Titel:
Verbot einer Versammlung - Unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit
Normenketten:
BayVersG Art. 12 Abs. 1, Art. 15 Abs. 1, Abs. 2, Art. 25
GG Art. 5, Art. 8, Art. 20 Abs. 3, Art. 21
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Abs. 5 S. 1, § 88, § 122
BayVwZVG Art. Art. 19 Abs. 1 Nr. 2, Art. 21a, Art. 36
Leitsätze:
1. Das Merkmal der unmittelbaren Gefahr macht eine Prognoseentscheidung dahingehend erforderlich, ob bei der Durchführung der Veranstaltung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch eine Verletzung der Rechtsordnung besteht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine unmittelbare Gefahr ist gegeben, wenn eine konkrete Sachlage vorliegt, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Bloße Vermutungen reichen für diese Annahme nicht aus. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsverbot, Gegendemonstration, unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Gefahrenprognose, Versammlungsfreiheit, Versammlungsverbo, unmittelbare Gefahr, öffentliche Sicherheit, Prognoseentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 7244
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Verbotsbescheid der Antragsgegnerin vom 06.02.2020 wird angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen das von der Antragsgegnerin angeordnete Versammlungsverbot für eine für den 15.02.2020 geplante Versammlung.
2
Mit E-Mail vom 25.01.2020 zeigte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin für den 15.02.2020 eine Versammlung unter dem Motto „Ein Licht für Dresden“ an. Veranstalter der geplanten Versammlung ist die politische Partei „...“, welcher auch der Antragsteller als Mitglied angehört. Die Versammlung, zu der ca. 50 - 80 Teilnehmer erwartet werden, soll um 16:00 Uhr am … mit Redebeiträgen beginnen und im Zeitraum zwischen 17:00 Uhr und 17:30 Uhr in Richtung … abmarschieren, wo eine Zwischenkundgebung von ca. 30 Minuten bis zu einer Stunde geplant ist. Anschließend ist beabsichtigt zum … weiter zu ziehen, wo der Veranstalter eine ca. einstündige Abschlusskundgebung vorsieht, so dass bei ungestörtem Ablauf die Versammlung um ca. 20:00 Uhr enden soll. Die näheren Einzelheiten zum Ablauf und zur Durchführung der geplanten Versammlung wurden am 03.02.2020 in einem Kooperationsgespräch zwischen dem Antragsteller, der Antragsgegnerin und der Polizei erörtert. Insoweit wird auf Blatt 7 bis 9 der Behördenakte verwiesen.
3
Mit Bescheid vom 06.02.2020, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 08.02.2020, verbot die Antragsgegnerin die für den 15.02.2020 unter dem Thema „Ein Licht für Dresden“ angezeigte Versammlung (Ziff. 1). Für den Fall der Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR angedroht (Ziff. 2).
4
Zur Begründung der Verbotsverfügung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, die Versammlung gefährde die allgemeine Sicherheitslage in der Stadt … In der Stadt … seien für den 15.02.2020 zwei weitere Versammlungen im öffentlichen Raum angezeigt worden, die sich zeitlich und örtlich mit der Versammlung „Ein Licht für Dresden“ überschnitten. Eine der Versammlungen werde als fortbewegende Versammlung durch die Stadt ziehen und sich hierbei an verschiedenen Stellen mit dem Aufzug der Versammlung „Ein Licht für Dresden“ überschneiden oder kreuzen. Beide Versammlungen seien thematisch überwiegend gegen die gesellschaftspolitischen Aussagen und Ansichten der Teilnehmer der Versammlung „Ein Licht für Dresden“ gerichtet. Es könne nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht ausgeschlossen werden, dass von Teilnehmern der Versammlungen auch Störungen und Blockadeaktionen beabsichtigt seien.
5
Daneben finde in der Fußgängerzone (…platz sowie …Markt) - wie auch den Rest des Jahres - der Wochenmarkt statt.
6
Weiterhin seien für den 15.02.2020 mehrere Sondernutzungen/Wahlinformationsstände in der Fußgängerzone angemeldet (… Allianz in der Zeit von 07:00 Uhr bis 16:00 Uhr, CSU … in der Zeit von 09:00 Uhr bis 13:00 Uhr, Grünes … in der Zeit von 09:00 Uhr bis 13:00 Uhr, Freie Wähler in der Zeit von 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr, SPD Kreisverband … in der Zeit von 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr und FDP OV … in der Zeit von 09:00 Uhr bis ca. 14:30. Im Unterschied zu sonst üblichen Versammlungsanzeigen sei die Versammlung des „III. Weges“ an einem Tag, der von der „heißen Phase“ des Kommunalwahlkampfes in Bayern geprägt sei. Der Innenstadtbereich, insbesondere die Fußgängerzone und der …platz, seien geprägt von der Organisation, Aufstellung und vom Betrieb von Infoständen der politischen Parteien. Anders als sonst seien die Infostände bevölkert von einer Vielzahl von Kandidaten, die sich um ein Mandat im … Stadtrat bewerben würden. Es sei eine Personenzahl von ca. 500 erfasst, die potentiell an diesem Tag politische Werbemaßnahmen in der Innenstadt durchführten und damit den vom Antragsteller vorgesehenen Platz belegten. Daraus ergebe sich ein erhebliches Konfliktpotential zwischen den Demonstranten des „III. Weges“ und den Teilnehmern der Infostände. Erschwerend komme hinzu, dass sich Gegendemonstranten angemeldet hätten, die die räumliche Enge noch verstärkten.
7
Die Antragsgegnerin habe, insbesondere unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit, keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt und als Grundlage hierfür konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte ermittelt. Damit sei durch die angezeigte Versammlung die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet, so dass gem. Art. 15 Abs. 1, 2 BayVersG die Versammlung unter freiem Himmel verboten werden könne.
8
Mit Schriftsatz vom 10.02.2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 11.02.2020, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen den Bescheid vom 06.02.2020 und beantragt zugleich:
9
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage des Antragstellers vom 10.02.2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.02.2020 wird wiederhergestellt.
10
Zur Begründung des Eilantrags hinsichtlich des Versammlungsverbotes führt der Bevollmächtigte der Antragstellerin im Wesentlichen aus, das von der Antragsgegnerin erlassene Versammlungsverbot sei rechtswidrig und verletze den Antragsteller in seinen Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und 8 Abs. 1 GG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot im Sinne des Art. 15 Abs. 1 BayVersG lägen nicht vor. Es seien insbesondere keinerlei unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der geplanten Veranstaltung ersichtlich.
11
Die Antragsgegnerin lege im Bescheid ausdrücklich dar, dass eine Gefahr der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht durch die Versammlung des Antragstellers bestehe. Diese Gefahr bestehe vielmehr aufgrund der beiden angezeigten Gegenveranstaltungen, „bei denen nicht ausgeschlossen werden könne, dass von Teilnehmern dieser Veranstaltungen auch Störungen und Blockadeaktionen beabsichtigt seien“. Hierbei sei besonders hervorzuheben, dass eine dieser beiden Gegenveranstaltungen durch die Antragsgegnerin selbst veranstaltet werde. Die Antragsgegnerin schaffe somit durch ihr eigenes Verhalten eine Gefahrenquelle, auf deren Grundlage sie gegen die Grundrechtsposition des Antragstellers vorgehe. Ein derartiges Vorgehen sei mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar.
12
Soweit die Antragsgegnerin auf die „heiße Phase“ im laufenden Kommunalwahlkampf abstelle, durch die der Innenbereich, insbesondere die Fußgängerzone und der …platz von der Organisation, Aufstellung und vom Betrieb von Infoständen geprägt sei, sei festzustellen, dass sämtliche diesbezüglich angeführten Informationsstände bereits mehrere Stunden vor dem Beginn der Versammlung des Antragstellers beendet seien. Zudem sollten diese überwiegend am … Markt stattfinden. Diese seien damit zeitlich und örtlich nicht durch die Versammlung des Antragstellers, dessen Versammlung auf dem …platz ende und somit den … Markt erst gar nicht erreiche, tangiert.
13
Soweit die Antragsgegnerin auf den Wochenmarkt abstelle, sei festzuhalten, dass dieser im Zeitpunkt des geplanten Eintreffens der Versammlung bereits seit über einer Stunde beendet sein werde. Der Wochenmarkt ende spätestens um 18:00 Uhr. Die Versammlung des Antragstellers werde sich frühestens um 17:00 Uhr/17:30 Uhr vom …platz entfernen und - nach einer Zwischenkundgebung am …platz - frühestens um 19:00 Uhr den …platz erreichen. Weiterhin sei festzustellen, dass die Antragsgegnerin selbst die von ihr organisierte Gegenveranstaltung, von der nach der eigenen Gefahrenprognose Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wegen möglicherweise geplanter Stör- und Blockadeaktionen ausgingen, während des laufenden Wochenmarktes auf dem …platz abhalten wolle. Das in diesem Kontext von der Antragsgegnerin an den Tag gelegte Verhalten erweise sich somit als in sich widersprüchlich. Wenn aufgrund des Wochenmarktes auf dem …platz keine Versammlung stattfinden könne, so wäre auch die Versammlung der Antragsgegnerin, die zudem noch zeitgleich mit dem Wochenmarkt stattfinde, dort auch nicht möglich.
14
Es sei auch eine Verlegung des Platzes der Abschlusskundgebung vom …platz beispielsweise auf den … Markt denkbar. Entsprechende Möglichkeiten seien jedoch von der Antragsgegnerin im Kooperationsgespräch ausdrücklich nicht erörtert worden. Auf das Vorbringen von Bedenken wegen möglicher Blockaden und Behinderungen habe die Antragsgegnerin deutlich gemacht, selbst von einem störungsfreien und unproblematischen Ablauf über die gesamte angemeldete Strecke auszugehen. Zu diesem Zeitpunkt sei bereits neben der Versammlung des Antragstellers und der Veranstaltung der Antragsgegnerin die von einem Dritten angemeldete Gegendemonstration bekannt gewesen.
15
Letztlich sei das in Art. 15 Abs. 1 BayVersG eingeräumte Ermessen unter Ausblendung der Versammlungsfreiheit des Antragstellers ausgeübt worden. Die Antragsgegnerin mache an keiner Stelle im Bescheid Ausführungen zu den gegenläufigen Grundrechtspositionen des Antragstellers. Im Sinne des Verhältnismäßigkeitsprinzips hätte sich die Antragsgegnerin jedoch anstelle eines Verbots auf Auflagen beschränken können. Insbesondere habe sich der Antragsteller beim Kooperationsgespräch zu Zugeständnissen bereiterklärt. Selbst wenn man die Darstellungen der Antragsgegnerin in der Verbotsverfügung vom 06.02.2020 dahingehend auslege, dass am späten Nachmittag/Abend des 15.02.2020 die zur Verfügung stehenden Polizeikräfte nicht in der Lage seien, die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei Durchführung sämtlicher Veranstaltungen zu gewährleisten, seien die Voraussetzungen eines polizeilichen Notstands nicht einmal ansatzweise dargelegt. Die Antragsgegnerin könne somit den Antragsteller als Nichtstörer nicht unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands durch das Versammlungsverbot in Anspruch nehmen. Im Gegenteil, die Antragsgegnerin sei dazu verpflichtet, zunächst die eigene Veranstaltung, von der nach der Gefahrenprognose der Antragsgegnerin möglicherweise eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe, abzusagen. Insbesondere streite das Parteiprivileg des Art. 21 Abs. 2 GG für die Partei „Der III. Weg“ und ihre Versammlung, während die von der Antragsgegnerin geplante Veranstaltung in der konkreten Art und Weise ihrer Ausgestaltung rechtswidrig sei. Die Veranstaltung der Antragsgegnerin solle ausdrücklich als einseitige Gegenveranstaltung zu Lasten der Versammlung der Partei „Der III. Weg“ ausgeführt werden. Dadurch ergreife die Antragsgegnerin als staatliche Institution ausdrücklich Partei gegen die Antragstellerin.
16
Mit Schriftsatz vom 12.02.2020 beantragt die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
17
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der Sachvortrag der Antragstellerin sei in den zentralen Punkten falsch. Keine der Gegenveranstaltungen werde von der Stadt Bamberg veranstaltet.
18
Im Übrigen habe die Antragsgegnerin keineswegs die Rolle der Antragstellerin bei der Gefahrenprognose nicht hinreichend gewürdigt. Auslöser für die weiteren, beantragten Versammlungen sei die Antragstellerin. Konfliktpotential ergebe sich erst aus der Gesamtschau aller am 15.02.2020 am und um den …platz in … beantragten Veranstaltungen sowie den sonstigen Veranstaltungen. Dabei sei auch die Durchführung der weiteren Versammlungen grundrechtsrelevant und durch das Versammlungsrecht geschützt. Das vorgetragene „Konfusionsargument“ verfange daher im konkreten Fall gerade nicht. Bereits aufgrund des regulären Tagesgeschehens mit Wochen- und Bauernmarkt sowie den Geschäftsbetrieb sei in der zentralen Innenstadt Bambergs erheblich mehr Publikum als an anderen Tagen unterwegs. Verstärkt werde dies noch durch politische Aktivitäten verschiedener Parteien und Wählervereinigungen sowie durch weitere Versammlungen als Reaktion auf die vom Antragsteller beantragte Versammlung. Es sei damit zu rechnen, dass auch nach der Beendigung des Marktgeschehens sowie der Veranstaltung politischer Gruppen im Rahmen des Kommunalwahlkampfes erheblich mehr Menschen als sonst in der Innenstadt verweilen werden. Insgesamt führe dies zu einer erheblichen Belastung der Bewohnerinnen und Bewohner der Innenstadt. Daneben seien auch großräumige Auswirkungen auf den Verkehr in Folge des geplanten Zuges des Antragstellers zu prognostizieren.
19
Die mit Schriftsatz vom 10.02.2020 über das Verbotsverfahren hinausgehenden Eilanträge nach § 123 VwGO (Untersagung der Antragsgegnerin am 15.02.2020 eine Gegenveranstaltung gegen die Versammlung des Antragstellers durchzuführen bzw. Untersagung der Antragsgegnerin zur Teilnahme an einer Gegenveranstaltung am 15.02.2020 gegen die Versammlung des Antragstellers aufzurufen) werden unter dem Az.: B 9 E 20.141 geführt und gesondert verbeschieden.
20
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte dieses Verfahrens, des Hauptsacheverfahrens verwiesen.
21
Der zulässige Antrag des Antragstellers, der nach sachgerechter Auslegung (vgl. § 122, § 88 VwGO) einen Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und Art. 25 BayVersG bzw. Art. 21a BayVwZVG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Versammlungsverbotsbescheid der Antragsgegnerin vom 06.02.2020 darstellt, ist begründet.
22
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene, originäre Ermessensentscheidung. Es hat zwischen dem in der gesetzlichen Regelung - hier Art. 25 BayVersG - zum Ausdruck kommenden Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Eilverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der zugrundeliegende Bescheid bei dieser Prüfung hingegen als rechtswidrig und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich als erfolgreich, ist das Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zu verneinen. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens hingegen offen, kommt es zu einer allgemeinen Abwägung der wider-streitenden Interessen.
23
Die im vorliegenden Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene, aber auch ausreichende summarische Prüfung ergibt, dass die Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 06.02.2020 voraussichtlich Erfolg haben wird. An der Rechtmäßigkeit des angeordneten Versammlungsverbotes bestehen durchgreifende Zweifel, sodass das Suspensivinteresse des Antragstellers gegenüber dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin überwiegt.
24
1. Ziffer 1 des Bescheides ist mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Die Voraussetzungen für ein Versammlungsverbot nach Art. 15 Abs. 1 und 2 BayVersG liegen ersichtlich nicht vor.
25
Nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist oder ein Fall des Art. 12 Abs. 1 BayVersG vorliegt. Die öffentliche Sicherheit umfasst dabei unter anderem die gesamte Rechtsordnung. Das Merkmal der unmittelbaren Gefahr macht eine Prognoseentscheidung dahingehend erforderlich, ob bei der Durchführung der Veranstaltung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch eine Verletzung der Rechtsordnung (§ 130 StGB) besteht. Eine unmittelbare Gefahr ist gegeben, wenn eine konkrete Sachlage vorliegt, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Bloße Vermutungen reichen für diese Annahme nicht aus. Erforderlich sind nachweisbare Tatsachen als Grundlage der Gefahrenprognose. Es müssen erkennbare Umstände dafür gegeben sein, dass eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (BVerfG, B.v. 21.4.1998 - 1 BvR 2311/94 - juris; B.v. 4.9.2009 - 1 BvR 2147/09 - juris). Die Darlegungs- und Beweislast trifft die Behörde. Aufgrund der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf diese keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen (BVerfG, B.v. 20.12.2012 - 1 BvR 2794/10 - juris; vgl. auch OVG Bremen, U.v. 31.5.2014 - 1 B 140/14 - juris).
26
Dies zugrunde gelegt kann vorliegend nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, dass bei der Durchführung der Versammlung eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht.
27
Die Antragsgegnerin begründet das Versammlungsverbot im Bescheid vom 06.02.2020 bzw. in der Antragserwiderung vom 12.02.2020 mit dem Konfliktpotential aus einer Gesamtschau aller am 15.02.2020 am und um den …platz beantragten Versammlungen sowie sonstigen Veranstaltungen. Insoweit stellt die Antragsgegnerin explizit auf den regulären Innenstadtbetrieb an einem Samstag mit Wochen- und Bauernmarkt, auf die in der „heißen Phase“ des Kommunalwahlkampfs stattfindenden politischen Aktivitäten einschließlich etwaiger Infostände, die erheblichen Belästigungen der Bewohner der Innenstadt sowie den Auswirkungen auf den Verkehr in Folge des geplanten Zuges des Antragstellers und auf zwei bereits angemeldete Gegenveranstaltungen ab.
28
Die Antragstellerin hat aber dabei schon im Ansatz nicht plausibel und substantiiert dargelegt, dass es aufgrund der genannten Gesamtschau der am 15.02.2020 in der … Innenstadt stattfindenden Veranstaltungen bei Durchführung der Versammlung zu einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit kommen wird.
29
Wie der Antragsteller zutreffend vorträgt, ist bei Eintreffen des Versammlungszuges in der „Fußgängerzone“ der Wochenmarkt bereits beendet. Die meisten Geschäfte in der Innenstadt dürften gegen 19:00 Uhr ebenfalls bereits geschlossen haben oder schließen, sodass die „Samstagseinkäufer“ zum größten Teil schon auf dem Heimweg sind. Ein Konflikt mit den Wahlkampfständen bzw. den dort anwesenden Personen vermag das Gericht ebenfalls nicht zu erkennen, da diese ausweislich des Bescheides überwiegend nur bis 13:00 Uhr als Sondernutzung zugelassen sind. Lediglich der Stand der „… Allianz“ ist bis 16:00 Uhr gestattet. Daneben ist keine der genannten Wahlkampfveranstaltungen für den …platz geplant. Der dem …platz nächstgelegene Stand befindet sich vor der …kirche. Die anderen Wahlkampfstände liegen noch weiter vom …platz entfernt, nämlich am … Markt bzw. am „…brunnen“. Der Versammlungsaufzug des „III. Wegs“ schwenkt zudem nicht über die … Straße und den … Markt in Richtung …platz ein, sondern gelangt gegen 19:00 Uhr aus der gegenläufigen Richtung über die …brücke und die …straße zur Abschlussveranstaltung auf den …platz.
30
Die in der Antragserwiderung nachgeschobenen Argumente (erhebliche Belastung der Bewohner der Innenstadt und großräumige Auswirkungen auf den Verkehr in Folge des geplanten Zuges) bleiben ebenfalls vage und unsubstantiiert. Es ist für das Gericht nicht ansatzweise ersichtlich, dass bei der geplanten Demonstration mit 50 bis 80 Teilnehmern - auch unter Berücksichtigung des Gesamtgeschehens in der … Innenstadt am 15.02.2020 - insoweit eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung prognostiziert werden kann. Dies gilt letztlich auch unter der Berücksichtigung der Tatsache, dass zwei Gegenveranstaltungen zur geplanten Versammlung angemeldet sind. Zum einen bleiben die Einzelheiten zu den geplanten Gegenveranstaltungen - auch im Rahmen der Antragserwiderung - völlig nebulös. Weder dem Bescheid noch dem dazugehörigen Verwaltungsvorgang sind auch nur ansatzweise Details zu den Gegenbewegungen zu entnehmen. Lediglich der Bevollmächtigte des Antragstellers hat insoweit einige Artikel - mit ebenfalls spärlichen Informationen - aus dem Internet bzw. aus den sozialen Medien vorgelegt. Im Übrigen hat auch die Polizei im Rahmen des Kooperationsgespräches am 03.02.2020 keinerlei Bedenken gegen die streitgegenständliche Versammlung angemeldet, obwohl zum damaligen Zeitpunkt die maßgeblichen Aspekte, u.a. auch die Gegenveranstaltungen, schon bekannt waren. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Polizei nicht in der Lage ist - ggf. durch Hinzuziehung von Unterstützungskräften - die öffentliche Sicherheit bei Durchführung der geplanten Versammlung bzw. der geplanten Versammlungen zu gewährleisten.
31
Damit sind schon im Ansatz die Tatbestandsvoraussetzungen für ein Verbot der Versammlung gem. Art. 15 Abs. 1 BayVersG nicht gegeben.
32
Lediglich ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass der Bescheid vom 06.02.2020 - selbst unter Berücksichtigung der nachgeschobenen Argumente in der Antragserwiderung vom 12.02.2020 - an erheblichen Ermessensfehlern leidet. Ausweislich des Wortlauts des Art. 15 Abs. 1 BayVersG steht die Verbotsentscheidung im Ermessen der Behörde. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist nicht ersichtlich. Soweit man überhaupt von Ermessenserwägungen der Antragstellerin sprechen kann, werden jedenfalls die Interessen und die grundgesetzlich geschützten Rechte des Antragstellers als potentieller Versammlungsteilnehmer und -leiter bzw. des Veranstalters unzureichend gewürdigt.
33
Daneben ist das Versammlungsverbot auch unverhältnismäßig. Bei einer Verbotsverfügung ist der sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die Antragsgegnerin geht aber im Verbotsbescheid nicht einmal ansatzweise auf mildere Mittel gegenüber dem Versammlungsverbot, insbesondere auf bloße Beschränkungsmöglichkeiten ein, obwohl der Antragsteller beim Kooperationsgespräch insoweit auch Zugeständnisse in Aussicht gestellt hat.
34
Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 BayVersG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 BayVersG sind seitens der Antragsgegnerin weder dargelegt noch anderweitig ersichtlich. Gleiches gilt für die Voraussetzungen der Verbotsnorm des Art. 15 Abs. 2 BayVersG.
35
Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass das unter Ziff. 1 des Bescheides ausgesprochene Versammlungsverbot schon im Ansatz von keiner Rechtsgrundlage gedeckt ist und gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstößt. Dementsprechend ist im hiesigen Eilverfahren die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verbotsverfügung anzuordnen.
36
2. Mit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Verbotsverfügung entfällt auch deren Vollstreckbarkeit nach Art. 19 Abs. 1 Nr. 2 BayVwZVG, so dass auch die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldandrohung (Art. 36 BayVwZVG) gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO und Art. 21a BayVwZVG anzuordnen ist.
37
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
38
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013.