Inhalt

OLG München, Endurteil v. 13.02.2020 – 18 U 6191/19
Titel:

Begründeter Schadensersatzanspruch wegen des Erwerbs eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen VW Golfs abzüglich des Nutzungsvorteils

Normenkette:
BGB § 280 Abs. 1 S. 1, § 311 Abs. 3, § 826, § 849
Leitsätze:
1. Das Inverkehrbringen eines Motors mit der vorliegenden  Umschaltlogik stellt eine konkludente Täuschung dar. (Rn. 27 – 35) (red. LS Andy Schmidt)
2. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (ebenso BGH BeckRS 2013, 20203). (Rn. 36 – 40) (red. LS Andy Schmidt)
3. Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es dabei allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Danach eingetretene Umstände können die sittenwidrige Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Geschädigten nicht ungeschehen machen. (Rn. 43 – 47) (red. LS Andy Schmidt)
4. Vom ursprünglichen Kaufpreis des Fahrzeuges ist eine angemessene Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen. Die danach anzurechnende Nutzungsentschädigung ist im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO ausgehend vom Bruttokaufpreis des streitgegenständlichen PKW und einer unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtlaufleistung sowie den tatsächlich gefahrenen Kilometern zu ermitteln. (Rn. 73 – 78) (red. LS Andy Schmidt)
Schlagworte:
Motor EA 189, Motorsteuerungssoftware, Täuschung, unzulässige Abschalteinrichtung, EG-Typgenehmigung, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, Software, Nutzungsentschädigung, Gesamtlaufleistung
Vorinstanz:
LG Traunstein, Endurteil vom 11.10.2019 – 6 O 3874/18
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe vom -- – VI ZR 240/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 7186

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 11.10.2019 in Ziffer 1. dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 9.386,11 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2.2.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs VW Golf VI mit der …30, und der Zahlungsantrag im Übrigen abgewiesen wird.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 14% und die Beklagte 86%.
Für die Kosten des Verfahrens erster Instanz bleibt es bei der Entscheidung in dem landgerichtlichen Urteil.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs eines PKW VW, in den ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe EA 189 eingebaut ist.
2
Mit Kaufvertrag vom 12.6.2015 erwarb die Klägerin beim Autohaus B. den gebrauchten Pkw VW Golf mit der …30 zum Preis von 11.000 €. Die Laufleistung zum Zeitpunkt des Kaufs betrug 76.994 km.
3
Für den Fahrzeugtyp wurde die EG-Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Steuerungssoftware des in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motors EA 189 erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird. In diesem Fall veranlasst die Software, dass Abgase beim Durchfahren des Prüfzyklus in den Motor zurückgeführt werden, bevor sie das Emissionskontrollsystem erreichen. Durch die Aktivierung dieses Modus (sog. Modus 1) werden bei der standardisierten Kontrolle auf dem Rollenprüfstand die Grenzwerte nach Euro 5 eingehalten. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet die Software in Modus 0, bei dem eine deutlich geringere Abgasrückführung erfolgt und in der Folge der Stickoxidausstoß wesentlich höher ist, so dass die Grenzwerte nach Euro 5 nicht mehr eingehalten werden.
4
Nach Bekanntwerden dieser sog. Umschaltlogik ordnete das Kraftfahrbundesamt (im Folgenden: KBA) die technische Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware an. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das vom KBA im Sommer 2016 freigegeben wurde. Dieses wurde beim Fahrzeug der Klägerin am 18.1.2017 aufgespielt.
5
Wegen des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen in dem landgerichtlichen Urteil Bezug genommen.
6
Ergänzend stellt der Senat fest, dass die Laufleistung des streitgegenständlichen PKW im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung 102.377 km betrug.
7
Das Landgericht hat die Beklagte mit Endurteil vom 11.10.2019 unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 9.423,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2.2.2019 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen PKW verurteilt und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des PKW seit 6.12.2018 in Verzug befinde. Zur Begründung hat das Landgericht - soweit im Berufungsverfahren noch von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:
8
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1 S. 1, § 311 Abs. 3 BGB zu. Wenn die Beklagte auch nicht Partnerin des von der Klägerin abgeschlossenen Kaufvertrags sei, bestehe doch ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien wegen der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens durch die Beklagte, das die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss beeinflusst habe, und ihres nicht unerheblichen eigenen Interesses. Die Klägerin habe nämlich in die Beklagte als einen der größten deutschen Automobilhersteller besonderes Vertrauen gesetzt, dass alle Vorschriften durch sie eingehalten würden, zumal einer ihrer Mitarbeiter eine Übereinstimmungsbescheinigung aufgrund der Verordnung (EG) Nr. 385/2009 ausgestellt und damit eine persönliche Zusicherung abgegeben habe. Ihre daraus resultierenden Pflichten gegenüber der Klägerin habe die Beklagte verletzt, da eine Übereinstimmung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit den europäischen Rechtsakten nicht gegeben sei und die Beklagte die Klägerin nicht vor dem Kauf auf die daraus resultierende nicht fernliegende Gefahr behördlichen Einschreitens hingewiesen habe. Ihr vermutetes Verschulden habe die Beklagte, die sich das Verhalten ihrer Mitarbeiter nach § 278 S. 1 BGB zurechnen lassen müsse, nicht widerlegt.
9
Der Schaden der Klägerin liege darin, dass sie durch das Verhalten der Beklagten zum Abschluss eines Vertrags gebracht worden sei, den sie sonst nicht geschlossen hätte. Die Klägerin habe überzeugend angegeben, dass sie bei Kenntnis, dass das Fahrzeug möglicherweise von einer abgasrechtlichen Problematik betroffen sei, den streitgegenständlichen Kaufvertrag nicht geschlossen hätte.
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Die Klägerin könne verlangen, so gestellt zu werden, als ob sie den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. Das führe zur Rückzahlung des von ihr gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen PKW. Im Rahmen des Vorteilsausgleichs müsse sich die Klägerin allerdings die von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Diese seien unter Berücksichtigung des Kaufpreises, der gefahrenen Kilometer und der zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km mit 1.576,69 € zu bewerten.
11
Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs sei zulässig und begründet, da der Beklagten das streitgegenständliche Fahrzeug mit Schreiben vom „30.11.2018“ (richtig: 21.11.2018) wörtlich angeboten worden sei. Ein tatsächliches Angebot sei nicht erforderlich gewesen.
12
Dieser Betrag sei ab Rechtshängigkeit zu verzinsen. Weitergehende Zinsen aus § 849 BGB seien nicht zuzusprechen, da die Klägerin im Gegenzug für die Hingabe des Kaufpreises das streitgegenständliche Fahrzeug bekommen und auch genutzt habe. Ob ihr überhaupt ein deliktischer Anspruch zustehe, könne daher dahinstehen.
13
Gegen dieses den Parteien am 14.10.2019 zugestellte Urteil haben die Klägerin am 29.10.2019 und die Beklagte am 11.11.2019 Berufung eingelegt. Die Klägerin hat ihre Berufung mit Schriftsatz vom 5.12.2019, bei Gericht eingegangen am selben Tag, begründet und die Beklagte ihre Berufung mit Schriftsatz vom 2.1.2020, bei Gericht eingegangen am 9.1.2020, nachdem die Berufungsbegründungsfrist für beide Parteien bis 14.1.2020 verlängert worden war.
14
Die Klägerin macht geltend, die Ausführungen des Landgerichts seien insoweit zutreffend, als es feststelle, dass die Beklagte die Klägerin durch den Einbau einer illegalen Abschalteinrichtung und das Erschleichen einer rechtswidrigen Typgenehmigung vorsätzlich geschädigt habe. Jedoch sei der Kaufpreis vom Zeitpunkt der Zahlung an nach § 849 BGB zu verzinsen. Die Nutzbarkeit des Fahrzeugs sei nicht als Ersatznutzungsmöglichkeit für die Klagepartei zu sehen, da die Nutzungsvorteile bereits von der Hauptforderung in Abzug gebracht worden seien.
15
Die Klägerin beantragt,
das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Traunstein vom 11.10.2019 insoweit abzuändern, als dass es hinter der Klageforderung zurückbleibt, indem es der Klagepartei die beantragten Deliktszinsen gem. § 849 BGB nicht zuspricht, und hinsichtlich des Klageantrags zu 3 wie folgt zu erkennen:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4% aus dem Netto-Kaufpreis in Höhe von 11.000,00 seit dem 13.06.2015 bis zum 05.12.2018, also insgesamt 1.532,16 Euro, zu zahlen.
16
Die Beklagte beantragt,
das am 11. Oktober 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Traunstein, Az. 6 O 3874/18, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
17
Zur Berufung der Klägerin stellt sie den Antrag,
die Berufung zurückzuweisen.
18
Sie führt aus, das Landgericht habe zu Unrecht einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagte bejaht. Der Klägerin sei kein ersatzfähiger Schaden entstanden. Der Vertragsschluss sei nicht wirtschaftlich nachteilig gewesen, da das Fahrzeug durch das Bekanntwerden der Software keinen Wertverlust erlitten habe. Der Vertragsschluss sei auch nicht subjektiv konkret nachteilig gewesen, weil der PKW für die Zwecke der Klägerin uneingeschränkt brauchbar gewesen sei. Ein vermeintlich eingetretener Schaden sei auch nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst. Selbst wenn man gleichwohl einen ersatzfähigen Schaden bejahen wollte, sei dieser zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung jedenfalls aufgrund des Software-Updates wieder entfallen.
19
Ferner habe die Klägerin die haftungsbegründende Kausalität nicht hinreichend nachgewiesen. Die Beklagte habe schon keine Täuschungshandlung gegenüber der Klagepartei begangen. Sie sei am Kaufvertragsabschluss nicht beteiligt gewesen. Im Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Motors liege keine aktive Täuschung, und eine Pflicht der Beklagten, die Klägerin über das Abgasverhalten des erworbenen Fahrzeugs bzw. die Umschaltlogik aufzuklären, habe nicht bestanden, zumal beim Kauf eines Gebrauchtfahrzeugs. Das nachvertragliche Verhalten der Klägerin spreche gegen eine Willensbeeinflussung durch die unterlassene Aufklärung. Ein Anscheinsbeweis oder die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens seien auf einen Fall wie den vorliegenden nicht anwendbar.
20
Die Beklagte habe sich - unabhängig vom Fehlen eines Schadensersatzanspruchs - auch deshalb nicht in Annahmeverzug befunden, weil die Klägerin ihr den PKW nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten habe.
21
Eine fehlende Nutzungseinbuße, die eine Verzinsung des Kaufpreises nach § 849 BGB rechtfertigen könne, habe die Klägerin nicht erlitten.
22
Hierzu beantragt die Klägerin,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
23
Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründungen der Klägerin vom 5.12.2019 (Bl. 147/149a d.A.) und der Beklagten vom 2.1.2020 (Bl. 157/206 d.A.), die Berufungserwiderungen der Klägerin vom 27.1.2020 (Bl. 211/212 d.A.) und der Beklagten vom 27.1.2020 (Bl. 213/220 d.A.) sowie die weiteren im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsätze, jeweils mit Anlagen, und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4.2.2020 (Bl. 225/227 d.A.).

Entscheidungsgründe

II.
24
A. Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO zulässig, aber nur zu einem geringen Teil begründet.
25
1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 3 BGB, auf die sich die Klägerin selbst gar nicht beruft, liegen allerdings entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht vor. Die Klägerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die Beklagte, die unstreitig nicht ihre Vertragspartnerin geworden ist, in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hätte. Diese Voraussetzungen sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur erfüllt, wenn der Dritte unmittelbar oder mittelbar - durch eine für ihn handelnde Person - an den Vertragsverhandlungen teilgenommen und dabei durch sein Auftreten eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität des Geschäfts oder die Erfüllung des Vertrags übernommen hat (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 311 Rn. 63 m.w.N.). Die Klägerin hat den streitgegenständlichen gebrauchten VW Golf jedoch ohne Mitwirkung der Beklagten von einem KFZ-Händler gekauft.
26
2. Der Klägerin steht jedoch gem. §§ 826, 31 BGB ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte in Höhe des Kaufpreises von 11.000 € abzüglich einer angemessenen Entschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu, insgesamt mithin von 9.368,11 €. In dieser Höhe ist die Berufung der Beklagten unbegründet. Soweit der Klägerin vom Landgericht ein höherer Schadensersatzanspruch zugesprochen wurde, war die Klage dagegen auf die Berufung der Beklagten unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen.
27
a. Das Inverkehrbringen eines Motors mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik stellt eine konkludente Täuschung der Klägerin durch die Beklagte dar (so auch OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 - 13 U 142/18 -, juris Rn. 9 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.11.2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 21 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 - 5 U 1318/18 -, juris Rn. 22 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.9.2019 - 13 U 149/18 -, juris Rn. 44 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019 - 10 U 11/19 -, BeckRS 2019, 23215 Rn. 33 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.9.2019 - 17 U 45/19 -, juris Rn. 4 ff.).
28
aa. Mit dem Inverkehrbringen des Motors hat die Beklagte jedenfalls konkludent zum Ausdruck gebracht, dass ein damit ausgerüstetes Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf.
29
Bevor ein Kraftfahrzeughersteller berechtigt ist, ein Fahrzeug für die Nutzung im Straßenverkehr auf den Markt zu bringen, hat er die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren erfolgreich zu absolvieren. Insbesondere ist die sogenannte EG-Typgenehmigung durch das KBA als zuständiger Behörde (§ 2 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung; im Folgenden: EG-FGV) einzuholen und eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen (§ 27 Abs. 1 EG-FGV). Stellt das KBA nach Erteilung einer formell wirksamen Typgenehmigung fest, dass ein Fahrzeug nicht die materiellen Voraussetzungen für den genehmigten Typ einhält, kann es zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge entweder gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung anordnen oder gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV die EG-Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufen bzw. zurücknehmen. Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (im Folgenden: FZV) dürfen Fahrzeuge allerdings nur in Betrieb gesetzt werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind, was gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 FZV voraussetzt, dass sie einem genehmigten Typ entsprechen. Wird die EG-Typgenehmigung entzogen oder mit Nebenbestimmungen versehen, entspricht das Fahrzeug - im Fall der Nebenbestimmung: bis zur Nachrüstung - keinem genehmigten Typ mehr. Die Zulassungsbehörde kann dem Eigentümer oder Halter dann gemäß § 5 Abs. 1 FZV eine Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen.
30
Der Käufer eines Kraftfahrzeugs kann vor diesem Hintergrund nicht nur davon ausgehen, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs die notwendige EG-Typgenehmigung formal vorliegt, sondern auch davon, dass keine nachträgliche Rücknahme oder Änderung droht, weil die materiellen Voraussetzungen bereits bei Erteilung nicht vorgelegen haben. Entsprechend dieser selbstverständlichen Käufererwartung ist dem Inverkehrbringen eines Motors der Erklärungswert beizumessen, dass auch die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge, in denen dieser Motor eingebaut wird, vorlagen.
31
bb. Vorliegend enthielt jedoch die im streitgegenständlichen Fahrzeug installierte Motorsteuerungssoftware eine Umschaltlogik, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 II 1 der VO [EG] Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (Abl. 2007 L 171; im Folgenden: VO [EG] Nr. 715/2007) zu qualifizieren ist (so auch BGH, Hinweisbeschluss vom 8.1.2019 - VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 5 ff.; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 - 13 U 142/18 -, juris Rn. 15; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.11.2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 27; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 - 5 U 1318/18 -, juris Rn. 25 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.9.2019 - 13 U 149/18 -, juris Rn. 45; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019 - 10 U 11/19 -, BeckRS 2019, 23215 Rn. 35). Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung waren entgegen dem konkludenten Erklärungswert des Inverkehrbringens gerade nicht die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung gegeben, so dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand.
32
Nach Art. 5 I VO [EG] Nr. 715/2007 hat der Hersteller nämlich von ihm gefertigte Neufahrzeuge dergestalt auszurüsten, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen den Vorgaben der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass sich die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen (vgl. Erwägungsgrund 12 der VO [EG] Nr. 715/2007) und dass die zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte erforderliche erhebliche Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vgl. Erwägungsgrund 12 der VO [EG] Nr. 715/2007) erreicht wird (BGH, NJW 2019, 1133, Rn. 10). Folgerichtig sieht die Verordnung die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, strikt als unzulässig an (Art. 5 II 1 VO [EG] Nr. 715/2007), sofern nicht die ausdrücklich normierten Ausnahmetatbestände (Art. 5 II 2 VO [EG] Nr. 715/2007) greifen. Eine „Abschalteinrichtung“ ist nach Art. 3 Nr. 10 VO [EG] Nr. 715/2007 jedes Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
33
Ausgehend von diesen weitgefassten Bestimmungen handelt es sich auch bei der im Fahrzeug der Klägerin installierten Motorsteuerungssoftware um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 II VO [EG] Nr. 715/2007. Denn eine solche Software erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet und schaltet in diesem Fall in den Modus 1, bei dem verstärkt Abgase in den Motor zurückgelangen und sich so der Ausstoß an Stickoxiden (NOx) verringert. Im normalen Fahrbetrieb hingegen aktiviert die Software den Modus 0, bei dem eine Abgasrückführung nur in geringerem Umfang stattfindet; sie ermittelt also aufgrund technischer Parameter die betreffende Betriebsart des Fahrzeugs - Prüfstandlauf oder Echtbetrieb - und aktiviert oder deaktiviert dementsprechend die Abgasrückführung, was unmittelbar die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtigt.
34
Soweit Art. 5 II 2 VO [EG] Nr. 715/2007 in bestimmten Fällen die Verwendung von Abschalteinrichtungen gestattet, liegen die hierfür erforderlichen (engen) Voraussetzungen nicht vor. Die vorgesehenen Ausnahmen kommen - nicht zuletzt aufgrund des in Art. 5 I VO [EG] Nr. 715/2007 ausdrücklich benannten Regelungszwecks dieser Vorschrift - von vornherein nicht in Betracht, wenn die betreffende Abschalteinrichtung gerade dazu dient, bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen, um auf diese Weise die Einhaltung der (andernfalls nicht erreichten) Emissionsgrenzwerte sicherzustellen. Aufgrund der beschriebenen Wirkungsweise der Software handelt es sich weder um eine Abschalteinrichtung, die notwendig ist, um den Motor vor einer Beschädigung oder einem Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 II 2 Buchst. A VO [EG] Nr. 715/2007), noch um eine Abschalteinrichtung, die nicht länger arbeitet, als dies zum Anlassen des Motors erforderlich ist (Art. 5 II 2 Buchst. B VO [EG] Nr. 715/2007).
35
cc. Das Inverkehrbringen eines Motors mit einer nicht offen gelegten unzulässigen Abschalteinrichtung stellt eine konkludente Täuschung auch solcher Käufer durch die Beklagte dar, die das Fahrzeug, wie hier, gebraucht von einem Dritten erworben haben. Denn die Beklagte ging davon aus, dass die so ausgerüsteten Fahrzeuge als Neu- und später auch als Gebrauchtwagen unverändert weiterveräußert werden. Gerade darauf basiert das Geschäftsmodell der Beklagten. Für den Weiterverkauf von Neufahrzeugen durch ihre Vertragshändler liegt das auf der Hand. Es gilt jedoch auch für den späteren Verkauf als Gebrauchtwagen durch diese Händler oder Dritte, denn auch die spätere Weiterveräußerbarkeit durch einen Fahrzeugkäufer ist für die Attraktivität der Fahrzeuge und damit deren Absatz entscheidend (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019 - 10 U 11/19 -, BeckRS 2019, 23215 Rn. 33).
36
b. Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig.
37
aa. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., BGH, Urteil vom 15.10.2013 - VI ZR 124/12 -, juris Rn. 8 m.w.N.). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28.6.2016 - VI ZR 536/15 -, juris Rn. 16).
38
bb. Nach diesem Maßstab ist von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten auszugehen (so auch OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 - 13 U 142/18 -, juris Rn. 31 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.11.2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 42 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 - 5 U 1318/18 -, juris Rn. 45 ff.; OLG Köln, Urteil vom 17.7.2019 - 16 U 199/18 -, juris Rn. 5 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.9.2019 - 13 U 149/18 -, juris Rn. 64 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019 - 10 U 11/19 -, BeckRS 2019, 23215 Rn. 48 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.9.2019 - 17 U 45/19 -, juris Rn. 4 ff.):
39
Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Zwar ist allein ein Handeln mit Gewinnstreben grundsätzlich nicht als verwerflich zu beurteilen. Im Hinblick auf das eingesetzte Mittel erscheint es hier aber als verwerflich: Bereits das Ausmaß der Täuschung, nämlich der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen verschiedener Marken des Konzerns verbaut wurde, mit der Folge einer entsprechend hohen Zahl getäuschter Käufer, rechtfertigt das besondere Unwerturteil. Überdies erscheint auch die Art und Weise der Täuschung verwerflich: Durch die dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge vorangegangene Täuschung der Typgenehmigungsbehörde zur Erlangung der EG-Typgenehmigung hat sich die Beklagte bei Verkauf der Fahrzeuge das Vertrauen der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens und damit auch in die Objektivität der staatlichen Behörde zunutze gemacht. Die Verwerflichkeit des Handelns ergibt sich des Weiteren aus den resultierenden Folgen: Hier droht zum einen den Käufern erheblicher Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs (was bereits vielfach geschehen ist, wie aus einer Vielzahl veröffentlichter verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen bekannt ist). Das von der Beklagten angebotene Software-Update stellt allein ein Angebot der Schadenswiedergutmachung dar. Überdies hat die Beklagte durch die Ausstattung einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen mit dieser Abschalteinrichtung eine erhebliche Beeinträchtigung der Umwelt über die zugelassenen Emissionen hinaus in Kauf genommen.
40
Zusammenfassend ergibt sich die Sittenwidrigkeit des Handelns im vorliegenden Fall aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich das KBA, und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse.
41
Überdies liegt eine vorsätzliche Täuschung vor (hierzu unten) mit dem Ziel, unter Ausnutzung der Fehlvorstellung der Kunden hohe Absatzzahlen zu erreichen. Allein dieser Umstand kann es schon rechtfertigen, Sittenwidrigkeit im Sinn des § 826 BGB zu bejahen (vgl. BGH, Urteil vom 28.6.2016 - VI ZR 536/15 -, juris Rn. 16).
42
c. Durch diese Täuschung hat die Klägerin einen Vermögensschaden erlitten, der in dem Abschluss des Kaufvertrages zu sehen ist (so auch OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 - 13 U 142/18 -, juris Rn. 17 ff., und Urteil vom 6.11.2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 28 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 - 5 U 1318/18 -, juris Rn. 80 ff.; OLG Köln, Urteil vom 17.7.2019 - 16 U 199/18 -, juris Rn. 15 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.9.2019 - 13 U 149/18 -, juris Rn. 49 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019 - 10 U 11/19 -, BeckRS 2019, 23215 Rn. 38 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.9.2019 - 17 U 45/19 -, juris Rn. 18 f.).
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aa. § 826 BGB stellt hinsichtlich des Schadens begrifflich nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter ab, weshalb der nach dieser Norm ersatzfähige Schaden weit verstanden wird. Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar.
44
Nach diesen Grundsätzen kommt es nicht darauf an, ob das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs angesichts der unzulässigen Abschalteinrichtung einen geringeren Marktwert hatte oder seine Nutzbarkeit eingeschränkt war. Der Schaden des in die Irre geführten Käufers liegt in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen. Entscheidend ist mithin allein, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (BGH, Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14 -, juris Rn. 18; BGH, Urteile vom 19.7.2004 - II ZR 217/13 -, NJW 2004, 2668, und - II ZR 402/13 -, juris).
45
Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es dabei allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Danach eingetretene Umstände können die sittenwidrige Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Geschädigten nicht ungeschehen machen.
46
bb. Diese Voraussetzungen waren im - maßgeblichen - Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gegeben. Wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung drohte der Klägerin nicht nur ein gesteigerter Wertverlust des erworbenen Fahrzeugs, die Entziehung der EG-Typgenehmigung bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen mit der Folge, dass das Fahrzeug - im Fall der Nebenbestimmung bis zur Nachrüstung - keinem genehmigten Typ mehr entsprach. Der Hauptzweck des Fahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, war damit bereits vor einer tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet. Denn wird die EG-Typgenehmigung entzogen, droht die Stilllegung; werden Nebenbestimmungen angeordnet, ist die fortdauernde Nutzbarkeit von einer Nachrüstung des Fahrzeugs durch den Hersteller abhängig.
47
Das streitgegenständliche Fahrzeug war mithin für die Zwecke der Klägerin nicht voll brauchbar und der Abschluss des Kaufvertrags begründete für die Klägerin eine nicht gewollte Verbindlichkeit.
48
d. Auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nach § 826 BGB liegen vor.
49
aa. In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Tatumstände voraus, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen.
50
Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Er enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen. Dies würde lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf rechtfertigen (st. Rspr., BGH, Urteil vom 28.6.2016 - VI ZR 536/15 -, juris Rn. 25 m.w.N.).
51
Für den eigens festzustellenden subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen (BGH, Urteil vom 13.9.2004 - II ZR 276/02 -, juris Rn. 36).
52
bb. Die deliktische Haftung einer juristischen Person gemäß § 31 BGB setzt voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinn des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit lässt sich nicht dadurch begründen, dass unter Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung und -zusammenrechnung auf die „im Hause“ der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse abgestellt wird. Insbesondere lässt sich eine die Sittenwidrigkeit begründende bewusste Täuschung nicht durch mosaikartiges Zusammenrechnen der bei verschiedenen Mitarbeitern der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse konstruieren. Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen vielmehr kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinn des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28.6.2016 - VI ZR 536/15 -, juris Rn. 13, 23, 25 f.).
53
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ über den Wortlaut der §§ 30, 31 BGB hinaus weit auszulegen und bezeichnet auch Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt (sogenannte Repräsentantenhaftung, st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 28.6.2016 - VI ZR 536/15 -, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 5.3.1998 - III ZR 183/96 -, juris Rn. 18; BGH, Urteil vom 30.10.1967 - VII ZR 82/65 -, juris Rn. 11). Der personelle Anwendungsbereich von § 31 BGB deckt sich in etwa mit dem Begriff des leitenden Angestellten im Sinn des Arbeitsrechts (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl. § 31 Rn. 6).
54
cc. Insoweit trifft die Beklagte aber nach Ansicht des Senats eine sekundäre Darlegungslast, weil die Klägerin außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann, während der Beklagten die erforderliche tatsächliche Aufklärung möglich und zumutbar ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 28.6.2016 - VI ZR 559/14, Rn. 18, NJW 2016, 3244).
55
(1) Steht ein (primär) darlegungspflichtiger Anspruchsteller außerhalb des für seinen Anspruch erheblichen Geschehensablaufs und kennt der Anspruchsgegner alle wesentlichen Tatsachen, so genügt nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast das einfache Bestreiten seitens des Anspruchsgegners nicht, sofern ihm nähere Angaben zuzumuten sind (vgl. BGH, Urteil vom 17.1.2008 - III ZR 239/06 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Der insoweit sekundär Darlegungspflichtige kann dabei im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen und Mitteilung der Ergebnisse verpflichtet sein (vgl. BGH, Urteil vom 30.3.2017 - I ZR 19/16 -, juris Rn. 15). So liegt es im vorliegenden Fall (so auch OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 - 13 U 142/18 -, juris Rn. 51 ff., und Urteil vom 6.11.2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 79 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 - 5 U 1318/18 -, juris Rn. 75 ff.; OLG Köln, Urteil vom 17.7.2019 - 16 U 199/18 -, juris Rn. 10 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.9.2019 - 13 U 149/18 -, juris Rn. 64 ff.; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019 - 10 U 11/19 -, BeckRS 2019, 23215 Rn. 71 ff.).
56
(2) Die Klägerin trägt vor, dass „die Beklagte“ bei der Entwicklung des streitgegenständlichen Motors gewusst habe, dass eine illegale Abschalteinrichtung verwendet worden und das Fahrzeug nicht zulassungsfähig sei. „Die Beklagte“ habe durch die Abschalteinrichtung zulässige Emissionswerte vorgespiegelt.
57
Die Beklagte wendet hiergegen ein, die Klägerin habe nicht schlüssig vorgetragen, dass der Vorstand der Beklagten im aktienrechtlichen Sinn zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses Kenntnis von der Programmierung und der Verwendung der Software gehabt habe, und bestreitet den Tatsachenvortrag der Klägerin (vgl. Klageerwiderung vom 11.4.2019 S. 24 ff. und S. 43, Bl. 56 ff. und 75 d.A.). Sie trägt insoweit vor, dass die Beklagte die genaue Entstehung der in den EA-189-Motoren zum Einsatz kommenden Software, die die NOx-Werte auf dem Prüfstand optimiere, derzeit aufkläre. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen seien. Die Beklagte bestreite daher, dass Vorstandsmitglieder vor dem 19./20.9.2015 von der Software gewusst und deren Einsatz gebilligt hätten. Nach derzeitigem Ermittlungsstand sei die Entscheidung, die Motorsteuerungssoftware zu entwickeln und zu verwenden, von Mitarbeitern unterhalb der Vorstandsebene auf nachgeordneter Arbeitsebene getroffen worden. Auch diese hätten aber nicht mit dem Vorsatz gehandelt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug deshalb minderwertig sein könnte.
58
(3) Vorliegend ist der Vortrag der Klägerin noch als hinreichend substantiiert anzusehen, während die Beklagte der sie treffenden Darlegungslast nicht nachgekommen ist.
59
Angesichts dessen, dass die Klägerin außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht, reicht ihre Behauptung aus, dass der Beklagten die oben erörterten Umstände bekannt gewesen seien, während sich die Beklagte als Folge der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht auf das Bestreiten der Kenntnis von Vorständen im aktienrechtlichen Sinne im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags beschränken durfte. Die Beklagte hätte durch substantiierten Vortrag die Behauptung der Klägerin erschüttern müssen und mindestens zu den von ihr behaupteten internen Ermittlungen im Einzelnen vortragen und darlegen müssen, welche Personen die Entwicklung der Softwarefunktion beauftragt bzw. bei dem Zulieferer bestellt haben und was die üblichen Abläufe bei einem solchen Auftrag bzw. einer Entscheidung von solcher Tragweite sind.
60
dd. Da hier die Grundsätze der sekundären Darlegungslast eingreifen, gilt der Vortrag der Klägerseite als zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO.
61
Zudem besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein Vorstand oder Repräsentant der Beklagten den Einsatz der beanstandeten Motorsteuerungssoftware gekannt und gebilligt hat, weil ein „Verhaltensexzess eines untergeordneten Mitarbeiters“, der den Vorstand bzw. Repräsentanten, der den Einsatz der Motorsteuerungssoftware genehmigt hat, ebenfalls getäuscht haben müsste, höchst unwahrscheinlich wäre (vgl. OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019, a.a.O.).
62
e. Der Schadensersatzanspruch scheitert - entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichts Braunschweig (Urteil vom 19.2.2019 - 7 U 134/17 -, BeckRS 2019, 2737 Rn. 186 ff.) - nicht aufgrund des Schutzzwecks des § 826 BGB (so auch OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 - 13 U 142/18 -, juris Rn. 39 ff., und Urteil vom 6.11.2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 49 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 - 5 U 1318/18 -, juris Rn. 93 ff.; OLG Köln, Urteil vom 17.7.2019 - 16 U 199/18 -, juris Rn. 21 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 10.9.2019 - 13 U 149/18 -, juris Rn. 81 f.; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019 - 10 U 11/19 -, BeckRS 2019, 23215 Rn. 52; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.9.2019 - 17 U 45/19 -, juris Rn. 24 ff.)
63
Zwar ist, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Bereich des § 826 BGB der Haftungsumfang nach Maßgabe des Schutzzwecks der Norm zu beschränken (st. Rspr. BGH, Urteil vom 3.3.2008 - II ZR 310/06 -, juris Rn. 15 m.w.N.). Doch besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung für eine solche Beschränkung, denn die Haftung aus § 826 BGB knüpft - anders als etwa ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit bestimmten europarechtlichen Normen - nicht unmittelbar an den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO [EG] Nr. 715/2007 an, sondern folgt aus der mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs verbundenen Täuschung über die Erfüllung der materiellen Typgenehmigungsvoraussetzungen. Diese Pflichtverletzung ist für den Rechtskreis des Käufers ersichtlich von Bedeutung, weil über einen die Kaufentscheidung wesentlich beeinflussenden Umstand getäuscht wird.
64
f. Der Schaden in Form des Kaufvertragsabschlusses wurde nach den Feststellungen des Landgerichts durch das Handeln der Beklagten verursacht.
65
aa. An diese Feststellungen ist das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dies wäre dann der Fall, wenn das Erstgericht bei seiner Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hätte oder die Feststellungen fehler- oder lückenhaft wären (BGH NJW 2004, 1876; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 40. Auflage, § 529 Rn. 2, 3). Dahingehende Fehler des Erstgerichts bei der Feststellung des Sachverhalts ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Beklagten noch aus der von Amts wegen vorzunehmenden Überprüfung durch den Senat (BGH NJW 2005, 983, 984).
66
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ausdrücklich erklärt, dass sie das streitgegenständliche Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn sie gewusst hätte, dass dort eine Abschalteinrichtung verbaut sei, denn sie habe sich für ein Dieselfahrzeug entschieden, weil sie umweltfreundlich fahren wolle. Da nach der Lebenserfahrung niemand ein Kraftfahrzeug kaufen würde, wenn ihm bekannt wäre, dass dieses zwar formal über eine EG-Typgenehmigung verfügt, aber wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung diese nicht hätte erhalten dürfen, weshalb Maßnahmen der die Typgenehmigung erteilenden Behörde und dem folgend der Zulassungsstelle bis hin zur Stilllegung drohen (vgl. OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 - 13 U 142/18 -, BeckRS 2019, 3395 Rn. 23), hat das Landgericht die von der Klägerin bei ihrer Anhörung gemachten Angaben ohne erkennbaren Fehler als glaubhaft angesehen.
67
bb. Dass die Klägerin das Fahrzeug nicht unmittelbar von der Beklagten erworben hat, stellt den Kausalzusammenhang zwischen konkludenter Täuschung und Fahrzeugerwerb nicht in Frage. Denn durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs hat die Beklagte den Kausalverlauf bewusst unter Einschaltung ihres Vertriebssystems in Gang gesetzt. Die mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs verbundene konkludente Täuschung seitens des Herstellers über das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen für die EG-Typgenehmigung wirkt fort, weil hinsichtlich derartiger Angaben der Fahrzeughändler lediglich das durch den Hersteller vermittelte Wissen weitergibt und der Käufer insoweit auf die Herstellerangaben sowie - im vorliegenden Fall der konkludenten Täuschung - auf die Seriosität des Herstellers vertraut (so auch OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019, a.a.O. Rn. 28, und Urteil vom 6.11.2019 a.a.O. Rn. 39; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019, a.a.O. Rn. 45).
68
g. Die Beklagte hat gem. §§ 249 ff. BGB der Klägerin sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen.
69
aa. Der Ersatzanspruch richtet sich bei § 826 BGB auf das negative Interesse. Wenn wie hier die Geschädigte durch Täuschung zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, steht ihr im Rahmen der Naturalrestitution gem. § 249 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrags zu. Die Geschädigte ist so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn sie nicht getäuscht worden wäre. Wenn sie dann - wie die Klägerin im vorliegenden Fall - den PKW nicht erworben hätte, besteht die nach § 249 Abs. 1 BGB zu leistende Naturalrestitution im Geldersatz in Höhe des für den Erwerb aufgewendeten Kaufpreises gegen Übertragung des aus dem Vertrag Erlangten auf den Schädiger (vgl. BGH, Urteile vom 19.7.2004 - II ZR 217/03 und II ZR 402/02 -, juris BGH, Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14 -, juris Rn. 28; so auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.11.2019 a.a.O. OLG Stuttgart, Urteil vom 24.9.2019, a.a.O.; KG Berlin, Urteil vom 26.9.2019 - 4 U 77/18 -, juris Rn. 122; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.9.2019 - 17 U 45/19 -, a.a.O. Rn. 36).
70
Die Klägerin hat daher einen Anspruch auf Zahlung des von ihr aufgewendeten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte.
71
bb. Da es für die Schadensentstehung, wie dargelegt, maßgeblich auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses ankommt, entfällt der Schaden nicht durch die nach Vertragsschluss durchgeführte Installation des von der Beklagten zur Erfüllung der vom KBA angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung entwickelten Software-Updates, weil dadurch die Belastung mit einer so nicht gewollten Verbindlichkeit nicht entfällt. Das Software-Update ist insoweit nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot zur Verhinderung weiterer Nachteile zu bewerten (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 a.a.O. Rn. 20; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 a.a.O. Rn. 98; OLG Hamm, Urteil vom 10.9.2019 a.a.O. Rn. 52).
72
Der Klägerin könnte der geltend gemachte Schadensersatzanspruch allenfalls dann nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu versagen sein, wenn der streitgegenständliche Pkw nach dem zwischenzeitlich erfolgten Aufspielen des Software-Updates in jeder Beziehung - einschließlich des Verkehrswerts - den berechtigten Erwartungen der Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsschlusses entspräche und die Entgegennahme des Updates als Annahme an Erfüllungs statt gemäß § 364 Abs. 1 BGB auszulegen wäre. Etwaige verbleibende Zweifel gehen insoweit zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten. Eine solche Auslegung scheitert hier schon daran, dass die Beklagte das Update nicht als Erfüllung eines Schadensersatzanspruchs der Klägerseite angeboten hat, sondern um der Auflage des KBA Genüge zu tun. Dies folgt bereits daraus, dass sie durchgehend jegliche Schadensersatzansprüche der Käufer, insbesondere auch der Klägerin, bestritten und behauptet hat, das Fahrzeug sei auch mit der ursprünglichen Software mangelfrei. Auch lässt sich die Entgegennahme der Leistung durch die Klägerin im vorliegenden Fall nicht als Annahme an Erfüllungs statt deuten. Angesichts des Bescheids des KBA liegt es vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont nahe, dass die Klägerin das Update aufspielen ließ, um die Weiternutzung ihres Fahrzeugs nicht zu gefährden. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin auf eine gänzlich andere Leistung, nämlich die Rückgängigmachung der Kaufvertragsfolgen, gerichtet ist. Ein objektiver Empfänger wird nicht davon ausgehen, dass die Klägerin mit der Entgegennahme einer behördlich angeordneten „Nachbesserungsmaßnahme“ auf die bestehenden weitergehenden Ansprüche verzichten wollte, zumal die Beklagte das Aufspielen des Updates im Hinblick auf die Anordnung des KBA auch nicht von einer solchen Erklärung hätte abhängig machen können (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 a.a.O. Rn. 126; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.11.2019 a.a.O. Rn. 121 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 a.a.O. Rn. 98).
73
cc. Von dem ursprünglichen Kaufpreis ist eine angemessene Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen.
74
(1) Es stellt einen anerkannten Grundsatz des Schadensrechts dar, dass der Geschädigte infolge des schädigenden Ereignisses nicht besser gestellt werden darf, als er ohne das schädigende Ereignis stünde, dass ihm also neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet unabhängig davon, ob der Schädiger die Herausgabe des Vorteils verlangt (st. Rspr., BGH, Urteil vom 23.6.2015 - XI ZR 536/14 -, NJW 2015, 3160 Tz. 22 f. m.w.N.). Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes unter Wertungsgesichtspunkten bedarf stets einer besonderen Rechtfertigung. Wenn der Geschädigte - wie im vorliegenden Fall - im Wege des Schadensersatzes so zu stellen ist, als ob er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte, wäre es in sich widersprüchlich und regelmäßig unbillig, ihm die Gebrauchsvorteile zu belassen, die er aus der Nutzung der Kaufsache gezogen hat.
75
Das deutsche Zivilrecht sieht als Rechtsfolge einer unerlaubten Handlung nur den Schadensausgleich (§§ 249 ff. BGB) vor, nicht aber eine Bereicherung des Geschädigten. Die Bestrafung eines arglistig handelnden Täters und eine - im Rahmen der Schuld angemessene - Abschreckung sind mögliche Ziele des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, nicht aber des Zivilrechts. Dadurch ist auch den einschlägigen europarechtlichen Regelungen Genüge getan, die dem nationalen Gesetzgeber auferlegen, für Verstöße wirksame Sanktionen zu verhängen, beispielsweise Art. 13 Abs. 2 lit. d VO (EG) 715/2007 betreffend das Verbot illegaler Abschalteinrichtungen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16.9.2019 - 12 U 61/19 -, juris).
76
Ein Abschreckungseffekt für den Geschädigten, der ihn entgegen dem im Europarecht maßgeblichen Effektivitätsgrundsatz von der Geltendmachung seines Schadens abhalten könnte, ist nach Ansicht des Senats mit der bloßen Anrechnung der gezogenen Nutzungen auf den Schaden nicht verbunden, anders als im Fall des kaufvertraglichen Gewährleistungsanspruchs auf Nachlieferung, der in Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44/EG geregelt ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17.4.2008, C-404/06, juris).
77
(2) Die danach anzurechnende Nutzungsentschädigung hat das Landgericht zutreffend im Wege der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO ausgehend vom Bruttokaufpreis des streitgegenständlichen PKW und einer unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtlaufleistung von 250.000 km ermittelt (vgl. BGH, Urteil vom 17.5.1995 - VIII ZR 70/97 -, NJW 1995, 2159, 2161; so auch OLG Karlsruhe, OLG Koblenz, OLG Köln, OLG Hamm und OLG Stuttgart, jeweils a.a.O.). Die von der Klägerin gefahrenen Kilometer beliefen sich zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren allerdings bereits auf 25.383 (102.377 km abzüglich 76.994 km im Erwerbszeitpunkt). Dies ergibt eine zu berücksichtigende Nutzungsentschädigung von 1.613,89 € (= 11.000 € x 25.383 km: 173.006 km).
78
Damit verbleibt ein ersatzfähiger Schadensbetrag von 9.386,11 €, also weniger, als der Klägerin im landgerichtlichen Urteil zugesprochen wurde.
79
dd. Dieser Betrag ist ab Verzugseintritt gem. § 288 Abs. 1 BGB zu verzinsen.
80
2. Soweit sich die Beklagte gegen die Feststellung des Annahmeverzugs wendet, hat ihre Berufung keinen Erfolg, da die Beklagte sich bereits bei Klageerhebung mit der Annahme des streitgegenständlichen PKW gemäß § 293 BGB in Verzug befand.
81
Annahmeverzug setzt voraus, dass der Gläubiger dem Schuldner die Leistung, so wie sie geschuldet wird, anbietet (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl, § 293, Rn. 9). Ein wörtliches Angebot genügt nach § 295 BGB, wenn der Zug um Zug leistungspflichtige Gläubiger erklärt, er werde die Gegenleistung nicht erbringen (Palandt/Grüneberg a.a.O. § 295, Rn. 5). Zwar tritt bei einer Zug um Zug zu erbringenden Leistung bezüglich der Gegenleistung Annahmeverzug nicht ein, wenn der Gläubiger eine deutlich zu hohe Leistung fordert (BGH, Urteil vom 20.7.2005 - VIII ZR 275/04 -, BGHZ 163, 381-391, Rn. 27 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 16.9.2019 - 12 U 61/19 -, juris m.w.N.; OLG Köln, Urteil vom 17.7.2019 - 16 U 199/18; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.9.2007 - 7 U 169/06 -, NJW 2008, 925). Die Klägerin hat jedoch mit ihrem vorgerichtlichen Anwaltsschreiben vom 21.11.2018 (Anlage K 5) das Fahrzeug und die Zahlung einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen die Zahlung des vollen Kaufpreises angeboten. Damit hat sie nur die von der Beklagten tatsächlich geschuldete Leistung verlangt.
82
B. Die Berufung der Klägerin ist ebenfalls gemäß §§ 511, 513, 517, 519, 520 ZPO zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
83
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verzinsung des gezahlten Kaufpreises mit 4% jährlich von der Zahlung an bis zum Verzugseintritt, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 849 BGB liegen nicht vor.
84
1. Diese Vorschrift billigt dem Geschädigten ohne Nachweis eines konkreten Schadens Zinsen als pauschalierten Schadensersatz für die entgangene Nutzung einer ihm durch den Schädiger entzogenen oder beschädigten Sache zu (vgl. Staudinger/Vieweg, BGB, 2015, § 849 Rn. 1). Der Zinsanspruch soll mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGHZ 87, 38, 41).
85
§ 849 BGB ist nach seinem Wortlaut nicht auf die Wegnahme beschränkt und verlangt nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird, sondern erfasst jeden Sachverlust durch ein Delikt. Auch wenn der Schädiger den Geschädigten durch eine unerlaubte Handlung wie Betrug oder Erpressung dazu bestimmt, eine Sache wegzugeben oder darüber zu verfügen, entzieht er sie ihm. Sache im Sinne von § 849 BGB ist auch Geld (BGHZ 8, 288, 298). Dabei ist die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht durch § 90 BGB, wonach nur körperliche Gegenstände Sachen im Sinne des Gesetzes sind, auf die Entziehung von Bargeld beschränkt (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 26.11.2007 - II ZR 167/06 -, NJW 2008, 1084 m.w.N).
86
Der Regelung des § 849 BGB kann dennoch ein allgemeiner Rechtssatz dahin, deliktische Schadensersatzansprüche seien stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen, nicht entnommen werden (BGH, Urteil vom 12.6.2018 - KZR 56/16 -, juris, Rn. 45 m.w.N.). Der Normzweck geht vielmehr dahin, den endgültig verbleibenden Verlust an der Nutzbarkeit der weggegebenen Sache als pauschalierten Mindestbetrag auszugleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGH, NJW 1983, 1614 f.).
87
2. Durch die unerlaubte Handlung der Beklagten ist der Klägerin kein Verlust an Nutzbarkeit des Kaufpreises entstanden, der nicht anderweitig ausgeglichen werden könnte.
88
a. Die „Entziehung“ wurde nämlich dadurch kompensiert, dass die Klägerin im Gegenzug für die Zahlung des Kaufpreises das Eigentum an dem Fahrzeug mit der Möglichkeit, dieses jederzeit nutzen zu können, erhalten hat (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10.9.2019 - 13 U 149/18 -, juris Rn. 99; OLG Koblenz, Urteil vom 28.8.2019 - 5 U 1218/18 -, BeckRS 2019, 20653 Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.11.2019 - 13 U 37/19, juris Rn. 137; a.A: OLG Oldenburg, Urteil vom 2.10.2019 - 5 U 47/19 -, BeckRS 2019, 23205 Rn. 41). Ein etwaiger Minderwert des Fahrzeugs hat hierauf keinen Einfluss. Dass die Nutzung des Fahrzeugs seit dem Kauf gegenüber einem mangelfreien PKW eingeschränkt gewesen wäre, trägt die Klägerin selbst nicht vor.
89
b. Überdies wäre der dem Kaufpreis entsprechende Betrag mit der Möglichkeit, hieraus Nutzungen zu ziehen, auch dann nicht weiter im Vermögen der Klägerin verblieben, wenn sie in Kenntnis des vorliegenden Mangels den streitgegenständlichen Kaufvertrag nicht abgeschlossen und stattdessen den Kaufpreis für ein anderes Fahrzeug aufgewandt hätte (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 28.8.2019 - 5 U 1218/18 -, BeckRS 2019, 20653, Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6.11.2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 139). Würde man die Verzinsungsregelung des § 849 BGB in diesem Fall gleichwohl anwenden, führte dies zu einer dem Schadensersatzrecht fremden Überkompensation, da die Klägerin durch das schädigende Ereignis wirtschaftlich besser stünde als ohne dieses. Das widerspräche dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot (vgl. dazu BGH, Urteil vom 4.4.2014 - V ZR 275/12 -, juris Rn. 20 m.w.N.).
III.
90
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.
91
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
92
3. Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO zugelassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert und die Sache grundsätzliche Bedeutung hat.
93
Der Senat weicht ab vom Urteil des OLG Braunschweig vom 19.02.2019, Az. 7 U 134/17, das einen Anspruch aus § 826 BGB verneint, und von den Entscheidungen des OLG Koblenz vom 16.9.2019, Az. 12 U 61/19 (juris Rn. 84), des OLG Köln vom 17.7.2019, Az. 16 U 199/18 (juris Rn. 29) und des OLG Oldenburg vom 2.10.2019, Az. 5 U 47/19 (BeckRS 2019, 23205 Rn. 41), die einen Zinsanspruch ab Zahlung des Kaufpreises bejahen.