Inhalt

LSG München, Beschluss v. 05.05.2020 – L 12 SF 180/19
Titel:

Kostenrecht: Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr

Normenketten:
RVG § 14
SGG § 101 Abs. 1 S. 2, § 202
ZPO § 278 Abs. 6
VV RVG Nr. 3106 S. 1 Nr. 1 2. Alt.
Leitsatz:
Die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG entsteht sowohl bei Abschluss eines Prozessvergleichs nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG als auch nach § 202 SGG iVm. § 278 Abs. 6 ZPO (Abkehr vom Beschluss des BayLSG vom 29.11.2016, Az.: L 15 SF 97/16). Für das Erfordernis einer konstitutiven Mitwirkung des Gerichts an der vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits bietet die Gebührenziffer Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG keine Handhabe. (Rn. 20)
Schlagworte:
Fiktive Terminsgebühr, Konstitutive Mitwirkung des Gerichts, Prozessvergleich, Erinnerung, Vergütungsfestsetzungsverfahren, gerichtlicher Vergleich, schriftlicher Vergleich
Vorinstanz:
SG Würzburg, Beschluss vom 15.04.2019 – S 13 SF 39/19 E
Fundstelle:
BeckRS 2020, 8462

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 15.04.2019, S 13 SF 39/19 E, sowie die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 15.03.2019 abgeändert.
Für das Verfahren S 9 R 518/18 wird eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG in Höhe von 270,00 Euro (zuzgl. Umsatzsteuer) festgesetzt.

Gründe

I.
1
Zwischen den Beteiligten streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH). Streitig ist allein das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr.
2
Der Beschwerdeführer vertrat den Kläger in einem Verfahren vor dem Sozialgericht Würzburg (SG), in dem es um die Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ging (Az.: S 9 R 518/18). Das SG bewilligte dem Kläger mit Beschluss vom 05.09.2018 PKH ab Klageerhebung und ordnete den Beschwerdeführer bei. Nach Einholung eines nervenfachärztlichen Gutachtens unterbreitete die Beklagte am 04.03.2019 einen Vergleichsvorschlag, den der Beschwerdeführer für den Kläger mit Schriftsatz vom 08.03.2019 annahm und zugleich gegenüber dem SG beantragte, das Zustandekommen des Vergleichs gemäß § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO durch Beschluss festzustellen. Diesem Antrag folgte das Gericht mit Beschluss vom 12.03.2019.
3
Mit Schreiben vom 13.03.2019 bezifferte der Beschwerdeführer seinen Vergütungsanspruch für das Verfahren Az.: S 9 R 518/18 wie folgt (abzgl. 380,80 Euro Vorschuss):
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 300,00 Euro
Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 270,00 Euro
Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG 300,00 Euro
Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen
Nr. 7001 VV RVG (siehe Anlage) 44,07 Euro
Dokumentenpauschale 100 Kopien) Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG 32,50 Euro
19% USt, Nr. 7008 VV RVG 179,85 Euro
Gesamt 1.126,42 Euro.
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Mit Beschluss vom 15.03.2019 setzte der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vergütung auf 805,12 Euro fest. Dabei setzte er die Verfahrenssowie die Einigungsgebühr und die Auslagen wie beantragt fest, berücksichtigte aber keine Terminsgebühr. Unter einem schriftlichen Vergleich im Sinne von Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG sei nur ein unter Mitwirkung des Gerichts geschlossener Vergleich nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder nach § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO zu verstehen. Voraussetzung sei demnach ein Beschlussvorschlag des Gerichts (§ 101 Abs. 1 Satz 2 SGG) oder ein auf einer schriftlichen Initiative (§ 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 Satz 1 ZPO) mit nachfolgendem deklaratorischen Beschluss des Gerichts beruhender Vergleich. Vorliegend sei der Vergleichsvorschlag jedoch vom Beklagten unterbreitet worden und nur im Anschluss vom Gericht deklaratorisch festgestellt worden. Nach der Rechtsprechung des BayLSG sei aber eine konstitutive Mitwirkung des SG für die vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits notwendig, um die fiktive Terminsgebühr auszulösen. Daher habe die Initiative für den Vergleichsvorschlag vom Gericht auszugehen. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.
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Gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer am 15.03.2019 Erinnerung ein. Er begründete diese im Wesentlichen damit, dass er nach Eingang des Vergleichsvorschlags der Beklagten vom 04.03.2019 unter dem 05.03.2019 ein Telefongespräch mit einem Beschäftigten der Beklagten geführt habe. Dabei sei der Vergleichsvorschlag insbesondere bezüglich der Kostenquote diskutiert worden. Am Ende dieses Gesprächs habe der Beschwerdeführer dann zugesichert, sich für die Annahme des Vergleichsvorschlags beim Kläger bzw. dessen Betreuer einzusetzen. Dadurch sei zumindest die Terminsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG entstanden.
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Das SG hat die Erinnerung mit Beschluss vom 15.04.2019 zurückgewiesen. Zur Begründung für den Nichtanfall der Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG hat es vollumfänglich auf die Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten des SG vom 15.03.2019 verwiesen. Das SG lehnte auch den Anfall einer fiktiven Terminsgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG ab. Nach der Rechtsprechung des BayLSG (Beschluss vom 26.11.2012, Az.: L 15 SF 153/11 BE) sei ein hohes Maß an Vergleichbarkeit der Besprechung mit einem regulären Termin erforderlich. Da die Entstehung der Gebühr nicht an die Erledigung des Rechtsstreits geknüpft sei, bedürfe es nicht zu unterschätzender modaler Voraussetzungen. Im vorliegenden Fall sei nach den Ausführungen des Beschwerdeführers ein „Aufeinander zugehen der Partei“, wie es das Bayer. LSG im o. g. Beschluss fordere, gerade nicht gegeben. Dies ergebe sich daraus, dass die Beklagte im Hauptsacheverfahren bereits unter dem 04.03.2019 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet habe, der exakt in dieser Form durch den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 08.03.2019 angenommen wurde. Nach Auffassung des Gerichts könne jedoch eine Besprechungsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 VV RVG nur dann entstehen, wenn sich diese Besprechung tatsächlich auch dergestalt in den Vergleichsverhandlungen niederschlage, dass eine - wenn auch nur geringfügige - Änderung des Vergleichstextes erreicht werde. Andernfalls könne ein Bevollmächtigter jederzeit durch ein wie auch immer geartetes Gespräch mit der Beklagten nach Eingang eines Vergleichsvorschlags diese Besprechungsgebühr generieren. Dies könne jedoch nicht Sinn und Zweck dieses Gebührentatbestandes sein. Nachdem vorliegend aber der Vergleichsvorschlag unverändert angenommen worden sei, sei es nicht gerechtfertigt, eine Besprechungsgebühr entstehen zu lassen. Im Ergebnis habe somit die Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des SG zu Recht eine Terminsgebühr nicht festgesetzt.
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Dagegen hat der Beschwerdeführer am 28.04.2019 Beschwerde erhoben und im Wesentlichen seine bisherigen Argumente wiederholt. Ergänzend führte er aus, durch die Auslegung des SG, die Besprechung müsse sich tatsächlich in den Vergleichsverhandlungen dergestalt niederschlagen, dass der Vergleichstext - wenn auch nur geringfügig - verändert werde, wandle es damit eine nicht erfolgsqualifizierte Besprechungsterminsgebühr in eine erfolgsqualifizierte Gebühr um. Dies entspreche gerade nicht dem gesetzgeberischen Willen.
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Der Beschwerdegegner verweist auf den Grundsatz der sparsamen Prozessführung. Danach habe der Kläger durch die Besprechung keinerlei Vorteile gehabt, da die Kosten ohnehin von der Staatskasse zu übernehmen waren. Durch eine weitere Gebühr würde zudem der Vergleichsschluss doppelt vergütet, ohne dass hierfür ein Bedürfnis bestünde. Eine wie auch immer geartete Einigung werde mit der Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV RVG vergütet. Für das Entstehen der fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG müsse analog Nr. 3104 VV RVG über eine bloße Einigung hinaus ein Vergleich im Sinne von § 779 BGB vorliegen. Die Einführung der Nr. 1000 VV RVG habe gerade den Streit darüber, ob ein Vergleich im Sinne von § 779 BGB vorliegt, vermeiden wollen.
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Mit Beschluss vom 18. April 2020 hat die Berichterstatterin das Verfahren nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 Satz 2 RVG wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen.
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Im Übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie des Erinnerungsverfahrens mit dem Az.: S 13 SF 39/19 E und die beigezogene Akte des SG mit dem Az.: S 9 R 518/18 verwiesen.
II.
11
Die Beschwerde ist erfolgreich.
12
1) Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerden ist zwar prinzipiell der Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG). Jedoch entscheidet wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier vorliegenden Angelegenheit gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG der Senat als Gesamtspruchkörper. Die Entscheidung ergeht ohne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 8 Satz 3 RVG).
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2) Zur Anwendung kommen im vorliegenden Fall die Regelungen des RVG in der ab 01.08.2013 geltenden Fassung gemäß dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts (Zweites Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl S. 2586, 2681 ff.). Denn der unbedingte Auftrag i.S.v. § 60 Abs. 1 RVG ist dem Beschwerdeführer nach dem 31.07.2013 erteilt worden.
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3) Die Beschwerde ist zulässig.
15
Sie ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200,00 Euro übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist auch fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG eingelegt worden.
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4) Sie ist auch begründet. Das SG hat die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG zu Unrecht abgelehnt.
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a) Nach Nr. 3106 VV RVG entsteht in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG i.V.m. § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, § 183 SGG) - wie vorliegend, da der Kläger des Ausgangsverfahrens zum Personenkreis des § 183 Satz 1 SGG gehörte - eine Terminsgebühr. Gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 1 VV RVG wird mit dieser Gebühr (u.a.) die Wahrnehmung von gerichtlichen und außergerichtlichen Terminen durch den Anwalt abgegolten. Die Terminsgebühr entsteht darüber hinaus nach Satz 1 Nr. 1 2. Alt. zu Nr. 3106 VV RVG auch in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, wenn „in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird“. Was unter einem „schriftlichen Vergleich“ iSd Anmerkung Satz 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV RVG zu verstehen ist, ist im Einzelnen in Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. zur Übersicht Loytved, jurisPR-SozR 8/2018 Anm. 5). Eine überwiegend in der Literatur vertretene Ansicht lässt einen privatschriftlichen (außergerichtlichen) Vergleich ausreichen (vgl. z.B. Himme in: ASR 2020, 64 ff.; Schneider in: Rehberg/Asperger, RVG, 7. Aufl. 2020, Terminsgebühren nach Teil 3, 5.2.2; Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, § 3 Rn. 64a; Schafhausen in: Schneider/Wolf, RVG, 8. Aufl. 2017, VV 3106 Rn. 22; SG Neuruppin, Beschluss vom 16.09.2016 - S 31 SF 56/16 E; SG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 15.03.2017 - S 1 R 535/13). Die andere, in der Rechtsprechung herrschende Auffassung verlangt einen im schriftlichen Verfahren (§ 101 Abs. 1 Satz 2 SGG; § 202 SGG i.V.m. § 278 Abs. 6 ZPO) zustande gekommenen, gerichtlichen Vergleich (vgl. z.B. LSG Essen, Beschluss vom 11.03.2015 - L 9 AL 277/14 B; LSG Celle-Bremen, Beschl. 20.07.2015 - L 7/14 AS 64/14 B; BayLSG, Beschl. 22.05.2015 - L 15 SF 115/14 E; einschränkend BayLSG, Beschl. 29.11.2016 - L 15 SF 97/16 E - erforderlich sei eine konstitutive Mitwirkung des Gerichts; Hartmann/Toussaint, Kostenrecht, 50. Aufl. 2020, VV 3106 Rn. 1; Schütz, jurisPR-SozR 4/2017 Anm. 6; Stäbler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 101 Rn. 35 f.; Straßfeld, SGB 2013, 562, 566).
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b) Im zugrundeliegenden Ausgangsverfahren hat das Gericht mit Beschluss vom 12.03.2019 das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleichs zwischen den Parteien nach § 202 SGG iVm § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt. Damit endete das Klageverfahren, ohne dass zuvor eine mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht stattgefunden hatte, durch einen Prozessvergleich und damit einen schriftlichen Vergleich i. S. d. Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG. Ob auch ein außergerichtlicher Vergleich die fiktive Terminsgebühr auslöst, ist dagegen nicht Gegenstand dieses Verfahrens (vgl. zum Meinungsstand auch Loytved, jurisPR-SozR 8/2018 Anm. 5 mwN).
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Ein Prozessvergleich, sowohl nach § 101 SGG als auch nach § 202 SGG i. V. m. § 278 Abs. 6 ZPO, ist sowohl Prozesshandlung, deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des jeweiligen Prozessrechts richtet, als auch öffentlich rechtlicher Vertrag, für den die materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 54 ff. des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) gelten (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 - B 2 U 14/15 R, SozR 4-1200 § 44 Nr. 6; BVerwG, Urteil vom 10. März 2010 - 6 C 15/09; BGH, Urteil vom 19. April 2018 - IX ZR 222/17, Juris). Als Prozesshandlung führt der Vergleich zur Prozessbeendigung und als materiell-rechtlicher Vertrag legt er den Streit der Beteiligten endgültig bei. Der Prozessvergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO ist Vollstreckungstitel nach § 794 ZPO.
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Der Senat in der jetzigen Zusammensetzung hält in Abkehr vom Beschluss des BayLSG vom 29.11.2016, Az.: L 15 SF 97/16, den Abschluss eines Prozessvergleichs nach § 202 SGG iVm § 278 Abs. 6 ZPO und nicht nur einen nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG geschlossenen Vergleich für das Entstehen einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG für ausreichend. Denn für die im Beschluss vom 29.11.2016 geforderte konstitutive Mitwirkung des Gerichts an der vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits bietet die Gebührenziffer Nr. 3106 VV RVG keine Handhabe. Der Wortlaut der Gebührenziffer Nr. 3106 Nr. 1 2. Alt. VV RVG verlangt nur einen schriftlichen Vergleich. Diesen Anforderungen genügt aber sowohl ein Vergleichsschluss nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG als auch ein Vorgehen nach § 202 SGG i. V. m. § 278 Abs. 6 ZPO. In beiden Fällen ist die Schriftlichkeit gegeben.
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Ob § 278 Abs. 6 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren gemäß § 202 SGG neben § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG weiter anwendbar bleibt (bejahend Stäbler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 101 SGG (Stand: 06.01.2020); Müller, NZS 2014, 166; kritisch z.B. Schütz, jurisPR-SozR 4/2017 Anm. 6) spielt im Vergütungsfestsetzungsverfahren keine Rolle. Der Kostenrichter sowie der Kostenbeamte sind daran gebunden, wenn der in der Hauptsache zuständige Richter § 278 Abs. 6 ZPO weiter für anwendbar hält und den Vergleich nach diesem Procedere unter Mitwirkung oder auf Veranlassung des Gerichts statt nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG abschließt (so auch Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. Mai 2017 - L 8 R 682/15 B KO -, juris; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 18. Oktober 2018 - L 1 SF 1302/17 B und 22. Januar 2019 - L 1 SF 1300/17 B, juris). Im Vergütungsfestsetzungsverfahren ist grundsätzlich die Verfahrensgestaltung durch das Prozessgericht zugrunde zu legen. Ausschließlich das Prozessgericht hat zu entscheiden, ob die Vorschrift des § 278 Abs. 6 ZPO in einem sozialgerichtlichen Verfahren weiterhin Anwendung findet. Der Kostenrichter ist daher nicht berechtigt, seine möglicherweise materiell-rechtlich abweichende Auffassung zur Anwendung dieser Vorschrift im Rahmen der kostenrechtlichen Beurteilung „nachzuholen“ (Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 20. Februar 2019 - L 1 SF 294/18 B -, juris).
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Diese Auffassung wird auch der verminderten Prüfpflicht des Kostenbeamten im Kostenfestsetzungsverfahren gerecht, denn ob das Verfahren durch einen Vergleich nach § 101 Abs. 1 Satz 2 SGG oder durch die Feststellung des Zustandekommens eines Vergleichs im Beschlusswege nach § 278 Abs. 6 ZPO beendet worden ist, lässt sich der jeweiligen Gerichtsakte leicht entnehmen. Demgegenüber ist die im Beschluss des BayLSG vom 29. November 2016 (Az.: L 15 SF 97/16 E) geforderte konstitutive Mitwirkung des Gerichts am Vergleichsschluss dergestalt, dass die Initiative für den Vergleichsschluss auch in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich vom Gericht auszugehen hat, für den Kostenbeamten nur schwer überprüfbar. Denn hierfür bedürfte es eines intensiven Aktenstudiums des Kostenbeamten, um herauszufinden, auf wessen Idee der Vergleichsschluss basiert. Zudem setzt dieses Erfordernis voraus, dass über die Vorgeschichte des Zustandekommens des Vergleichs sich schriftliche Aufzeichnungen wie Akten- oder Telefonvermerke in den Akten befinden, was in der Praxis nicht immer der Fall sein dürfte. Das Entstehen der Gebühr von diesen Unsicherheiten abhängig zu machen, widerspricht dem Sinn und Zweck der fiktiven Terminsgebühr, der darin besteht, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines Termins zu nehmen.
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Zudem spricht gegen die geforderte konstitutive Mitwirkung des Gerichts Satz 1 1. Alt. des § 278 Abs. 6 ZPO. Denn hier besteht die Option, dass „die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten“, also gerade keine vorherige konstitutive Mitwirkung des Gerichts vorliegt, sondern der Vergleichsschluss nur in Beschlussform (deklaratorisch) protokolliert wird (so auch Schütz, jurisPR-SozR 4/2017 Anm. 6). Für diesen Beschluss besteht in der Zivilgerichtsbarkeit kein Zweifel, dass hierdurch die fiktive Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht. Die Änderung des Wortlautes von Nr. 3106 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG für das sozialgerichtliche Verfahren diente aber genau der Angleichung an die Situation für Wertgebühren (Nr. 3104 VV RVG, vgl. BT-Drs. 17/11471, 275).
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Daher ist vorliegend bereits eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 Nr. 1 2. Alt. VV RVG entstanden. Ob die Terminsgebühr - wie der Beschwerdeführer meint - daneben auch nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG entstanden ist, bedarf keiner Entscheidung mehr (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 19.02.2020, Az.: L 12 SF 48/17 E).
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c) Die Höhe der Gebühr bestimmt sich nach Nr. 3106 Satz 2 VV RVG und beträgt 90% der in derselben Angelegenheit dem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr ohne Berücksichtigung einer Erhöhung nach Nr. 1008. Auf die Beschwerde war daher zusätzlich eine fiktive Terminsgebühr in Höhe von 270,00 Euro (zuzgl. Umsatzsteuer) festzusetzen.
26
5) Einer Entscheidung über die Kosten bedarf es nicht, weil das Verfahren über die Beschwerde gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.
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6) Der Beschluss ist unanfechtbar, eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).