Titel:
Gesundheitsbezogene Angaben, Hcvo, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Botanicals, Lmiv, Lebensmittelunternehmer, Wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch, Lebensmittelinformationsverordnung, Krankheitsbezogene Werbung, Klageabweisung, Konkrete Verletzungsform, Unionsgesetzgebung, Tatsächliche Feststellungen, Health-Claims-Verordnung, Übergangsvorschriften, Berufungszurückweisung, Kosten des Rechtsstreits, Sicherheitsleistung, Klageerwiderung, Abänderung
Schlagworte:
Wettbewerbsrecht, Gesundheitsbezogene Werbung, Botanicals, Stressbewältigung, Irreführung, Wissenschaftlicher Nachweis, Krankheitsbegriff
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 20.02.2020 – 17 HK O 15586/18
Fundstelle:
BeckRS 2020, 68718
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Landgerichts München I vom 20.02.2020, Az. 17 HK O 15586/18, abgeändert und die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Entscheidungsgründe
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Der Kläger macht gegen die Beklagte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche im Zusammenhang mit der Werbung für ein Produkt namens „A. bei Stress“ geltend.
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Der Kläger ist ein eingetragener Verein mit Sitz in B., zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere der Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs gehören.
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Die Beklagte bringt unter der Marke Al. ein Produkt namens „A. bei Stress“ (Anlage K 3) in Kapselform in den Verkehr. A. ist im Sanskrit die Bezeichnung für eine Pflanze namens Withania somnifera, die im Deutschen zumeist Schlafbeere genannt wird. Sie findet in der ayurvedischen Heilkunde Verwendung.
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Auf der Produktverpackung (Anlage K 3) wirbt die Beklagte unter anderem mit der Angabe „A. bei Stress Konzentrationsprobleme, Abgeschlagenheit, nervöse Unruhe“. Auf dem Beipackzettel (Anlage K 4) findet sich die Aussage „Zur Anwendung bei Stress sowie stressbedingten Konzentrationsproblemen, Abgeschlagenheit und nervöser Unruhe“. In einer Anzeige in der Zeitschrift „R. Kurier“ (Anlage K 5) warb die Beklagte zudem mit folgenden Angaben: „Dauerstress? Al. A. bei Stress Bei Dauer-Stress fühlt man sich häufig angespannt, überfordert, erschöpft, unkonzentriert, gereizt oder schläft unruhig. Al. A. bei Stress trägt zu seelischem und körperlichem Wohlbefinden sowie emotionaler Balance bei“.
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Der Kläger ist der Auffassung, die genannten Werbeaussagen seien nach der europäischen Health-Claims-Verordnung (HCVO; VO (EG) Nr. 1924/2006 vom 20.12.2006) unzulässig, so dass ihm gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch zustehe.
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Bei den Aussagen handle es sich um gesundheitsbezogene Angaben im Sinne der HCVO, da sie vom angesprochenen Verkehr so verstanden würden, dass man mit der Einnahme der Kapseln Stress, Konzentrationsproblemen, Abgeschlagenheit und/oder nervöser Unruhe wirksam begegnen könne. In der Liste der zulässigen gesundheitsbezogenen Angaben nach der HCVO seien die Aussagen aber nicht enthalten.
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Darüber hinaus dürften gesundheitsbezogene Angaben nach der HCVO ohnehin nur zu dem jeweiligen Nährstoff oder der Substanz gemacht werden, für die sie zugelassen sind, nicht jedoch zu einem Lebensmittel, das diesen Nährstoff oder diese Substanz enthält, ohne dass der Zusammenhang mit der Substanz hergestellt werde.
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Die Beklagte könne sich auch nicht darauf berufen, dass in ihrem Mittel eine pflanzliche Zutat enthalten sei. Die HCVO sehe einen Ausnahmetatbestand für solche sog. Botanicals nämlich nicht vor.
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Ferner sei nicht ersichtlich, dass das Mittel seiner Zusammensetzung und Wirksamkeit nach den allgemeinen Bedingungen der HCVO hieran genüge.
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Die Beklagte verstoße zudem gegen die europäische Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV; VO (EU) 1169/2011 vom 25.10.2011), da sie ihrem Mittel Wirkungen auch bei länger andauerndem Stress zuschreibe, der Krankheitswert habe. Nach der LMIV dürften Informationen über ein Lebensmittel diesem aber keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaft entstehen lassen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, die HCVO sei schon nicht anwendbar, weil die Zutaten des beworbenen Produktes sogenannte Botanicals seien und die Europäische Kommission und die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA) die abschließende Bewertung von Claims bei Botanicals zurückgestellt hätten. Jedenfalls sei aber zu beachten, dass für A. zwei gesundheitsbezogene Angaben bei der EFSA eingereicht worden seien, nämlich Adaptogene Eigenschaften (adaptogenic properties) und Mentale Gesundheit und Entspannung (mental health and relaxation). Hinsichtlich des enthaltenen Wirkstoffs sei der Nutzen bei den angegebenen Indikationen wissenschaftlich belegt.
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Krankheitsbezogene Werbung liege nicht vor, da der Verbraucher bei den angegebenen Indikationen nicht davon ausgehe, dass er krank sei. Vom Krankheitsbegriff seien Lästigkeiten und Unpässlichkeiten wie Stress infolge hoher Belastung im Alltag nicht umfasst. Es gehe deshalb lediglich um die positive Förderung von Gesundheit. Eine Irreführung im Sinne der LMIV liege nicht vor.
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Das Landgericht hat der Klage durch Urteil vom 20.02.2020, Az. 17 HK O 15586/18, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, stattgegeben.
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Die Beklagte greift das Urteil mit ihrer Berufung in vollem Umfang an.
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Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 20.02.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az. 17 HK O 15586/18, die Klage abzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Ergänzung wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.11.2020 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Angaben in den Anlagen K 3, K 4 und K 5 aus § 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, § 3 Abs. 1, § 3a UWG i. V.m. Art. 10 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 HCVO oder Art. 7 Abs. 2, Abs. 4 LMIV zu.
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1. Die gesundheitsbezogenen Angaben der Beklagten in den Anlagen K 3, K 4 und K 5 werden nicht vom Verbot des Art. 10 Abs. 1 HCVO erfasst, weil sie inhaltlich mit einem sogenannten „pending claim“ oder „on-hold-claim“ für Botanicals nach Art. 28 Abs. 5 HCVO übereinstimmen, anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Nachweise belegt ist, dass das Vorhandensein der Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, eine positive ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung hat, und sie deshalb bis zur Ablehnung oder Aufnahme in die Liste nach Art. 13 Abs. 1 lit. a), Abs. 3 HCVO unter der Verantwortung des Lebensmittelunternehmers verwendet werden dürfen.
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Die Angaben der Beklagten unterfallen Art. 13 Abs. 1 lit. a) HCVO, da mit dem Verweis auf Körperfunktionen auch Angaben erfasst werden, die auf das menschliche Leistungsvermögen und dabei – wie hier – auf die Ausdauer oder Verringerung von Ermüdung und Müdigkeit Bezug nehmen (Holle/Hüttebräuker/Konnertz-Häußler/Conte-Salinas, HCVO, 2018, Art. 13, Rn. 20).
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a) Die gesundheitsbezogenen Angaben in den Anlagen K 3, K 4 und K 5 („A. bei Stress Konzentrationsprobleme, Abgeschlagenheit, nervöse Unruhe“; „Zur Anwendung bei Stress sowie stressbedingten Konzentrationsproblemen, Abgeschlagenheit und nervöser Unruhe“; „Dauerstress? Al. A. bei Stress Bei Dauer-Stress fühlt man sich häufig angespannt, überfordert, erschöpft, unkonzentriert, gereizt oder schläft unruhig. Al. A. bei Stress trägt zu seelischem und körperlichem Wohlbefinden sowie emotionaler Balance bei“) beziehen sich auf einen bestimmten Stoff, da jeweils „A.“ direkt in Bezug genommen wird. Damit sind erkennbar Bestandteile der Pflanze Withania somnifera gemeint, die in den beworbenen Kapseln enthalten sind.
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Anders als der Kläger meint, stellt sich nicht das Problem, dass sich die streitgegenständlichen Angaben nur insgesamt auf ein Lebensmittel beziehen, ohne dass ein Zusammenhang mit der konkreten Substanz A. hergestellt wird. Die genannten Angaben in den Anlagen K 3, K 4 und K 5, die die konkrete Verletzungsform darstellen, befassen sich auch an keiner Stelle mit Pantothensäure, so dass sich Überlegungen dazu ebenfalls erübrigen.
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b) Art. 13 Abs. 1 lit. b) HCVO („Angaben, die die psychischen Funktionen oder Verhaltensfunktionen beschreiben oder darauf verweisen“), der nicht von Art. 28 Abs. 5 HCVO erfasst werden würde, ist vorliegend nicht einschlägig. Psychische Funktionen lassen sich nicht exakt definieren, unter Störungen dieser Funktionen sind z.B. affektive Störungen wie Depressionen oder Angststörungen, Störungen kognitiver Funktionen wie Amnesien, ADHS oder Demenz, Essstörungen oder Substanzmissbrauch zu verstehen (Holle/Hüttebräuker/Konnertz-Häußler/Conte-Salinas, HCVO, 2018, Art. 13, Rn. 33). Die streitgegenständlichen Angaben („Konzentrationsprobleme, Abgeschlagenheit, nervöse Unruhe“, „angespannt, überfordert, erschöpft, unkonzentriert, gereizt“, „schläft unruhig“ „seelisches und körperliches Wohlbefinden sowie emotionale Balance“) gehören nicht zu diesem Spektrum, sondern zu den unter Art. 13 Abs. 1 lit. a) HCVO zu fassenden Körperfunktionen, da der Ausgangspunkt Stress ist und dessen das Leistungsvermögen mindernde Symptome beschrieben werden.
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c) Die Angaben stimmen inhaltlich mit einem sogenannten „pending claim“ oder „on-holdclaim“ für Botanicals nach Art. 28 Abs. 5 HCVO überein, was die Beklagte bereits auf Seite 9 der Klageerwiderung vom 15.03.2019 (Bl. 34 d.A.) durch Bezugnahme auf die eidesstattliche Versicherung von Frau Dr. S. (Anlage B 1) vorgetragen hat.
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Für A. (Withania somnifera) wurde der auf die mentale Gesundheit und Entspannung bezogene Claim …83 bei der EFSA angemeldet, der ausweislich deren Register (http://registerofquestions.efsa.europa.eu/) lautet: „Supports in periods of mental and nervous tension and of anxiousness/Contributes to optimal relaxation/helps to support relaxation, mental and physical wellbeing/contributes to emotional balance and general wellbeing“. Dieser Claim …83 ist ausweislich des „SUPPORTING WORKING DOCUMENT (NOT FOR VOTE) STANDING COMMITTEE OF THE FOOD CHAIN AND ANIMAL …13 AGENDA ITEM B.1 (SANCO/11074/2013)“ (https://ec.europa.eu/food/safety/labelling_nutrition/claims/ register/resources/docs/claims_pending.pdf) ein sogenannter „Claim on botanical substances for which finalisation is pending“, also ein solcher, über den wegen der zurückgestellten Entscheidungen der Kommission über Botanicals noch nicht entschieden wurde. Eine wissenschaftliche Bewertung der EFSA, die mit negativem Ergebnis abgeschlossen wurde, existiert somit nicht (vgl. zum Vorgehen im Einzelnen: Holle/Hüttebräuker, HCVO, 2018, Art. 10, Rn. 22; Art. 28, Rn. 20 ff.).
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Die Angaben der Beklagten decken sich inhaltlich mit dem pending claim …83, da sie der Schlafbeere positive ernährungsbezogene Wirkungen bei Stress, stressbedingten Konzentrationsproblemen, Abgeschlagenheit und nervöser Unruhe zuschreiben, was sich entsprechend im angemeldeten Claim („mental and nervous tension“, „contributes to emotional balance and general wellbeing“) wiederfindet.
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d) Die Beklagte hat auch durch einen hinreichenden wissenschaftlichen Nachweis belegt, dass die Substanz A. die behaupteten Wirkungen hat.
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aa) Nach Art. 5 Abs. 1 HCVO ist die Verwendung gesundheitsbezogener Angaben nur zulässig, wenn anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Belege nachgewiesen ist, dass das Vorhandensein des Nährstoffs oder der anderen Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, eine positive ernährungsbezogene Wirkung oder physiologische Wirkung hat. Ebenso bestimmt Art. 6 Abs. 1 HCVO, dass gesundheitsbezogene Angaben sich auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und durch diese abgesichert sein müssen.
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Indem der Unionsgesetzgeber sowohl in Art. 5 Abs. 1 HCVO als auch in Art. 6 Abs. 1 HCVO vorgesehen hat, dass gesundheitsbezogene Angaben durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise abgesichert sein müssen, hat er insoweit das Beweismaß festgelegt. Danach genügen das Glauben an eine bestimmte Wirkung, Volksweisheiten, aber auch Beobachtungen oder Experimente von Personen, die keine Wissenschaftler sind, nicht als Nachweis. Die gesundheitsbezogenen Angaben müssen vielmehr eine objektive, wissenschaftliche Grundlage haben und über die positive Wirkung der Stoffe, auf die sie sich beziehen, muss ausreichende Einigkeit in der Wissenschaft bestehen. Die gesundheitsbezogenen Angaben müssen wissenschaftlich abgesichert sein, wobei alle verfügbaren wissenschaftlichen Daten berücksichtigt und die Nachweise abgewogen werden sollten (EuGH GRUR 2020, 1230 Rn. 43-47 – Konsumentombudsmannen/Mezina).
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Von den betreffenden Lebensmittelunternehmern ist allerdings nicht zu verlangen, eigene Nachweise zu erbringen und selbst wissenschaftliche Studien durchzuführen oder von geeigneten Einrichtungen durchführen zu lassen. Sie müssen aber in der Lage sein, die von ihnen verwendeten gesundheitsbezogenen Angaben zu begründen. Als Nachweise können diejenigen vorgelegt werden, die sich in dem Dossier befinden, das zur Stützung des Antrags auf Aufnahme in die Liste gemäß Art. 13 Abs. 3 HCVO erstellt wurde. Sofern sie einen hinreichenden wissenschaftlichen Wert haben, können die Nachweise aber auch aus anderen Quellen stammen (EuGH, a.a.O., Rn. 49-51).
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bb) Nach diesen Grundsätzen hat die hiesige Beklagte durch die Vorlage der klinischen Studie von Chandrasekhar et. al. (Anlage B 2) hinreichend belegt, dass A. aus wissenschaftlicher Sicht positive ernährungsbezogene Wirkungen bei Stress zukommen und sich hierdurch die von den Probanden selbst bewertete Lebensqualität steigern lässt. Die Studie entspricht dem sog. Goldstandard, da sie eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie darstellt. Wenngleich sie selbst auf die durch die Zahl von 64 Probanden begründeten Limitierungen hinweist, geht sie doch von einer vorhandenen statistischen Signifikanz aus. Sie zeigt auf, dass die nach einer anerkannten Stressskala gemessenen Stresslevel bei den Probanden unter A. im Hinblick auf zwei verschiedene Aspekte von Stress („focal aspects of stress“, „antecedents and consequences of stress“) gegenüber Placebos sehr deutlich abnahmen. Dass diesen Ergebnisse keine Aussagekraft zukommen soll oder dass sie keine allgemein anerkannten wissenschaftlichen Nachweise darstellten, hat der Kläger inhaltlich weder dargelegt, noch mit eigenen anderslautenden wissenschaftlichen Nachweisen zu belegen versucht. Dem Erfordernis, dass die Beklagte als Lebensmittelunternehmerin die verwendeten gesundheitsbezogenen Angaben mit vorhandenem wissenschaftlichem Material zumindest begründen muss, ist daher genügt.
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e) Auf die Frage, wann die Beklagte die streitgegenständlichen Angaben im Hinblick auf die Geltung der HCVO erstmals verwendet hat, kommt es nicht an. Trotz ihres Charakters als Übergangsvorschrift gilt Art. 28 Abs. 5 HCVO auch für solche Angaben, die erst nach Geltung der HCVO und Inkrafttreten der ersten Liste nach Art. 13 HCVO erstmalig verwendet wurden (OLG Hamburg WRP 2012, 1586 Rn. 57 ff. – Fitness für die grauen Zellen).
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f) Die streitgegenständlichen Angaben sind auch nicht wegen Art. 10 Abs. 3 HCVO unzulässig, weil es sich um nichtspezifische gesundheitsbezogene Angaben handeln würde.
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Zwar hat der BGH seine ursprüngliche Rechtsprechung (NJW 2015, 116 – Monsterbacke II) aufgegeben, wonach Art. 10 Abs. 3 HCVO solange keine Anwendung findet, wie die Liste nach Art. 13 HCVO nicht vollständig erstellt ist (GRUR 2019, 1299 Rn. 18 – Gelenknahrung III). Ob er auf Botanicals anwendbar ist, hat er offengelassen (a.a.O., Rn. 19).
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Nach Auffassung des Senats schließen sich eine Zulässigkeit nach Art. 28 Abs. 5 HCVO und eine nichtspezifische Angabe nach Art. 10 Abs. 3 HCVO aber wechselseitig aus. Ob es sich um eine spezielle Angabe handelt, hängt davon ab, ob ein unmittelbarer Wirkungszusammenhang zwischen dem Lebensmittelbestandteil und einer Funktion des menschlichen Organismus hergestellt wird, dessen wissenschaftliche Absicherung überprüft werden kann (BGH GRUR 2018, 959 Rn. 22 – B-Vitamine). Ebenso verlangt der EuGH – wie oben dargestellt – wegen Art. 5 und 6 HCVO im Rahmen von Art. 28 Abs. 5 HCVO, dass anhand allgemein anerkannter wissenschaftlicher Belege nachgewiesen ist, dass das Vorhandensein der Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, eine positive ernährungsbezogene Wirkung oder physiologische Wirkung hat. Sieht man den Nachweis – wie hier – als geführt an, kann es sich nicht um eine nichtspezifische Angabe nach Art. 10 Abs. 3 HCVO handeln.
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2. Die Angaben der Beklagten verstoßen auch nicht gegen Art. 7 Abs. 2, Abs. 4 LMIV, da sie Ashwagandha keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben.
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a) Der Begriff der Krankheit ist europarechtlich nicht definiert. Deshalb kann im Rahmen einer euroautonomen Auslegung entsprechend auf die im Rahmen der deutschen Rechtsprechung entwickelte Definition zurückgegriffen werden. Danach ist Krankheit jede, also auch nur vorübergehende, Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers (BGHSt 11, 304, 316; BGHZ 23, 184; BGHZ 44, 208; BVerwGE 7, 172; BVerwGE 37, 209; BVerwGE LRE 8, 99, 101). Auch unheilbare Abweichungen von der körperlichen Beschaffenheit sowie Mangelerscheinungen fallen unter die Definition der Krankheit (BVerwG, ZLR 1986, 333; Senat, LMRR 1989, 12 – Beschwerden in der Pollenzeit). Normal verlaufende Erscheinungen oder Schwankungen der Funktion, denen jeder Körper ausgesetzt ist, wie z. B. Schwangerschaft, Greisenalter, Ermüdungserscheinungen oder Hunger, werden hiervon nicht erfasst (Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl., Art. 7, Rn. 292).
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b) Nach diesem Maßstab stellen die streitgegenständlichen Angaben in den Anlagen K 3, K 4 und K 5 keine krankheitsbezogenen Angaben dar, da die Beklagte nicht auf eine Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers abhebt, die über Schwankungen der Funktion, denen jeder Körper ausgesetzt ist, hinausgehen.
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Unter Stress ist eine Form von Anspannung aufgrund von Belastungsfaktoren, oft auch Stressoren genannt, zu verstehen, die zwar zu Störungen der Beschaffenheit oder Tätigkeit des Körpers führen kann, selbst aber keine solchen darstellt. Das gilt entgegen der Auffassung des Klägers auch für den von der Beklagten bemühten „Dauerstress“, da hierdurch lediglich auf einen zeitlichen Aspekt, also ein längerfristiges Andauern der Belastungssituation, Bezug genommen wird, eine Beschaffenheits- oder Tätigkeitsveränderung aber nicht ab einer bestimmten Dauer ohne weiteres angenommen werden kann.
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3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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4. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat aufgrund ihres Einzelfallcharakters keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO. Auch die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor, insbesondere folgt aus der vom Kläger vorgelegten Anlage BE1 keine Divergenz, da es sich dabei lediglich um einen Hinweisbeschluss des OLG Celle, nicht aber um eine endgültige Entscheidung handelt.