Titel:
Sofortige Beschwerde, Abgabe des Mahnverfahrens, Durchführung des streitigen Verfahrens, Kostenentscheidung, Mahnbescheid, Wert des Beschwerdeverfahrens, Rechtspfleger, Rechtzeitiger Widerspruch, Klageerweiterung, Anhängigkeit eines Verfahrens, Tatsächlicher Verfahrensstillstand, Abgabe des Rechtsstreits, Zulassung der Rechtsbeschwerde, Rechtsanwalt-Schreiben, Parteibezeichnung, Zentrales Mahngericht, Anspruchsbegründung, Geschäftsnummer, Mahnantrag, Landgerichte
Schlagworte:
Mahnverfahren, Abgabeantrag, Verfahrensakte, Widerspruch, Verfahrensstillstand, Beschwerdeverfahren, Datenvernichtung
Vorinstanz:
AG Coburg, Verfügung vom 07.01.2020 – 10 AR 150/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 67955
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird die Verfügung des Amtsgerichts Coburg – Zentrales Mahngericht – vom 07.01.2020 aufgehoben.
2. Dem Amtsgericht – Zentrales Mahngericht – Coburg wird es übertragen, erneut über den Abgabeantrag der Antragstellerin mit Rechtsanwaltsschriftsatz vom 29.12.2019 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Landgerichtes zu entscheiden.
3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 45.328,57 € festgesetzt
Gründe
1
Mit Rechtsanwaltsschriftsatz vom 29.12.2019 hat die Antragstellerin unter Angabe einer Geschäftsnummer des Zentralen Mahngerichts Coburg (... 0-5), der Parteibezeichnung der Klägerin sowie der Namensbezeichnung des Beklagten unter Beifügung aller in dem Schriftsatz genannten Anlagen, die Abgabe des Rechtsstreites an das Landgericht Köln als Streitgericht beantragt. Mit Verfügung vom 07.01.2020 hat der zuständige Rechtspfleger vermerkt:
„In der oben genannten Mahnsache wird mitgeteilt, dass die Verfahrensakte gemäß den gesetzlichen Aufbewahrungsbestimmungen vernichtet wurde. Sie erhalten daher ihr Schreiben urschriftlich zurück, da von hier aus zu diesem Verfahren nichts weiter veranlasst werden kann. Es besteht gegebenenfalls die Möglichkeit, ein neues Verfahren einzuleiten.“
2
Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 17.01.2020 hat die Antragstellerin gegen die Verfügung des Rechtspflegers sofortige Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdeführerin vertritt die Auffassung, dass mit der Verfügung der Antrag den Rechtsstreit an das Landgericht Köln als Streitgericht abzugeben, konkludent zurückgewiesen worden sei. Im Übrigen gemäß § 696 Abs. 1 ZPO zwingend der Rechtsstreit an das Gericht, dass in dem Mahnbescheid gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bezeichnet worden sei, abzugeben sei, wenn rechtzeitig Widerspruch erhoben und eine Partei die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt habe. Eine Vernichtung der Verfahrensakte auf Grundlage gesetzlicher Aufbewahrungsbestimmungen stünde der Abgabe nicht entgegen.
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Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und dem Landgericht Coburg zur Entscheidung vorgelegt.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG i.V.m. §§ 567 ff. ZPO (Münchner Kommentar (MüKo) zur ZPO, 5. Auflage 2016, Rz 14 zu § 696; BGH, Beschluss vom 17.06.2004 – IX ZB 206/03).
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Die sofortige Beschwerde ist auch begründet und hat im tenorierten Umfang Erfolg.
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Die Voraussetzungen für die Abgabe eines Mahnverfahrens richten sich nach der Regelung des § 696 ZPO.
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Wird rechtzeitig Widerspruch erhoben und beantragt eine Partei die Durchführung des streitigen Verfahrens, so gibt das Gericht, dass den Mahnbescheid erlassen hat, den Rechtsstreit von Amts wegen an das Gericht ab, dass in dem Mahnbescheid gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bezeichnet worden ist, wenn die Parteien übereinstimmend die Abgabe an ein anderes Gericht verlangen an dieses, § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Lediglich diese Voraussetzungen – neben der vorzunehmenden Überprüfung nach § 12 Abs. 3 GKG – sind von dem Mahngericht, welches über die Abgabe zu entscheiden hat, zu prüfen. Dabei ist davon auszugehen, dass der Antrag auf Abgabe nicht fristgebunden ist (vgl. Musielak/Voit, ZPO, 16. Auflage 2019, Rn 2).
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Das hier von der Antragstellerin geltend gemachte Mahnverfahren ist auch nicht beendet. Es ist einhellige Auffassung, dass das Mahnverfahren als besondere Prozessart erst dann beendet ist, wenn der Antragsgegner Widerspruch gegen den Mahnbescheid erhebt und die Sache sodann, falls eine Partei – wie hier – den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt hat, an das Gericht, das in dem Mahnantrag als zuständig bezeichnet ist, entsprechend § 696 Abs. 1 ZPO abgegeben wird (BGH NJW 1988, 1980; BGH NJW – 1992, 1021; BGH NJW 1995, 1335; Thomas/Putzo, ZPO, 39. Auflage, § 696 Rn 7; Zöllner – Vollkommer, ZPO, 33. Auflage, § 696 Rn 7; MüKo, ZPO a.a.O., § 696 Rn 18; Baumbach/Becker, ZPO, 78. Auflage, Rz 12 zu § 696).
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Soweit das Amtsgericht sich auf die Regelung nach § 7 Abs. 3e AktO und § 4 i.V.m. Teil 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 (Kennziffer 12b) der Verordnung über die Aufbewahrung von Schriftgut der Gerichte bezieht, steht dies der beantragten Abgabe nicht entgegen. Es ist in diesem Zusammenhang streng zwischen der Anhängigkeit eines Verfahrens und der Löschung der dem Verfahren zugrundeliegenden Daten zu unterscheiden. Das Nichtbetreiben des Mahnverfahrens nach Widerspruch, weil keine Partei die Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt hat, führt lediglich zu einem tatsächlichen Verfahrensstillstand. Demgemäß werden – allerdings nur soweit erforderlich – Verfahrensakten die wie hier nach Maßgabe von Aufbewahrungsbestimmungen ausgesondert bzw. vernichtet worden sind aufgrund der Unterlagen des Antragstellers wieder hergestellt werden müssen. Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Abgabe des Mahnverfahrens auch „tatsächlich“ möglich ist, da jedenfalls eine Anspruchsbegründung (hier in Verbindung mit einer Klageerweiterung) vorliegt und gegebenenfalls gesondert von der Antragstellerin im Rahmen des Mahnverfahrens, übersandte/zugeleitete Schriftstücke angefordert werden können. Dies hat jedoch mit einer „Wiederherstellung“ der bereits gelöschten Daten nichts zu tun. Eine Wiederherstellung der im Rahmen der maschinellen Bearbeitung des Mahnverfahrens erfassten Daten ist im Einzelnen weder möglich noch notwendig. Demgemäß stehen auch der Regelungen der DSGVO – die sich im Übrigen auch nicht zu einer Beendigung des Mahnverfahrens verhalten – der beantragten Abgabe nicht entgegen.
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Demgemäß ist die Verfügung des Amtsgerichts Coburg – Zentrales Mahngericht – vom 07.01.2020 – die wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt materiell die Zurückweisung des Abgabeantrages gemäß § 696 Abs. 1 ZPO enthält – veranlasst.
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Die Kammer hat von der Möglichkeit des § 573 ZPO Gebrauch gemacht.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da am Beschwerdeverfahren keine Parteien im entgegengesetzten Sinne beteiligt gewesen sind.
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Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht im Hinblick auf die Begründetheit der sofortigen Beschwerde und des Fehlens eines weiteren Beteiligten keine Veranlassung.