Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 24.04.2020 – RN 14 E 20.677
Titel:

Befugnis zur Öffnung von Ladengeschäften 

Normenketten:
BayIfSMV § 2 Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6
VwGO § 47 Abs. 6, § 123
IfSG § 28, § 32
RDGEG § 3, § 5
Leitsätze:
1. Die Antragstellerin muss glaubhaft machen, wie in einem Bekleidungshaus mit mehr als 3.000 qm Verkaufsfläche eine wirksame Flächenbegrenzung auf 800 qm durchgeführt werden kann und ob dies unter Einhaltung zwingender gesetzlicher Vorgaben überhaupt möglich ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zu einer wirksamen Absperrung des übrigen Bereichs kann ein Absperrband keinesfalls genügen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz, Befugnis zur Öffnung von Ladengeschäften mit einer 800 qm überschreitenden Verkaufsfläche bei „künstlicher Verkleinerung“ der Verkaufsfläche auf 800 qm gemäß § 2 Abs. 5 der 2. BayIfSMV, Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs, Anordnungsanspruch, Brandschutz, Infektionsschutz, Ladengeschäft, Verkaufsfläche, Einzelhandelsgeschäft, Öffnung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 7820

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, im Rahmen derer festgestellt wird, dass sie ihr Textileinzelhandelsgeschäft in A… ab dem 27.4.2020 öffnen darf, ohne gegen die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (BayIfSMV) zu verstoßen, sofern Sie die Verkaufsfläche auf maximal 800 m² begrenzt und infektionsschutzrechtliche Vorgaben einhält.
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Die Antragstellerin betreibt diverse Textileinzelhandelsgeschäfte. Sie möchte ihre Filiale in A…, …-platz, A… ab dem 27.4.2020 öffnen. Die Verkaufsfläche beträgt mehr als 3.000 m². Nach Art. 2 Abs. 4 Satz 1 BayIfSMV ist die Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels jeder Art untersagt. Nach § 2 Abs. 5 BayIfSMV ist die Öffnung von sonstigen Ladengeschäften, Einkaufszentren und Kaufhäusern des Einzelhandels jedoch zulässig, wenn deren Verkaufsräume eine Fläche von 800 m² nicht überschreiten (Nr. 1) und der Betreiber durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass die Zahl der gleichzeitig im Ladengeschäft anwesenden Kunden nicht höher als ein Kunde je 20 m² Kauffläche ist (Nr. 2).
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Am 23.4.2020 hat die Antragstellerin beim Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Die Verkaufsfläche des Geschäfts betrage insgesamt ca. 3.000 m². Bereits am 15.4.2020 habe die Antragstellerin in allen ihren Häusern - also auch im Haus A… - eine Fläche von 800 m² mit Kassenzone abtrennen lassen und dies durch Foto und E-Mail dokumentiert. Der Geschäftsleiter der Antragstellerin für das Haus A… habe sich an den zuständigen Mitarbeiter der Antragsgegnerin gewandt und um Klarstellung gebeten, ob diese abgetrennte Teilfläche nunmehr am 27.4.2020 geöffnet werden könne. Die Antragsgegnerin habe darauf nicht reagiert. Die Antragstellerin müsse daher davon ausgehen, dass die Antragsgegnerin - wie alle anderen Ordnungsbehörden auch - die Auffassung vertrete, dass eine Verkleinerung der Fläche unzulässig sei. In diesem Sinne informiere auch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege auf seiner Webseite. Dort sei unter dem Punkt „2. welche Einzelhandelsgeschäfte dürfen zusätzlich ab dem 27.4.2020 öffnen und was haben diese Läden zusätzlich einzuhalten?“ ausgeführt: „Ab dem 27.4.2020 dürfen zusätzlich alle Einzelhandelsgeschäfte bis zu einer Verkaufsfläche von 800 m² öffnen, unabhängig von den verkauften Sortimenten. Die Öffnungsmöglichkeit gilt ausschließlich für Einzelhandelsgeschäfte, deren Verkaufsfläche schon bislang objektiv (baulich) maximal bei 800 m² liegt. Eine Verkleinerung der Fläche auf unter 800 m² im Nachhinein durch Maßnahmen wie Absperrungen ist nicht möglich. …“
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Da die BayIfSMV die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nicht vorsehe, könne in der Hauptsache nur eine Feststellungsklage erhoben werden, weshalb im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes ein Antrag nach § 123 VwGO statthaft sei.
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Durch die einschränkende Auslegung der BayIfSMV sei die Antragstellerin in ihren Grundrechten aus Art. 2, 3, und 12 GG jeweils in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG verletzt. Jede Betriebsschließung greife in die Freiheit der wirtschaftlichen Betätigung ein. Auch seien die Berufsausübungsfreiheit und die Freiheit der Nutzung des Eigentums tangiert. Es sei schon fraglich, ob die Verordnung auf eine ausreichende Rechtsgrundlage gestützt sei. Weder § 28 IfSG noch § 32 IfSG würden die gegenständlichen Einschränkungen vorsehen. Die vorgenommene Auslegung, wonach keine künstliche Verkleinerung der Verkaufsfläche möglich sei, sei unverhältnismäßig. Ferner werde durch die seitens der Behörden vorgenommene Auslegung eine Wettbewerbsverzerrung bewirkt und im Vergleich zu Unternehmen mit kleineren Verkaufsflächen der allgemeine Gleichheitssatz nicht beachtet. Die Beschränkung auf 800 m² sei nicht nachvollziehbar. Die Beschränkung auf 800 m² sei auch nicht zweckmäßig, da die einzig erkennbare Zweckbestimmung darin liege, die Verkaufsöffnung so zu begrenzen, dass die Kundenfrequenz auf ein unter dem Gesichtspunkt des Infektionsschutz vertretbares Maß begrenzt bleibe. Für diese Zielerreichung sei jedoch eine Flächenbegrenzung auf 800 m² nicht geeignet. Außerdem sei die Antragstellerin schon aufgrund Ihrer personellen und organisatorischen Planungen und Ressourcen gut in der Lage, die örtlichen Infektionsschutzvoraussetzungen (personalintensive Einlasskontrollen und -steuerung, erhöhter Reinigung- und Desinfektionsaufwand, technische Ressourcen, wie Spukschutz, Abstandskleber, kontaktloses bezahlen, etc.) umzusetzen.
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Die Antragstellerin hat verschiedene Fotos per E-Mail vorgelegt, die nachweisen sollen, wie sie beabsichtigt, eine Fläche von 800 m² mit Kassenzone abzutrennen.
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Eilbedürftigkeit sei aufgrund des stetig fortschreitenden Umsatzverlustes und somit wegen einer Unternehmens- und Arbeitsplatzgefährdung gegeben. Ohne eine Entscheidung im Eilrechtschutzverfahren würde die Antragstellerin erhebliche Nachteile erleiden, die im Hauptsacheverfahren nicht mehr ausgeglichen werden könnten. Daher sei im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes auch eine Vorwegnahme der Hauptsache möglich.
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Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
im Wege der einstweiligen Anordnung gegenüber der Antragsgegnerin festzustellen, dass § 2 Abs. 4 und Abs. 5 Nr. 1 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.4.2020 und andere auf deren Basis erlassene Rechtsvorschriften den Betrieb eines Textileinzelhandelsgeschäftes in den in …-platz, A… gelegenen Geschäftsräumen der Antragstellerin zu den jeweils geltenden Ladenöffnungszeiten für den Publikumsverkehr ab dem 27.4.2020 nicht entgegenstehen, sofern Sie die Verkaufsfläche wirksam auf maximal 800 m² begrenzt und die jeweils geltenden Vorgaben zur Zutrittsteuerung, Vermeidung von Warteschlangen und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz eingehalten werden.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
10
Der Antrag sei schon unzulässig, weil das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der Antragstellerin stehe mit dem Eilantrag nach § 47 Abs. 6 VwGO ein sachliches und effektiveres Rechtsschutzmittel zur Verfügung.
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Der Antrag sei jedenfalls aber unbegründet, denn die Antragstellerin habe schon keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Unter dem Eindruck des vergangenen und der aktuellen Entwicklung des Infektionsschutzgeschehens in der Bundesrepublik Deutschland im Allgemeinen und in Bayern im Besonderen würden keine vernünftigen Zweifel daran bestehen, dass die nur eingeschränkte Zulassung der Öffnung von Ladengeschäften des Einzelhandels eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG darstelle. Hinsichtlich der Begründung im Übrigen wird auf die Antragserwiderung vom 24.3.2020 Bezug genommen.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
13
Der zulässige Antrag ist nicht begründet. Die Antragstellerin hat schon nicht glaubhaft gemacht, dass sie ihr Textileinzelhandelsgeschäft in A… am Montag den 27.4.2020 entsprechend den in § 2 Abs. 5 Nrn. 1 und 2, Abs. 6 BayIfSMV genannten Anforderungen öffnen kann. Insbesondere hat sie nicht glaubhaft gemacht, dass es ihr durch geeignete Maßnahmen möglich ist, den Verkaufsraum auf maximal 800 m² zu begrenzen.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern (Regelungsanordnung).
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Erforderlich ist jeweils, dass sowohl ein Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sind. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass sie ihr Ladengeschäft in A… am Montag den 27.4.2020 überhaupt unter Einhaltung der Anforderungen des § 2 Abs. 5 Nr. 1 und 2 BayIfSMV öffnen könnte, sodass jedenfalls ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist.
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Unabhängig von der Frage, ob Ladengeschäfte, deren Verkaufsräume „künstlich“ durch Absperrungen auf 800 m² begrenzt werden, nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 BayIfSMV geöffnet werden dürfen, hat die Antragstellerin schon nicht glaubhaft gemacht, dass sie diese Anforderungen überhaupt erfüllen könnte.
17
Die Antragstellerin hat dem Gericht auch keine Unterlagen dazu vorgelegt, wie eine wirksame Begrenzung der Verkaufsfläche auf 800 m² in dem konkreten Bekleidungshaus überhaupt durchgeführt werden soll. Für das Gericht ist nicht einmal ersichtlich, ob eine Reduzierung auf 800 m² in der Filiale in A… unter Einhaltung der zwingenden gesetzlichen Vorgaben (z.B. Brandschutz) überhaupt möglich ist. Die dazu von dem Antragstellervertreter auf Nachfrage des Gerichts vorgelegten Unterlagen sind zur Glaubhaftmachung nicht geeignet. Aus den vorgelegten Fotos ergibt sich weder, in welchem von mehreren Bekleidungshäusern des Antragstellers diese aufgenommen wurden noch wie konkret eine Einhaltung der Flächenbegrenzung auf 800 m2 sichergestellt werden soll. Die Fotos zeigen im Wesentlichen Rolltreppen, deren Betreten durch Absperrbänder verhindert werden soll. Damit wurde aber nicht glaubhaft gemacht, dass eine Öffnung der Filiale der Antragstellerin in A… mit einer Fläche von maximal 800 m² überhaupt möglich ist. Ausweislich der Angaben in der Antragsschrift hat das streitgegenständliche Bekleidungshaus eine Verkaufsfläche von insgesamt ca. 3.000 m². Aus den vorgelegten Fotos ist darüber hinaus zu schließen, dass sich das Geschäft über mehrere Etagen erstreckt. Allerdings ist nicht ersichtlich, ob gegebenenfalls nur die Offenhaltung einer Etage die Fläche von 800 m² einhält oder ob auch innerhalb der Etage weitere Absperrungen erforderlich werden. Ob eine Begrenzung auf 800 m² mit einer wirksamen Absperrung des übrigen Bereichs - allein ein Absperrband wird diesbezüglich keinesfalls genügen - überhaupt möglich ist und eine Zugänglichkeit der zwingend für den Verkauf erforderlichen „Sondereinrichtungen“ (Kassenbereich, Umkleideräume, Fluchtwege, Toiletten) dabei gewährleistet werden kann, konnte durch das Gericht aufgrund der hier vorliegenden Unterlagen nicht überprüft werden.
18
Darüber hinaus fehlt es auch an der Glaubhaftmachung hinsichtlich der Anforderungen des § 2 Abs. 6 BayIfSMV. Nach der dortigen Nr. 4 hat der Ladenbetreiber ein Schutz- und Hygienekonzept (z. B. Einlass, Mund-Nasen-Bedeckung) und falls Kundenparkplätze zur Verfügung gestellt werden, ein Parkplatzkonzept auszuarbeiten und auf Verlangen der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde vorzulegen. Dass die Antragstellerin für ihre Filiale in A… ein derartiges Konzept besitzt, hat sie dem Gericht gegenüber nicht glaubhaft gemacht.
19
Nach alledem hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, sodass das Gericht nicht entscheiden musste, ob überhaupt eine Verkleinerung der Verkaufsfläche auf maximal 800 m² dazu führen kann, ob die Öffnung eines an sich größeren Ladengeschäfts möglich ist.
20
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
21
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Gerichtskostengesetz (GKG) unter Berücksichtigung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.