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VG München, Urteil v. 10.04.2020 – M 6 K 19.33373
Titel:

Erfolglose Klage gegen den Widerruf eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes für Afghanistan

Normenketten:
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
GG Art. 6
Leitsätze:
1. Solange der Kläger mit seinen deutschen Kindern und deren deutscher Mutter in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, steht er schon wegen Art. 6 Grundgesetz und der entsprechenden ausländerrechtlichen Vorschriften unter Schutz gegen eine Abschiebung, wobei es sich um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis handelt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ohne eine konkrete Notwendigkeit, quasi auf Vorrat, zu dem bestehenden nationalen Abschiebungsverbot auch noch ein solches nach Maßgabe des Asylrechtes zu begehren, ist unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich, weshalb der darauf gerichteten Verpflichtungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mutmaßlich afghanischer Staatsangehöriger aus dem Iran, Widerruf eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes, Vater zweier deutscher Kinder, der mit der deutschen Mutter in familiärer Gemeinschaft lebt, unzulässige Klage, afghanischer Staatsangehöriger, Abschiebung, Afghanistan, Schutz der Familie, Abschiebungshindernis
Fundstelle:
BeckRS 2020, 8636

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger ist ein mutmaßlich 1993 geborener afghanischer Staatsangehöriger. Ihm wurde durch Urteil vom 1. Dezember 2014 (Az.: …) des Verwaltungsgerichtes München ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) zuerkannt.
2
Die Beklagte widerrief dieses Abschiebungsverbot mit Bescheid vom 21. August 2019 (Nr. 1 des Bescheides) und stellte fest, dass kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Nr. 2).
3
Mit am 17. September 2019 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz ließ der Kläger gegen diesen Bescheid durch seine Prozessbevollmächtigte Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen,
4
den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistan vorliegt.
5
Die Beklagte hat ihre Akte elektronisch übermittelt und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
7
Durch Beschluss vom 19. November 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 76 Abs. 1 Asylgesetz - AsylG -).
8
Nachdem der Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 11. Dezember 2019 bestimmt worden war, teilte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit am 5. Dezember 2019 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz mit, dieser sei inzwischen Vater zweier deutscher Kinder und lebe mit der deutschen Mutter in familiärer Gemeinschaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (U.v. 04.07.2019, Az.: 1 C 45.18) müsse bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes als Rückkehrsituation nicht nur die Rückkehr des Klägers, sondern der gesamten Kernfamilie angenommen und betrachtet werden. Mit Blick auf die bereits vorhandenen beiden Kinder und die Tatsache, dass ein weiteres Kind unterwegs sei, scheide folglich eine Rückkehr aus.
9
Die Beklagte vertritt die Auffassung (Schriftsatz vom 10.1.2020), die von der Klagepartei angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sei auf einen Fall, wie den vorliegenden, nicht anwendbar, sondern nur auf Konstellationen von Familien, die aus nicht deutschen Staatsangehörigen bestünden.
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Am 11. Dezember 2019 wurde zur Sache mündlich verhandelt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 11. Dezember 2019 ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).

Entscheidungsgründe

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1. Über den Rechtsstreit konnte ohne weitere mündliche Verhandlung mit Zustimmung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren entschieden werden (Zustimmung der Klagepartei in der mündlichen Verhandlung am 11.12.2019, der Beklagten mit Schriftsatz vom 10.1.2020).
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2. Soweit die vorliegende Klage das Ziel hat, den Bescheid der Beklagten vom 21. August 2019 aufzuheben, ist sie zulässig, jedoch unbegründet. Im Übrigen ist die Klage unzulässig, soweit sie die Verpflichtung der Beklagten zum Ziel hat, ein Abschiebungsverbot für den Kläger nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Insoweit fehlt das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
14
Gegen die Berechtigung der Beklagten und die von ihr hierfür ins Feld geführten Gründe zum Widerruf des ursprünglich wegen festgestellter Krankheiten des Klägers ausgesprochenen Abschiebungsverbotes hat die Klagepartei nichts vorgetragen. Auch aus Sicht des Gerichtes ist nicht ersichtlich, weshalb dieser Widerruf rechtswidrig sein sollte.
15
Das Gericht nimmt zur Begründung der vorliegenden Entscheidung im Übrigen zunächst Bezug auf seine rechtlichen Ausführungen im Verlauf der mündlichen Verhandlung am 11. Dezember 2019 sowie diejenigen der Beklagten im Schriftsatz vom 10. Januar 2020 und macht sich letztere zur Begründung der vorliegenden Entscheidung zu Eigen (§ 117 Abs. 5 VwGO, § 77 Abs. 2 AsylG analog). Solange der Kläger mit seinen deutschen Kindern und deren deutscher Mutter in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, steht er schon wegen Art. 6 Grundgesetz (GG) und der entsprechenden ausländerrechtlichen Vorschriften unter Schutz gegen eine Abschiebung, wobei es sich um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis handelt. Zudem hat die Klagepartei mitgeteilt, es werde ein weiteres Kind der Familie erwartet. Vor diesem Hintergrund kommt eine Abschiebung des Klägers nach Afghanistan schlichtweg bereits aus ausländerrechtlichen Gründen nicht in Betracht. Es ist für das Gericht nicht ersichtlich, weshalb er darüber hinaus Anspruch auf Feststellung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach Maßgabe asylrechtlicher Vorschriften haben sollte.
16
Sollte sich die Lebenssituation des Klägers ändern, etwa indem er sich aus dem bestehenden Familienverband löst, ist mit einer Abschiebung - vorbehaltlich außerordentlicher Gründe, wie massiver Straffälligkeit - gleichwohl solange nicht zu rechnen, wie der Kläger Unterhaltspflichten gegenüber seinen Kindern und deren Mutter hat und diesen auch nachkommt. Außerdem könnte er dann sein Umgangsrecht und das Recht der Kinder auf Umgang mit ihm ins Feld führen. Falls sich die Umstände derart gravierend ändern, dass eine Abschiebung des Klägers nach Afghanistan tatsächlich im Raum stünde, stehen dem Kläger hiergegen verschiedene Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Ohne eine konkrete Notwendigkeit, quasi auf Vorrat, im Rahmen des vorliegenden Verfahrens zu dem bestehenden nationalen Abschiebungsverbot auch noch ein solches nach Maßgabe des Asylrechtes zu begehren, ist aus Sicht des Gerichtes dagegen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt erforderlich, weshalb der darauf gerichteten Verpflichtungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
17
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 166 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).