Inhalt

FG München, Urteil v. 30.01.2020 – 10 K 1105/17
Titel:

Verstoß gegen den ordre public bei Vollstreckung von Forderungen

Normenketten:
EG-BeitrRL Art. 6 Abs. 1, Art. 12 Abs. 3
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1
AO § 254 Abs. 1, § 258
FGO § 56 Abs. 3, § 69, § 114
Leitsätze:
Die Vollstreckung von Ersuchen eines EU-Mitgliedstaates verstößt gegen den “ordre public”, wenn die Vollstreckungsersuchen die Betreibung von Forderungen betreffen, gegen deren Festsetzung die Betroffenen nicht effektiv Rechtsschutz suchen konnten, weil die Forderungen nach dem nationalen Recht des ersuchenden Staates öffentlich bekannt gegeben werden durften (obwohl der deutsche Wohnsitz der Betroffenen bekannt war)
1. Die Vollstreckung von Ersuchen eines EU-Mitgliedstaates verstößt gegen den „ordre public“, wenn die Vollstreckungsersuchen die Betreibung von Forderungen betreffen, gegen deren Festsetzung die Betroffenen nicht effektiv Rechtsschutz suchen konnten, weil die Forderungen nach dem nationalen Recht des ersuchenden Staates - obwohl der deutsche Wohnsitz der Betroffenen bekannt war - öffentlich bekanntgegeben werden durften. (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch wenn die Entscheidung über die Begründetheit von Anfechtungen der Forderung oder des Vollstreckungstitels grundsätzlich in die ausschließliche Zuständigkeit der Instanzen des Mitgliedstaats fällt, in dem die ersuchende Behörde ihren Sitz hat, ist nicht auszuschließen, dass ausnahmsweise die Instanzen des Mitgliedstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, befugt sind, zu prüfen, ob die Vollstreckung dieses Titels insbesondere die öffentliche Ordnung dieses Mitgliedstaats beeinträchtigen würde, und gegebenenfalls die Gewährung der Unterstützung ganz oder teilweise zu versagen oder sie von der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen abhängig zu machen. (redaktioneller Leitsatz)
3. Die öffentliche Zustellung ist nur das „letzte Mittel“ und wegen des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar wäre. (redaktioneller Leitsatz)
4. Geht es darum, eine behördliche Maßnahme abzuwehren, bietet die FGO dem Rechtssuchenden neben Einspruch und Anfechtungsklage einstweiligen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung bzw. einstweilige Anordnung. Für eine Unterlassungsklage wäre nur dann Raum, wenn das erstrebte Schutzziel mit diesen Rechtsbehelfen nicht erreicht werden kann, wenn also substantiiert und in sich schlüssig dargetan wird, durch ein bestimmtes, künftig zu erwartendes Handeln einer Behörde in den Rechten verletzt zu sein und ein Abwarten der tatsächlichen Rechtsverletzung unzumutbar ist, weil die Rechtsverletzung dann nicht oder nur schwerlich wieder gutzumachen wäre. (redaktioneller Leitsatz)
5. Geht es dem Kläger insgesamt darum, dass überhaupt nicht gegen ihn vollstreckt werden soll, weil er eine Vollstreckung des ausländischen (hier: spanischen) Titels für rechtswidrig nach dem Maßstab deutscher Verfassungsgrundsätze erachtet, liegt nach Auffassung des Senats eine auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer künftigen Vollstreckung gerichtete Feststellungsklage vor. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagwort:
Beitreibungsrichtlinie
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2020, 972
BeckRS 2020, 8401
LSK 2020, 8401
DStRE 2020, 1198

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Vollstreckung der in den Vollstreckungsersuchen mit dem Aktenzeichen … und mit dem Aktenzeichen… genannten Forderungen des spanischen Fiskus über jeweils insgesamt … € rechtswidrig ist.
2. Der Beklagte wird verpflichtet, an die Kläger die Bürgschaften der … Bank … für die Klägerin in Höhe von … € und für den Kläger in Höhe von … € herauszugeben.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
5. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit zweier Vollstreckungsersuchen der spanischen Behörden vom 5. April 2011.
2
Die Kläger waren im Zeitraum … 1996 bis … Mai 2006 Eigentümer des Grundstücks Calle X in Y. (… Kaufvertrag vom … 1996 Seite 4). In den notariellen Verträgen über den Kauf und Verkauf des Grundstücks, auf die hinsichtlich der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, ist die deutsche Anschrift der Kläger angegeben. Auf die eidesstattliche Versicherung betreffend nach dem Erwerb vorgenommene Renovierungskosten wird verwiesen.
3
Im Zusammenhang mit dem Verkauf der Immobilie wurde von den Käufern eine Quellensteuer in Höhe von 5% des Kaufpreises einbehalten und mit der Steuererklärung Formular 211 vom … unter Angabe der deutschen Adresse der Kläger (als „Nichtansässige“) an die spanischen Steuerbehörden abgeführt.
4
Das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) leitete zwei zum einen gegen den Kläger und zum anderen gegen die Klägerin gerichtete Vollstreckungsersuchen (mit den Az.: …) der spanischen Behörden vom 5. April 2011 - mit Angabe der deutschen Anschrift der Kläger - über das Bayerische Landesamt für Steuern zur Ausbringung von Vollstreckungsmaßnahmen an das beklagte Finanzamt (FA).
5
In den Vollstreckungsersuchen sind der 17. Juni 2010 als Datum der Festsetzung sowie der 29. November 2010 als Datum der Zustellung der Hauptforderung in Höhe von … € - für „income tax I.Rentanoresidentes 2006“ - und der 28. Oktober 2010 als Datum der Festsetzung und der 3. März 2011 als Datum der Zustellung für eine Forderung von … € - für „income tax I.Rentanoresidentes.Expsancionador 2006“ - genannt. Der Gesamtbetrag der Forderungen wird in Höhe von … € dargestellt.
6
Unter dem Datum 27. Mai 2011 übersandte das FA dem Kläger eine Vollstreckungsankündigung über … € und der Klägerin eine solche über … €.
7
Hiergegen wandten sich die Kläger mit Schreiben vom 1. Juni 2011 (Eingang 6. Juni 2011 Frühleerung). Das FA setzte in der Folge die Beitreibung aus und informierte die spanischen Behörden über das BZSt, dass die Forderungen bestritten worden seien.
8
Die spanischen Behörden übersandten daraufhin die Dokumente, die dem Vollstreckungsersuchen zugrunde lagen. Danach waren in Folge einer in Bezug genommenen Veräußerung - angegeben sind als Vorgangsnummer für den Kläger … und für die Klägerin … - Steuerforderungen und Sanktionen wegen Nichtentrichtung der Steuerforderungen angefallen. In sämtlichen Dokumenten wird als Adresse der Kläger Bezug genommen auf Calle X in Y. Der Veräußerungsgewinn jedes Ehegatten in Höhe von … € wurde ermittelt, indem der Übertragungswert der Immobilie in Höhe von … € jeweils zur Hälfte auf die Kläger angerechnet wurde und hiervon jeweils Anschaffungswerte in Höhe von … € abgezogen wurden; abzüglich der einbehaltenen Vorauszahlung von … € wurde eine zu entrichtende Einkommensteuer von … € (zuzüglich Verzugszinsen von … €) ermittelt. Die Sanktion für die Nichtentrichtung der Steuer wurde mit … € festgesetzt.
9
Mit in spanischer Sprache dem BZSt übermitteltem Bericht vom 29. August 2011 nahm die ersuchende Behörde Stellung zu den Einwänden der Kläger und wies sie zurück. Nach der Übersetzung des BZSt, welche den Inhalt der Stellungnahme zusammenfasst, war am 11. Juni 2009 von der spanischen Steuerbehörde ein Prüf- und Feststellungsverfahren in Sachen Einkommensteuer 2006 wegen des Verkaufs der Immobilie Calle X in Y am … Mai 2006 eingeleitet worden. Am steuerlichen Sitz der Kläger in Spanien, welcher seit dem Erwerb der Immobilie unter der Adresse Calle X in Y geführt werde, sei eine Zustellung betreffend (Ermittlung und) Besteuerung des Veräußerungsgewinns nicht möglich gewesen, so dass eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung am 26. Mai 2009 erfolgt sei. Nach Abschluss der Prüfung sei eine Forderung in Höhe von … € aus der Besteuerung des Veräußerungsgewinns festgesetzt worden. Am 30. Juni 2009 seien auch ein Strafgeldverfahren eröffnet worden und Strafgelder in Höhe von … € verhängt worden. Die Nichterfüllung der Verpflichtung zur Mitteilung des steuerlichen Sitzes und dessen Wechsels könne nach Ansicht der spanischen Behörden nicht zur Verteidigung vorgebracht werden.
10
Den Klägern wurde mit Schreiben vom 14. November 2011 die Originalstellungnahme nebst zusammenfassender Übersetzung übersandt und empfohlen, ihre Einwände gegen die Festsetzung der Steuer in Spanien geltend zu machen.
11
Mit Schreiben vom 16. November 2011 beantragten die Kläger, die Vollstreckung einstweilen gemäß § 258 Abgabenordnung (AO) einzustellen. Sie trugen vor, sie hätten in Spanien zu keinem Zeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Eine Steuernummer sei ihnen nicht zugeteilt worden. Eine Veranlassung, eine Abmeldung oder ähnliches bei der spanischen Finanzverwaltung vorzunehmen, habe nicht bestanden. Von der Festsetzung spanischer Forderungen hätten sie erstmals mit Schreiben des FA vom 14. November 2011 Kenntnis erlangt.
12
Gegen die Ablehnung des Antrags auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung legten die Kläger am 23. November 2011 Einspruch ein. Das FA stellte daraufhin die Zwangsvollstreckung einstweilen gegen Vorlage einer Bankbürgschaft über die zu vollstreckenden Beträge ein (Bankbürgschaften der ..).
13
Das von den Klägern ab Mai 2012 in Spanien betriebene Verfahren gegen die Festsetzung der beizutreibenden Beträge blieb erfolglos. Mit Beschluss vom 30. Januar 2013 entschied der regionale Wirtschaftsverwaltungsgerichtshof der …, dass der Verwaltungseinspruch verspätet sei, weil die Zustellungen der spanischen Steuerverwaltung rechtmäßig erfolgt seien und die einmonatige Einspruchsfrist verstrichen sei. Nach den Ausführungen des Gerichts geht aus der (spanischen) Verwaltungsakte hervor, dass die Verwaltungsmaßnahme ihren Ursprung in dem von den Klägern erzielten Einkommen aus der am … Mai 2006 erfolgten Übertragung des Einfamilienhauses in der Calle X in Y habe. Weiter seien betreffend die Kläger Festsetzungsbeschlüsse über Einkommensteuer 2006 von Nichtansässigen ergangen mit zu zahlender Verbindlichkeit in Höhe von jeweils … € und zu zahlender Geldbuße von jeweils … €. Zustellungsversuche seien verzeichnet mit Datum vom 10. März 2010 in Calle X in Y mit dem Ergebnis „unbekannt“. Des Weiteren seien Vollstreckungsbescheide aus der Festsetzung von Einkommensteuer (in Höhe von … € und … €) erlassen worden und Zustellungsversuche verzeichnet mit Datum vom 1. und 2. Juli 2010 (Einkommensteuer) und 12. und 15. November 2010 (Verwaltungsstrafverfahren) ebenfalls an o.g. Adresse mit dem Ergebnis „unbekannt“. Hinsichtlich aller Zustellungen sei [wohl] die Bekanntmachung durch Veröffentlichung im BOE (Boletin oficial de Estado = span. Amtsblatt) erfolgt mit der Aufforderung, innerhalb von 15 Tagen am angegebenen Ort zwecks Zustellung der ausstehenden Mitteilungen zu erscheinen (wörtliche Übersetzung: „in der Veröffentlichung der Bekanntmachung der Zustellung durch Erscheinen im Rahmen von Artikel 112 des Allgemeinen Steuergesetzes im BOE … protokolliert“). Die Beschwerde der Kläger sei unzulässig, weil sie außerhalb der nicht verlängerbaren Frist von einem Monat eingereicht worden sei, wie sie Artikel 235.1 des Allgemeinen Steuergesetzes 58/2003 vorschreibe, und die in diesem Fall am Folgetag der Zustellung der angefochtenen Verwaltungsakte beginne. Nach Artikel 112 des Allgemeinen Steuergesetzes sei ein Zustellversuch ausreichend, wenn ein Empfänger oder dessen Vertreter am steuerlichen Wohnsitz nicht angetroffen werde. In diesem Falle werde der Steuerpflichtige oder sein Vertreter zur Zustellung durch Erscheinen über Bekanntmachungen geladen, die für jeden Betroffenen einmal im BOE veröffentlicht würden. Nach Artikel 11 der Neufassung des Gesetzes zur Einkommensteuer Nichtansässiger befinde sich bei auf spanischem Hoheitsgebiet nichtansässigen Steuerpflichtigen, wenn sie Einkünfte aus Immobilien erzielten, ihr steuerlicher Wohnsitz zur Erfüllung ihrer Steuerpflichten in Spanien, am steuerlichen Wohnsitz ihres Vertreters und, wenn nicht vorhanden, am Ort, an dem sich die Liegenschaft befinde. Danach stelle der Standort der Liegenschaft den steuerlichen Wohnsitz der Kläger dar und angesichts des Ergebnisses „unbekannt“ der erfolgten Zustellungsversuche sei die Veröffentlichung der Bekanntmachung zur Zustellung durch Erscheinen innerhalb einer Frist von maximal 15 Kalendertagen ab dem Tag der Veröffentlichung zulässig mit der Folge, dass die genannte Frist abgelaufen sei, ohne dass die Kläger erschienen seien, so dass die Zustellung ab dem Folgetag auf den Tag des Ablaufens der für das Erscheinen gesetzten Frist als erfolgt gelte. Damit seien die Beschwerden der Kläger vom 28. September 2012 weit außerhalb der nicht verlängerbaren Frist von einem Monat, beginnend am Folgetag der Zustellung, eingereicht worden.
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Mit Urteil vom 10. Februar 2015 des Obersten Gerichtshofes (Verwaltungskammer) der … wurde die Klage gegen die vorgenannte Entscheidung abgewiesen. Im Wesentlichen ging das Rechtsmittelgericht davon aus, dass „auf spanischem Hoheitsgebiet nicht ansässige Steuerzahler zu Zwecken der Erfüllung ihrer Steuerpflichten in Spanien ihren steuerlichen Sitz am steuerlichen Sitz des Vertreters und, falls nicht vorhanden, am Standort der entsprechenden Liegenschaft haben, wenn sie Einkünfte aus diesen Immobilien erzielen. Damit ist hier Gegenstand der Untersuchung, ob die Steuerbehörde nach den Zustellungsversuchen am letzten bekannten Wohnsitz und am steuerlichen Sitz des Steuerzahlers, in diesem Falle entsprechend dem vorstehend genannten Rechtssatz am Standort der Liegenschaft, sich rechtmäßig der öffentlichen Bekanntmachung bedienen darf, oder, wie die Klägerseite behauptet, die Zustellung an einen anderen, von den Rechtsmittelführern selbst nicht angegebenen Wohnsitz hätte richten müssen. Vor dem Hintergrund dieser Feststellungen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 43.3 des Allgemeinen Steuergesetzes 58/03 aufzeigt, dass die Steuerpflichtigen ihren steuerlichen Wohnsitz sowie Änderungen desselben in der Form und innerhalb der Fristen, die gesetzlich festgeschrieben sind, mitteilen müssen. Es bleibt hinzuzufügen, dass die Verfahren, die von Amts wegen von der Mitteilung über eine solche Änderung eingeleitet wurden, von der entsprechenden Behörde weiter mit dem ursprünglichen Wohnsitz betrieben werden können, wenn die Zustellungen im Rahmen dieser Verfahren entsprechend den Bestimmungen nach Art. 110 des genannten Rechtstexts erfolgen. Folglich hat die Kammer die Ansicht der Beklagten zu teilen, dass die Behauptung der Existenz eines anderen Wohnsitzes in Deutschland, den die Beteiligten der Verwaltungsbehörde nicht mitgeteilt haben, es nicht erlaubt, Zustellungen für ungültig zu erklären, die zum Zeitpunkt, in dem sie erfolgten, laut den Daten, über die die Steuerbehörde verfügte, korrekt waren. Die Kläger müssen damit die Folgen tragen, die sich aus dem Versäumnis der in Art. 48.3 des Allgemeinen Steuergesetzes angeführten Verpflichtung ergeben. Auf der anderen Seite kann von einer juristischen Schutzlosigkeit nicht die Rede sein, da sie in Spanien einen Vertreter hätten benennen können, selbst wenn sie dazu nicht verpflichtet gewesen sind, oder zumindest einen Wohnsitz für Zustellungen im Rahmen der durchgeführten Übertragung hätten angeben können. Sie entschieden sich jedoch dagegen, weshalb nun keine größere Sorgfalt bei der Ermittlung des Wohnsitzes von der Steuerbehörde gefordert werden kann.“ Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Entscheidungen wird auf diese (in deutscher Übersetzung) verwiesen.
15
Mit Schreiben vom 16. März 2015 beantragten die Kläger die Einstellung sämtlicher Vollstreckungsmaßnahmen und die Herausgabe der übergebenen Bankbürgschaften, weil die Vollstreckung der spanischen Steuerbescheide gegen den „ordre public“ verstoße. Insbesondere verstoße es gegen die öffentliche Ordnung, wenn die Steuerpflichtigen keine Gelegenheit hätten, die ausländischen Steuerbescheide auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Zustellversuche nach Deutschland seien nicht erfolgt, obwohl die deutsche Adresse in dem notariellen Vertrag über den Verkauf des spanischen Grundstücks genannt gewesen sei.
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Nach Rücksprache mit dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, wonach die öffentliche Zustellung nach spanischem Recht rechtmäßig gewesen sei, teilte das FA den Klägern mit Schreiben vom 19. Oktober 2016 - mit Rechtsbehelfsbelehrung:- mit, dass das Beitreibungsverfahren fortgesetzt werde. Der deshalb eingelegte Einspruch wurde - nachdem zwischenzeitlich weitere Leistungsgebote am 2. Dezember 2016 (hierbei jedoch über rückständige Beträge betreffend den Kläger und die Klägerin jeweils in Höhe von … €) und am 8. Februar 2017 (inhaltlich wie das Leistungsgebot vom 27. Mai 2011) ergangen waren und am 7. Dezember 2016 ein weiterer Antrag auf Einstellung der Vollstreckungsmaßnahmen gestellt worden war - mit Einspruchsentscheidung vom 29. März 2017 als unzulässig verworfen. Dabei ging das FA davon aus, dass die Zustellungen in Spanien ausweislich zweier Gerichtsentscheidungen rechtmäßig gewesen seien, weil die Kläger spanische Meldepflichten nicht eingehalten hätten, und damit die Beitreibung in Deutschland nicht gegen den „ordre public“ verstoße.
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Zur Begründung der dagegen gerichteten Klage tragen die Kläger im Wesentlichen Folgendes vor: Die formellen Voraussetzungen für eine Vollstreckung der spanischen Bescheide lägen nicht vor. Die Vollstreckungstitel seien nicht in deutscher Sprache vorgelegt worden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in dem Urteil vom 14. Januar 2010 C-233/08 (EuZW 2010, 146) entschieden, dass dem Empfänger eines Vollstreckungstitels dieser in einer Amtssprache des Mitgliedsstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz habe, zuzustellen sei, um ihn in die Lage zu versetzen, seine Rechte geltend zu machen. Schon § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Gesetz zur Durchführung der EG-Beitreibungsrichtlinie (in der Fassung vom 13. Dezember 2007, Bundesgesetzblatt - BGBl - I 2007, 2897, nachfolgend EG-BeitrG, außer Kraft getreten am 1. Januar 2012), das der Umsetzung zuletzt der diesem Gesetz zu Grunde liegenden Richtlinie 2008/55/EG des Rates vom 26. Mai 2008 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (kodifizierte Fassung), ABl. L 150 vom 10.06.2008 (nachfolgend EG-Beitreibungsrichtlinie - EG-BeitrRL -) dient, und Art. 7 und Art. 17 EG-BeitrRL sähen die Vorlage des Vollstreckungstitels und einer Übersetzung vor. Zwischenzeitlich verlangten § 10 Abs. 3 EU-BeitrG und Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen (ABlEU Nr. L 84/1, -EU-BeitrRL-) die Vorlage eines einheitlichen Vollstreckungstitels mit den dort geregelten Angaben. Gemäß § 20 EU-BeitrG (Art. 22 Abs. 1 EU-BeitrRL) sei der einheitliche Vollstreckungstitel in der Amtssprache des ersuchten Mitgliedsstaates zu übermitteln oder eine Übersetzung in diese Amtssprache beizufügen. Den Klägern seien erforderliche Leistungsgebote i.S. des § 254 Abs. 1 AO nicht zugestellt worden (vgl. FG Düsseldorf Beschluss vom 23. Juni 2000 18 V 524/00 A (AO), DStRE 2000, 1103, FG Hamburg Urteil vom 4. Februar 2010 3 V 254/09, EFG 2010, 848). Ob mit den spanischen Bescheiden ein Leistungsgebot i.S.d. § 254 AO verbunden sei (vgl. Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss vom 30. August 2010 VII B 48/10, BFH/NV 2010, 2235), könne mangels Vorlage dieser Bescheide in deutscher Sprache nicht geprüft werden. Auf jeden Fall seien die Bescheide nicht in Deutschland zugestellt worden. Die Vollstreckungsankündigungen vom 27. Mai 2011, 2. Dezember 2016 und 8. Februar 2017 seien keine Leistungsgebote, da auf die zu vollstreckenden Bescheide nicht Bezug genommen werde.
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Für einen Teil der Forderungen sei Zahlungsverjährung eingetreten. Hinsichtlich der erstmals mit den Vollstreckungsankündigungen vom 2. Dezember 2016 geltend gemachten Forderungen sei Zahlungsverjährung eingetreten. Diese würden die Kläger in Spanien geltend machen. Insoweit sei das Beitreibungsverfahren auszusetzen.
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Eine Vollstreckung der spanischen Bescheide in Deutschland verstoße gegen die öffentliche Ordnung („ordre public“). Denn die Steuerpflichtigen, gegen die die ausländischen Steuerbescheide vollstreckt werden sollten, hätten keine Gelegenheit gehabt, die ausländischen Steuerbescheide auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung sei anzunehmen, wenn der Vollstreckungstitel in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zu grundlegenden Prinzipien der deutschen Rechtsordnung stehe, so dass das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts nach deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen untragbar scheine (BFH-Urteil vom 3. November 2010 VII R 21/10, IStR 2011, 194). Es sei Sache des nationalen Rechts, zu befinden, ob das Zustandekommen des Vollstreckungstitels von der innerstaatlichen Rechtsordnung und innerstaatlichen Gerechtigkeitsvorstellungen so stark abweiche, dass eine Befolgung des Amtshilfeersuchens untragbar erscheine.
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Den spanischen Steuerbehörden seien aus der notariellen Urkunde vom … Mai 2006 über den Verkauf der Immobilie und aus der Steuererklärung Formular 211 vom … Juli 2006 die Nichtansässigkeit der Kläger in Spanien und die deutsche Adresse der Kläger bekannt gewesen. Auch in den Steuerfestsetzungen und Bescheiden über die Sanktionen werde festgestellt, dass die Kläger ihren Wohnsitz in Deutschland in der Z-Straße in A hätten. Zudem werde durch die zu vollstreckenden Bescheide eine Steuer festgesetzt, die darauf abstelle, dass der Steuerpflichtige in Spanien gerade nicht ansässig sei. Es sei für die spanischen Steuerbehörden offensichtlich, dass eine Zustellung der Bescheide an die Kläger unter der Adresse der von den Klägern verkauften Immobilie nicht möglich gewesen sei. Von der dann erfolgten öffentlichen Bekanntmachung der Bescheide hätten die Kläger keine Kenntnis erlangen können. Auch durch die in Spanien geführten Rechtsbehelfe und die Klage hätten die Kläger nicht erreichen können, dass die von den spanischen Steuerbehörden erlassenen Bescheide hinsichtlich der Gewinnermittlung und der Höhe überprüft würden. Insbesondere seien bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns offensichtlich die erheblichen nachträglich aufgewendeten Herstellungskosten nicht angesetzt worden, sondern nur der ursprüngliche Kaufpreis der renovierungsbedürftigen Immobilie angesetzt worden. Die Rechtsbehelfe und die Klage seien allein wegen einer angeblichen Verfristung abgewiesen worden. Nach Durchführung der Klageverfahren in Spanien seien weitere Rechtsmittel nicht mehr möglich gewesen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Verhinderung, eine Frist einzuhalten, sei in Spanien nicht möglich. Die fehlende Chance, die Bescheide der spanischen Steuerverwaltung auf deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen, verstoße eklatant gegen deutsche Rechtsgrundsätze und gegen Gerechtigkeitsvorstellungen, wie sie dem deutschen Rechtsstaat zugrunde lägen.
21
Berücksichtige man die zusätzlichen Investitionen von … €, hätte die jeweilige Steuerbemessungsgrundlage nicht über … € gelegen, wodurch die Einkommensteuerschuld bei einem Steuersatz von 15% durch die Vorauszahlung von anteilig … € abgedeckt gewesen sei. Vor diesem Hintergrund seien auch die festgesetzten Sanktionen, die für die Nichtentrichtung der fehlerhaft festgesetzten Steuerschuld erfolgten, überhöht und unverhältnismäßig gewesen. Zudem sei die Sanktion wegen Nichtzahlung der Einkommensteuer verhängt worden, von der die Kläger gar keine Kenntnis gehabt hätten.
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Vor Übersendung der Übersetzungen im Rahmen des Klageverfahrens seien den Klägern vom FA lediglich Dokumente in spanischer Sprache vorgelegt worden. Bei diesen habe es sich wohl um Zahlungsaufforderungen, Festsetzung von Einkommensteuer und Festsetzung von Strafgeldern gehandelt. Belege über die öffentlichen Bekanntmachungen seien ebenfalls nicht vorgelegt worden. Auch Leistungsgebote zu den zu vollstreckenden Beträgen seien den Klägern nun erstmals in deutscher Übersetzung vorgelegt worden; sie seien ihnen in Deutschland nicht zugestellt worden.
23
Die Kläger beantragen,
festzustellen, dass die Vollstreckung der in den Vollstreckungsersuchen mit dem Aktenzeichen … und mit dem Aktenzeichen … genannten Forderungen des spanischen Fiskus über jeweils insgesamt … € rechtswidrig ist, sowie den Beklagten zu verpflichten, an die Kläger die Bürgschaften der … Bank … vom 2. Dezember 2011 für die Klägerin in Höhe von … € und für den Kläger in Höhe von … € herauszugeben.
24
Der Beklagte (das Finanzamt) beantragt,
die Klage abzuweisen.
25
Es verweist zur Klageerwiderung im Wesentlichen auf Folgendes: Bereits am 14. November 2011 habe das FA die spanischen Bescheide samt Zustellungen sowie die Leistungsgebote zusammen mit einem Anschreiben dem damaligen steuerlichen Vertreter der Kläger übermittelt. Auch aufgrund der von den Klägern in Spanien über zwei Instanzen geführten Gerichtsverfahren sei diesen die Sach- und Rechtslage hinlänglich bekannt gewesen. Weder ergebe sich aus dem EuGH-Urteil vom 14. Januar 2010 C-233/08 (EuZW 2010, 146), dass ein Vollstreckungstitel in einem anderen Mitgliedsstaat stets in der Amtssprache dieses Mitgliedsstaates zuzustellen sei, noch würde ein Abweichen hiervon einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung begründen. Vielmehr habe der EuGH in dem Verfahren festgestellt, dass die Gerichte des Mitgliedstaates, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz habe, grundsätzlich nicht zuständig seien, die Vollstreckbarkeit des Vollstreckungstitels zu prüfen. Zwar habe der EuGH weiter festgestellt, dass im Rahmen der mit der Richtlinie 76/308 geschaffenen gegenseitigen Unterstützung dem Empfänger eines Vollstreckungstitels dieser Titel in einer Amtssprache des Mitgliedstaates, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz habe, zuzustellen sei, um ihn in die Lage zu versetzen, seine Rechte geltend zu machen. Da jedoch im vorliegenden Fall die Kläger gegen die Vollstreckungstitel in Spanien vorgegangen seien und hierbei vor den spanischen Finanzgerichten in der Frage der Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung unterlegen seien, sei die Frage, ob eine Zustellung in jedem Fall in der Sprache des ersuchten Mitgliedstaats vorzunehmen sei, nicht mehr entscheidungserheblich. Die Abfassung des Vollstreckungstitels in deutscher Sprache hätte vor dem Hintergrund der wirksamen Bekanntgabe in Spanien den Klägern keine günstigere Rechtsposition verschafft.
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Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung liege auch nicht vor, denn die Kläger hätten ausweislich der vorliegenden spanischen Gerichtsentscheidungen in Spanien geltende gesetzliche Verpflichtungen nicht eingehalten.
27
Nach spanischem Steuerrecht seien bei Grundstücksveräußerungen von sog. Nichtresidenten zunächst 5% des beurkundeten Kaufpreises als Quellensteuer an das spanische Finanzamt abzuführen gewesen und abgeführt worden. Im Veräußerungsvertrag sei darauf verwiesen worden. Es sei daher nicht unwahrscheinlich, dass der Notar die Kläger auf die damit zusammenhängenden weiteren steuerlichen Pflichten hingewiesen habe. Die Kläger hätten daher mit einem Tätigwerden der spanischen Steuerbehörden rechnen müssen und hätten entsprechende Vorsorge treffen müssen.
28
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt und die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze verwiesen. Auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 2020 wird Bezug genommen.
II.
29
Die Klage ist zulässig und begründet.
30
1. Die Feststellungsklage und die allgemeine Leistungsklage sind zulässig.
31
a) Als Prozesshandlung ist die Klage in gleicher Weise wie bürgerlich-rechtliche Willenserklärungen der Auslegung zugänglich, wobei nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln ist; auf die korrekte Bezeichnung des Rechtsbehelfs kommt es nicht an. Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH bei der Auslegung grundsätzlich davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige den Rechtsbehelf einlegen wollte, der seinen Belangen entspricht und der zu dem von ihm angestrebten Erfolg führen kann (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1985 I R 30/85, BFH/NV 1986, 675, m.w.N.). Prozesserklärungen sind daher so auszulegen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht (BFH-Urteile vom 8. November 1996 VI R 37/94, BFH/NV 1997, 363; vom 29. Oktober 1998 XI R 25/98, BFH/NV 1999, 633 m.w.N.). Es sind nicht ohne Weiteres die dem Finanzgericht (FG) möglicherweise sachdienlicher erscheinenden Prozesserklärungen als abgegeben anzunehmen. Vielmehr ist zu versuchen, das tatsächlich Gewollte zu erforschen. Erst wenn das scheitert, ist Raum für eine weitere Auslegung der Erklärung unter Berücksichtigung des wohlverstandenen Interesses des Klägers (BFH-Beschluss vom 28. Dezember 2010 X B 18/10, BFH/NV 2011, 624 m.w.N.).
32
b) Nach dieser Maßgabe erkennt der Senat zwar, dass die Kläger mit dem ersten Teil des Klagebegehrens vor allem erreichen wollen, dass das FA Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund des spanischen Beitreibungsersuchens unterlässt. Dies kommt für den Senat insbesondere in dem zunächst schriftsätzlich gestellten Antrag zum Ausdruck. Der Senat legt den ersten Teil des Klagebegehrens dennoch nicht als Antrag auf einstweilige Einstellung und auch nicht als vorbeugende Unterlassungsklage aus, weil diese nicht zu dem von den Klägern angestrebten Erfolgt führen würden bzw. unzulässig wären.
33
aa) Eine (Verpflichtungs-)Klage auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO liegt nach Auffassung des Senates nicht vor. Zwar hat das FA den Einspruch des Klägers in der Einspruchsentscheidung dahingehend verbeschieden. Jedoch würde eine lediglich einstweilige - und damit vorübergehende - Einstellung nicht zu dem von den Klägern angestrebten Erfolg der endgültigen Beendigung des Vollstreckungsverfahrens führen. Sie haben hierfür auch keine Gründe vorgetragen.
34
Aus diesem Grunde bestand auch keine Veranlassung, die Aufhebung des Bescheides über die Ablehnung des Antrags vom 19. Oktober 2016 sowie der Einspruchsentscheidung vom 29. März 2017 zu beantragen. Eine bestandskräftige Ablehnung der einstweiligen Einstellung der Vollstreckung nimmt dem Begehren der Kläger, die Vollstreckung endgültig zu verhindern, nicht das Rechtsschutzinteresse.
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bb) Der Senat geht auch nicht vom Vorliegen einer allgemeinen Leistungsklage in Gestalt einer vorbeugenden Unterlassungsklage aus.
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Für einen vorbeugenden Rechtsschutz in Form der Unterlassungsklage wäre angesichts des Rechtsschutzsystems der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein besonders intensives Rechtsschutzinteresse Voraussetzung (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 VII R 69/11, BFH/NV 2013, 739). Geht es darum, eine behördliche Maßnahme abzuwehren, bietet die FGO dem Rechtssuchenden neben Einspruch und Anfechtungsklage einstweiligen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) bzw. einstweilige Anordnung (§ 114 FGO). Für eine Unterlassungsklage wäre nur dann Raum, wenn das erstrebte Schutzziel mit diesen Rechtsbehelfen nicht erreicht werden kann, wenn also substantiiert und in sich schlüssig dargetan wird, durch ein bestimmtes, künftig zu erwartendes Handeln einer Behörde in den Rechten verletzt zu sein, und ein Abwarten der tatsächlichen Rechtsverletzung unzumutbar ist, weil die Rechtsverletzung dann nicht oder nur schwerlich wieder gutzumachen ist (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 VII R 69/11, BFH/NV 2013, 739 m.w.N.). Solche irreparablen Nachteile, die den Klägern drohen würden, wenn das FA Vollstreckungsmaßnahmen ergreifen würde und sie dann dagegen Einspruch einlegen bzw. nachfolgend Anfechtungsklage erheben und zugleich AdV beantragen würden, haben die Kläger nicht substantiiert dargelegt.
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c) Da den Klägern aber insgesamt daran gelegen ist, dass überhaupt nicht gegen sie vollstreckt werden soll, weil sie eine Vollstreckung des spanischen Titels für rechtswidrig nach dem Maßstab deutscher Verfassungsgrundsätze erachten, liegt nach Auffassung des Senats eine Feststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer künftigen Vollstreckung, vor.
38
aa) Dies ist nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig und entspricht der recht verstandenen Interessenlage der Kläger. Entsprechend lautet der Antrag in der mündlichen Verhandlung.
39
bb) Die Feststellungsklage ist zulässig, soweit es um die Feststellung der Rechtswidrigkeit weiterer, noch nicht durchgeführter Vollstreckungsmaßnahmen geht.
40
Eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer künftigen Vollstreckung, weil ein Beitreibungsersuchen keine wirksame Vollstreckungsgrundlage darstelle, ist auch nicht - unter dem Subsidiaritätsgrundsatz - unzulässig, weil die Rechtmäßigkeit dieses Ersuchens nicht bereits als Vorfrage in einem anhängigen Klageverfahren gegen eine bereits ergriffene Vollstreckungsmaßnahme zu klären ist (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 VII R 69/11, BFH/NV 2013, 739 m.w.N.). Vielmehr steht im Streitfall eine Vollstreckung aus dem umstrittenen Beitreibungsersuchen erstmalig bevor. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordert nach Auffassung des Senats deshalb bei der drohenden Verwertung der Bürgschaftserklärungen eine gerichtliche Klärung der Vollstreckungsvoraussetzungen im Vorhinein (vgl. BFH-Urteil vom 3. November 2010 VII R 21/10, BStBl II 2011, 401).
41
d) Die allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf die Herausgabe der Bürgschaften als zweiter Teil des Klagebegehrens, ist ebenfalls zulässig. Sie richtet sich damit nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes und ist deshalb nicht subsidiär zu einer Verpflichtungsklage.
42
2. Die Feststellungsklage, gerichtet auf die Feststellung der Unzulässigkeit der Vollstreckung aus den streitgegenständlichen spanischen Vollstreckungsersuchen, ist begründet.
43
a) Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor.
44
Aufgrund des Vollstreckungsersuchens der EU ist das FA formell zur Durchführung der erbetenen Maßnahme berechtigt, § 250 AO.
45
Das EG-BeitrG gilt für die Vollstreckung von Geldforderungen, die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft entstanden sind. Die beabsichtigte Vollstreckung betrifft Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen (§ 1 Nr. 7 EG-BeitrG), aber auch von Verwaltungsbehörden verhängte Geldstrafen und Geldbußen, die im Zusammenhang mit den vorbezeichneten Forderungen stehen, ausgenommen jedoch Sanktionen mit strafrechtlichem Charakter (§ 1 Nr. 9 EG-BeitrG). Die beabsichtigte Vollstreckung beruht auf vollstreckbaren Titeln des spanischen Fiskus, wobei ein Beitreibungsersuchen den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EG-BeitrG, genügt, wenn die ersuchende Behörde - wie im Streitfall - dem BZSt per E-Mail eine Datei übersendet, die im PDF-Format den Vollstreckungstitel der ersuchenden Behörde wiedergibt (BFH-Urteil vom 11. Dezember 2012 VII R 70/11, BStBl II 2013, 475; Lindwurm in AO-StB 2013, 102). Die spanische Behörde hat bestätigt, dass die Forderungen in ihrem Staat nicht angefochten sind (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EG-BeitrG) und dass in Spanien bereits Vollstreckungsverfahren auf Grund des Titels durchgeführt wurden und die Maßnahmen weder zur vollständigen Tilgung der Forderung geführt haben noch voraussichtlich führen werden (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EG-BeitrG). Das Erfordernis eines Leistungsgebotes ist nicht geregelt; nach § 4 EG-BeitrG reicht die Vorlage eines vollstreckbaren Titels. Jedoch hat der spanische Fiskus ausweislich des Akteninhaltes auch Leistungsgebote erlassen.
46
b) Die Beitreibung der in den Vollstreckungsersuchen genannten Forderungen verstößt jedoch gegen den „ordre public“.
47
aa) Nach Art. 6 Abs. 1 der EG-BeitrRL nimmt die ersuchte Behörde auf Antrag der ersuchenden Behörde nach Maßgabe der für die Beitreibung derartiger, in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, entstandener Forderungen geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften die Beitreibung von Forderungen vor, für die ein Vollstreckungstitel besteht.
48
Nach Art. 12 Abs. 3 der EG-BeitrRL ist der Rechtsbehelf, der sich gegen Vollstreckungsmaßnahmen in dem Mitgliedstaat richtet, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, bei der zuständigen Instanz dieses Mitgliedstaats nach Maßgabe seiner Rechts- und Verwaltungsvorschriften einzulegen.
49
(1) Diese Zuständigkeitsverteilung des Art. 12 Abs. 3 EG-BeitrRL ist die logische Konsequenz des Umstands, dass die Forderung und der Vollstreckungstitel auf der Grundlage des Rechts des Mitgliedstaats, in dem die ersuchende Behörde ihren Sitz hat, festgestellt bzw. erlassen worden sind, während für Vollstreckungsmaßnahmen in dem Mitgliedstaat, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, letztere nach den Art. 6 EG-BeitrRL die Vorschriften anwendet, die ihr nationales Recht für entsprechende Handlungen vorsieht, da diese Behörde am besten dazu in der Lage ist, die Rechtmäßigkeit einer Handlung nach Maßgabe ihres nationalen Rechts zu beurteilen (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Januar 2010 Kyrian C-233/08, Slg 2010, I-177-216 m.w.N. betreffend die identischen Vorschriften der Richtlinie 76/308/EWG).
50
Diese Zuständigkeitsverteilung erlaubt es der ersuchten Behörde grundsätzlich nicht, die Wirksamkeit und die Vollstreckbarkeit der Handlung oder der Entscheidung, um deren Beitreibung von der ersuchenden Behörde ersucht wird, in Frage zu stellen (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Januar 2010 Kyrian C-233/08, Slg 2010, I-177-216).
51
(2) Fällt somit die Entscheidung über die Begründetheit von Anfechtungen der Forderung oder des Vollstreckungstitels grundsätzlich in die ausschließliche Zuständigkeit der Instanzen des Mitgliedstaats, in dem die ersuchende Behörde ihren Sitz hat, so ist nicht auszuschließen, dass ausnahmsweise die Instanzen des Mitgliedstaats, in dem die ersuchte Behörde ihren Sitz hat, befugt sind, zu prüfen, ob die Vollstreckung dieses Titels insbesondere die öffentliche Ordnung dieses Mitgliedstaats beeinträchtigen würde, und gegebenenfalls die Gewährung der Unterstützung ganz oder teilweise zu versagen oder sie von der Einhaltung bestimmter Voraussetzungen abhängig zu machen (vgl. EuGH-Urteile vom 14. Januar 2010 Kyrian C-233/08, Slg 2010, I-177-216, und vom 26. April 2018 Donnellan C-34/17, ABl EU 2018, Nr. C 211, 5).
52
Von dem Grundsatz, dass die ersuchte Behörde (und ihm folgend das Finanzgericht) grundsätzlich nicht die materielle Richtigkeit der beizutreibenden Forderung und die Vollstreckbarkeit des Vollstreckungstitels zu überprüfen habe, besteht mithin eine Ausnahme, wenn die beizutreibende Forderung mit deutschen Rechtsvorstellungen schlechthin unvereinbar ist (sogenannter ordre public-Vorbehalt). Ein Verstoß gegen den ordre public ist gegeben, wenn der Vollstreckungstitel in einem nicht mehr hinnehmbaren Gegensatz zu grundlegenden Prinzipien der deutschen Rechtsordnung steht, so dass das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts nach deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen untragbar erscheint. Die deutschen Behörden und Gerichte müssen insoweit Anhaltspunkten eines von den Vollstreckungsmaßnahmen Betroffenen nachgehen (Bundesverfassungsgericht -BVerfG Beschluss vom 23. Mai 2019 1 BvR 1724/18, IStR 2019, 666 m.w.N.). Eine Vollstreckbarerklärung kann insbesondere nicht schon deshalb versagt werden, weil die ausländische Entscheidung in einem Verfahren erlassen worden ist, das von zwingenden Vorschriften des deutschen Prozessrechts abweicht. Ein Versagungsgrund ist vielmehr nur dann gegeben, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundsätzen des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maß abweicht, dass es nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (BFH-Urteil vom 3. November 2010 VII R 21/10, BStBl II 2011, 401, BGH-Urteil vom 26. August 2009 XII ZB 169/07, BGHZ 182, 188).
53
(3) Im Übrigen verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, der im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten. Darüber hinaus sind nach ständiger Rechtsprechung die Beschränkungen des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens eng auszulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 26. April 2018 Donnellan C-34/17, ABl EU 2018, Nr. C 211, 5 m.w.N.).
54
bb) Im Streitfall beeinträchtigt die Vollstreckung der Forderungen des ersuchenden Mitgliedstaates die öffentliche Ordnung des ersuchten Mitgliedstaates.
55
Die im Streitfall nach spanischem Recht vorgenommene Zustellung verstößt gegen die öffentliche Ordnung des ersuchten Mitgliedstaates. Sie weicht insbesondere von den Grundsätzen des deutschen Verfahrensrechts (im Hinblick auf die Garantie des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz -GGsowie die Gewährung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG) in einem solchen Maß ab, dass sie nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.
56
(1) Art. 19 Abs. 4 GG garantiert einen effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes gebietet eine Auslegung und Anwendung der die Einlegung von Rechtsbehelfen regelnden Vorschriften, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschweren. Die Fachgerichte dürfen den Anspruch auf gerichtliche Durchsetzung des materiellen Rechts nicht durch eine übermäßig strenge Handhabung verfahrensrechtlicher Vorschriften unzumutbar verkürzen (BVerfG-Beschluss vom 23. Mai 2019 1 BvR 1724/18, IStR 2019, 666 m.w.N.).
57
Art. 19 Abs. 4 GG verbietet den Rechtswegausschluss. Zwar dürfen Zugangsbeschränkungen zulässigerweise normiert werden, soweit sie nicht unzumutbar und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen sind. Daneben sind jedoch faktische Zugangserschwernisse beachtlich (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 233).
58
Klage- und Antragsfristen dienen zum einen der Rechtssicherheit, sind aber auch aus Gründen der Verwaltungseffizienz notwendig (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 235). Gegen Fristversäumnisse muss die Möglichkeit vorgehalten werden, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen. Im Regelfall wird eine Koppelung der Wiedereinsetzung mit der unverschuldeten Fristversäumung sachgerecht sein (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 235).
59
Eng damit verbunden ist das Problem der Bestandskraft von Verwaltungsakten. Die Verbindlichkeit eines nicht nichtigen Verwaltungsaktes, der innerhalb einer bestimmten Frist von den zur Anfechtung Legitimierten nicht angegriffen worden ist, gehört zu den wichtigsten Instituten des allgemeinen Verwaltungsrechts. Sie beruht auf dem Gedanken, in Form einer Anfechtungslast die Verantwortung des Berechtigten für die Wahrnehmung seiner Rechte herauszustellen und den Verstoß gegen diese Obliegenheit rechtsmindernd zu sanktionieren. Weder Art. 19 Abs. 4 GG noch ein grundrechtsunmittelbarer Rechtsschutz gebieten es, dass ein Rechtsschutzsuchender alle Fragen wenigstens einmal in einem mit allen rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten gerichtlichen Verfahren muss überprüfen lassen können, wenn er in einem vorausgehenden Verfahren oder Verfahrensabschnitt zurechenbar die Verteidigung seiner Rechte unterlassen hat (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 238). Von einer zurechenbaren Versäumung eigener Rechtsverteidigung kann nur dort gesprochen werden, wo der Regelungsgehalt und die Folgewirkungen des Verwaltungsakts während der Anfechtungsfrist erkennbar waren (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 239).
60
Die Verlautbarung staatlicher Akte, die regelnd die Außenrechtsbeziehungen gestalten, ist ein elementares Gebot des Rechtsstaats. Dabei gilt der Grundsatz, dass Normen durch Veröffentlichung in einem amtlichen Publikationsorgan und Einzelakte durch individuelle Bekanntgabe zur Kenntnis zu geben sind. Insbesondere die Fristgebundenheit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist funktional auf die Individualbekanntgabe bezogen (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 250). Jedoch befinden sich unter den Veröffentlichungstypen Mischformen. So ist für Verwaltungsakte die öffentliche Bekanntgabe (nur) gemäß besonderer Rechtsvorschrift vorgesehen (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 251).
61
Soweit die öffentliche Bekanntgabe trotzdem zugrunde gelegt wird, müssen ihre rechtsschutzverkürzenden Wirkungen dadurch ausgeglichen werden, dass ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens unter erleichterten Bedingungen gewährt wird (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 251).
62
Die ordnungsgemäße Einhaltung der Zustellungsvorschriften dient der Verwirklichung rechtlichen Gehörs. Dabei kann offenbleiben, ob jeder Zustellungsmangel zu einer Verfehlung dieses verfassungsrechtlich gebotenen Zweckes führt: jedenfalls ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, wenn eine öffentliche Zustellung erfolgt, ohne dass ihre Voraussetzungen gegeben waren und obwohl eine andere Form der Zustellung ohne weiteres möglich gewesen wäre (BVerfG-Beschluss vom 26. Oktober 1987 1 BvR 198/87, juris). Dem Adressaten gegenüber soll die Zustellung gewährleisten, dass er Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung darauf einrichten kann (vgl. BVerfG-Beschluss vom 15. Oktober 2009 1 BvR 2333/09, NJW-RR 2010, 421 m.w.N.).
63
(2) Die einfachgesetzlichen Regelungen der öffentlichen Bekanntgabe nach deutschem Steuerrecht sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung bilden diese verfassungsrechtlichen Überlegungen ab.
64
(a) Nach § 122 Abs. 3 Satz 1 AO darf ein Verwaltungsakt öffentlich bekannt gegeben werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist.
65
Nach § 9 Abs. 1 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) erfolgt eine Zustellung im Ausland
1.
durch Einschreiben mit Rückschein, soweit die Zustellung von Dokumenten unmittelbar durch die Post völkerrechtlich zulässig ist,
2.
auf Ersuchen der Behörde durch die Behörden des fremden Staates oder durch die zuständige diplomatische oder konsularische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland,
3.
auf Ersuchen der Behörde durch das Auswärtige Amt an eine Person, die das Recht der Immunität genießt und zu einer Vertretung der Bundesrepublik Deutschland im Ausland gehört, sowie an Familienangehörige einer solchen Person, wenn diese das Recht der Immunität genießen, oder
4.
durch Übermittlung elektronischer Dokumente, soweit dies völkerrechtlich zulässig ist.
66
Nach § 10 VwZG kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn
1.
der Aufenthaltsort des Empfängers unbekannt ist und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist,
2.
bei juristischen Personen, die zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet sind, eine Zustellung weder unter der eingetragenen Anschrift noch unter einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist oder
3.
sie im Fall des § 9 nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht.
67
(b) Die öffentliche Zustellung ist nur das „letzte Mittel“ und wegen des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar wäre (BVerfG-Beschluss vom 26. Oktober 1987 1 BvR 198/87, NJW 1988, 2361; BFH-Beschluss vom 9. August 2007 V B 149/06, BFH/NV 2007, 2310; BFH-Urteil vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998). Der Nachforschungspflicht genügt die Finanzbehörde i. d. R. durch Rückfrage beim Einwohnermeldeamt, der Polizei oder ggf. einem Bevollmächtigten (BFH-Urteile vom 15. Januar 1991 VII R 86/89, BFH/NV 1992, 81; vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998). Bei einer auf Verheimlichung des Aufenthaltsorts gerichteten Handlungsweise eines Zustellungsempfängers erscheint es unbillig und ungerechtfertigt, besonders eingehende Ermittlungen des Zustellenden zu fordern. In diesem Fall obliegt es dem Zustellungsempfänger, entweder dem Zustellenden seinen Aufenthaltsort mitzuteilen oder eine Person zu benennen, die ermächtigt ist, für ihn das zuzustellende Schriftstück in Empfang zu nehmen (BFH-Urteils vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998 m.w.N.).
68
(c) Diese Regelungen zu Grunde legend, hätte nach deutschem Recht bei den Klägern als Privatpersonen keine öffentliche Bekanntgabe erfolgen dürfen, weil deren Aufenthaltsort nicht unbekannt war. Vielmehr hätten in Deutschland die Möglichkeiten der Zustellung nach der EG-BeitRL an eine bekannte, im EU-Ausland befindliche Adresse ausgeschöpft werden müssen.
69
Zwar haben die Kläger den steuerlichen Sitz in Spanien nach Veräußerung der Immobilie nicht nach den Vorschriften des spanischen Rechts mitgeteilt (vgl. Urteil des obersten Gerichtshofs vom 10. Februar 2015 nach Art. 43.3 des Allgemeinen Steuergesetzes 58/03: „ihren steuerlichen Wohnsitz sowie Änderungen desselben in der Form und innerhalb der Fristen, die gesetzlich festgeschrieben sind, mitteilen müssen.“), was nach spanischem Recht nach einem Zustellversuch am Ort des vormaligen Immobilienbesitzes die öffentliche Zustellung rechtfertigte. Jedoch haben die Kläger nicht - wie nach deutscher Rechtsprechung erforderlich - versucht, sich der Besteuerung durch Verheimlichung ihres Aufenthaltsorts zu entziehen. Vielmehr war deren deutsche Adresse den spanischen Behörden während des gesamten Besteuerungsverfahrens bekannt (durch Angabe im Kaufvertrag vom … Mai 2006 sowie durch Angabe in der Erklärung „Einkommensteuer von Nichtansässigen Modell 211“, mit der Folge, dass die spanischen Behörden die deutsche Adresse der Kläger in den Bescheiden über die Steuerfestsetzung sowie die Sanktionsfestsetzung und auch in den Vollstreckungsersuchen angeben konnten).
70
(3) Der Senat erachtet diese Abweichung des spanischen Rechts vom deutschen Recht auch als so gravierend, dass sie nicht als in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann.
71
Denn durch die öffentliche Zustellung der Festsetzungen von Einkommensteuer und Sanktionen im Ausland waren die Kläger faktisch außerstande gesetzt, rechtzeitig Rechtsmittel gegen die Bescheide einzulegen. Den Klägern ist faktisch rechtliches Gehör nicht gewährt worden. Damit sind sie in ihren Grundrechten aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
72
(a) Die Erschwerung des Rechtsweges zu den spanischen Behörden und Gerichten hält der Senat nach deutschem Recht für unzumutbar und auch nicht durch Sachgründe gerechtfertigt und damit für einen Verstoß gegen das Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs.
73
Zwar erscheint dem Senat nicht unzumutbar, von Erwerbern von Immobilien in einem anderen EU-Mitgliedsstaat zu erwarten, dass sie sich über die mit dem Immobilienbesitz bzw. dessen Beendigung verbundenen Steuervorschriften kundig machen oder aber sachkundige Vertretung suchen. Ausweislich des Kaufvertrages vom … Mai 2006 wurden die Vertragsparteien von der Notarin sogar über die „gesetzlichen Vorhalte und Bestimmungen, darunter solche steuerlicher Art“ (Seite 7 der Urkunde) belehrt. Auch hätten die Kläger durch die Formulierung „Steuervorauszahlungen“ sowohl im Kaufvertrag vom … 1996 wie auch vom … Mai 2006 erkennen können, dass eine noch nicht vollständig erfüllte Steuerpflicht bestehen könnte. Zudem erscheint dem Senat plausibel, dass der spanische Fiskus aus Sachgründen der einfacheren Zustellung von Bescheiden an ausländische Immobilienverkäufer, die ihren Wohnsitz bei der Veräußerung nicht formgemäß angeben, die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung statt einer Zustellung nach der EG-BeitrRL für ausrerichend hält.
74
Jedoch erachtet der Senat steuerliche Pflichtverletzungen vor Ergehen von belastenden Verwaltungsakten nicht als hinreichende Rechtfertigung, die Grundrechte der Kläger auf rechtliches Gehör und effektiven Rechtsschutz nach Ergehen von belastenden Verwaltungsakten einschränken zu dürfen.
75
Der Senat zieht für diese Würdigung den Grundsatz von Treu und Glauben, insbesondere den Gedanken der Verwirkung heran.
76
Zwar kann es eine unzulässige Rechtsausübung darstellen, wenn der Zustellungsadressat, der einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat, sich auf die Fehlerhaftigkeit einer Ersatzzustellung an diesem scheinbaren Wohnsitz beruft (Bundesgerichtshof -BGH-Urteil vom 14. Mai 2019 X ZR 94/18, MDR 2019, 1275). Jedoch liegt im Streitfall weder ein Irrtum der spanischen Behörden über den tatsächlichen Lebensmittelpunkt der Kläger vor, noch - läge er vor - hätten die Kläger diesen bewusst und zielgerichtet herbeigeführt; sie haben ihre deutsche Adresse nicht einmal geheim gehalten.
77
Zudem gehört das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu den verwirkbaren Rechten. Verwirkbar ist nach allgemeinem Prozessrecht die einzelne prozessuale Befugnis und so auch das Recht erstmaliger Klageerhebung. Die Verwirkung folgt aus dem Gedanken von Treu und Glauben und ist damit Teil des Rechtsstaatsprinzips. Der bloße Ablauf einer längeren Zeit reicht dazu allerdings nicht aus. Hinzu kommen muss, dass der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen man von ihm vernünftigerweise eine Verfolgung seiner Rechte hätte erwarten dürfen. Davon wiederum kann nur gesprochen werden, wenn dem Klageberechtigten der belastende Hoheitsakt bekannt gemacht oder ihm die Kenntnisnahme sonst zumutbar war (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Stand Juli 2014, Art. 19 Abs. 4 Rz. 233; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 16. Juni 2015 2 BvR 2718/10, 2 BvR 1849/11, 2 BvR 2808/11, BVerfGE 139, 245).
78
(b) Vorgenannte Überlegungen werden ergänzt durch die Tatsache, dass im spanischen Recht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vorgesehen ist. Auch dies verstößt nach Ansicht des Senats gegen die öffentliche Ordnung.
79
Wird nämlich die Einspruchsfrist versäumt, so hängt die Durchsetzung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG davon ab, dass dem Beschuldigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird; dieses Rechtsinstitut dient damit in diesen Fällen des „ersten Zugangs“ zum Gericht unmittelbar und in stärkerem Maße als sonst der Verwirklichung verfassungsrechtlich verbürgter Rechtsschutzgarantien (BVerfG-Beschluss vom 10. Juni 1975 2 BvR 1018/74, BVerfGE 40, 91 unter Hinweis auf BVerfGE 38, 38; ferner BVerfGE 37, 96; 37, 101 f.; 41, 23 ff.).
80
Dementsprechend ist nach deutschem Recht unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 und 2 FGO jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Im spanischen Recht hingegen ist die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung nicht vorgesehen (und dementsprechend in den Urteilen nicht geprüft worden).
81
Der Senat stellt dabei nicht auf den konkreten Fall ab, wonach die Kläger mit dem in Spanien ab Mai bzw. September 2012 betriebenen Verfahren gegen die spanischen Bescheide auch nach deutschem Recht wegen Versäumens der Jahresfrist des § 56 Abs. 3 FGO keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätten mehr erreichen können (öffentliche Bekanntmachung der Einkommensteuer- und Sanktionsbescheide am 10. März 2010 bzw. der Leistungsgebote/Vollstreckungsbescheide zuletzt im Februar 2011).
82
c) Dieses Rechtsverständnis des Senats entspricht der Rechtsprechung des EuGH. Der im Streitfall verwirklichte Sachverhalt ist hinsichtlich der Möglichkeit der tatsächlichen Kenntnisnahme von den zu vollstreckenden Entscheidungen dem Sachverhalt, der dem EuGH-Urteil vom 26. April 2018 (Donnellan C-34/17, ABl EU 2018, Nr. C 211,5) zu Grunde liegt, vergleichbar. Das Gericht hält - aus den vom EuGH formulierten Rechtsgründen - ebenfalls den Ausnahmefall für gegeben, dass die Beitreibung durch den ersuchten Mitgliedstaat mit der Begründung abzulehnen ist, dass die Entscheidungen, mit der die Steuern und Geldbußen festgesetzt wurden, den Betroffenen nicht ordnungsgemäß zugestellt wurden, bevor beim BZSt und dem FA das Beitreibungsersuchen gestellt wurde.
83
aa) Denn im dem EuGH-Urteil zu Grunde liegenden Sachverhalt erließ eine griechische Zollstelle im April 2009 einen Bescheid über die Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Zigarettenschmuggels. Im Juni 2009 schickte die griechische Botschaft in Irland an Herrn Donnallan unter einer irischen Anschrift ein Einschreiben mit der Aufforderung, unverzüglich mit den griechischen Dienststellen Kontakt aufzunehmen, um wichtige Unterlagen entgegennehmen zu können. Im Juli 2009 verhängte die griechische Zollstelle im Nachgang zum Bescheid vom April dieselbe Geldbuße; diese wurde am selben Tag im Amtsblatt der Hellenischen Republik veröffentlicht. Im November 2009 übermittelten die griechischen Behörden den irischen Commissioners ein Beitreibungsersuchen betreffend die Geldbuße. Mit Schreiben der Commissioners ebenfalls vom November 2012 wurde Herr Donnellan aufgefordert, einen Betrag von insgesamt 1.507.971,88 € zu zahlen. Im Vollstreckungstitel war die Nummer des Reisepasses von Herrn Donnellan angegeben mit dem Vermerk, die Adresse sei bekannt. Nach fruchtlosen Bemühungen des Herrn Donnellan vom November 2012, weitere Angaben zur Entscheidung der griechischen Zollstelle zu erhalten, leitete er im Juni 2014 ein Verfahren vor dem High Court in Irland gegen die Beitreibung ein. Hierzu hat Herr Donnellan u. a. einen von einem Sachverständigen für griechisches Recht erstellten Bericht vorgelegt, wonach Herr Donnellan nur bis zum Ablauf von 90 Tagen nach der Veröffentlichung der Strafe im Amtsblatt der Hellenischen Republik die Entscheidung der Zollstelle hätte anfechten können (zum Ganzen EuGH-Urteil vom 26. April 2018 Donnellan C-34/17, ABl EU 2018, Nr. C 211,5).
84
bb) Hierzu hat der EuGH entschieden, dass unter diesen, vom vorlegenden Gericht im Ausgangsverfahren festgestellten Umständen der Betroffene dem Verfahren zur Vollstreckung des Beitreibungsersuchens nach der Richtlinie 2010/24, ungeachtet des Umstands, dass ihm der Bescheid über die fragliche Geldbuße nicht zugestellt wurde, unterliegt. Der Betroffene befindet sich damit in einer Situation, in der die ersuchte Behörde von ihm verlangt, die Geldbuße zuzüglich Zinsen und Kosten sowie Verzugszinsen zu zahlen, obwohl er die Entscheidung, mit der die Geldbuße gegen ihn verhängt wurde, mangels ausreichender Kenntnis ihres Inhalts und ihrer Gründe im Mitgliedstaat der ersuchenden Behörde nicht anfechten konnte. Ein Sachverhalt, bei dem die ersuchende Behörde die Beitreibung einer Forderung beantragt, die auf einer dem Betroffenen nicht zugestellten Entscheidung beruht, erfüllt nicht die in Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2010/24 genannte Anforderung an ein Beitreibungsersuchen. Da nach dieser Vorschrift kein Beitreibungsersuchen im Sinne der Richtlinie gestellt werden kann, solange die Forderung und/oder der Titel für ihre Vollstreckung im ersuchenden Mitgliedstaat angefochten werden, kann ein solches Ersuchen auch dann nicht gestellt werden, wenn der Betroffene gar keine Kenntnis von der Forderung erlangt hat, da die Kenntnis von ihr eine notwendige Vorbedingung dafür darstellt, dass gegen sie vorgegangen werden kann (zum Ganzen EuGH-Urteil vom 26. April 2018 Donnellan C-34/17, ABl EU 2018, Nr. C 211,5).
85
cc) Auch im Streitfall haben die Kläger als Adressaten der streitgegenständlichen Bescheide diese nicht tatsächlich erhalten und waren nicht in die Lage versetzt worden, ihre Rechte im ersuchenden Mitgliedstaat wirksam geltend zu machen.
86
Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass auch die Kläger erst an dem Tag, als ihnen das vom FA mit Schreiben vom 27. Mai 2011 eine Vollstreckungsankündigung übermittelte, von den im Juni und Oktober 2010 festgesetzten und beizutreibenden Forderungen erfahren haben. Dementsprechend haben sie sich mit Schreiben vom 1. Juni 2011 dagegen gewandt. Wie im Fall Donnellan waren die Bescheide auch im Streitfall durch Veröffentlichung im Amtsblatt des ersuchenden Mitgliedsstaates zugestellt worden und es endete die Rechtsbehelfsfrist durch Ablauf einer bestimmten Frist nach Veröffentlichung. Im Fall Donnellan war jedoch dieser sogar durch ein Anschreiben an seine Heimatanschrift vor der Bekanntmachung durch Veröffentlichung aufgefordert worden, Kontakt mit den griechischen Behörden aufzunehmen; im vorliegenden Streitfall genügte ein Nichtantreffen an der Anschrift der in Spanien belegenen (veräußerten) Liegenschaft, um eine Bekanntgabe durch Veröffentlichung zu veranlassen. Auch im vorliegenden Streitfall war die deutsche Adresse der Kläger den Behörden des ersuchenden Staates bekannt.
87
Dass nach spanischem Recht die Zustellung der streitgegenständlichen Bescheide gesetzeskonform erfolgte, führte nicht - wie erforderlich - zur Möglichkeit der tatsächlichen Kenntnisnahme von den streitgegenständlichen Bescheiden. Auch der EuGH ist trotz öffentlicher Bekanntmachung in Griechenland und trotz vorher in Irland übermittelten Schreibens mit der Aufforderung, unverzüglich mit den griechischen Dienststellen Kontakt aufzunehmen, um wichtige Unterlagen entgegenzunehmen, davon ausgegangen, dass die Entscheidung über die Geldbuße dem irischen Kläger nicht zugestellt worden ist (EuGH-Urteil vom 26. April 2018 Donnellan C-34/17, ABl EU 2018, Nr. C 211,5 Rz. 57).
88
d) Ob die Nichtvorlage der Vollstreckungstitel in deutscher Sprache zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung führt, kann im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen dahingestellt bleiben.
89
Ohnehin hätten die Kläger wegen der in Spanien nach dem spanischen Recht bereits abgelaufenen Rechtsbehelfsfrist durch einen, nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist in deutscher Sprache vorgelegten Titel ihre Rechte nicht mehr wahren können. Mithin war die fehlende deutsche Übersetzung jedenfalls nicht ursächlich für die nicht rechtzeitig eingelegten Rechtsbehelfe.
90
e) Dem Hinweis der Kläger, das Verfahren sei wegen der teilweisen Verjährung von Forderungen bis zum Abschluss eines noch durchzuführenden Verfahrens im ersuchenden Mitgliedstaat auszusetzen, war vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen nicht nachzukommen.
91
aa) Nach Art. 14 Satz 1 Buchst. b EG-BeitrRL ist die ersuchte Behörde nicht verpflichtet, die in den Artikeln 4 bis 13 vorgesehene Unterstützung zu gewähren, sofern das ursprüngliche Ersuchen nach Artikel 4, 5 oder 6 sich auf Forderungen bezieht, die älter als fünf Jahre sind, ab dem Zeitpunkt der Ausstellung des Vollstreckungstitels nach den in dem Mitgliedstaat, in dem die ersuchende Behörde ihren Sitz hat, geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder der dort üblichen Verwaltungspraxis, bis zum Datum des Ersuchens.
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bb) Im Streitfall sind die Forderungen, auf die sich die Ersuchen beziehen, nicht älter als fünf Jahre. Denn die zu vollstreckenden Bescheide wurden (ausweislich der Angaben in den Vollstreckungsersuchen) am 17. Juni bzw. 28. Oktober 2010 ausgestellt und am 29. November 2010 bzw. am 3. März 2011 zugestellt, und das Ersuchen ging beim Bundeszentralamt für Steuern am 5. April 2011 ein. Damit war die fünfjährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen.
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3. Die allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf die Herausgabe der Bürgschaften, ist ebenfalls begründet.
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Da - wie dargestellt - die Vollstreckung aus den streitgegenständlichen Vollstreckungsersuchen rechtswidrig ist, besteht kein Recht des FA, die Bürgschaftserklärungen weiterhin zu behalten. Es ist zu deren Herausgabe verpflichtet.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 Zivilprozessordnung.
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5. Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO).