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LG Ingolstadt, Endurteil v. 03.12.2020 – 64 O 2358/19
Titel:

Abschalteinrichtung, Schädigungsvorsatz, Sittenwidrigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Verrichtungsgehilfen, Unerlaubte Handlung, Unzulässigkeit, Manipulations-Software, Kostenentscheidung, Klageantrag, Nutzungsentschädigung, Klagepartei, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Anspruch auf Schadensersatz, vorsätzliche Schadenszufügung, Deliktische Haftung, Klageabweisung, Kraftfahrt-Bundesamt, Annahmeverzug

Schlagworte:
Thermofenster, Beweisaufnahme, Manipulationssoftware, Emissionsverhalten, Zivilprozess
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 27.06.2022 – 3 U 6980/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 20.08.2025 – VIa ZR 1026/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 68722

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 42.220,16 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger erwarb am 17.05.2014 beim ... Zentrum ... einen von der Beklagten hergestellten Pkw Audi A4 zum Preis von 42.220,16 Euro.
2
Der Kläger behauptet, in dem Fahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 verbaut.
3
Der Kläger beantragte zuletzt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei 42.220,16 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 6.028,82 Euro Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke Audi A4 Ambition Avant 3.0 TDI quattro S tronic mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 10.04.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. Bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.613,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.04.2019 zu zahlen.
4
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. In der Sitzung vom 15.10.2020 (Protokoll Bl. 225/229 d.A.) wurde der Kläger persönlich angehört.

Entscheidungsgründe

6
Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Die tatsächlichen Voraussetzungen einer mangels vertraglicher Beziehung zwischen den Parteien allein denkbaren deliktischen Haftung der Beklagten sind von der Klagepartei nicht schlüssig vorgetragen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schadensersatz aus § 826 BGB zu. Nach § 826 BGB ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Die Klagepartei hat diese Voraussetzungen nicht ausreichend substantiiert dargelegt.
I.
7
Der Vortrag zur unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgte ins Blaue hinein. Der Kläger bringt vor, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs enthalte eine unzulässige Abschalteinrichtung entsprechend jenen des Motorentyps EA 189, auch wenn es sich um eine andere Baureihe handele. Hierzu verweist die Klagepartei auf die allgemein bekannte Funktionsweise der Software in den EA 189 – Motoren. Diese manipuliere den Schadstoffausstoß, indem sie erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im allgemeinen Straßenverkehr befinde. Bei einer Fahrzeugnutzung auf dem Prüfstand werde der Schadstoffausstoß zur Verbesserung des Prüfergebnisses durch Umschaltung auf einen hierfür programmierten Modus verringert.
8
Der Sachvortrag des Klägers weist keine Substanz auf. Er rechtfertigt daher nicht die Veranlassung einer Beweisaufnahme (vgl. dazu auch OLG Koblenz, Urt. v.18.06.2019, Az. 3 U 416/19 m.w.N.). Grundsätzlich ist bei der Annahme einer „ins Blaue hinein“ aufgestellten Behauptung Zurückhaltung geboten. Die Annahme eines willkürlichen Sachvortrags kommt nur im Ausnahmefall in Betracht. Es muss einer Partei möglich sein, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genaue Kenntnis haben kann, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Eine zivilprozessual unzulässige Ausforschung ist aber dann gegeben, wenn eine Partei ohne greifbaren Anhaltspunkt für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ Behauptungen aufstellt und jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für diese Behauptung fehlen (vgl. etwa BGH NJW-RR 2003, 69, 70). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben, da jeglicher tatsächliche Anhaltspunkt für den Einsatz der Manipulationssoftware aus den EA 189 – Motoren im streitgegenständlichen EA 288 – Motor fehlt.
9
1. Temperatur- bzw. Lenkwinkelerkennung und Zeiterfassung begründen jedenfalls noch keine Anhaltspunkte für eine unzulässige Abschalteinrichtung. Denn zur ordnungsgemäßen Durchführung einer Testfahrt auf dem Rollenprüfstand ist es erforderlich, dass die Fahrzeugsoftware die Testsituation erkennt, um z.B. die Airbags oder das ESC zu deaktivieren.
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2. Auch die Überschreitung der Grenzwerte auf der Straße legt keine unzulässigen Abschalteinrichtungen nahe. Gerichtsbekannt sind Emissionswerte wie auch Kraftstoffverbrauch branchenweit im normalen Fahrbetrieb höher als im NEFZ. Der NEFZ soll insofern vor allem ein Vergleichbarkeit verschiedener Fahrzeugmodelle und Motoren gewährleisten.
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3. Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliegt keinem verpflichtenden Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes aufgrund seines Emissionsverhaltens (Rückrufe des Kraftfahrtbundesamtes in Bezug auf unzulässige Abschalteinrichtungen sind abrufbar unter: www.....html). In seiner Anhörung musste der Kläger einräumen, bislang noch keinen verbindlichen Rückruf seines Fahrzeugs in Bezug auf dessen Emissionsverhalten erhalten zu haben.
II.
12
In Bezug auf das Thermofenster legte der Kläger den sittenwidrigen Schädigungsvorsatz der Beklagten nicht ausreichend dar. Ob es sich bei dem konkreten Thermofenster des streitgegenständlichen Fahrzeugs um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, kann im Ergebnis dahinstehen.
13
Selbst wenn das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sein sollte, geht damit keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung einher. Thermofenster sind allgemein anerkannte und von sämtlichen Herstellern eingesetzte technische Einrichtungen. Sie werden branchenweit bei allen Dieselmotoren eingesetzt. Ihr Zweck besteht darin, eine Versottung zu verhindern. Sie dienen daher dem Motorschutz und können auch zulässig sein. Nicht jedes Thermofenster stellt zwingend eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Von der Manipulationssoftware beim Motortyp EA 189 unterscheidet sich das von der Klagepartei behauptete Thermofenster zudem grundlegend. Beim Thermofenster handelt es sich anders als bei der Manipulationssoftware der EA189 – Motoren nicht um eine Programmierung zum Erkennen des Betriebs des Fahrzeugs auf dem Prüfstand. Das Thermofenster arbeitet gleichermaßen im Straßenbetrieb und auf dem Prüfstand.
14
Zudem fehlt es in diesem Zusammenhang an einer Darlegung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen.
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Das bloße Vorhandensein einer (behaupteten) objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung allein ist nicht geeignet, Ansprüche der Klagepartei aus § 826 BGB zu begründen. Ein Schädigungsvorsatz kann nur dann angenommen werden, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde.
16
Das Gericht konnte sich nicht davon überzeugen, dass die Beklagte mit der Unzulässigkeit des eingesetzten Thermofensters gerechnet hätte. Ein Thermofenster kann, wie oben gezeigt, durchaus zulässig sein. Auch ein Verkennung der Rechtslage begründet selbst im Falle eines fahrlässigen oder gar grob fahrlässigen Handelns keinen Schädigungsvorsatz. Vielmehr kann dann eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden. Nach Maßgabe dieser Erwägungen lassen – anders als der Kläger meint (Schriftsatz vom 04.10.2019, Seite 12 ff.) – „die objektiven Umstände“ noch nicht auf einen sittenwidrigen Schädigungsvorsatz der Beklagten schließen. Unterstellt, dass die Beklagte das On-Board-Diagnosesystem (im Folgenden: OBD) dahingehend programmierte, dass es außerhalb des Temperaturfensters keine Fehlermeldung in Bezug auf die Abgasreinigung anzeigte, belegt aus Sicht des Gerichts jedenfalls noch nicht, dass die Beklagten von der Unzulässigkeit eines Thermofensters überzeugt war. Denn andernfalls wäre die Fahrzeugsoftware schlicht in sich widersprüchlich programmiert: geht man von der Zulässigkeit eines Thermofensters aus, muss auch das Programm des OBD entsprechend parallelisiert werden.
III.
17
Auch aufgrund anderer Grundlage hat der Kläger keine Ansprüche gegen die Beklagte.
18
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheitert angesichts der vorstehenden Ausführungen jedenfalls daran, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die Beklagte die Klagepartei vorsätzlich getäuscht hat (vgl. OLG Koblenz, Urt. V. 18.06.2019, Az.3 U 416/19).
19
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 27 EG-FGV kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich beim der EG-FGV nicht um ein Schutzgesetz handelt; darüber hinaus liegt aber jedenfalls eine ungültige Übereinstimmungsbescheinigung nicht vor, weil – wie vorstehend ausgeführt – nicht festgestellt ist, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Es liegt insofern insbesondere kein Bescheid des KBA vor.
20
Ein Anspruch aus § 831 BGB scheitert daran, dass das Vorliegen einer unerlaubten Handlung eines Verrichtungsgehilfen der Beklagten nicht dargelegt ist.
IV.
21
Mangels Anspruchs in der Hauptsache stehen dem Kläger auch die übrigen Klageforderungen zu (Klageantrag zu 2. und zu 3.).
V.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 3 ZPO.