Inhalt

VG München, Beschluss v. 10.03.2020 – M 10 E 19.6205
Titel:

Vorläufige Erteilung einer Ausbildungsduldung als unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache

Normenketten:
VwGO § 123
AufenthG § 60a, § 60c, § 60d
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsatz:
Den Ausländer trifft hinsichtlich der Maßnahme zur Identitätsklärung nicht nur die von der Behörde eingeforderte Mittwirkungspflicht, sondern auch eine sog. Initiativpflicht dahingehend, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, um das Ausreisehindernis zu beseitigen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung, Ausbildungsduldung, Beschäftigungserlaubnis, gambischer Staatsangehöriger, Vorwegnahme der Hauptsache, Berufsausbildung, Passersatzpapierbeschaffungsverfahren, Identitätsklärung, Aufenthaltsbeendigung, Beschäftigungsduldung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 10.03.2020 – M 10 K 19.6204
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 02.06.2020 – 10 CE 20.931, 10 C 20.934
Fundstelle:
BeckRS 2020, 7929

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens in Nummer I. zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
IV. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe in den Verfahren M 10 E 19.6205 und M 10 K 19.6204 wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die vorläufige Erteilung einer Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis zum Zwecke der Aufnahme einer Berufsausbildung zum Bäcker.
2
Der Antragsteller ist gambischer Staatsangehöriger. Er reiste am 8. Mai 2015 in die Bundesrepublik ein und stellte hier am 2. September 2015 einen Asylantrag. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 21. März 2017 wurde der Antrag abgelehnt.
3
Mit Bescheid vom 12. September 2017 forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, ihm einen Pass oder Passersatz vorzulegen. Alternativ wurde er verpflichtet, ein beigefügtes Passersatzantragsformular auszufüllen und dem Antragsgegner zu übermitteln.
4
Da der Antragsteller diesen Aufforderungen nicht nachkam, leitete der Antragsgegner mit Schreiben vom 28. November 2017 gegenüber der Zentralen Ausländerbehörde Oberbayern (Regierung von Oberbayern) ein Passersatzpapier-Verfahren (PEP-Verfahren) ein, wobei der Antrag auf Ausstellung eines Passersatzes von Amts wegen ausgefüllt worden war.
5
Mit Schreiben vom 14. Juni 2019, bei dem Antragsgegner eingegangen am 16. Juni 2019, beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers die Umverteilung des Antragstellers nach … im Landkreis Berchtesgadener Land aufgrund einer bevorstehenden Lehrstelle als Bäcker bei der Bäckerei … am Standort … Zudem führte er aus, der Antragsteller kümmere sich auch weiterhin um die Erlangung von Ausweispapieren und habe entsprechende Papiere beantragt bzw. werde weitere Unterlagen einreichen.
6
Unter dem 18. Juni 2019 stellte das Polizeipräsidium … … dem Antragsgegner Kosten für einen gescheiterten Transport des Antragstellers in Rechnung, der nicht durchgeführt werden konnte, da der Antragsteller nicht angetroffen wurde. Laut Behördenakte handelte es sich dabei um eine Zwangsvorführung bei Vertretern der Gambischen Republik.
7
Mit Schreiben vom 28. Juni 2019, bei dem Antragsgegner eingegangen am 1. Juli 2019, stellte der Antragsteller bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Durchführung des Passersatzpapierbeschaffungsverfahrens. Er gab an, sich schon im Jahr 2017 um einen Pass bemüht zu haben, ihm sei jedoch nicht bewusst gewesen, wie wichtig ein solcher sei.
8
Mit Schreiben vom 22. Juli 2019 stellte der Bevollmächtigte des Antragstellers nochmals ausdrücklich einen Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung.
9
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2019 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an.
10
Mit Bescheid vom 26. November 2019 lehnte der Antragsgegner nach der damaligen Rechtslage die beantragte Beschäftigungserlaubnis zur Aufnahme einer Berufsausbildung in Verbindung mit der Ausstellung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG (Ausbildungsduldung) ab (Nr. 1 des Bescheids) und versagte in Nr. 2 des Bescheids die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für eine Berufsausbildung in Verbindung mit der Ausstellung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (Ermessensduldung).
11
Begründet wurde der Bescheid damit, dass beim Antragsteller die Voraussetzungen des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vorlägen, da aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus Gründen, die der Antragsteller selbst zu vertreten habe, nicht vollzogen werden könnten. Im Folgenden werden mehrere Sachverhalte aufgezählt, die der Antragsgegner jeweils als Versagungsgründe i.S.v. § 60a Abs. 6 Satz 2 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 AufenthG wertete, so z.B. eine fehlende Mitwirkung des Antragstellers an der Beschaffung von Pass- oder Passersatzpapieren.
12
Mit Schreiben vom 13. Dezember 2019 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragt, den Bescheid des Antragsgegners vom 26. November 2019 aufzuheben (Nr. 1), den Antragsgegner dazu zu verpflichten, dem Antragsteller die Tätigkeit als Bäckerlehrling im Rahmen der Ausbildungsduldung zu erteilen (Nr. 2) und den Antragsgegner dazu zu verpflichten, dem Antragsteller die Tätigkeit als Bäcker im Rahmen der Ermessensduldung zu erteilen (Nr. 3). Zudem beantragt er im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (sinngemäß):
13
Der Antragsgegner wird dazu verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig eine Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis zur Aufnahme der Berufsausbildung zum Bäcker bei der Firma … in … zu erteilen.
14
Zur Begründung wird vorgetragen, es sei zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller nach anfänglichem Zögern maßgeblich um die Klärung seiner Identität bemüht habe und alle Angaben gemacht habe, die der Antragsgegner angefordert habe. Der Kläger könne aufgrund des Fehlens einer Botschaft oder Konsulate des Staates Gambia in der Bundesrepublik Deutschland keinen Pass beschaffen. Der Antragsgegner könne dem Antragsteller die Genehmigung auch vorläufig erteilen und mit Auflagen und Weisungen versehen. Der Antragsgegner sei an Art. 12 GG gebunden und habe vor allem auf die Möglichkeit der Auflagen und der Vorläufigkeit abstellen müssen. Selbst wenn der Antragsteller in früheren Zeiten nicht ausreichend mitgewirkt haben sollte, habe er sich doch bei und nach der Antragstellung vom 14. Juni 2019 ausreichend und umfassend um die Identitätsklärung bemüht. Der Lehrherr wolle den Antragsteller auch weiterhin für seinen Betrieb haben.
15
Mit der Antragsschrift wurde ein Ausbildungsvertrag zwischen dem Antragsteller und dem genannten Unternehmen vorgelegt, in dem eine Ausbildungszeit vom 1. August 2019 bis zum 31. Juli 2022 vereinbart wurde.
16
Mit Schreiben vom 13. Januar 2019 beantragt der Antragsgegner:
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Der Antrag wird abgelehnt.
18
Zur Begründung wird vorgetragen, die Identität des Antragstellers sei ungeklärt. Eine ausreichende Mitwirkung des Antragstellers zwecks Ausstellung eines Heimreisedokuments bzw. der Klärung der Identität sei nicht erfolgt.
19
Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2019 teilte der Antragsgegner mit, dass der Antragsteller für den 14. Januar 2020 erneut zu einer Anhörung bei Vertretern der Republik Gambia vorgeladen worden war und er diesen Termin wahrgenommen habe. Dabei habe der Antragsteller seine gambische Staatsangehörigkeit glaubhaft machen können. Die gambischen Behörden hätten die Ausstellung eines Heimreisescheins in Aussicht gestellt. Es seien daher zum wiederholten Male konkrete aufenthaltsbeendende Maßnahmen gegen den Antragsteller eingeleitet worden. Das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen habe im Nachgang zu dieser Anhörung ausdrücklich mitgeteilt, dass durch das Ergebnis die Identität des Antragstellers nicht festgestellt worden sei.
20
Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2020 beantragt der Bevollmächtigte des Antragstellers:
21
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des Bevollmächtigten gewährt.
22
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte - auch im Verfahren M 10 K 19.6204 - sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
A.
23
Der zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Mit der begehrten einstweiligen Anordnung würde eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache eintreten.
24
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung) oder auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes, wenn dies nötig erscheint, um wesentliche Nachteile für den Antragsteller abzuwenden (sog. Regelungsanordnung). Nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO sind sowohl ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz sucht, als auch ein Anordnungsgrund, der insbesondere durch die Eilbedürftigkeit der Regelung begründet wird, glaubhaft zu machen.
25
Aber selbst bei Vorliegen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht die zwingende Folge. Stattdessen ist es dem Gericht regelmäßig verwehrt, mit seiner Entscheidung die Hauptsache vorwegzunehmen. Denn es würde dem Wesen und dem Zweck einer einstweiligen Anordnung widersprechen, wenn einem Antragsteller in vollem Umfang das gewährt würde, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen kann. Das Gericht ist vielmehr gehalten, die Rechtslage für die Beteiligten trotz Erlass einer Regelung offen zu halten. Allerdings gilt im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot eines effektiven Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung dann nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die Ablehnung der begehrten Entscheidung für den Antragsteller mit unzumutbar schweren, anders nicht abwendbaren Nachteilen verbunden wäre und mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist (vgl. u.a. Bostedt in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 123 VwGO Rn. 85).
26
Die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung stellt eine Vorwegnahme der Hauptsache dar. Im Kern möchte der Antragsteller sowohl in der Hauptsache, als auch im vorliegenden Eilverfahren erreichen, eine Ausbildung zum Bäcker bei einem konkret bezeichneten Betrieb absolvieren zu können. Wird dem Antragsteller nun wie beantragt erlaubt, die Lehre vorläufig beginnen zu dürfen, absolviert er bis zu Entscheidung in der Hauptsache bereits einen Teil der vorgeschriebenen Ausbildungsdauer und rückt bei Erfüllung der übrigen Anforderungen in das nächste bzw. übernächste Lehrjahr vor. Damit tritt insoweit eine endgültige Regelung ein.
27
Da nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Obsiegen in der Hauptsache auszugehen ist, ist diese Vorwegnahme unzulässig.
28
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag im einstweiligen Rechtsschutz ausdrücklich nur die Aufnahme der Ausbildung zum Bäcker, sodass Gegenstand der Prüfung allein die Erfolgsaussicht der Klage auf Erteilung einer Ausbildungsduldung und zugehöriger Beschäftigungserlaubnis ist.
29
I. Der Antragsteller hat nach vorläufiger Prüfung keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung und einer Beschäftigungserlaubnis.
30
Seit 1. März 2020 richtet sich die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60c Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für das Bestehen eines Anspruchs ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, sodass auf die aktuelle Rechtslage abzustellen ist.
31
1. Der Erteilung aller Ausbildungsduldung stehen Erteilungsverbote nach § 60c Abs. 2 AufenthG entgegen.
32
a) Zum einen steht der Erteilung § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG entgegen.
33
Nach § 60 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AufenthG darf eine Ausbildungsduldung nicht erteilt werden, wenn die Identität eines Ausländers, der bis zum 31. Dezember 2016 eingereist ist, bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung nicht geklärt ist. Dies ist hier der Fall, da der Antragsteller vor dem 31. Dezember 2016 eingereist ist und bis zur Beantragung der Ausbildungsduldung keine geeigneten Identitätspapiere vorgelegt hat, durch die die Identität regelmäßig nachgewiesen wird (Dollinger in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 60c AufenthG Rn. 32).
34
Vorliegend greift auch die Fiktion des § 60c Abs. 2 Nr. 3 2. HS AufenthG nicht. Danach gilt die Frist (zur Identitätsklärung) als gewahrt, wenn der Ausländer alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat und so zwar die Identität erst nach dieser Frist geklärt werden kann, der Ausländer dies aber nicht zu vertreten hat.
35
Im Zeitpunkt der ersten Antragstellung mit Schreiben vom 14. Juni 2019 hatte der Antragsteller noch kein Antragsformular auf Durchführung des PEP-Verfahrens ausgefüllt, sodass er keinesfalls alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Identitätsklärung ergriffen hatte. Durch die Angabe der von ihm im PEP-Verfahren geforderten Daten zu seiner Identität hätte er die Beschaffung von Ersatzpapieren wesentlich erleichtern können.
36
Zum Zeitpunkt der wiederholten Antragstellung auf Erteilung einer Ausbildungsduldung mit Schreiben vom 22. Juli 2019 hatte der Antragsteller zwar zwischenzeitlich den geforderten PEP-Antrag ausgefüllt, dies genügt jedoch ebenfalls nicht für das Vorliegen der Fiktion. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller vor dieser zweiten Antragstellung alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Identitätsklärung getroffen hat. Zum einen genügt die Stellung eines PEP-Antrages hierfür nicht. Der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, den konkret von der Ausländerbehörde geforderten Mitwirkungspflichten nachgekommen zu sein, sondern muss darüber hinaus selbständig tätig werden. Den Ausländer trifft hier nicht nur die von der Behörde eingeforderte Mitwirkungspflicht, sondern auch eine sog. Initiativpflicht dahingehend, eigenständig die Initiative zu ergreifen und die erforderlichen Schritte in die Wege zu leiten, um das Ausreisehindernis zu beseitigen (vgl. BayVGH B.v. 27.7.2010 - 10 ZB 10.276 - juris Rn. 12; Hörich/Hruschka in Kluth/Heusch BeckOK, Ausländerrecht, 24. Auflage, Stand: 1.5.2019, § 48 AufenthG Rn. 36). Zum anderen hat der Antragsteller auch nicht glaubhaft gemacht, alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen getroffen zu haben, um seine Identität auf anderem Wege zu klären und damit das Ausreisehindernis zu beseitigen. Dass seitens des Münchner Flüchtlingsrates e.V. im Jahr 2017 Erkundigungen zur Möglichkeit der Ausstellung gambischer Pässe eingeholt wurden, genügt ebenso wie ein Anruf bei der gambischen Botschaft in Brüssel nicht. Denn zu beachten ist, dass die Identität eines Ausländers nicht nur durch einen Pass nachgewiesen werden kann. Nach der Gesetzesbegründung zum Gesetz über Duldung bei Ausbildung kann die Identität in Fällen, in denen kein Pass oder anderes Identitätsdokument mit Lichtbild vorliegt, auch durch andere geeignete Mittel nachgewiesen werden. So sind danach auch andere amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat, die biometrische Merkmale und Angaben zur Person enthalten, geeignet, die die Möglichkeit der Identifizierung bieten, wie beispielsweise ein Führerschein, Dienstausweis oder eine Personenstandsurkunde mit Lichtbild. Können diese nicht beschafft werden, so können auch geeignete amtliche Dokumente aus dem Herkunftsstaat ohne biometrische Merkmale zum Nachweis in Betracht kommen, wie etwa eine Geburtsurkunde, Heiratsurkunde, Meldebescheinigung, Schulzeugnisse oder Schulbescheinigungen, wenn sie geeignet sind, auf ihrer Basis Pass- oder Passersatzpapiere zu beschaffen (BT-Drs. 19/8286, S. 15 - Die Erläuterungen erfolgen in der Gesetzesbegründung zwar zum neuen § 60b AufenthG, beziehen sich inhaltlich aber auf den aktuellen § 60c AufenthG, sodass es sich dabei um ein Versehen handeln dürfte). Der Antragsteller hätte somit auch die Möglichkeit gehabt, sich um die aufgezählten Dokumente aus Gambia zu bemühen und seine Identität auf diesem Wege zu klären. Allein auf die fehlende Möglichkeit einer Passbeschaffung über die gambische Botschaft oder das gambischen Honorarkonsulat hätte er sich nicht beschränken dürfen. Aus Sicht des Gerichts ist es nicht wahrscheinlich, dass der Antragsteller während seines mehrjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik keine Möglichkeit hatte, eines der genannten Dokumente aus Gambia zu beschaffen.
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Aber selbst wenn man davon ausginge, dass der Antragsteller alle erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen zur Identitätsklärung getroffen hätte, gilt die Fiktion des § 60c Abs. 2 HS 2 AufenthG nur, wenn der Antragsteller es nicht zu vertreten hat, dass die Identität erst nach der Antragstellung geklärt werden kann. Davon ist vorliegend jedoch nicht auszugehen. Der Bevollmächtigte des Antragstellers räumt selbst ein, dass der Antragsteller anfangs nur zögerlich an der Identitätsklärung mitgewirkt hat. Der PEP-Antrag wurde erst am 1. Juli 2019 gestellt, also in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Beantragung einer Ausbildungsduldung und damit mit der Folge, dass aufgrund der nötigen Bearbeitungszeit die Ausstellung von Passersatzpapieren und damit die Klärung der Identität in jedem Fall erst nach der Antragstellung erfolgen kann. Dem Antragsteller wäre es bereits wesentlich früher möglich gewesen, einen solchen Antrag zu stellen. Durch eine frühere Antragstellung hätte jedenfalls die Möglichkeit bestanden, dass die Identitätsklärung noch vor den hier streitgegenständlichen Anträgen auf Erteilung einer Ausbildungsduldung erfolgen hätte können. Dass der Antragsteller die erst noch ausstehende Identitätsklärung nicht zu vertreten hat, hat er daher nicht glaubhaft gemacht.
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b) Der Erteilung einer Ausbildungsduldung steht zudem § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG entgegen, da zum Zeitpunkt der Antragstellung konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, die in einem hinreichenden sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zur Aufenthaltsbeendigung standen, bevorstanden.
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Nach der Gesetzesbegründung ist es beispielsweise als vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahme für die Abschiebung i.S.d. § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. c AufenthG zu bewerten, wenn vor Antragstellung ein Termin zur Vorstellung bei der Botschaft des Herkunftsstaates des Ausländers zur Vorbereitung der Rückführung vereinbart wurde, auch wenn der Termin selbst erst in einem angemessenen Zeitraum nach Antragstellung angesetzt ist (BT-Drucksache 19/8286, S. 16). Der Antragsteller sollte am 17. Juni 2019 bei einer gambischen Delegation vorgeführt werden. Da der Termin scheiterte, wurde ein weiterer Termin zur Vorstellung für den 17. Januar 2020 vereinbart, der vom Antragsteller wahrgenommen wurde. Die vereinbarten Termine bei Vertretern der Republik Gambia sind als gleichwertig zu dem in der Gesetzesbegründung genannten Termin bei einer Botschaft anzusehen, da die Vertreter der Republik Gambia insoweit Funktionen erfüllen, die für andere Staaten von deren Botschaften wahrgenommen werden. Die Vertreter entscheiden darüber, ob der jeweilige Angehörte als Staatsangehöriger Gambias anzusehen ist und leiten, wie im vorliegenden Fall, die Ausstellung von Heimreisedokumenten in die Wege. Der zeitliche Abstand der Termine zeigt, dass solche nicht kurzfristig zu erhalten sind, sondern Vorlaufzeit benötigen. Daher ist nach der derzeitigen Sachlage davon auszugehen, dass der Termin für den 17. Juni 2019 jedenfalls vor der ersten Beantragung einer Ausbildungsduldung vereinbart wurde. Damit waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der ersten Antragstellung bereits vergleichbar konkrete Vorbereitungsmaßnahmen für die Abschiebung eingeleitet i.S.d. § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d AufenthG und die Erteilung einer Ausbildungsduldung scheidet aus. Gleiches gilt in Bezug auf den zweiten Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung mit Schreiben vom 22. Juli 2019. Dabei kann dahin stehen, ob es sich bei dem nächsten Termin zu Anhörung am 17. Januar 2020 noch um einen Termin handelt, der in einem angemessenen Zeitraum nach der Antragstellung im Sinne der Gesetzesbegründung angesetzt ist. Denn wenn nach der Gesetzesbegründung bereits ein nach der Antragstellung angesetzter Termin ausreicht, muss dies erst recht gelten, wenn ein derartiger Termin bereits für einen Zeitpunkt vor der jeweiligen Antragstellung angesetzt war. Auch in diesem Fall hat die Behörde bereits damit begonnen, die Abschiebung des Ausländers vorzubereiten.
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II. Der Antragsteller hat zudem keinen Anordnungsanspruch auf Neuverbescheidung hinsichtlich der Erteilung einer Ausbildungsduldung.
41
Gem. § 60c Abs. 7 AufenthG kann unbeschadet von § 60c Abs. 2 Nr. 3 AufenthG eine Ausbildungsduldung erteilt werden, wenn der Ausländer die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat. Wie sich zuletzt aus dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 17. Januar 2020 ergibt, geht dieser bisher davon aus, dass die fehlende Identitätsklärung die Erteilung einer Ausbildungsduldung zwingend ausschließt, worin ein Ermessensausfall liegen könnte. § 60c Abs. 2 AufenthG eröffnet das behördliche Ermessen bereits dann, wenn der Antragsteller die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zur Identitätsklärung unternommen hat, nicht erst wenn die Identität geklärt ist. Das kann vorliegend jedoch dahinstehen, da ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung erst dann besteht, wenn die Tatbestandsvoraussetzung der jeweiligen Norm, hier des § 60c Abs. 7, erfüllt ist (vgl. Decker in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 52. Edition Stand: 1.1.2020, § 114 Rn. 5). Nach der Gesetzesbegründung wird mit § 60c Abs. 7 AufenthG den Fällen Rechnung getragen, in denen die Klärung der Identität nicht herbeigeführt werden konnte, obwohl der Ausländer alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen hat. In diesen Fällen besteht kein Anspruch auf Erteilung der Ausbildungsduldung, diese steht aber im Ermessen der Ausländerbehörde. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Wie bereits unter A. I. 1. a) ausgeführt, hat der Antragsteller nicht alle erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen getroffen, um seine Identität zu klären, sodass die Voraussetzung des § 60c Abs. 7 AufenthG nicht erfüllt ist und kein behördliches Ermessen zur Erteilung einer Ausbildungsduldung eröffnet ist und kein Anspruch auf Neuverbescheidung besteht. Zudem scheidet die Erteilung einer Ausbildungsduldung bereits aufgrund von § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d AufenthG aus, sodass auch deshalb kein Anspruch auf erneute Entscheidung besteht.
42
III. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
43
IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 und § 52 Abs. 1 GKG. Die wirtschaftliche Bedeutung einer Ausbildungsduldung rechtfertigt den Ansatz des Auffangwertes (BayVGH, B.v. 5.2.2019 - 10 CE 19.204 -BeckRS 2019, 985 Rn. 10 m.w.N.).
B.
44
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls abzulehnen.
45
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO ist unter anderem Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
46
1. Unabhängig von der finanziellen Situation des Antragstellers hat er keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis, sodass der Antrag nach § 123 VwGO - wie unter A. dargestellt - keinen Erfolg hat.
47
2. Die in der Hauptsache erhobene Klage (M 10 K 19.6204) hat ebenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
48
Für die begehrte Verpflichtung des Antragsgegners auf Erteilung einer Ausbildungsduldung ergibt sich dies ebenfalls aus den unter A. geschilderten Gründen.
49
Die in der Hauptsache ebenfalls begehrte Verpflichtung des Antragsgegners auf Erteilung einer Ermessenduldung für die Tätigkeit als Bäcker wird nach derzeitigem Sach- und Streitstand ebenfalls keinen Erfolg haben.
50
Der Erteilung der insoweit in Frage kommenden Beschäftigungsduldung nach § 60d Abs. 1 AufenthG steht § 60d Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AufenthG entgegen. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen zu § 60c Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a AufenthG verwiesen. Ein Anspruch auf ermessenfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Beschäftigungsduldung gem. § 60d Abs. 4 AufenthG besteht ebenfalls nicht. Hierzu wird auf die Ausführungen zu dem inhaltsgleichen § 60c Abs. 7 AufenthG verwiesen. Ein Rückgriff auf die allgemein für die Erteilung einer Duldung nach Ermessen der Behörde geltende Vorschrift des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist aufgrund der ausdrücklichen Regelung in § 60d AufenthG nicht zulässig.
51
Daher ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe insgesamt abzulehnen.
52
Die Entscheidung ergeht diesbezüglich kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.