Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 04.05.2020 – 1 ZBR 36/20
Titel:

Verwerfungskompetenz bezüglich einer dem Obersten Landesgericht vorgelegten aber einer nicht zugelassenen Rechtsbeschwerde

Normenketten:
EGGVG § 8 Abs. 1
GVG § 133
AGGVG Art. 11 Abs. 1
EGZPO § 7 Abs. 1
ZPO § 542 Abs. 2 S. 1, § 575 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Legt ein bayerisches Gericht eine von ihm nicht zugelassene Rechtsbeschwerde dem Obersten Landesgericht vor, so liegt die Verwerfungskompetenz mangels Bindungswirkung der Vorlageverfügung beim Bundesgerichtshof (entgegen BayObLG, Beschluss vom 19. Februar 2004, 2Z BR 25/04; Beschluss vom 28. Mai 2002, 1Z BRH 2/02; Beschluss vom 7. Mai 2002, 1Z BR 51/02; Beschluss vom 6. März 2002, 1Z BR 31/02, jeweils juris). (Rn. 12)
Schlagworte:
Beschwerde, Beschwerdegericht, nachträgliche Zulassung, Nichtzulassung, Verwerfung, Vorlageverfügung, Bindungswirkung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 8286

Tenor

Die Sache wird an das Landgericht Regensburg zurückgegeben.

Gründe

I.
1
Mit Antragsschrift vom 18. Oktober 2019 hat der Rechtsbeschwerdeführer beim Amtsgericht Straubing den Erlass einer Eilanordnung begehrt, mit der die Rechtsbeschwerdegegnerin verpflichtet werden sollte, die Pflege und Versorgung des Rechtsbeschwerdeführers durch den Kreisverband, in dessen Gebiet er wohnt, trotz einer ausgesprochenen Kündigung fortzusetzen. Diesen Antrag hat das Amtsgericht - nach kontroversem Schriftwechsel der Parteien - mit Beschluss vom 18. November 2019 zurückgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Landgericht Regensburg mit Beschluss vom 10. Dezember 2019 zurückgewiesen.
2
Gegen die Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Dezember 2019 an das Landgericht, mit dem er - so wörtlich - „eine Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2; 522, 579 Abs. 1 ZPO“ „vorträgt“ und beantragt, die Kündigungen der Gegenseite unverzüglich als nichtig aufzuheben und den „Pflegenotstand zum 10. Januar 2020 zu beenden“. Er meint, die Entscheidung des Landgerichts sei von Amts wegen aufzuheben, denn sie sei unter Verstoß gegen Grund- und Menschenrechte ergangen.
3
Das Landgericht hat gemäß Beschluss vom 14. Februar 2020 unter Verweis auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht abgeholfen und die Sache an das Oberlandesgericht Nürnberg vorgelegt. Dieses hat das Verfahren an das Landgericht zurückgegeben mit der Begründung, eine Zuständigkeit als Beschwerdegericht bestehe dort nicht; das Rechtsmittel könne nicht in eine (nicht statthafte) sofortige Beschwerde umgedeutet werden; Rechtsbeschwerdegericht sei gemäß Art. 11 AGGVG i. V. m. § 8 Abs. 1 EGGVG das Bayerische Oberste Landesgericht.
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Daraufhin hat das Landgericht mit Verfügung vom 11. März 2020 die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
5
Das Verfahren ist an das Landgericht zurückzugeben, weil keine Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts besteht.
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1. Gemäß § 133 GVG ist in Zivilsachen der Bundesgerichtshof zur Entscheidung über Rechtsbeschwerden zuständig. Dem mit Wirkung vom 15. September 2018 (erneut) errichteten Bayerischen Obersten Landesgericht (Gesetz zur Errichtung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 12. Juli 2018 [BayGVBl 13/2018, S. 545]) ist gemäß § 8 EGGVG, Art. 11 Abs. 1 AGGVG die Verhandlung und Entscheidung über die zur Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs gehörenden und übertragbaren (Revisionen und) Rechtsbeschwerden in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zugewiesen. Zulässig ist die Kompetenzübertragung auf ein oberstes Landesgericht gemäß § 8 Abs. 2 EGGVG für Rechtsstreite nur, wenn im wesentlichen Rechtsnormen, die in den Landesgesetzen enthalten sind, inmitten stehen.
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Danach besteht für die vorliegende Sache keine Entscheidungskompetenz des Obersten Landesgerichts. Der Rechtsstreit betrifft Dienstvertragsrecht, mithin eine bundesgesetzlich geregelte Materie. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es um die Anwendung landesrechtlicher Bestimmungen, etwa des Gesetzes über die Rechtsstellung des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK-Gesetz) vom 16. Juli 1986 (GVBl. S. 134), gehe. Der Streit betrifft nicht die dort geregelte Materie, sondern nach dem wechselseitigen Vorbringen der Parteien die Auflösung eines privatrechtlich ausgestalteten Dienstvertrags.
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2. Eine Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist auch nicht durch die Verfügung des Landgerichts vom 11. März 2020 begründet worden. Die Vorlageverfügung kann nicht gleichgesetzt werden mit einer - das Oberste Landesgericht bindenden - Entscheidung gemäß § 7 Abs. 1 EGZPO.
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Nach § 7 Abs. 1 EGZPO hat das Gericht, das die Rechtsbeschwerde zulässt, gleichzeitig über die Zuständigkeit für die Verhandlung und die Entscheidung über das Rechtsmittel zu entscheiden. Eine solche Entscheidung ist für das Oberste Landesgericht und den Bundesgerichtshof bindend.
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Vorliegend hat das Landgericht im angefochtenen Beschluss vom 10. Dezember 2019 die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, denn das Schweigen des Beschwerdegerichts bedeutet Nichtzulassung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2014, IX ZB 48/13, NJW-RR 2014, 639 Rn. 7 f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 4. Februar 2005, 2 Wx 124/04, juris Rn. 3).
11
Die Verfügung, mit der ein bayerisches Gericht eine von ihm nicht zugelassene Rechtsbeschwerde dem Obersten Landesgericht vorlegt, stellt keine Entscheidung i. S. v. § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO dar und kann keine Bindungswirkung nach § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO entfalten. Sie enthält weder ausdrücklich noch konkludent eine - ohnehin im hier vorliegenden Verfahrensstadium unzulässige, weil nachträgliche - Zulassung der Rechtsbeschwerde. Die Zulassungsentscheidung ist eine gebundene Willensbetätigung des Beschwerdegerichts, der eine Prüfung der Zulassungsgründe vorauszugehen hat und die im Sinne der Rechtsmittelklarheit mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Richterspruch hervorzugehen hat (BGH, NJW-RR 2014, 639 Rn. 7). Die Vorlage durch das - vom vorlegenden Gericht selbst für nicht zulässig erachteten - Rechtsmittels an ein übergeordnetes Gericht genügt nicht. Dementsprechend beinhaltet die Vorlage an das Oberste Landesgericht auch keine Entscheidung über das im dritten Rechtszug zuständige Gericht.
12
3. Eine Rechtsbeschwerde im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen eine - wie hier - im Beschlusswege ergangene Entscheidung ist wegen des durch § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO begrenzten Instanzenzugs selbst dann nicht statthaft, wenn das Beschwerdegericht - anders als im Streitfall - die Rechtsbeschwerde zugelassen hätte (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2019, I ZB 75/19, juris Rn. 3; Beschluss vom 27. Februar 2003, I ZB 22/02, BGHZ 154, 102 [juris Rn. 5 und 9]). Die Kompetenz zur Verwerfung des unzulässigen Rechtsmittels liegt allerdings gemäß § 133 GVG beim Bundesgerichtshof, da - wie unter 1. ausgeführt - kein Ausnahmetatbestand des § 8 Abs. 2 EGGVG vorliegt. Entgegen früherer Rechtsprechung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. Februar 2004, 2Z BR 25/04, juris Rn. 7 f.; Beschluss vom 28. Mai 2002, 1Z BRH 2/02, juris Rn. 5; Beschluss vom 7. Mai 2002, 1Z BR 51/02, juris Rn. 6; Beschluss vom 6. März 2002, 1Z BR 31/02, juris Rn. 5) besteht daneben keine Verwerfungskompetenz des Bayerischen Obersten Landesgerichts. Der Rechtsbeschwerdeführer hat auch nicht etwa durch Einreichung der Beschwerdeschrift beim Bayerischen Obersten Landesgericht (vgl. § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zum Ausdruck gebracht, dass er eine Entscheidung eben dieses Gerichts anstrebe.
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Die Sache ist daher an das vorlegende Gericht zurückzugeben.