Titel:
Sittenwidrigkeit, Sittenwidrige Schädigung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Abschalteinrichtung, Deliktischer Anspruch, Nutzungsentschädigung, Rechtshängigkeit, Schädigungsvorsatz, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Zug-um-Zug, Klagepartei, Rückzahlung des Kaufpreises, Streitwert, Vertragsähnliche, Übereignung, Inverkehrbringen, Schutzgesetzeigenschaft, Vertretbare Rechtsauffassung, Vorläufige Vollstreckbarkeit
Schlagworte:
Rückzahlung des Kaufpreises, Nutzungsentschädigung, Sittenwidriges Verhalten, Schädigungsvorsatz, Täuschung, Nebenforderungen
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 28.09.2021 – 20 U 7325/20
OLG München, Beschluss vom 07.12.2021 – 20 U 7325/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 04.11.2025 – VIa ZR 34/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 69286
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 52.859,78 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Diesel-PKW.
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Am 20.10.2015 erwarb der Kläger von der nicht am Verfahren beteiligten Autohaus x GmbH & Co. KG Mercedes GLE 350 d 4MATIC, Baujahr 2016 (Fahrzeugidentifikationsnummer: x), Laufleistung 2 km für € 68.200,00. Der Kauf war darlehensfinanziert. Das Darlehen wurde zwischenzeitlich vollständig getilgt.
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Die Beklagte ist Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs. In diesem PKW ist ein Euro-6-Diesel-Motor des Typs OM 642 verbaut. Eine Prüfstanderkennungssoftware vergleichbar dem Motortyp EA 189 beim Fahrzeughersteller VW ist in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht enthalten. Die Abgasrückführungsrate im streitgegenständlichen Fahrzeug ist temperaturabhängig. Außerhalb eines bestimmten Temperaturkorridors – der im einzelnen streitig ist – findet eine reduzierte Abgasrückführung statt, wodurch die Abgaswerte, insbesondere die Stickoxidwerte die gesetzlichen Grenzwerte nach dem NEFZ überschreiten können.
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Mit nicht bestandskräftigem Bescheid vom 23.05.2018 ordnete das KBA nachträgliche Nebenbestimmungen zur EG-Typengenehmigung und einen verpflichtenden Rückruf an, von welchem auch das streitgegenständliche Fahrzeug betroffen war. Die Beklagte stellte in der Folge ein Software-Update zur Verfügung, welches durch das KBA freigegeben wurde. Mit Schreiben vom 16.09.2019 informierte die Beklagte den Kläger über das erforderlich Software-Update. Der Kläger ließ dieses Software-Update nicht durchführen und meldete das Fahrzeug zwischenzeitlich ab.
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Der Kläger forderte die Beklagte vorgerichtlich erfolglos zur Zahlung auf.
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Die Klagepartei behauptet, in dem streitgegenständlichen PKW sei eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 in Gestalt eines „Thermofensters“ verbaut. Die Abgasrückrührung sei so geregelt, dass sie nur in einem engen Temperaturbereich von 20 – 30 Grad Celsius – der dem auf dem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus entspreche – wirke, so dass nur in diesem Bereich die NOx-Werte nach der Euro-6-Abgasnorm eingehalten würden. Außerhalb des Temperaturbereichs werde die Abgasaufbereitung deaktiviert, so dass die gesetzlichen Grenzwerte um ein Vielfaches überschritten würden. Dadurch erfülle das Fahrzeug die Euro-6-Abgasnorm nicht. Hierüber habe die Beklagte getäuscht. Der Kläger hätte das Fahrzeug bei Kenntnis dieses Umstandes nicht erworben. Das von der Beklagten angebotene Software-Update sei mit zahlreichen negativen Veränderungen verbunden. Mitarbeiter der Beklagten in Führungspositionen hätten bereits seit 2015 von der Manipulation gewusst und einen Schaden der Käufer zumindest billigend in Kauf genommen. Die Beklagte habe die unzulässige Abschalteinrichtung vorsätzlich verwendet, um Kosten zu sparen und den Gewinn zu maximieren, und sich zur Verdeckung mit anderen marktführenden Automobilherstellern abgesprochen.
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Die Klagepartei ist der Ansicht, die Beklagte hafte nach §§ 823 Abs. 2, 31 BGB, 263 StGB, §§ 826, 31 BGB, §§ 831, 31 BGB, §§ 823 Abs. 2 BGB, 16 Abs. 1 UWG sowie aus europarechtlichen Vorschriften mit drittschützender Wirkung. Hinsichtlich der Entscheidungsabläufe bei der Beklagten treffe diese eine sekundäre Darlegungslast.
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Die Klagepartei hat zunächst hinsichtlich Ziffer I. beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei € 52.859,78 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit und 4% Zinsen aus € 68.200,00 vom 17.03.2016 bis zur Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Mercedes GLE 350 d 4MATIC, Baujahr 2016 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer x Mit Schriftsatz vom 26.08.2020 wurde der Klageantrag in Ziffer I. hinsichtlich der geltend gemachten Zinsen teilweise zurückgenommen.
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In der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2020 hat die Klagepartei den Antrag hinsichtlich Ziffer 1. teilweise für erledigt erklärt, soweit der begehrte Zahlbetrag ursprünglich 52.859,78 € statt 51.970,45 € betragen hat.
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Die beklagte Partei hat der Teil-Erledigterklärung widersprochen.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt gemäß Maßgabe, dass der Zahlbetrag hinsichtlich Ziffer 1. noch 51.970,45 € betragen soll:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 51.970,45 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs Mercedes GLE 350 d 4MATIC, Baujahr 2016 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer x x
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs Mercedes GLE 350 d 4MATIC, Baujahr 2016 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer x im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.954,46 freizustellen.
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Die beklagte Partei beantragt Klageabweisung.
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Die beklagte Partei behauptet, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, da es sich um einen durch Darlehen finanzierten Kauf gehandelt habe. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typengenehmigung.
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Die Beklagte ist der Ansicht, eine unzulässige Abschalteinrichtung sei nicht substantiiert dargelegt und liege auch nicht vor. Die Abgasrückführung sei im Temperaturbereich von 10 bis 35 Grad Celsius uneingeschränkt aktiv. Vor allem bei kälteren Temperaturen werde die Abgasrückführung parameterabhängig sukzessive reduziert, um sämtliche Emissionswerte hinreichend reduzieren und zugleich Schäden an Motor und Abgassystem vermeiden sowie einen sicheren betrieb gewährleisten zu können. Deliktische Ansprüche würden jedenfalls schon daran scheitern, dass die Beklagte – selbst wenn eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen sollte – zumindest einer vertretbaren Rechtsauffassung und Rechtsauslegung gefolgt sei, so dass keine Grundlage für die Annahme einer vorsätzlichen und sittenwidrigen Schädigung vorliege.
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Der Kläger wurde angehört. Eine Beweisaufnahme wurde nicht durchgeführt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2020 wird Bezug genommen. Wegen des Parteivortrags im übrigen wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
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Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises nach Abzug einer Nutzungsentschädigung Zugum-Zuggegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter keinem rechtlich erdenklichen Gesichtspunkt zu.
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1. Vertragliche und vertragsähnliche Ansprüche bestehen. Weder war die Beklagte Kaufvertragspartei noch ist schlüssig vorgetragen, in welcher Art und Weise die Beklagte im Sinne von § 311 Abs. 3 BGB bei Vertragsschluss besonderes Vertrauen für sich in Anspruch genommen hätte. Die EG-Typengenehmigung begründet keine Haftung aus einem Garantievertrag nach § 443 BGB.
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2. Auch stehen der Klagepartei keine deliktischen Ansprüche zu.
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a) Eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB scheitert daran, dass das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, in dem die Abgasrückführung temperaturgesteuert erfolgt (sog. „Thermofenster“), selbst dann nicht als sittenwidrige Handlung eingestuft werden kann, wenn darin eine unzulässige Abschalteinrichtung läge.
21
Anders als in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall betreffend die Prüfstandserkennungsautomatik im Motortyp EA 189 des Herstellers VW AG (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19), sind die dort aufgestellten Grundsätze auf die vorliegende Konstellation nicht übertragbar.
22
Das im streitgegenständlichen Motortyp vorliegenden System zur Emissionskontrolle kann zwar – abhängig von äußeren Parametern – im Normalbetrieb zu einem Anstieg der Stickoxidemissionen über den Grenzwert im Rahmen des NEFZ hinaus führen. Aber selbst wenn sich dieses sog. „Thermofenster“ als objektiv unzulässige Abschalteinrichtung herausstellen sollte, könnte dies nur das Ergebnis einer eingehenden technischen Bewertung sein. Es müsste daher auch eine möglicherweise falsche, aber dennoch grundsätzlich vertretbare Auslegung und Anwendung der zugrundeliegenden rechtlichen Vorgaben in Betracht gezogen werden. Ein sittenwidriges Verhalten oder gar ein Schädigungsvorsatz von Repräsentanten der Beklagten lässt sich hierauf indes nicht stützen (ausführlich hierzu: OLG Koblenz, Urteil vom 24.08.2020 – 12 U 125/20; OLG Köln, Urteil vom 05.06.2020 – 19 U 211/19; OLG Schleswig, Beschluss vom 19.12.2019 – 3 U 13/19; OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19).
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Das Gericht schließt sich den Ausführungen des OLG Koblenz im Urteil vom 14.09.2020, Az.: 12 U 1464/19 (ebenfalls zum Motortyp OM 642), von deren Wiedergabe abgesehen wird, inhaltlich vollumfänglich an. Selbst ein mit europarechtlichen Vorgaben nicht im Einklang stehendes „Thermofenster“ bei der Abgasaufbereitung rechtfertigt nicht die Annahme eines Verstoßes gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (OLG München, Beschluss vom 29.09.2020 – 8 U 201/20). Ein anderes Ergebnis rechtfertigt sich auch nicht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des BGH im Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19. Zwar wurde dort der klägerische Vortrag zum behaupteten Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer der vorliegenden vergleichbaren Konstellation (selbst ohne Rückruf des KBA; Motortyp OM 651, Herstellerin ebenfalls die Beklagte) bejaht. Allerdings lässt sich der Entscheidung des BGH nicht entnehmen, dass damit zwangsläufig auf deliktische Ansprüche geschlossen werden könnte.
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b) Nichts anderes gilt für die klägerseits vertretene Haftung der Beklagten nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 31 BGB, 263 StGB und § 831 BGB. Mangels eines vorsätzlich sittenwidrigen Verhaltens fehlt es an einem schlüssigen Vortrag, jedenfalls aber an einem Nachweis einer bewussten Täuschung mit Schädigungsvorsatz (OLG Koblenz, Urteil vom 14.09.2020, 12 U 1464/19. c) Ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 16 Abs. 1 UWG ist nicht ersichtlich. Der klägerische Vortrag lässt schon nicht substantiiert erkennen, worin der Anschein eines besonders günstigen Angebots bei Vertragsschluss bestehen soll.
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Eine Haftung nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 6, 27 EG-FGV scheitert an der fehlenden Schutzgesetzeigenschaft (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19).
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Soweit die Klagepartei den Rechtsstreit teilweise einseitig für erledigt erklärt handelt es sich um eine zulässige Klageänderung in die Feststellung, dass die Klage bis zur Erledigterklärung zulässig und begründet war. Da dem jedoch nicht so war, ist die Klage auch insoweit abzuweisen. Auf die Ausführungen unter Ziffer I. wird Bezug genommen.
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Abzuweisen ist die Klage in Anbetracht dessen auch hinsichtlich des auf Feststellung des Annahmeverzugs gerichteten Antrags.
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Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung. Mangels Anspruchs in der Hauptsache besteht kein Anspruch auf Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 2 ZPO, §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO.