seiten 3/4). Insbesondere im Hinblick auf den recht deutlichen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Anlage und mutmaßlichen Befahrung des Venenkatheters und dem Symptombeginn des Arteria spinalis anterior Syndroms hielt Professor Dr. Me. deshalb eine mechanische und/oder chemische Mitwirkung des ZVK am Infarktgeschehen für naheliegender, wenn auch nicht beweisbar (Gutachten Professor Dr. Me. vom 01.12.2014 Seiten 23-27, eingehend zum denkbaren mechanischen Wirkmechanismus einer Dissektion der Segmentarterie im Zwischenwirbelloch (Foramen intervertebrale) BWK 1/2 durch den ZVK Gutachten vom 25.02.2016 Seiten 5-8). Ähnlich sah dies Professor Dr. Hä. (Gutachten vom 22.05.2015 Seiten 16-18), durch den insbesondere hervorgehoben wurde, dass zwischen der Position der distalen Öffnung des zentralen Venenkatheters in Höhe BWK 5 oder tiefer (Austrittstelle der Pharmaka, vorausgesetzt, der ZVK wurde befahren) und dem Eintrittspunkt des Venenkatheters in den Spinalkanal in Höhe BWK 1/2 links zu unterscheiden sei. Auch wenn der ZVK nicht mit Pharmaka befahren worden sein sollte, sei eine mechanische Schädigung des Rückenmarks ausschließlich durch Kompression einer kräftigen Radikulararterie im Neuroforamen BWK 1/2 möglich (Gutachten vom 10.08.2015 Seiten 6/7 und - mit näheren Ausführungen zu einem solchen möglichen mechanischen Wirkmechanismus - Gutachten vom 01.02.2016 Seiten 4 und 6). Auch wenn wegen der Seltenheit des hier vorliegenden Falles keine Modelle dazu existierten, sei es plausibel und wahrscheinlich, dass ein unkontrolliert und fehlerhaft über ein Neuroforamen in den Spinalkanal eingebrachter Venenkatheter ein Verletzungsrisiko für alle in dem Neuroforamen eng benachbart verlaufenden Strukturen (Blutgefäße, Nerven, Fett u.a.) darstelle. Eine Verletzung einer durch BWK 1/2 verlaufenden Radikulararterie könne durchaus einen oberhalb davon gelegenen Infarkt im Halsrückenmark verursachen. Darüber hinaus hat Professor Dr. Hä. im zuletzt genannten Gutachten (Seite 5) erstmals die Möglichkeit eines zusätzlichen oder alleinigen akuten venösen Rückenmarksinfarkts durch Verletzung des epiduralen Venenplexus oder durch Verlegung einer Rückenmarksvene oder des venösen Plexus ohne Verletzung derselben angesprochen, die dann von Professor Dr. Me. im Gutachten vom 18.01.2017 (Seiten 8-10) aufgegriffen und in der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2017 (Protokoll LG Seiten 5 ff.) mit ihm diskutiert wurde, vor allem im Hinblick auf eine - dann anzunehmende - Reversibilität der Folgen des Infarktgeschehens.
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Die Privatgutachter der Beklagten zu 1, Professor Dr. Th. und Professor Dr. Li., halten hingegen in der Auswertung der Bildgebung und unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände die vorangegangene langwierige und schwierige Aufrichtungsoperation samt des dabei eingetretenen Blutverlustes und der Kreislaufkomplikationen für die jedenfalls maßgebliche Ursache des Eintritts des Rückenmarksinfarktes der Klägerin. Ihrer Auffassung nach steht weder die zeitliche Verzögerung des Eintritts neurologischer Ausfälle einer solchen Bewertung entgegen noch die örtliche Distanz. Die Möglichkeit einer Mitursächlichkeit des ZVK an der von der Klägerin erlittenen Querschnittslähmung haben sie auf erste Befragung in der Verhandlung vom 18.09.2019 verneint, diese Einschätzung aber in der weiteren Diskussion zu den konkreten verschiedenen Mitwirkungsmöglichkeiten (chemische und verschiedene mechanische Komponenten) teilweise relativiert. Sie nehmen einen klassischen arteriellen Infarkt der Arteria spinalis anterior an und halten den von den gerichtlichen Sachverständigen für denkbar erachteten akuten venösen Stauungsinfarkt auch in diesem „singulären Fall“ für ein letztlich rein theoretisches Konstrukt.
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Professor Dr. Th. hat die These eines akuten venösen Stauungsinfarkts in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 14.01.2018 als eine hypothetische Spekulation bezeichnet, die nicht bewiesen oder auch nur begründet sei, aber für sich habe, dass sie als theoretische Denkmöglichkeit auch nicht ohne weiteres widerlegt werden könne. Er sah in der konkreten Bildgebung dieser Patientin jedenfalls keine Hinweise für ein solches Geschehen, insbesondere sei der epidurale Plexus in der MRT-Kontrolle vom Morgen des 20.06.2008 zwar sehr prominent, aber nicht thrombosiert gewesen. Seiner dortigen Auffassung nach handelt es sich in der Gesamtbeurteilung um einen klassischen hämodynamischen Infarkt, auch „lowflow“ Infarkt genannt, der am Rückenmark der vermutlich häufigste Grund für die langstreckige Schädigung der für Sauerstoffmangel besonders vulnerablen Rückenmarksabschnitte sei. Die hier betroffene Region, vornehmlich die zervikale Rückenmarksanschwellung, wo besonders viel Sauerstoff gebraucht werde, zähle zu diesen Regionen. Der damit charakterisierte Schädigungstyp sei bekannt vor allem von den neurologischen Komplikationen bei den Aorten-Ersatz-Operationen und finde sich hier im Falle einer Wirbelsäulen-Aufrichtungsoperation in gleicher Weise. Das Ergebnis sei jedenfalls der irreversible Infarkt, der hier im MRT im Stromgebiet der vorderen Spinalarterie festgestellt werden könne. Den verzögerten Eintritt der Schädigung finde er deshalb nicht ungewöhnlich, weil die kritische Kreislaufinstabilität der Patientin ja auch noch geraume Zeit nach der Operation fortbestanden habe und unter diesen Bedingungen ein lawinenartiger Zusammenbruch der intramedullären Mikrozirkulation jederzeit eintreten könne. Die geschädigten Areale in der konkreten Bildgebung dieser Patientin entsprächen dem Areal, das bei spinalen Mangeldurchblutungen in der vorderen Rückenmarkarterie mit Zusammenbruch der intramedullären Mikrozirkulation bekannt und gesichert sei. Bei den vergleichbaren, nicht ganz seltenen neurologischen Komplikationen bei den Aorten-Ersatz-Operationen, bei denen wichtige Zuflüsse zum unteren Rückenmark vorübergehend abgeklemmt werden müssten, werde als Mechanismus des Geschehens angenommen, dass es abhängig von der Dauer der vorübergehend eingeschränkten Blutversorgung oder zusätzlicher Kreislauffaktoren zu einem unter Umständen lawinenartigen Zusammenbruch der Mikrozirkulation in den für Sauerstoffmangel besonders vulnerablen Arealen komme. Das Schädigungsmuster in der MRT-Bildgebung in solchen Fällen entspreche dem, welches auch hier zu sehen sei. Die Arteria spinalis anterior sei keine Arterie im gewöhnlichen Sinne, sie sei eine das Rückenmark in ganzer Länge bedeckende vordere „Längsanastomose“, von der die wichtigsten Äste in die Tiefe des Rückenmarks abgingen. Die Längsanastomose verteile das Blut, das sie aus durchschnittlich sechs Zuflüssen von außen erhalte, nach den Erfordernissen der verschiedenen Regionen. Wichtig sei, dass keiner der großen Zuflüsse zu lange Zeit ausfallen dürfe und/oder der Druck im Gesamtsystem nicht unter kritische Werte abfallen dürfe. Da die vordere Spinalarterie meist nicht gleichmäßig dick sei, sondern dünne und sogar sehr dünne Abschnitte haben könne, könne in solchen Fällen ein kolllateraler Ausgleich vor allem für Regionen am und im Rückenmark unzureichend sein und die intramedulläre Mikrozirkulation zusammenbrechen. Bei der Klägerin hätten die Faktoren, die auch in Fällen ohne ZVK im „Spinalkanal“ das Risiko eines Rückenmarksinfarkts arterieller Genese begründeten, allesamt vorgelegen: ausgedehnte Aufrichtungs-OP mit möglicher Kompromittierung der spinalen Blutversorgung, hoher Blutverlust und auch postoperativ noch anhaltende schwere Kreislaufinstabilität. Abschließend hat Professor Dr. Th. in dieser Stellungnahme ausgeführt, dass zwar keine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, aber natürlich nicht ausgeschlossen sei, ob über dieses Risikoprofil hinaus bei der Anlage eines großkalibrigen ZVK auch noch ein arterieller Zufluss im Foramen intervertebrale beschädigt worden sei, wie im Gutachten von Professor Dr. Me. diskutiert.
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In der mündlichen Verhandlung am 18.09.2019 hat Professor Dr. Th. seine Einschätzung nochmals erläutert und betont, dass es den akuten venösen Infarkt am Rückenmark geben möge, alle auf einen solchen Fall warten, aber keinen kennen würden. Auch die Klägerin sei kein solcher Fall, weil man hier das typische Muster einer Durchblutungsstörung der vorderen Rückenmarksarterie habe. Man müsse den embolischen von dem hier vorliegenden hämodynamischen Infarkt unterscheiden. Letzterer verlaufe so, dass der Blutfluss so stark vermindert sei, dass Nekrosen entstünden, die dann letztlich zum Infarkt führten. Bei der Aufrichtungsoperation könnten ein oder mehrere Zuflüsse zur Arteria spinalis anterior Schaden nehmen. Wenn das der Fall sei, sinke der Blutfluss in dieser Arterie. Wenn dann noch weitere generelle Blutdruckabsenkungen dazu kämen, gehe immer mehr Rückenmarksgewebe unter und das bedeute am Ende den Infarkt. Hier handele es sich um Endarterien im Zentrum des Rückenmarks, welche keinen Ausgleich durch Kollaterale erfahren würden. Das stimme mit seiner Interpretation der Bilder überein, auf denen er Nekrosen im Bereich des Vorderhorns und später auch in der Umgebung sehe. Weil es so sei, rechne man auch bei derartigen Operationen mit einer Komplikationsrate für eine Querschnittslähmung in der Größenordnung von 1 bis 2%. Hingegen sei der epidurale Venenplexus ein ausgedehnter Komplex, der den gesamten Duraschlauch umgebe und sehr viel Blut transportieren könne. Die Reizung nur einer Vene in diesem System verkrafte dieses System, ohne dass es deswegen zu einem Infarkt kommen müsse, nur bei einer ausgeprägten Thrombosierung halte er einen solchen Ablauf für möglich - das sehe er hier aber nicht.
81
Im Hinblick auf die von den gerichtlichen Sachverständigen für möglich gehaltene mechanische Mitwirkung des ZVK (Verlauf durch das Neuroforamen BWK 1/2 und Beeinträchtigung einer dort verlaufenden Radikulararterie) hat Professor Dr. Th. den gerichtlichen Gutachtern allerdings prinzipiell zugestimmt und gemeint, dass es zu einer solchen mechanischen Beeinträchtigung kommen könne und diese zu dem Infarkt beigetragen haben könne.
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Professor Dr. Li. hat in seiner Stellungnahme vom 07.02.2018 ebenfalls der These eines akuten venösen Stauungsinfarkts widersprochen, insbesondere im Hinblick auf das besonders gut ausgebildete System von Kollateralen im epiduralen Venenplexus, in dem ein teilweiser oder segmentaler Verschluss im Regelfall gut kompensiert werde. Demgegenüber sei der hier vorliegende bildmorphologische Befund im MRT eine fast lehrbuchartige Manifestation eines Arteria spinalis anterior Infarktes, das auch den in den Akten vermerkten Befund eines Verlustes der Bewegung in den Beinen bei erhaltener Sensibilität recht gut erklären würde. Bei einem arteriellen Rückenmarksinfarkt decke sich auch die Höhenlokalisation nicht immer mit der Höhe der Läsion, sondern trete insbesondere zervikal häufig oberhalb des Ortes der Schädigung bzw. des Gefäßverschlusses auf. Dies würde insofern sowohl für eine operationsbedingte Ursache wie auch für eine Verletzung der Arteria spinalis anterior infolge ZVK-Anlage gelten. Hierzu merkte er an, dass der ZVK durch das Neuroforamen HWK 1/2 auf der linken Seite verlaufen sei, die häufigste Lokalisation relevanter radikulomedullärer Arterien zervikal jedoch in Höhe HWK 5/6 oder 7 gelegen sei. Eine dominante Segmentarterie in Höhe HWK 1/2 sei zwar nicht unmöglich, wäre jedoch ungewöhnlich. Nicht ungewöhnlich sei hingegen eine ischämische (also durch Minderdurchblutung bedingte) Schädigung des Rückenmarks infolge Aufrichtung der Wirbelsäule - dies sei vielmehr eine der besonders gefürchteten Komplikationen (Wahrscheinlichkeit von etwa 1 bis 1,5%) - und trete typischerweise mit einer gewissen zeitlichen Latenz auf.
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In der mündlichen Verhandlung hat er ergänzend zu den Ausführungen von Professor Dr. Th. darauf hingewiesen, dass die Klägerin eine extrem ausgeprägte Aufrichtungsoperation hinter sich gehabt habe, die es mit sich gebracht habe, dass das Rückenmark in die Länge gezogen worden sei, was per se zu einer Verschlechterung der Durchblutung führen könne. Sie habe vier Liter Blut verloren, was ebenfalls zu einer schlechten Perfusion des Rückenmarks beigetragen haben könne und es seien (Schockzustand während der Operation dokumentiert) Blutdruckschwankungen schon in der Operation zu vermuten. Es zeige sich also das Bild eines arteriellen Infarkts aufgrund der Operation und dann werde das schon auch die Ursache sein („Tante Mini“-Vergleich). Wenn er den Sachverhalt insgesamt betrachte und mit Professor Dr. Th. die Abstromverzögerung im Venenplexus als von geringer Bedeutung ansehe, stehe diese Abstromverzögerung am Ende dieser Kette und habe für ihn nicht relevant zu der Querschnittslähmung beigetragen. Die mechanische Wirkkomponente (am Eintrittsort in den Spinalkanal, Neuroforamen BWK 1/2) würde er angesichts der über zehn Etagen durchgeführten Aufrichtungsoperation als zu vernachlässigend betrachten. Es könne allerdings niemand hier ausschließen, dass eine solche mechanische Komponente zu der Querschnittslähmung beigetragen habe, wenn man einmal unterstelle, dass gerade in diesem Neuroforamen eine Hauptzufuhr der Rückenmarksversorgung verlaufen sei. Und niemand hier vermöge dies festzustellen.
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Die ausführliche Diskussion (in der mündlichen Verhandlung) hat abschließend dazu geführt, dass Professor Dr. Me. zwar akzeptierte, dass die von ihm als überragend kompetent anerkannten Privatgutachter seiner Argumentation aus der Bildgebung wenig Bedeutung beimessen konnten, sodass er letztlich nicht mehr auf dem Erklärungsversuch eines akuten venösen Stauungsinfarkts beharrte. Zugleich hob er aber hervor, dass auch bei Annahme eines klassischen hämodynamischen Lowflow-Infarkts die Argumente der möglichen mechanischen Schädigung (und der nicht ausschließbaren toxischen Schädigung) verblieben. Professor Dr. Hä. sah weiter in Frage gestellt, ob ein venöser Infarkt (in der Bildgebung) anders aussehen müsse. Hinsichtlich der grundsätzlich möglichen Mitwirkung der von Professor Dr. Me. hervorgehobenen etwaigen mechanischen Komponente des durch das Neuroforamen BWK 1/2 verlaufenden ZVK, der Druck auf eine dort ggf. ebenfalls verlaufende und maßgeblich dem Zufluss dienende Arterie ausüben konnte, bestand letztlich kein echter Dissens zwischen den gerichtlichen Sachverständigen und den Privatgutachtern. Insoweit differierten die Sachverständigen im Ergebnis lediglich in der abschließenden Bewertung der Wahrscheinlichkeit; nur Professor Dr. Li. hielt sie für „vernachlässigbar“.
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Der Senat hält auf Grundlage der geschilderten medizinischen Ausführungen aller Sachverständigen die diskutierte mechanische Mitwirkungskomponente des durch das Neuroforamen BWK 1/2 verlaufenden ZVK nicht für eine rein theoretische Möglichkeit, die im Rahmen der Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO keine Rolle spielen würde. Hinsichtlich der prinzipiellen Möglichkeit einer solchen Mitwirkung und des etwaigen Wirkmechanismus haben beide Privatgutachter die Auffassung der gerichtlichen Sachverständigen ausdrücklich bestätigt. Ob konkret bei der Klägerin eine dominante Segmentarterie durch dieses Neuroforamen verläuft, konnte anatomisch und aus der Bildgebung nicht geklärt werden, ist also offen. Dies hat auch kein Gutachter als nahezu ausgeschlossen, völlig oder auch nur sehr unwahrscheinlich eingeschätzt; lediglich Professor Dr. Li. hielt es für „nicht unmöglich, aber ungewöhnlich“, für die übrigen Sachverständigen stellte es offenbar eine durchaus realistische Möglichkeit dar. Auch die sonstige Wahrscheinlichkeitsbetrachtung lässt eine Mitwirkung des ZVK nicht als praktisch ausgeschlossen erscheinen. Insbesondere darf der von den gerichtlichen Sachverständigen hervorgehobene Aspekt, dass der zeitliche Abstand der neurologischen Ausfälle der Klägerin zur Operation selbst erheblich war, nicht aus den Augen verloren werden. Professor Dr. Th. hat ein solche zeitliche Verzögerung nicht als regelhaft, sondern lediglich als erklärbar angesehen und darauf hingewiesen, dass man jetzt solche Operationen auch unter Neuromonitoring mache und wenn dieses ein Problem anzeige, man sofort ganz oder teilweise zurückbauen könne. Dies relativiert auch die Angaben dazu, dass mit einer Komplikationsrate für eine Querschnittslähmung bei derartigen Operationen in der Größenordnung von 1 bis 2% zu rechnen sei. Der Einschätzung von Professor Dr. Li., dass eine ischämische Schädigung des Rückenmarks infolge Aufrichtung der Wirbelsäule typischerweise mit einer gewissen zeitlichen Latenz auftrete, ist keiner der anderen Gutachter beigetreten.
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Der Senat konnte zudem auf Grundlage der beschriebenen und der weiteren Diskussion in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 (Protokoll OLG Seiten 15-17), nun zur möglichen Reversibilität einer eingetretenen Querschnittslähmung unter bestimmten Umständen auch bei einem arteriellen Infarkt, keine hinreichende Überzeugung davon gewinnen, dass der Zustand der Klägerin zu irgend einem der maßgeblichen Zeitpunkte am Abend und in der Nacht bereits irreversibel gewesen wäre und ein Ziehen des ZVK nichts mehr geändert hätte.
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Denn es hat sich herausgestellt, dass - anders als ursprünglich von den Sachverständigen und auch vom Landgericht angenommen - nicht nur ein venöser Stauungsinfarkt, sondern auch ein arterieller Infarkt der hier angenommenen Art, also wenn es sich nicht um einen embolischen, sondern um einen hämodynamischen Lowflow-Infarkt handelt, zum einen mit „stotternder Symptomatik“ eintreten, zum anderen innerhalb einer gewissen Zeitspanne reversibel sein kann.
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Professor Dr. Th., der in seiner schriftlichen Stellungnahme noch von einem irreversiblen Infarkt ausgegangen ist, hat dies ausdrücklich angesprochen und zunächst eine solche Reversibilität bei arteriellem Infarkt auf eine Zeitspanne innerhalb weniger Minuten bis zu wenigen Stunden eingeschätzt sowie zusätzlich angegeben, dass man dem in Betracht kommenden mechanischen schädigenden Effekt des falsch liegenden ZVK in diesem Sinne durch dessen Ziehen begegnen könne. Er hat diese Einschätzung einer Reversibilität über Stunden hinweg dann zwar in der weiteren Diskussion „so“ nicht aufrechterhalten, sondern sich in der Folge nicht auf ein Zeitfenster festlegen wollen und abschließend gemeint, die Frage der Reversibilität durch Ziehen des Katheters im Laufe der Nacht schlicht nicht beantworten zu können - ausgeschlossen hat er die Reversibilität aber gerade nicht.
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Professor Dr. Me. hat in der Diskussion insbesondere auf die Bedeutung der Intensivkurve und den dort festgehaltenen Status der Klägerin hingewiesen, wonach es um 21:00 Uhr lediglich die ersten Hinweise bzw. den Verdacht auf eine Querschnittslähmung gab (gesicherte Anhaltspunkte bestanden erst später gegen 23:00 Uhr). Seiner Meinung nach hätte für die Klägerin eine reale Chance bestanden sich zu erholen, wenn man bereits zu dieser Zeit den ZVK gezogen hätte. Gerade wenn er von einer „stotternden Symptomatik“ ausgehe, müsse er annehmen, dass jedenfalls um 21:00 Uhr die Chance einer Besserung noch bestanden habe. Wenn er in Betracht ziehe, dass um 2:00 Uhr noch leichte Beinbewegungen in der Dokumentation beschrieben würden und dies als zutreffend unterstelle, gelte das sogar für diesen Zeitpunkt, auch wenn ihm das aus seiner klinischen Erfahrung ungewöhnlich lange vorkomme - mit einem Fall wie diesem habe er eben auch keine Erfahrung. Lediglich wenn man davon ausgehe, dass schon mit dem Einbringen des ZVK eine Schädigung eingetreten sei (über einen Dissektionsmechanismus), rede man über einen embolischen Infarkt und insoweit hätte das Ziehen des Katheters keine Bedeutung mehr gehabt und keine Besserung herbeiführen können. Lege man das Augenmerk hingegen auf den möglichen Schädigungsmechanismus durch den liegenden Katheter (Druckschädigung im Neuroforamen), gelte das eben Gesagte.
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Professor Dr. Li. hat demgegenüber zwar darauf beharrt, dass er es für gänzlich unwahrscheinlich halte, dass nach 21:00 Uhr eine Chance auf eine Besserung bestanden habe und in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die am frühen Morgen dokumentierte Bewegung der Beine auf Schmerzreize etwas anderes sei als eine Motorik auf Anforderung. Professor Dr. Me. hat sodann Letzterem zwar zugestimmt, sah sich dadurch aber nicht widerlegt, was die Frage der möglichen Besserung betreffe. Man spreche hier über einen Zeitabstand von nur 5 Stunden zwischen dem ersten Auftreten der Querschnittsymptome und der Dokumentation für 2:00 Uhr. Je nachdem, auf welchen Zeitpunkt man initial abstelle, verkürze sich dieser Zeitraum natürlich.
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Der Senat sieht sich angesichts dieser Ausführungen der Sachverständigen und der oben beschriebenen Entwicklung der neurologischen Symptomatik der Klägerin im Laufe der Nacht außerstande, als sicher anzunehmen, dass ein Ziehen des Katheters an der Querschnittslähmung der Klägerin, sobald sie eingetreten war, nichts mehr geändert hätte, und zwar bis hinein in den frühen Morgen um 2:00 Uhr oder 3:00 Uhr. Er kann nicht einfach darüber hinwegsehen, dass in der Dokumentation eindeutig noch um 2:08 Uhr und 2:45 Uhr eine Besserung des neurologischen Status der Klägerin festgehalten ist, auch wenn die Beugung der unteren Extremitäten „lediglich“ auf Schmerzreize erfolgte. Er hat auch zu berücksichtigen, dass die Querschnittslähmung keineswegs sicher bereits um 21:00 Uhr (und nicht erst gegen 23:00 Uhr/23:35 Uhr) eingetreten war. Denn um diese Zeit gab es lediglich Hinweise auf eine Querschnittslähmung, die neurologische Überprüfung war jedoch durch die starke Sedierung der Klägerin noch erheblich beeinträchtigt. Beweisunsicherheiten aus dieser Übersedierung und gegebenenfalls auch aus einer unklaren Dokumentation gehen zulasten der Beklagten zu 1, nicht zulasten der Klägerin. Wenn aber die Querschnittslähmung um 21:00 Uhr noch nicht einmal, jedenfalls nicht vollständig, eingetreten war und - was wie ausgeführt als möglich zugrunde zu legen ist - der liegende ZVK bei der Verursachung eine mitwirkende Rolle gespielt hat, hätte ein zeitnahes Ziehen des Katheters womöglich noch den vollständigen Eintritt der Lähmung verhindern können. Die entgegenstehende Einschätzung von Professor Dr. Li. kann der Senat nicht nachvollziehen. Sollte die Querschnittslähmung tatsächlich erst gegen 23:00 Uhr/ 23:35 Uhr eingetreten sein, beträgt zudem der Zeitabstand bis zur Erstellung der CT-Aufnahmen gegen 2:00 Uhr lediglich 3 Stunden und keine 5 Stunden, sodass auch insoweit eine mögliche Reversibilität näher liegt.
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Da danach der der Beklagten zu 1 obliegende Kausalitätsgegenbeweis schon in Hinblick auf eine mögliche mechanische Mitwirkung des ZVK an der Entstehung der Querschnittslähmung nicht geführt werden kann, sind die Komponenten einer möglichen toxischen/chemischen Mitwirkung durch die Verabreichung von Noradrenalin und Propofol über den Katheter (ab Fehlbefundung des Röntgenbildes von 16:35 Uhr) und damit zusammenhängende Fragestellungen nicht mehr entscheidungserheblich. Der Senat sieht daher von Ausführungen hierzu ab.
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1.3.2.3 Der von der Berufungsführerin geforderten Fortsetzung der Beweisaufnahme bedarf es nicht:
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Ob sich, wie von der Beklagten zu 1 behauptet, durch eine CT-Untersuchung mit Kontrastmittel (CT-Angiografie) feststellen ließe, ob bei der Klägerin eine Segmentarterie in dem fraglichen Neuroforamen angelegt ist, kann dahinstehen. Die Beklagte zu 1 räumt selbst ein, dass eine solche CT-Aufnahme eine höhere Strahlenbelastung mit sich bringt sowie mit einer Kontrastmittelaufnahme aufklärungspflichtige Risiken verbunden sind. Es steht außer Frage, dass der Klägerin nicht zuzumuten ist, sich einer solchen Untersuchung zu unterziehen, um auf diese Weise der Beklagten zu 1 aus ihren Beweisproblemen - die auf groben Behandlungsfehlern beruhen - zu helfen.
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Im Übrigen besteht kein weiterer Klärungsbedarf. Wie oben beschrieben, konnte die Frage auf Grundlage der vorhandenen Anknüpfungstatsachen nicht geklärt werden, sämtliche Sachverständige haben das Vorhandensein einer solchen bedeutsamen Segmentarterie als realistische Möglichkeit, teils als eine „ungewöhnliche“ (Professor Dr. Li.) angesehen. Es kann unterstellt werden, dass Professor Dr. Th., wie von der Beklagten zu 1 behauptet, nun bei einer telefonischen Nachfrage (nach Abschluss der mündlichen Verhandlung) die Wahrscheinlichkeit dafür, dass überhaupt eine Segmentarterie im Bereich BWK 1/2 verläuft, auf 1 bis 2% quantifiziert hat. Denn auch dies würde für den Senat in diesem „singulären“ Fall, in dem zudem anatomische Besonderheiten der Klägerin vorliegen, im Bereich einer realen Möglichkeit liegen und an der getroffenen Bewertung der Kausalität nichts ändern.
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Es besteht auch kein Anlass dafür, die Beweiserhebung noch dahingehend zu vertiefen, wie die genaue Blutdrucksituation der Klägerin während der Operation war und sich entwickelte. Die Thematik wurde in der mündlichen Verhandlung besprochen (Protokoll OLG Seite 14), der Blutverlust und der dokumentierte Schockzustand während der Operation waren den Sachverständigen bekannt, sie gingen von zu vermutenden Blutdruckschwankungen aus und keiner ließ auch nur ansatzweise erkennen, dass insoweit von genaueren Parametern ein maßgeblicher zusätzlicher Erkenntniswert zu erwarten wäre. Dies erscheint nach dem von Professor Dr. Th. eindrücklich geschilderten Wirkmechanismus auch fernliegend. Dass möglicherweise der Rückenmarksinfarkt allein auf die Aufrichtungsoperation zurückzuführen sein mag, legt der Senat ohnehin zugrunde, ohne dass dadurch der Gegenbeweis von der Beklagten zu 1 geführt wäre.
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Schließlich besteht kein Anlass dafür, im Hinblick auf die von den Beklagten auch für die zweite Instanz behaupteten „Meinungsänderungen“ der gerichtlichen Sachverständigen aus Heidelberg, insbesondere Professor Dr. Mo. und Professor Dr. Me., nun etwa Obergutachten durch neue Sachverständige zu erholen, da die Überzeugung des Senats nicht auf die bisherige Begutachtung gestützt werden könnte. Es trifft zwar zu, dass in einigen Einzelfragen die Sachverständigen ihre ursprünglich zum Ausdruck gebrachten Auffassungen geändert haben. Der Senat folgt dem Landgericht jedoch in der Bewertung, dass dies nicht Ausdruck einer etwa fehlenden Fachkompetenz der Gutachter ist, sondern in wesentlichen Teilen der jeweiligen Aufklärungstiefe im Laufe des Prozesses verbunden mit dem Bemühen um eine besonders intensive Befassung mit dem Sachverhalt geschuldet und im Übrigen fachlich nachvollziehbar ist. Der Senat schenkt auch nicht, wie von den Beklagten gemutmaßt wird, einseitig den Heidelberger Sachverständigen Glauben anstatt den Privatsachverständigen Professor Dr. Th. und Professor Dr. Li. Die Kompetenz dieser Privatgutachter steht außer Frage und wurde auch von den gerichtlichen Sachverständigen im Rahmen der Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2019 ausdrücklich anerkannt. Auch die Privatgutachter haben sich im Lauf der Diskussion anders und differenzierter geäußert als zunächst schriftlich, was einerseits die Qualität dieses Termins zur Beweisaufnahme war und andererseits erst recht die Haltlosigkeit der Angriffe der Beklagten auf die Sachverständigen unterstreicht. Wie oben im Einzelnen dargelegt, haben sich die gerichtlichen und privaten Gutachter in dieser mündlichen Verhandlung in ihren Positionen letztlich einander angenähert und es bestand in den entscheidungserheblichen Punkten zuletzt kein Widerspruch derart, dass der Senat sich in medizinischer Hinsicht für die Sichtweise entweder der gerichtlichen Sachverständigen oder der Privatgutachter hätte entscheiden müssen. Die abschließende Bewertung, ob diese medizinische Grundlage für eine im Rahmen des § 286 ZPO hinreichende Überzeugungsbildung ausreicht, stellt eine dem Senat obliegende juristische Bewertung dar.
1.4 Aufklärungsfehler:
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Da nach alledem die Beklagte zu 1 der Klägerin für den erlittenen Gesundheitsschaden dem Grunde nach haftet, kommt es auf die Frage eines etwaigen Aufklärungsfehlers, der im Berufungsverfahren zunächst auch nachgegangen wurde, nicht an. Es sei daher lediglich der Vollständigkeit halber angemerkt, dass der Senat von einer ausreichenden Aufklärung ausgeht. Über das der Aufrichtungsoperation immanente Risiko einer Querschnittslähmung wurde die Klägerin aufgeklärt, ebenso über die etwaige Notwendigkeit einer ZVK-Anlage; eine gesonderte Aufklärung über Risiken einer etwaigen Fehllage des ZVK und ein dadurch etwa bestehendes (zusätzliches) Querschnittslähmungsrisiko, das sich hier möglicherweise verwirklicht hat, war aufgrund der Seltenheit (absoluter Einzelfall) nicht geschuldet.
99
2. Soweit die Berufung der Beklagten das Urteil des Landgerichts hinsichtlich der Höhe des zugesprochenen Schmerzensgeldanspruchs angreift, ist sie insofern begründet, als der Senat insgesamt einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin in Höhe von 500.000 €, jedoch ohne Unterteilung in Kapitalbetrag und Schmerzensgeldrente für angemessen hält. Da bei kapitalisierter Betrachtung der ausgeurteilten Schmerzensgeldrente der vom Landgericht insgesamt zuerkannte Schmerzensgeldanspruch (450.000 € Einmalzahlung zzgl. 1.500 € Quartalsrente, die am Schluss der mündlichen Verhandlung bereits etwa 11 Jahre geschuldet würde) den vom Senat als angemessen erachteten Kapitalbetrag übersteigt, liegt in der Abänderung eine Verbesserung für die Beklagte zu 1 und damit kein Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius.
100
Das Landgericht hat bereits zutreffend angeführt, dass die Bemessung der als angemessen erachteten Entschädigung in Geld nach § 287 ZPO im grundsätzlich freien Ermessen des Gerichts steht, wobei es zur Erreichung einer „billigen“ Entschädigung alle dafür relevanten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen hat. Dem Schmerzensgeld kommt sowohl eine Ausgleichs- als auch eine Genugtuungsfunktion zu und über seine Höhe ist durch das erkennende Gericht im Wege einer Billigkeitsentscheidung zu befinden (so schon BGH vom 06.07.1955 - Az. GSZ 1/55 - Rz. 15 ff. bei juris). Aufgrund der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes hat das Gericht dabei zu berücksichtigen, dass ein Schmerzensgeldanspruch den Verletzten in die Lage versetzen soll, sich Erleichterungen und Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurde. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld auch zu einer Genugtuung führen, wenngleich der Sühnegedanke für das zivilrechtliche Schadensrecht in den Hintergrund tritt (vgl. auch MünchKomm/Oetker, BGB, 8. Aufl. 2019, § 253 Rz. 10 f.; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 253 Rz. 4; Staudinger/ Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2017, § 253 Rz. 28 ff.).
101
Der Senat hat sich deshalb bei der Entscheidung über das Schmerzensgeld in erster Linie an dem Ausmaß und der Schwere der durch das schadensauslösende Ereignis verursachten Verletzungen zu orientieren. Weiter hat er das Alter und die persönlichen Verhältnisse der Klägerin zu berücksichtigen. Bei der Gewichtung der erlittenen Schäden sind das Maß der Lebensbeeinträchtigung, Dauer und Heftigkeit der Schmerzen sowie ggf. die Dauer der stationären Behandlung(en), der Arbeitsunfähigkeit und der Trennung von der Familie zu gewichten. Weiterhin sind unter Berücksichtigung des Alters der geschädigten Person die psychischen Auswirkungen, die äußerliche Erkennbarkeit der Verletzungen sowie die Einschränkungen bei der weiteren Lebensplanung zu berücksichtigen (vgl. Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Aufl. 2016, Rz. 274 ff. m.w.N.; Staudinger/Schiemann, a.a.O., § 253 Rz. 39), ebenso andererseits aber auch der Grad des Verschuldens und die Umstände des Eingriffs auf Seiten des Schädigers (MünchKomm/Oetker, a.a.O., § 253 Rz. 48). Zudem kommt, was bereits das Landgericht zutreffend hervorgehoben hat, eine erhöhte Entschädigung in Betracht, wenn die Verletzung außergewöhnliche Folgen für das physische und psychische Wohlbefinden und das Leistungsvermögen des Geschädigten hat; ebenso können Dauerfolgen für den Verletzten eine Erhöhung rechtfertigen, wozu es insbesondere zählt, wenn der Geschädigte in seiner alltäglichen Lebensführung beeinträchtigt ist, vor allem er hierbei auf die Hilfe Dritter angewiesen ist (vgl., wie schon im Urteil LG zitiert, MünchKomm Oetker, a.a.O., § 253 Rn. 40; OLG München BeckRS 2013, 08875; 2013, 22617; 2014, 07364).
102
Als Orientierungsmaßstab für die Bemessung können - neben der eigenen, ständigen Praxis des erkennenden Gerichts - insbesondere auch sogenannte Schmerzensgeldtabellen mit Zusammenstellungen von Entscheidungen anderer Gerichte herangezogen werden, wobei letztlich stets die freie Überzeugung des Senats unter Würdigung der besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend ist (OLG Düsseldorf vom 16.02.2012 - 20 U 157/10 - Rz. 56; Küppersbusch/Höher, a.a.O., Rz. 282; MünchKomm/Oetker, a.a.O., § 253 Rz. 37; Staudinger/Schiemann, a.a.O., § 253 Rz. 34). Der Senat nimmt hingegen nicht (auch) eine „tagesgenaue“ Bemessung des Schmerzensgeldes nach den Kriterien, die im „Handbuch Schmerzensgeld“ (Schwintowski/Schah Sedi, Schah Sedi, 2013) dargelegt sind und die jüngst das OLG Frankfurt/Main in seiner Entscheidung vom 18.10.2018 (22 U 97/16 - VersR 2019,435) berücksichtigt hat, vor. Insoweit schließt sich der Senat den ablehnenden Erwägungen des OLG Düsseldorf im Urteil vom 28.03.2019 (1 U 66/18 - VersR 2019, 1165) sowie in den Entscheidungen des OLG Brandenburg (Urteil vom 16.04.2019 - 3 U 8/18 - juris), des OLG Celle (Urteil vom 26.06.2019 - 14 U 154/18 - juris) und des OLG München (25.10.2019 - 10 U 3171/18 - juris) an.
103
Unter Abwägung sämtlicher Gesichtspunkte erachtet der Senat im vorliegenden Fall ein Schmerzensgeld von insgesamt 500.000 € für angemessen, aber auch ausreichend.
104
Die Klägerin ist unstreitig (vgl. Tatbestand des Ersturteils) unterhalb C4 querschnittsgelähmt (Tetraplegie), wobei die Dermatome C5 und C6 noch eingeschränkt beweglich sind, ab C7 ist die Lähmung vollständig. Die Klägerin hat ihr Geh- und Stehvermögen vollständig eingebüßt. Die Beweglichkeit der Arme und Beine ist ebenfalls stark eingeschränkt.
105
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2018 vor dem Senat im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung ihr Leben, wie es sich nunmehr seit der Querschnittslähmung und dauerhaft darstellt, eindringlich geschildert. Sie saß in einem Elektrorollstuhl und war mit einem Tracheostoma versorgt, dessen Klappe sie mit dem Finger verschließen musste, um sprechen zu können. Sie hat erklärt, dass sie das Tracheostoma für eine künstliche Beatmung oder das Absaugen brauche. Ihr Alltag sei natürlich gekennzeichnet durch ihren Zustand. Das bedeute, dass sie rund um die Uhr Hilfe benötige. Der Pflegedienst komme maximal 11 Stunden am Tag und die übrige Zeit müssten ihre Eltern abdecken, in deren Haushalt sie zusammen mit ihrem 21 Jahre alten Bruder lebe. Nach dem Aufstehen bekomme sie verschiedene Therapien. Sie brauche für alles Hilfe, natürlich könne sie nicht mehr laufen und man müsse ihr bei der Toilette, beim Waschen und sogar beim Schminken helfen. Wenn sie jemanden besuchen wolle, sei das sehr aufwändig. Sie hätten ein rollstuhlgerechtes Fahrzeug, aber sie brauche immer die Begleitung von zwei Personen (einen Betreuer und einen Fahrer). Den Kontakt zu ihren alten Freunden habe sie weitgehend verloren. Die beste Freundin sei jetzt die Krankenschwester geworden. In geringem Umfang könne sie einen Laptop und ein Telefon benutzen, aber nur mit einem Finger bedienen. In der Nacht wache sie fünf bis sechs mal auf. Da sie sich nicht alleine umdrehen könne, müssten dann ihre Eltern kommen, um sie umzulagern oder abzusaugen. Sie habe eine Ausbildung als Bürokauffrau, finde aber keine Arbeit, auch nicht als Schwerbehinderte. Das Absaugen sei deswegen notwendig, weil ihre rechte Lunge gelähmt sei und sie damit den Schleim nicht abhusten könne. An schlechten Tagen sei es so, dass sie nur liegen könne und alle paar Minuten abgesaugt werden müsse, und besonders schlimm sei es natürlich, wenn sie einmal erkältet sei. Der Rücken sei völlig steif, weshalb sie sich auch im Rollstuhl gerade halten könne - deswegen könne sie auch den Hals nur sehr eingeschränkt bewegen. Die Wirbelsäule sei jetzt weiter nach oben hin versteift als bei der Operation geplant und ausgeführt. Sie sei so schmal, weil sie sehr wenig esse; sie wiege derzeit ungefähr 50 Kilo und hätte mehrere Jahre auch nur über eine Sonde ernährt werden können. Psychisch habe sie ihre Höhen und Tiefen, natürlich auch abhängig davon, wie es ihr gerade gesundheitlich gehe. Das könne auch mal innerhalb von ein paar Minuten ganz schlecht werden. Es hänge unter anderem damit zusammen, ob sie gerade künstliche Beatmung und Absaugen brauche oder vorübergehend ohne solche Unterstützung auskomme.
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Es war der Klägerin wichtig, noch einmal zu sagen, dass sie sich vor der Operation eigentlich gar nicht als krank empfunden habe. Sie habe im letzten halben Jahr vor der Operation ein Korsett getragen, aber alles ganz normal machen können.
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Die Beklagte zu 1 hat daraufhin (Schriftsatz vom 05.07.2018) eingeräumt, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ihren aktuellen Gesundheitszustand wohl zutreffend geschildert habe. Die Beklagtenvertreter hätten jedenfalls nicht den Eindruck gehabt, dass sie in besonderer Weise aggraviert hätte. Sie habe zutreffend ausgeführt, dass sie ihre Hände, wenn auch eingeschränkt, benutzen könne. Es liege damit eine inkomplette Tetraparese vor. Allerdings sei darauf hinzuweisen, dass die Klägerin auch schon präoperativ sehr schwer erkrankt und aufgrunddessen auf die Operation angewiesen gewesen sei. In einem Arztbrief vom 16.06.2008 sei festgehalten, dass sie an der Central Core Disease leide und eine neuromyopathische Skoliose aufweise und zum Untersuchungszeitpunkt seit 12 Monaten ein Korsett, ca. 12 Stunden täglich, getragen habe. Wenn sie sich nicht zur Operation entschlossen hätte, so hätte sich die Lebenserwartung der Klägerin aufgrund der ausgeprägten Skoliose deutlich verringert; auch bei erfolgreicher Operation hätte die Klägerin mit dem Stabsystem im Rücken leben müssen.
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Diese Feststellungen reichen aus, um im vorliegenden Fall eine ausreichende Grundlage für eine angemessene Schmerzensgeldfestsetzung zu haben, ohne dass eine weitere Klärung von Einzelheiten erforderlich wäre. Durch die erlittene Querschnittslähmung ist die zum Operationszeitpunkt erst 14-jährige Klägerin in ihrem gesamten derzeitigen und zukünftigen Leben in schwerster Art beeinträchtigt. Sie ist zu einer eigenständigen und selbstbestimmten Lebensführung dauerhaft nicht in der Lage und wird ihr Leben lang Tag und Nacht auf ständige fremde Hilfe auch in intimsten Bereichen angewiesen sein. Dass sie immer wieder mit Schmerzen und erheblichen Ängsten bis hin zur Todesangst durch Ersticken zu kämpfen hat, liegt allein schon wegen der Beatmungsnotwendigkeit auf der Hand. Eine auch nur ansatzweise „normale“ Lebensplanung mit beruflicher Tätigkeit, mit der sie selbst ihren Lebensunterhalt verdienen könnte, mit Finden eines Partners und etwaiger Gründung einer Familie, wie sie „Gesunden“ und auch körperlich weniger gravierend beeinträchtigten Personen selbstverständlich erscheint, wird der Klägerin voraussichtlich verschlossen bleiben. Dabei ist sie sich ihrer jetzigen Hilflosigkeit und der schon in jungen Jahren verlorenen Lebensperspektive, die sie trotz ihrer Grunderkrankung sowohl vor der Operation hatte als auch - das ist der entscheidende Vergleichsmaßstab - bei einer erfolgreichen Operation gehabt hätte, voll bewusst. Bei aller Tapferkeit, die sie im Umgang mit ihren Beeinträchtigungen zeigt, leidet die Klägerin schwer an diesem Schicksal.
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Dem Senat ist bewusst, dass auch noch schwerere, etwa auch die Sinne und geistige Fähigkeiten erfassende Beeinträchtigungen als die der Klägerin denkbar sind und im Einzelfall auch vorkommen (man denke nur an manche Geburtsschadensfälle); ebenso berücksichtigt der Senat, dass die Klägerin auch bei erfolgreicher Aufrichtungsoperation und aufgrund ihrer Vorerkrankung kein „völlig gesundes“ Leben hätte führen können.
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Eine Schmerzensgelderhöhung aufgrund verzögerter Regulierung hält der Senat trotz der langen Verfahrensdauer, die die Klägerin wegen der damit verbundenen anhaltenden Unsicherheit sicherlich zusätzlich schwer belastet hat, nicht für angezeigt. Denn dass überhaupt eine Haftung dem Grunde nach besteht, konnte erst im Berufungsverfahren (zutreffend) geklärt werden und stand bis zuletzt „auf der Kippe“; der Senat hat sein Ergebnis einer gegebenen Haftungsgrundlage auf ganz andere Erwägungen als noch das Landgericht gestützt. Ein Missbrauch ihrer prozessualen Rechte oder eine etwa mutwillige Verweigerung zumindest zum Teil ersichtlich berechtigter Ansprüche kann der Beklagten zu 1 nicht angelastet werden - wenn auch das Verfahren in besonderer Weise dadurch geprägt war, dass die Beklagten dank ihrer wirtschaftlichen Macht und vielleicht auch ihrer Beziehungen großen Druck auf die Sachverständigen ausüben konnten. Andererseits war es die Klägerin, die sich im Berufungsverfahren einem Vergleich entgegengestellt und auf einer Klärung durch Urteil beharrt hat. Und schließlich führt die lange Verfahrensdauer auch dazu, dass die Klägerin nun Prozesszinsen aus etwa 10 Jahren erhält.
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Bei jungen Patienten mit schwersten Dauerschäden kann den Schmerzensgeldtabellen entnommen werden, dass in Einzelfällen in Arzthaftungsprozessen bereits Schmerzensgeldbeträge im Bereich weit über 500.000 € zuerkannt wurden, so zum Beispiel vom Landgericht Aachen mit Urteil vom 30.11.2011 - 11 O 478/09 - ein Schmerzensgeld von 700.000 € zuzüglich immateriellem Vorbehalt für einen 2 1/2-jährigen Jungen, der aufgrund mehrerer, teils grober ärztlicher Behandlungsfehler eine schwere Mehrfachbehinderung infolge schwerer cerebraler Schädigung erlitt (vgl. Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2019, 37. Aufl., Lfd. Nr. 2385), oder vom Oberlandesgericht Köln mit Urteil vom 10.12.2014 - 5 U 75/14 - ein Schmerzensgeld von 600.000 € und 550 € Rente monatlich zuzüglich immateriellem Vorbehalt für einen 2-jährigen Jungen in einem Arzthaftungsprozess mit Schwerstschädigung durch ärztliche Fehler nach einem Verkehrsunfall, der dadurch eine Zerstörung der Persönlichkeit erlitt und zum Schwerstpflegefall wurde (vgl. Hacks/Wellner/Häcker, a.a.O., Lfd. Nr. 2389; vgl. dort auch zu Schmerzensgeldern von 400.000 € bis 500.000 € z. B. Lfd. Nrn. 2382, 2383 und 2384). Bei weniger weitreichenden Dauerschäden als hier und älteren Patienten wurde beispielsweise vom Oberlandesgericht Koblenz mit Urteil vom 29.10.2009 - 5 U 55/09 - ein Schmerzensgeldbetrag von 180.000 € zuzüglich immateriellem Vorbehalt für einen 56-jährigen Mann mit weitreichenden Lähmungserscheinungen der unteren Körperteile mit Sexualstörungen und depressiven Verstimmungen zugesprochen (vgl. Hacks/Wellner/Häcker, a.a.O., Lfd. Nr. 2376), vom Oberlandesgericht Köln mit Urteil vom 13.04.2016 - 5 U 107/15 - ein Schmerzensgeldbetrag von 200.000 € zuzüglich immateriellem Vorbehalt für einen ca. 42-jährigen Mann, der aufgrund einer Nasenoperation ein mittelgradig ausgeprägtes Frontalhirnsyndrom vom frontoorbitalen Typ erlitt und darüber hinaus seinen Geruchssinn vollständig verlor und nur noch Salziges und Süßes schmecken konnte.
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Im Rahmen eines solchen Gefüges hält der Senat im vorliegenden Fall einen Schmerzensgeldbetrag von 500.000 € für sachgerecht. Dafür war neben den oben bereits dargestellten Erwägungen mit von Bedeutung, dass der Senat der Auffassung zuneigt, dass das Schmerzensgeld in Fällen der Arzthaftung aufgrund Behandlungsfehlern auch bei dadurch verursachten allerschwersten Beeinträchtigungen eine „Schallgrenze“ von (derzeit) 600.000 € nicht überschreiten sollte, auch im Hinblick darauf, das Haftungsrisiko in diesem Bereich überhaupt noch kalkulierbar und versicherbar zu halten. Das Schmerzensgeld tritt neben die in solchen Fällen regelmäßig ebenfalls sehr hohen materiellen Ansprüche für Pflegekosten, Verdienstausfall, Haushaltsführungsschaden, sonstige vermehrte Bedürfnisse u.w.m.. Durch Geld kompensierbar sind derartige Schwerstbeeinträchtigungen, durch die das Leben der Betroffenen weitgehend zerstört ist, ohnehin nicht, zu meinen, man könne rational bemessen, ob nun ein Geldwert von 500.000 €, 700.000 € oder auch 800.000 € einen angemessen „Ausgleich“ für ein derart zerstörtes Leben darstellt, oder man könne hier mehr als nur grobe Abgrenzungen hinsichtlich des Grades der Schwerstbeeinträchtigung treffen, hält der Senat für anmaßend. Das Schmerzensgeld wird in solchen Fällen am Ende immer ein letztlich symbolischer „Ausgleich“ bleiben. Da vorliegend der Dauerschaden der Klägerin noch einen gewissen Abstand zu den denkbar schwersten Beeinträchtigungen hat und sie gesundheitlich vorbelastet war, erscheint im vorliegenden Fall in der Gesamtbetrachtung die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes von 500.000 € als „billige Entschädigung“ angemessen.
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Eine Aufteilung dieses Schmerzensgeldanspruchs in einen Kapitalbetrag und eine Schmerzensgeldrente hält der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens nicht für angezeigt. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zwar zutreffend herausgearbeitet, dass die Festsetzung in einer solchen Form nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. neben den vom Landgericht zitierten Entscheidungen insbesondere BGH, Urteil vom 08.06.1976 - VI ZR 216/74 -, MDR 1976, 1012) im vorliegenden Fall dem Senat aufgrund der schweren Verletzung der Klägerin mit besonders gravierenden Dauerfolgen frei stünde. Der Senat sieht darin aber keinen besonderen Vorteil für die Klägerin gegenüber der einheitlichen Abfindung durch einen Kapitalbetrag und sieht daher von dieser Ausnahmemöglichkeit ab.
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3. Gegenüber dem Beklagten zu 2 stehen der Klägerin hingegen die vom Landgericht zuerkannten Ansprüche nicht zu, dieser haftet bereits dem Grunde nach nicht. Seine Berufung ist begründet, das Urteil war entsprechend abzuändern.
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Der Beklagte zu 2 hat den ZVK bei der Klägerin gelegt und zusammen mit weiteren Behandlern die Röntgenkontrollaufnahme von 16:35 Uhr begutachtet. Nach Legen des ZVK hatte er sich auf die hämodynamische Stabilisierung durch Gabe von Blutkonserven konzentriert, mit der Gabe von Mitteln über den ZVK war er hingegen nicht befasst, nach der Stabilisierung war dann seine Aufgabe ohnehin erledigt, bis er am 20.06.2008 um 6:45 Uhr seinen Dienst wieder begann (vgl. Anhörung vom 25.09.2013, Protokoll LG Seite 11).
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Ausgehend davon kommt eine Haftung des Beklagten zu 2 nicht in Betracht. Beim Legen des ZVK ist ein Behandlungsfehler nicht feststellbar. Bezüglich der fehlerhaften Befundung der Röntgenkontrollaufnahme von 16:35 Uhr liegt lediglich ein einfacher Behandlungsfehler vor, sodass keine Beweislastumkehr stattfindet. Den positiven Kausalitätsnachweis (zumindest Mitursächlichkeit) für genau diesen Behandlungsfehler kann die Klägerin, wie bereits zur Beklagten zu 1 dargestellt, nicht führen. Es besteht auf jeden Fall die Möglichkeit, dass der eingetretene Rückenmarksinfarkt und die Querschnittslähmung der Klägerin allein darauf zurückzuführen sind, dass sich bei ihr schicksalhaft das der Aufrichtungsoperation immanente Querschnittsrisiko, über das sie auch aufgeklärt wurde, verwirklicht hat. An den weiteren nachgewiesenen Behandlungsfehlern, die teilweise schon einzeln, jedenfalls in der Zusammenschau mehrerer als grob zu bewerten sind, war der Beklagte zu 2 nach seinen nicht widerlegten Angaben - die Beweislast liegt insoweit bei der Klägerin - nicht mehr beteiligt.
III.
117
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2, 100, 101 Abs. 1 ZPO. Der Teilerfolg der Beklagten zu 1 hinsichtlich der Abänderung des Schmerzensgeldausspruchs im Rahmen der vom Senat zu treffenden Ermessensentscheidung rechtfertigt keine Kostenquotelung, § 92 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Gründe für eine Zulassung der Revision, § 543 Abs. 2 ZPO, liegen nicht vor. Soweit bei der Schmerzensgeldbemessung die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 10.12.2014 - 5 U 75/14 - angesprochen wurde, der der Senat nicht folgt, handelt es sich um eine bislang in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt gebliebene Entscheidung, die zudem hinsichtlich der für die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Umstände eine völlig andere Fallgestaltung betrifft.
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Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde gemäß §§ 3 ZPO, 47, 48 Abs. 1 GKG entsprechend der Festsetzung des Landgerichts bemessen.