Titel:
Sittenwidrigkeit, Sittenwidrige Schädigung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Klagepartei, Elektronischer Rechtsverkehr, Streitwertfestsetzung, Elektronisches Dokument, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Gewährleistungsrechte, Abschalteinrichtung, Deliktischer Anspruch, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Nutzungsentschädigung, Zug-um-Zug, Typengenehmigung, Unerlaubte Handlung, Arglistige Täuschung, Gewinnerzielungsabsicht, Parteivorbringen
Schlagworte:
Klageabweisung, deliktische Haftung, Thermofenster, sittenwidrige Schädigung, Prüfstandserkennung, Beweislast, Mangel
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.01.2023 – 17 U 189/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 23.07.2025 – VIa ZR 136/23
Fundstelle:
BeckRS 2020, 68710
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 36.674,49 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klagepartei begehrt von der Beklagten, mit der am 31.08.2020 zugestellten Klage, Schadensersatz aufgrund deliktischer Produktmanipulation an einem Pkw.
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Die Klagepartei erwarb im Juni 2013 den PKW … als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 49.207,50 Euro brutto. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung betrug die Laufleistung 164.669 km
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Für das Fahrzeug wurde keine Rückrwufaktion angeordnet und im November 2019 eine Update aufgespielt.
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Der Klägervertreter hat die Beklagte mit Schreiben vom 21.01.2020 zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des PKW aufgefordert. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 27.01.2020 ab.
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Die Klagepartei trägt vor, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet, mit der bei niedrigen Temperaturen die Wirkungsweise des Abgasrückführungssystems reduziert bzw. abgeschaltet werde (sog. Thermofenster), wodurch die Stickoxidemissionen erheblich anstiegen. Die Klagepartei sei hierdurch vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden. Die Klagepartei behauptet weiterhin, in dem Fahrzeug käme ein SCR – Katalysator, der mit Ad-Blue betrieben werde, zum Einsatz. Ferner habe das KBA für das streitgegenständliche Fahrzeug einen Rückruf angeordnet
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Der Vorstand der Beklagten habe Kenntnis von dieser Ausstattung des Fahrzeugs gehabt und gehandelt, um u.a. den Umsatz zu steigern und die Produktionskosten zu senken.
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Die Klagepartei meint, dass die Beklagte sie vorsätzlich aus sittenwidrig geschädigt habe. Sie macht Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung, insbesondere aus § 826 BGB und § 831 BGB geltend; hierbei sei nicht auf den tatsächlichen Kaufpreis, sondern auf den marktgerechten Preis von 61.614,99 € abzustellen.
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Die Klagepartei beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges … mit der Fahrgestellnummer … an den Kläger 62.614,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 19.06.2013 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 25.940,-Euro zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 28.01.2020 mit der Rücknahme des in Klageantrag Ziffer 1 bezeichneten Fahrzeuges im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes … in Höhe von 2.193,653 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte bestreitet, dass das Fahrzeug über eine unzulässige Abschalteinrichtung. Im Fahrzeug sei ein Motor des Typs … eingebaut. Es fehle an einer sittenwidrigen Handlung der Beklagten, insbesondere habe diese die Klagepartei nicht getäuscht. Der Klagepartei sei auch kein Schaden entstanden. Jedenfalls fehle es an einem Schädigungsvorsatz der Beklagten.
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Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Klagepartei steht nach ihrem Vorbringen kein Anspruch aus § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB bzw. § 831 BGB oder auch aus sonstigen Anspruchsgrundlagen zu.
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1. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die hier in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche gegenüber dem Hersteller unter weit strengeren Voraussetzungen stehen als Gewährleistungsrechte, die bei einem Mangel des Fahrzeugs gegenüber dem Verkäufer geltend gemacht werden könnten.
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Im vorliegenden Fall mag zwar das sogenannte Thermofenster nach dem klägerischen Vortrag einen Mangel i.S.d. § 434 BGB darstellen. Für die strengeren Voraussetzungen einer deliktischen Haftung auf der Grundlage der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB bietet schon der klägerische Vortrag aber keine hinreichende Grundlage.
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2. Die Fallkonstellation ist bezüglich des Thermofensters nicht vergleichbar mit derjenigen, bei welcher der Bundesgerichtshof (Urteil vom 25. Mai 2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19; abzurufen unter der Internetseite des Bundesgerichtshofes; die nachfolgend genannten Randnummern beziehen sich auf diese Fundstelle) Schadensersatzansprüche in sogenannten VW-Dieselfällen bejaht hat.
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a) Dort wurde für die Fälle der Ausstattung von Fahrzeugen mit dem Dieselmotor der Baureihe … das Verhalten der dortigen Beklagten objektiv als sittenwidrig qualifiziert, da die Beklagte dort auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe … in siebenstelligen Stückzahlen Fahrzeuge in Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden (RdNr. 16).
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Die Entscheidung des Bundesgerichtshofes beruht insbesondere auch darauf, dass dort (unstreitig) eine verstärkte Abgasrückführung bei erkanntem Prüfstandlauf aktiviert wurde und bei Erlangung der jeweiligen Typengenehmigungen dem KBA durch die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgespiegelt wurde, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben würde, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, wodurch die Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte getäuscht worden sei, um die Typengenehmigung auf kostengünstigem Weg zu erhalten (RdNr. 17, 18). Dies wiederum hat der Bundesgerichtshof dann für verwerflich gehalten, wenn auf Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde (KBA) die Erhöhung des Gewinns erreicht werden soll, und dies mit der Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer von möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleich¬gültig zeigt (RdNr. 23).
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b) Nach diesen, für die Bejahung von Ansprüchen durch den Bundesgerichtshof wesentlichen, Umständen, kann das Thermofenster für sich eine sittenwidrige Schädigung nicht begründen. Die Klägerseite stellt das Thermofenster zwar als unzulässig und nicht dem Stand der Technik entsprechend dar. Es hat (für sich allein) aber auch nach ihrer Darstellung nicht das Ziel, bewusst die Überwachungsbehörde zu täuschen und so die Typengenehmigung herbeizuführen. Der wesentliche Vorwurf, aus dem nach Ansicht des Bundesgerichtshofes, welcher auch das hier entscheidende Gericht folgt, die Annahme einer betrügerischen Erlangung der Betriebsgenehmigung und somit einer sittenwidrigen Gewinnerzielungsabsicht folgt, ist jedoch gerade die softwareprogrammierte Veränderung des auf dem Prüfstand gegenüber dem Realbetrieb erzielbaren Schadstoffausstoßes.
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Eine sittenwidrige oder betrügerische Handlung kann demnach in der Installation des sogenannten Thermofensters nicht gesehen werden. Dass es sich dabei nach dem Klägervortrag um ein Abweichen von der zu erwartenden und technisch möglichen Beschaffenheit, also einen Mangel im Sinne des Gewährleistungsrechts nach § 434 BGB, handelt, spielt für die strenge Beurteilung der deliktischen Haftung gegenüber dem Hersteller, der nicht Verkäufer ist, keine Rolle (s.o.).
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Von daher kann auch offen bleiben, ob für das Fahrzeug ein Rückruf im Hinblick auf das Thermofenster angeordnet worden ist.
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c) Zudem wird nicht dargelegt, dass die verantwortlichen Vorstandsmitglieder oder leitenden Mitarbeiter der Beklagten bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs im Jahr 2013 Kenntnis von der behaupteten sittenwidrigen Schädigungsabsicht hatte. Die diesbezüglichen Beweisangebote beziehen sich alle auf das Jahr 2015
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3. Soweit dagegen die Klage ergänzend auch auf die Ausstattung mit einem SCR – Katalysator, der mit Ad-Blue betrieben werde gestützt wird, hat die Klagepartei keinen Beweis dafür angeboten, dass ein SCR-Katalysator verbaut ist. Darüberhinaus fehlen auch Darlegungen warum hierin eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, die der Beklagten zuzurechnen sei läge.
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4. Soweit dagegen die Klage ergänzend auch auf die Ausstattung mit einer Prüfstandserkennung (Umschaltlogik) gestützt wird, welche geeignet wäre, objektiv eine Sittenwidrigkeit zu begründen (s.o.), handelt es sich seitens der Klagepartei um Vermutungen, die in Analogie zur …-Motorgattung … vorgetragen werden. Insofern handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um Vermutungen „ins Blaue hinein“, für die keine hinreichenden tatsächlichen Umstände angegeben werden.
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Darüber hinaus fehlt jedenfalls ein über die Behauptung „ins Blaue hinein“ hinausgehender Vortrag, dass der Vorstand der Beklagten Kenntnis von einer solchen Ausstattung und sittenwidrige Beweggründe hatte. Die Klägerin nimmt erkennbar auf die Fälle des …-Motors … Bezug; dies ist zwar nachvollziehbar, stellt aber für die hier gegenständliche Motorgattung keinen hinreichend konkreten Vortrag dar. Insbesondere führt dieser Vortrag auch nach den Kriterien der BGH-Rechtsprechung (Urteil vom 25. Mai 2020, Aktenzeichen VI ZR 252/19; hier Rn. 39) noch nicht zur sekundären Darlegungslast der Beklagtenseite.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 11, 709 ZPO und für die Streitwertfestsetzung waren § 3 ZPO, 48 GKG maßgeblich.