Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 17.04.2020 – W 8 S 20.30448
Titel:

Unzulässiger Zweitantrag eines nigerianischen Staatsangehörigen nach erfolglosem Asylverfahren in Italien

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
AsylG § 3e, § 4 Abs. 3 S. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 36 Abs. 4, § 43 Abs. 3 S. 1, § 71a, § 77 Abs. 2
VwVfG § 51
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Der nigerianische Staat ist bei gegenseitigen Übergriffen von Muslimen und Christen grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig und gewährt effektiven Schutz (Rn. 13). (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein junger Mann ohne gravierende gesundheitliche Einschränkungen kann bei einer Rückkehr nach Nigeria auch ohne familiäre Bindungen in einer der zahlreichen Großstädte des Landes eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts durch die weltweite Corona-Pandemie (Rn. 14 – 19). (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus der Corona-Pandemie ergibt sich für einen Rückkehrer nach Nigeria  keine konkrete extreme Gefahrenlage im Rahmen des § 60 Abs. 7 AuslG (Rn. 22 – 24). (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sofortverfahren, Nigeria, unzulässiger Zweitantrag, Bezugnahme auf Bundesamtsbescheid, keine Änderung der Sach- und Rechtslage infolge der Corona-Pandemie, Bedrohung als Christ, angebliche Verfolgung durch Polizei, interner Schutz, inländische Aufenthaltsalternative, Sicherung des Existenzminimums, kein extremer Ausnahmefall, keine beachtliche bzw. hohe Wahrscheinlichkeit der Erkrankung an Covid-19 mit schwerwiegenden Folgen, Corona-Situation in Nigeria, inlandsbezogene Abschiebungshindernisse – Frau, Kind – irrelevant, Entscheidung über inlandsbezogene Abschiebungshindernisse sowie über gemeinsame Ausreise von Familienangehörigen durch Ausländerbehörde, Christ, Corona-Pandemie, extreme Gefahrenlage, inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, gemeinsame Ausreise von Familienangehörigen, Zuständigkeit der Ausländerbehörde
Fundstelle:
BeckRS 2020, 7918

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller, nigerianischer Staatsangehöriger, verließ sein Heimatland nach eigenen Angaben im Jahr 2012 und hielt sich mehrere Jahre in Italien auf. In Italien wurde sein Asylantrag abgelehnt. Am 3. April 2019 stellte der Antragsteller einen weiteren Asylantrag in Deutschland. Zur Begründung seines Asylantrags brachte er im Wesentlichen vor: Er sei als Christ durch den neuen moslemischen Ehemann seiner Mutter bedroht worden. Weiter vermute er ein polizeiliches Straf- bzw. Ermittlungsverfahren gegen ihn, da sein Stiefvater schlecht bei der Polizei über ihn geredet habe.
2
Mit Bescheid vom 23. März 2020 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung nach Nigeria oder in einen anderen Staat wurde angedroht (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der Asylantrag sei unzulässig, wenn im Fall eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen sei (§ 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Der Antragsteller habe keine neuen Gründe und Beweismittel vorgelegt. Er habe sich nur auf die Sachverhalte berufen, die er schon im früheren Asylverfahren vorgebracht habe bzw. hätte vorbringen können. Der nigerianische Staat sei bei gegenseitigen Übergriffen von Muslimen und Christen schutzwillig und schutzfähig und gewähre effektiven Schutz. Soweit der Antragsteller im Falle einer Rückkehr nach Nigeria eine Verhaftung durch die Polizei befürchte, sei festzustellen, dass dort kein zentrales Fahndungssystem bestehe. Des Weiteren gebe es Hilfseinrichtungen sowie auch Rückkehr- und Starthilfen sowie Reintegrationsprogramme. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass für Rückkehrer in Nigeria die Möglichkeit bestehe, ökonomisch eigenständig alleine zu leben und auch mit oder ohne Hilfe Dritter (etwa Verwandter) zu überleben. Der Antragsteller könne sich eine Existenz aufbauen. Der 27-jährige Antragsteller sei jung, gesund und erwerbsfähig. Er habe schon in der Vergangenheit verschiedene Arbeiten verrichtet. Darüber hinaus verfüge er über familiäre Beziehungen.
3
Am 6. April 2020 ließ der Antragsteller im Verfahren W 8 K 20.30447 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage wird beantragt.
4
Zur Begründung ließ der Antragsteller auf die beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragenen Gründe verweisen und weiter ausführen: Hier hätten sich durch die Corona-Pandemie, die sich auch in Nigeria ereigne, neue Gründe ergeben, die letztlich dazu führen müssten, den Asylantrag des Antragstellers trotz der Erstablehnung sachlich zu prüfen. Wenn wir bereits hier in Deutschland durch den Virus an den Rand eines Zusammenbruchs geführt würden und die Politiker sagten, dass das Leben von vielen Millionen Menschen gefährdet sei, werde es in Nigeria noch viel schlimmer sein. Insofern sei zu prüfen, ob dem Antragsteller subsidiärer Schutz oder ein Abschiebungsverbot zustehe.
5
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 7. April 2020,
die Klage abzulehnen.
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Weiter teilte sie mit, dass im Hinblick auf die höchstrichterlich und nicht geklärte Rechtsfrage, ob sich aus dem Urteil des EuGH vom 19. Juni 2018 - C-181/16 (Gnandi) - ergebe, dass die Ausreisefrist noch nicht mit Bekanntgabe des Ablehnungsbescheides des Bundesamtes zu laufen beginnen dürfe, werde die im angefochtenen Bescheid verfügte Abschiebungsandrohung wie folgt geändert: „Der Antragsteller wird aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen.“ Die zuständige Ausländerbehörde sei informiert worden.
7
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Verfahrens W 8 K 20.30447) sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheids vom 23. März 2020 begehrt.
9
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unbegründet, da insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen (§ 36 Abs. 3 und 4 AsylG). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes kommt es darauf an, ob die Entscheidung in Bezug auf die geltend gemachten Wiederaufgreifens- und Asylgründe sowie Abschiebungshindernisse bei der hier gebotenen summarischen Prüfung mit der erforderlichen Richtigkeitsgewähr bestätigt werden kann.
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Der Asylantrag des Antragstellers ist gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG unzulässig, weil er nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG, insbesondere eine entscheidungsrelevante Veränderung der dem Erstverfahren zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, liegen nicht vor. Ebenso bestehen keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
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Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insbesondere von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes decken sich mit den vorliegenden Erkenntnissen.
12
Das Bundesamt hat schon zutreffend auf das Schreiben der Republik Italien vom 19. März 2020 verwiesen, wonach der Asylantrag des Antragstellers in Italien abgelehnt worden sei. Auch ein gerichtliches Verfahren sei erfolglos geblieben. Das Asylverfahren sei beendet und abgeschlossen. Diese Mitteilung aus Italien deckt sich auch mit dem betreffenden Vorbringen des Antragstellers.
13
Das Bundesamt hat des Weiteren zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsteller keine neuen relevanten Wiederaufgreifensgründe geltend gemacht hat, sondern vielmehr die Gründe vorgebracht hat, die er auch schon in seinem erfolglosen Asylverfahren in Italien angegeben hatte bzw. hätte vorbringen können. Das Bundesamt hat zudem ausgeführt, dass der nigerianische Staat bei gegenseitigen Übergriffen von Muslimen und Christen grundsätzlich schutzwillig und schutzfähig sei und effektiven Schutz gewähre. Weiter hat es auch zutreffend festgestellt, dass den Antragsteller auch seitens der Polizei jedenfalls keine landesweite Verfolgung drohe, weil es kein zentrales Verhandlungssystem gebe.
14
Denn dem Antragsteller ist möglich und zumutbar, sich in einem anderen Landesteil Nigerias niederzulassen, in welchem er vor seinen eventuellen privaten Verfolgern und auch vor der Polizei sicher wäre (vgl. § 3e, § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Der Antragsteller kann sich beispielsweise in einer der zahlreichen Großstädte Nigerias, insbesondere in der Hauptstadt Abuja, oder im christlich geprägten Südwesten des Landes, beispielsweise in Lagos oder in einer anderen Stadt niederlassen. Er genießt Freizügigkeit in ganz Nigeria, so dass er seinen Wohn- und Aufenthaltsort grundsätzlich frei bestimmen kann. Wenn der Antragsteller seinen Heimatort meidet, ist es unwahrscheinlich, dass er in einer anonymen Großstadt nach mehrjähriger Abwesenheit (seit dem Jahr 2015) außerhalb seiner Heimatregion aufgefunden würde, zumal Nigeria etwa 190 Millionen Einwohner hat, eine Fläche von 925.000 m² aufweist und dabei nicht über ein funktionsfähiges Meldesystem verfügt. Grundsätzlich besteht nach der Erkenntnislage in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen. Dem Antragsteller ist ein Umzug in einen anderen Landesteil Nigerias auch zumutbar. Zwar geht aus den vorliegenden Erkenntnissen hervor, dass ein Umzug in einen anderen Landesteil unter Umständen mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein kann, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem sie kein soziales Umfeld haben. Insbesondere familiären Bindungen kommt in der nigerianischen Gesellschaft eine gesteigerte Bedeutung zu (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 18.12.2019, S. 46 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2019, vom 16.1.2020, S. 16, 21). Der Antragsteller könnte jedoch im Fall der Rückkehr nach Nigeria - wie auch schon vom Bundesamt im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid zutreffend ausgeführt - auch ohne solche Bindungen als junger Mann ohne gravierende gesundheitlichen Einschränkungen in einer der zahlreichen Großstädte eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufnehmen, um seinen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller im Falle einer freiwilligen Rückkehr sowohl Start- als auch Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen kann. Zudem hat er sich auch schon in der Vergangenheit mit einfachen Arbeiten beholfen. Er hat berufliche Erfahrungen gesammelt und ist auch mit den Umständen in Nigeria vertraut. Somit ist davon auszugehen, dass sich der Antragsteller seinen Lebensunterhalt zumindest am Rande des Existenzminimums erwirtschaften kann (VG Augsburg, B.v. 10.3.2020 - Au 9 S 20.30327 - juris; B.v. 4.3.2020 - Au 7 K 18.31993 - juris; B.v. 20.2.2020 - Au 9 K 17.35117 - juris; B.v. 16.1.2020 - Au 9 K 19.30382 - juris; VG Karlsruhe, B.v. 26.2.2020 - A 4 K 7158/18 - juris; VG Kassel, B.v. 21.1.2020 - 6 L 2648/19.KS.A - juris; OVG NRW, B.v. 2.1.2020 - 19 A 183/18.A - juris; VG München, B. 13.12.2019 - M 12 S 19.34141 - juris; ebenso schon VG Würzburg, B.v. 20.12.2019 - W 10 S 19.32023).
15
An der vorstehenden Beurteilung ändert sich auch nichts dadurch, dass in die Betrachtung miteinbezogen wird, dass der Antragsteller gegebenenfalls mit seiner Frau, mit der er angeblich traditionell verheiratet ist, und dem gemeinsamen Kind zurückkehrt. Auch insofern hält es das Gericht für möglich, dass sich der Antragsteller eine Existenz für sich und seine Frau in zumutbarer Weise sichern kann. Auch seine Frau kann zusätzlich durch eigene Erwerbstätigkeit zum Familienunterhalt beitragen. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass beide über verwandtschaftliche Beziehungen verfügen, auf die sie nötigenfalls zurückgreifen könnten. So ist nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller und seine Frau in einer solchen speziellen Situation befänden, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Nigeria sehenden Auges mit dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert wären, wenn auch möglicherweise gewisse Anfangsschwierigkeiten zu überwinden sein mögen.
16
Des Weiteren ist auch in dem Zusammenhang nochmals darauf hinzuweisen, dass abgesehen von privaten Hilfemöglichkeiten und Hilfsorganisationen auch auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückgegriffen werden kann. So hat der Antragsteller die Option, seine finanzielle Situation in Nigeria aus eigener Kraft zu verbessern, um Startschwierigkeiten bei einer Rückkehr besser zu überbrücken. Gegen diese Möglichkeiten kann der Antragsteller nicht mit Erfolg einwenden, dass Start- bzw. und Reintegrationshilfen ganz oder teilweise nur für freiwillige Rückkehr, also teilweise nicht bei einer zwangsweisen Rückführung, erfolgen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann ein Asylbewerber, der durch eigenes zumutbares Verhalten - wie insbesondere durch freiwillige Rückkehr - im Zielstaat drohende Gefahren abwenden kann, nicht vom Bundesamt die Feststellung eines Abschiebungsverbotes verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 15.4.1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265; VGH BW, U.v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 - juris).
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Ernstliche Zweifel ergeben sich nach den vorstehenden Ausführungen des Weiteren nicht mit Bezug auf § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG, auch nicht im Hinblick auf eventuelle gesundheitlichen Aspekte. Auch insofern kann das Gericht auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides Bezug nehmen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
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An der vorstehenden Beurteilung ändert sich auch nichts durch die weltweite Corona-Pandemie. Zunächst ist festzuhalten, dass entgegen des Vorbringens der Antragstellerseite kein weiteres Asylverfahren mit einer erneuten sachlichen Prüfung des Asylantrages zu erfolgen hat. Dies wäre, wie das Bundesamt schon zutreffend ausgeführt hat, nur dann der Fall, wenn ein schlüssiger Vortrag vorliegen würde, der eine günstige Entscheidung möglich erscheinen ließe. Daran fehlt es. Der Antragsteller hat nur pauschal auf die Corona-Pandemie verwiesen und auch nicht nur ansatzweise substanziiert vorgebracht, dass und inwieweit dem Antragsteller persönlich zum jetzigen Zeitpunkt insofern eine konkrete Gefahr mit beachtlicher bzw. hoher Wahrscheinlichkeit drohen könnte. Zu den konkreten Verhältnissen in Nigeria ist überhaupt nichts vorgebracht.
19
Laut den allgemein zugänglichen Quellen gibt es indes in Nigeria 442 bestätigte Corona-Fälle. Davon sind 152 Personen genesen. Außerdem gibt es 13 Todesfälle (Stand: 17.4.2020; siehe etwa Nigeria Centre for Disease Control https://...ng/. oder https://www...info/.../). Darüber hinaus bleibt der nigerianische Staat nicht tatenlos. Vielmehr gelten angesichts der Corona-Pandemie strenge Ausgangssperren in Nigeria, die von den nigerianischen Sicherheitskräften auch überwacht werden. Die Regierung hat gerade die Ausgangssperre für Lagos und dem benachbarten Bundesstaat Ogun um zwei Wochen verlängert. Die Region stellt fast die Hälfte der offiziellen Covid-19-Fälle in Nigeria dar (vgl. ...de vom 15.4.2020, https://www...de/...html oder merkur.de vom 16.4.2020 https://www...de/...html). Nach den Medienberichten ist die Wahrscheinlichkeit höher durch irgendwelche Gewaltmaßnahmen in Nigeria zu Tode zu kommen als infolge einer Covid-19-Erkrankung.
20
Dem Gericht fehlen vor diesem Hintergrund jegliche Anhaltspunkte für die Annahme des Vorliegens der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes, weil nicht ersichtlich ist, dass - bezogen auf eine mögliche Covid-19-Erkrankung - eine menschliche oder erniedrigende Behandlung einem Akteur im Sinne von § 3c AsylG i.V.m. § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG zugeordnet werden kann.
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Aber auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt offensichtlich nicht vor. Nur in ganz außergewöhnlichen Fällen können schlechte humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe zwingend sind (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris m.w.N.).
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Weiter ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen sind. Fehlt - wie hier - ein solcher Erlass kommt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG allenfalls ausnahmsweise in verfassungskonformer Auslegung in Betracht, wenn es zur Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke, d.h. zur Vermeidung einer extremen konkreten Gefahrenlage erforderlich ist (BVerwG, U.v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8). Allgemeine Gefahren können aufgrund der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG die Feststellung eines Abschiebungsverbotes grundsätzlich nicht rechtfertigen. Der Antragsteller hat aber offensichtlich kein Anspruch wegen einer extremen Gefahrenlage. Eine verfassungswidrige Schutzlücke liegt nur dann vor, wenn der Schutzsuchende bei einer Rückkehr in das Aufnahmeland mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise Opfer einer extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahr ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Diese Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Eine Abschiebung müsste dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schweren Verletzungen ausgeliefert würde. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren (OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris m.w.N., vgl. auch schon VG Würzburg, B.v. 27.3.2020 - W 8 S 20.30378).
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Eine solche konkrete außergewöhnliche Gefahrenlage für den Antragsteller ist vorliegend im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt im Hinblick auf die Verbreitung des Corona-Virus (SARS-CoV-2) auch vor dem Hintergrund des erforderlich hohen Wahrscheinlichkeitsgrades für das Gericht nicht erkennbar. Das Ansteckungsrisiko ist im Vergleich zu den über 130.000 Infektionsfällen und über 4.000 Todesfällen in Deutschland mit 442 bestätigten Infektionsfällen und 13 Todesfällen in Nigeria ungleich geringer. Des Weiteren gehört der 27 Jahre alte Antragsteller ohne erkennbare Vorerkrankungen nicht zu einer besonderen Gruppe mit höherem Risiko für einen schweren, möglicherweise lebensbedrohlichen Verlauf der Covid-19-Erkrankung. Der Antragsteller muss sich letztlich - genauso wie bei etwaigen anderen Erkrankungen, wie etwa Malaria, bei der die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung um ein Vielfaches höher liegt als bei dem Corona-Virus (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris; VG Karlsruhe, U.v. 26.2.2020 - A 4 K 7158/18 - juris) - gegebenenfalls mit den Behandlungsmöglichkeiten in Nigeria behelfen. Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus auch in Nigeria nicht in allen Landesteilen gleich hoch ist. Vielmehr gibt es erhebliche regionale Unterschiede beim Risiko, angesteckt zu werden. Darüber hinaus bestehen - wie auch in anderen Staaten, wie etwa in Deutschland - individuell persönliche Schutzmöglichkeiten, wie das Tragen einer Gesichtsmaske oder die Wahrung von Abstand zu anderen Personen, um das Risiko einer Ansteckung durch eigenes Verhalten zu minimieren.
24
Im Übrigen ist der Antragsteller gehalten, im Bedarfsfall die Möglichkeiten des - zugegebenermaßen mangelhaften - nigerianischen Gesundheits- und Sozialsystems (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Nigeria, Stand: 18.12.2019, S. 48 ff. u. 51 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand: September 2019, vom 16.1.2020, S. 22 ff.) auszuschöpfen. Gegebenenfalls kann er auch auf private Hilfemöglichkeiten oder Hilfsorganisationen sowie auf Rückkehr- und Starthilfen sowie auf Reintegrationsprogramme zurückzugreifen, sodass er nicht völlig mittellos wäre und sich in Nigeria etwa auch Medikamente oder Gesichtsmasken besorgen könnte. Abgesehen davon könnten dem Antragsteller bei Bedarf für eine Übergangszeit auch Medikamente sowie Gesichtsmasken mitgegeben werden (vgl. OVG NRW, U.v. 24.3.2020 - 19 A 4470/19.A - juris; BayVGH, B.v. 10.10.2019 - 19 CS 19.2136).
25
Das Gericht verkennt nicht die mitunter schwierigen Lebensverhältnisse in Nigeria. Diese betreffen jedoch nigerianische Staatsangehörige in vergleichbarer Lage in gleicher Weise.
26
Des Weiteren ist die Ausländerbehörde (und nicht die Antragsgegnerin) zuständig, über eventuelle inlandsbezogene Abschiebungshindernisse - wie etwa Ehe und Familie (Art. 6 GG) oder Reiseunfähigkeit - zu entscheiden (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Gleichermaßen darf die Ausländerbehörde gemäß § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG die Abschiebung vorübergehend aussetzen, um eine gemeinsame Ausreise mit anderen Familienangehörigen zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund spielt der Hinweis des Antragstellers auf seine traditionell verheiratete Frau sowie das gemeinsame Kind und ein damit zusammenhängendes eventuelles inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis im vorliegenden Verfahren keine Rolle (vgl. VG Augsburg, U.v. 4.3.2020 - Au 7 K 18.31993 - juris).
27
Schließlich ist noch anzumerken, dass die Änderung der Antragsgegnerin dahingehend, dass die Abschiebungsandrohung und Ausreisefrist von einer Woche erst mit ab Ablehnung des Beschlusses im Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO beginnt, keinen rechtlichen Bedenken begegnet, auch nicht im Hinblick auf die europarechtlichen Anforderungen an einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (vgl. hierzu EuGH, U.v. 19.6.2018 - C-181/16 - NVwZ 2018, 1625, „Gnandi“), zumal diese Änderung zugunsten des Antragstellers erfolgt. Denn die Antragsgegnerin kann die Unionsrechtskonformität regelmäßig gewährleisten, in dem sie die Vollziehung der Abschiebungsandrohung einschließlich des Laufes der vom Gesetzgeber vorgegebenen Ausreisefrist von Amts wegen nach § 80 Abs. 4 VwGO aussetzt, um sicherzustellen, dass der Rechtsbehelf seine volle Wirksamkeit entfaltet; die Aussetzung kann - wie hier geschehen - auch noch im laufenden gerichtlichen Verfahren nachgeholt werden (siehe BVerwG, Ue.v. 20.2.2020 - 1 C 22.19, 1 C 21.19, 1 C 20.19, 1 C 19.19, 1 C 1.19 - Pressemitteilung Nr.11/2020 vom 20.2.2020; so auch VG Ansbach, B.v. 11.2.2020 - AN 16 S 20.30165 - juris).
28
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
29
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.