Inhalt

VG München, Urteil v. 12.02.2020 – M 9 K 19.2207
Titel:

Betrieb eines Boardinghouse als Zweckentfremdung von Wohnraum

Normenketten:
BayZwEWG Art. 1 S. 2 Nr. 3, Art. 4 S. 1
ZeS § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
VwZVG Art. 36 Abs. 1 S. 2
BayVwVfG Art. 26 Abs. 2
VwGO § 43 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei der Pflicht zur unverzüglichen Beendigung der Zweckentfremdung von Wohnraum handelt es sich um eine Unterlassungspflicht. Aber auch in diesem Fall ist gerade deswegen, weil es sich um die Aufgabe des subjektiven Nutzungskonzepts als innere Tatsache handelt, eine nach außen erkennbare Änderung der Nutzung notwendig. Bei der Darlegung dieser Umstände treffen den Pflichtigen gesteigerte Mitwirkungsobliegenheiten nach Art. 26 Abs. 2 S. 2 BayVwVfG iVm Art. 4 S. 1 BayZwEWG, aufgrund derer es einer substantiierten Darlegung der Tatsachen bedarf, aus denen sich die Aufgabe des Nutzungskonzepts ergibt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wenn eine Wohneinheit nach ihrer Ausstattung mit Möbeln, Kochecke etc. dafür geeignet ist, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können, kommt es für die Annahme einer Fremdenbeherbergung iSd Zweckentfremdungsrechts maßgeblich auf das zugrundeliegende Nutzungskonzept des Vermieters und sein konkretes Geschäftsmodell im Einzelfall an. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird die Länge des Aufenthalts als Indiz für eine Fremdenbeherbergung iSd Zweckentfremdungsrechts herangezogen, muss bereits das Nutzungskonzept erkennbar und überprüfbar auf eine längere Aufenthaltsdauer ausgelegt sein und diese sicherstellen. Liegt dem Betrieb eines Boardinghouse eine vertragliche Gestaltung zugrunde, die Mietverhältnisse unter sechs Monaten anstrebt, stellt dies keine Wohnnutzung iSd Zweckentfremdungsrechts dar. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweckentfremdung in Form eines Boardinghouses, Fälligkeit Zwangsgeld, Erneute Zwangsgeldandrohung, Zwangsgeldandrohung, Zweckentfremdung von Wohnraum, Boardinghouse, Wohnnutzung, Fremdenbeherbergung, Gewerbemietvertrag, Nutzungskonzept, Mitwirkungsobliegenheit
Fundstelle:
BeckRS 2020, 6775

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Fälligstellung eines Zwangsgeldes und die Androhung eines erneuten Zwangsgelds mit Bescheid der Beklagten vom 1. April 2019.
2
Mit zweckentfremdungsrechtlichen Grundbescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2018, zugestellt mittels Postzustellungsurkunde am 6. Oktober 2018, wurde die Klägerin als Mieterin der verfahrensgegenständlichen Wohnung Nr. 10 zur Beendigung der Nutzung für Zwecke der Fremdenbeherbergung verpflichtet und ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 € angedroht für den Fall, dass die Beendigung nicht innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheides erfolgt. Die dagegen erhobene Klage ist mit Urteil vom gleichen Tage abgewiesen worden (M 9 K 19.2395).
3
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Vorgeschichte und des zugrundeliegenden Sachverhalts des Grundbescheides auf den Tatbestand des Urteils vom 12. Februar 2020 im Verfahren M 9 K 19.2395 Bezug genommen. Dem streitgegenständlichen Bescheid 1. April 2019 liegt ergänzend insbesondere noch folgender Sachverhalt zugrunde:
4
Am 8. März 2019 wurde eine Ortsermittlung zusammen mit zwei Mitarbeitern der Klägerin durchgeführt. In der Wohnung wurde Herr M.… M.… angetroffen. Dieser wies sich durch eine unbefristete Niederlassungserlaubnis aus. Sein Pass befände sich in einer Wohnung in der K.…str. Dort habe er vorher zusammen mit seiner Frau gelebt. Er habe sich von seiner Frau getrennt und lebe nun hier allein. Für die Wohnung zahle er 1.400 € monatlich. Die erste Miete habe er in bar gezahlt.
5
Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 1. April 2019 erklärte die Beklagte das mit Bescheid vom 9. Oktober 2018 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 10.000 € für fällig (Ziff. I.) und drohte ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 20.000 € unter Fristsetzung von vier Wochen an (Ziff. II.). Aus der Ortsermittlung vom 8. März 2019 könne abgeleitet werden, dass die zweckfremde Nutzung fortdauere. Ausreichende Argumente oder Nachweise, die dies widerlegen, seien von der Klägerin nicht vorgelegt worden. In Anbetracht der Erfolglosigkeit der vorhergehenden Zwangsgeldandrohung, des wirtschaftlichen Interesses an der Fortdauer der Zweckentfremdung und der angespannten Wohnungsmarktlage sei die Höhe des neuen angedrohten Zwangsgelds gerechtfertigt.
6
Mit Schreiben vom 8. April 2019 wurde der Beklagten eine Vereinbarung der Klägerin mit der S. … … GmbH vom 18./24. Oktober 2018 vorgelegt, nach welcher vorläufig bis zur Klärung des Rechtsstreits keine Vermietungen mehr an Personen erfolgen sollten, welche sich lediglich für medizinische Zwecke in M. aufhalten (Bl. 172 ff. d. Behördenakte Whg. 1).
7
Mit Schriftsatz vom 29. April 2019 hat die Klägerin gegen den Bescheid vom 1. April 2019 Klage erhoben. Sie beantragt,
1.
Es wird festgestellt, dass entgegen der zu Ziffer I. des Bescheides der Beklagten vom 1. April 2019, betreffend den Wohnraum L.…str. 16/VGB 3. OG links - Whg. 10, 8.… M., Az. S-III-W/BS 116-Med, gemachten Festsetzung das zu Ziffer 2. des Bescheides vom 2. Oktober 2018, betreffend den Wohnraum L.…str. 16/VGB 3. OG links - Whg. 10, 8.… M., Az. S-III-W/BS 116-Med, festgesetzte Zwangsgeld von 10.000 € nicht zur Zahlung fällig ist.
2.
Der Bescheid der Beklagten vom 1. April 2019, betreffend den Wohnraum L.…str. 16/VGB 3. OG links - Whg. 10, 8.… M., Az. S-III-W/BS 116-Med, wird aufgehoben.
8
Die Klägerin habe mit ihrer Vermieterin durch die Vereinbarung vom 18./24. Oktober 2018 das Nutzungskonzept dahingehend geändert, dass als Mieter keine Personen mehr aufgenommen werden, welche sich lediglich zu medizinischen Zwecken in M. aufhalten. Im Zuge der Neuausrichtung des Nutzungskonzepts seien Mieter gesucht worden, welche zusicherten, die Wohnungen als Heimstatt im Alltag zu nutzen und sich nicht zum Zwecke einer medizinischen Behandlung in M. aufzuhalten. Die Wohnung Nr. 10 sei ab dem 22. Oktober 2018 an Herrn N.… J.… vermietet worden. Dieser habe bei Unterzeichnung des Mietvertrages versichert, sich nicht zum Zwecke einer medizinischen Behandlung in M. aufzuhalten. Bei der Besichtigung am 26. November 2018 sei festgestellt worden, dass die Wohnung unbewohnt sei. Herr N.… J.… habe nach der Besichtigung gegenüber der Klägerin erklärt, dass er sich nicht in M. aufhalte und einen Untervermieter aufnehmen wolle. Mit Gestattung der Klägerin habe er die Wohnung ab dem 8. März 2019 an Herrn M.… M.… untervermietet. Auch dieser habe erklärt, sich nicht zum Zwecke einer medizinischen Behandlung in M. aufzuhalten. Da Herr J.… keine Miete bezahlt habe, sei ihm mit Kündigungserklärung vom 9. April 2019 bzw. vom 20. April 2019 gekündigt worden. Einen Mietvertrag mit Herrn M.… könne weder die Klägerin noch die S. … … GmbH vorlegen, da die Wohnung von Herrn J.… untervermietet worden sei. Die Mieten seien alle in bar gezahlt worden; zuletzt durch Herrn M.… direkt. Herr M.… habe ein langfristiges Interesse an der Anmietung der Wohnung gehabt. Dies ergäbe sich aus seiner Niederlassungserlaubnis und einwohnermelderechtlichen Historie. Er habe ununterbrochen in M. gelebt und gewohnt. Letztlich habe er die Wohnung im April 2019 verlassen und die Klägerin per SMS hierüber informiert.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Klägerin führe das gewerbliche Modell der Kurzzeitvermietung fort. Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen und Dokumente reichten im Zusammenspiel mit den Erkenntnissen der Ortsermittlungen nicht aus, um den Verdacht einer weiter andauernden Zweckentfremdung zu erschüttern. Bei der Ortsermittlung vom 8. März 2019 habe Herr M.… M.… keinen Mietvertrag vorlegen können und die Miete habe er in bar gezahlt. Herr M.… sei einwohnerrechtlich nicht an der streitgegenständlichen Wohnung erfasst. Die Klägerin müsse sich auch die jahrelange zweckfremde Nutzung entgegenhalten lassen. Die gesteigerten Mitwirkungsobliegenheiten zum Nachweis der Aufgabe des Nutzungskonzepts habe die Klägerin nicht erfüllt.
11
Mit Vereinbarung vom 19. April 2019 erklärten die Klägerin und S. … … GmbH, dass zur Meidung von weiteren Bescheiden der Beklagten alle verfahrensgegenständlichen Wohnungen aus dem Gewerbemietvertrag vom 21. Dezember 2017 herausgenommen werden und bis auf weiteres die S. … … GmbH in Mietverträge der Klägerin eintritt.
12
Später führte die Beklagte am 24. Juli 2019 und am 17. Januar 2020 noch Ortsermittlungen durch. Bei beiden konnten keine Personen in der Wohnung Nr. 10 angetroffen werden. Am 17. Januar 2020 war die Wohnungstür nach dem angefertigten Foto mit dem Namen „N.… J.…“ beschriftet.
13
Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2020 erklärte die Klägerin die Wohnung Nr. 10 sei ab dem 1. August 2019 an Herrn N.… J.… vermietet worden. Der Mieterwechsel sei notwendig gewesen, da die Beklagte dies mit dem angedrohten Zwangsgeld verlangt habe.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15
Die Klage hat keinen Erfolg. Die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO ist unbegründet, da das Zwangsgeld fällig geworden ist. Die Anfechtungsklage ist unbegründet, da die Zwangsgeldandrohung rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16
1. Die gegen die Mitteilung der Fälligkeit des Zwangsgeldes zulässige Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO (vgl. BayVGH, U.v. 24.10.1974 - Nr. 179 I 73 - BayVBl. 1975, 302; VG München, U.v. 24.2.2016 - M 9 K 15.3083 - juris Rn. 16) ist unbegründet, da das Zwangsgeld kraft Gesetzes fällig geworden ist.
17
a) Die zugrundliegende Zwangsgeldandrohung in Ziffer 3. des Bescheides vom 2. Oktober 2018 ist rechtmäßig. Die Klage gegen Zwangsgeldandrohung wurde mit Urteil vom selben Tag abgewiesen (M 9 K 19.2395) und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss vom selben Tag abgelehnt (M 9 S 19.2405).
18
b) Der zweckentfremdungsrechtliche Tatbestand des Art. 1 Satz 2 Nr. 3 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG) i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Satzung der Landeshauptstadt M. über das Verbot der Zweckentfremdung (ZeS) wurde im für die Fälligkeit des Zwangsgeldes maßgeblichen Zeitpunkt durch die Klägerin weiterhin verwirklicht. Dies ist ausreichend belegt und wird durch die im Klageverfahren vorgelegten Unterlagen für den maßgeblichen Zeitpunkt nicht widerlegt.
19
Maßgeblich Zeitpunkt für die Fälligkeit des Zwangsgeldes ist dabei der Ablauf der in Ziffer 3. des Bescheides vom 9. Oktober 2018 gesetzten Erfüllungsfrist nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG (BayVGH, B.v. 2.12.2019 - 9 ZB 19.999 - juris Rn. 8). Als Frist wurden vier Wochen nach Zustellung des Bescheides bestimmt. Die Frist lief somit am 5. November 2018 ab (Art. 31 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG). Bis zu diesem Zeitpunkt wurde weder durch die Klägerin noch durch die S. … … GmbH substantiiert gegenüber der Beklagten dargelegt, dass das Nutzungskonzept beendet wurde. Bei einer nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten sieht das Gesetz in Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG lediglich - soweit nicht wie hier eine Unterlassungspflicht vorliegt - die Einstellung der Anwendung der Zwangsmittel vor (BayVGH, B.v. 2.12.2019 - 9 ZB 19.999 - juris Rn. 8). Bei der Pflicht zur unverzüglichen Beendigung der Zweckentfremdung handelt es sich aber um eine Unterlassungspflicht (VG München, U.v. 28.8.2019 - M 9 K 16.5910 -, juris Rn. 44; VG München B.v. 26.4 2016 - M 9 S 16.1449 - juris; BayVGH, B.v. 9.5.2016 - 12 CS 16.899 - n.V.). Aber auch wenn es sich primär um eine Unterlassungspflicht handelt, ist gerade deswegen, weil es sich um die Aufgabe des subjektiven Nutzungskonzepts als innere Tatsache handelt, eine nach Außen erkennbare Änderung der Nutzung notwendig. Der Klägerin steht ein Wahlrecht zu, wie sie der Grundverpflichtung, Beendigung der Fremdenbeherbergung, nachkommt (vgl. BayVGH, B.v. 9.5.2016 - 12 CS 16.899 - n.V.; VG München, U.v. 22.2.2017 - M 9 K 16.4248 - juris Rn. 18). Sie kann die Wohnung zu Wohnzwecken vermieten oder die Wohnung an die Vermieterin zurückgeben. Die Klägerin treffen bei der Darlegung der nach Außen erkennbaren Umstände, aus denen sich die Aufgabe des Nutzungskonzepts ergibt, gesteigerte Mitwirkungsobliegenheiten nach Art. 26 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG i. V. m. Art. 4 Satz 1 ZwEWG (VG München, U.v. 29.7.2015 - M 9 K 14.5596 - juris Rn. 31; VG München, U.v. 8.1.2020 - M 9 K 18.1034 - juris Rn. 27). Aufgrund dieser gesteigerten Mitwirkungsobliegenheiten bedarf es einer substantiierten Darlegung der Tatsachen, aus denen sich die Aufgabe des Nutzungskonzepts ergibt. Gegenüber der Beklagten erfolgten innerhalb der Frist keine substantiierten Darlegungen mit entsprechenden Nachweisen zur Änderung des Nutzungskonzepts. Selbst die Vereinbarung vom 18./24. Oktober 2018 zwischen der S. … … GmbH und der Klägerin, nach welcher zumindest vorübergehend keine Vermietungen an Medizintouristen erfolgen sollen, wurde der Beklagten erst mit Schreiben vom 8. April 2018 vorgelegt.
20
Des Weiteren legten die Erkenntnisse der Ortsermittlung vom 8. März 2019 zeitnah vor der Fälligkeitsmitteilung ausreichend nahe, dass das Nutzungskonzept Boardinghouse nicht innerhalb der Erfüllungsfrist aufgegeben wurde. Das Vorgehen der Beklagten, den Nachweis des Tatbestandes der Fremdenbeherbergung durch Ortsermittlungen mit dokumentierten Beobachtungen und Ermittlungen zu führen, ist nach ständiger Rechtsprechung nicht zu beanstanden (vgl. z. B. VG München, U.v. 13.3.2019 - M 9 K 18.4612 - juris Rn. 16). Aufgrund der vorgelegten Niederlassungserlaubnis und der einwohnerrechtlichen Historie handelt es sich bei Herrn M.… M.… zwar nicht um einen Medizintouristen, aber um einen Nutzer, welcher von der Klägerin im Rahmen ihres Boardinghouses untergebracht wurde. Hierfür sprachen die Barzahlung der Miete, die fehlende einwohnerrechtliche Meldung in der Wohnung und die Angabe von diesem noch keinen Mietvertrag zu haben. Eine solche Konstellation dürfte bei einer dauerhaften Vermietung zu Wohnzwecken äußerst selten sein.
21
Der Beurteilung des Boardinghouse im Zweckentfremdungsrecht ist nicht abschließend höchstrichterlich geklärt. Insbesondere ist noch nicht höchstrichterlicher geklärt, welche Voraussetzungen eine Nutzungskonzept erfüllen muss, um eine dauerhafte Wohnnutzung anzunehmen. Nach Ansicht des Gerichts erfüllt das Nutzungskonzept, wie es zum maßgeblichen Zeitpunkt bei Ablauf der Erfüllungsfrist sich dargestellt hat, nicht die Voraussetzungen einer Wohnnutzung.
22
Eine Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts liegt immer dann vor, wenn ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes vorliegt. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn eine Wohnung für die Dauer eines bestimmten Zwecks, aber eines vorübergehenden Aufenthalts, zur Verfügung gestellt wird (BayVGH, B.v. 01.08.2016 - 12 CS 16.969; VG München U.v. 15.11.2017 - M 9 K 17.557 - juris). Maßgeblich ist grundsätzlich nicht die Länge des Aufenthalts, sondern der Umstand, dass es sich um ein übergangsweises, nicht alltägliches, einen begrenzten Zweck dienendes Unterkommen für Personen handelt, die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einen anderen Ort haben. Schwierig ist die Abgrenzung, wenn keine fremdenverkehrstypischen Serviceleistungen angeboten werden und die vollständig eingerichtete Unterkunft länger genutzt wird, ohne dass der Lebensmittelpunkt des Bewohners dorthin verlagert wird. Ausschlaggebend ist für die Abgrenzung einer Wohnnutzung von einem Boardinghouse als gewerblichen Fremdenverkehrsbetrieb deshalb nicht die Möglichkeit einer uneingeschränkten eigenen Haushaltsführung in Abgrenzung zu einer Unterkunft mit fremdenverkehrstypischen Dienstleistungen, wie sie in Hotels oder Pensionen angeboten werden. Die dazu vorliegende baurechtliche Rechtsprechung zur Einstufung eines Boardinghouse je nach Schwerpunkt der Nutzung als Wohnen oder als Beherbergungsbetrieb/Ferienhaus (z.B. VGH Mannheim, B.v.17.01.2017 - 8 S 16.41/16) kann für das Zweckentfremdungsrecht nicht übernommen werden (VG München, U. v. 15.11.2017 - M 9 K 17.557). Wenn wie hier eine Wohneinheit nach ihrer Ausstattung mit Möbeln, Kochecke etc. dafür geeignet ist, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können, kommt es deshalb maßgeblich auf das zugrundeliegende Nutzungskonzept des Vermieters und sein konkretes Geschäftsmodell im Einzelfall dafür an, ob eine Fremdenverkehrsnutzung vorliegt.
23
Die Länge des Aufenthalts kann dafür als Indiz berücksichtigt werden (OVG Berlin-Bbg B.v. 26.4.2019 - OVG 5 S 24.18 - juris Rn. 12). Dabei muss aber nach Ansicht der Kammer bereits das Nutzungskonzept erkennbar und nachprüfbar auf eine längere Aufenthaltsdauer ausgelegt sein und diese auch sicherstellen. Vorliegend ist schon aufgrund des Gewerbemietvertrages zwischen der Klägerin und der S. … … GmbH ein starkes Indiz gegeben, dass eine kurzfristige Fremdenbeherbergung beabsichtigt ist. Denn nach dem Vertrag verpflichtet sich die Klägerin den Mietgegenstand zu 95% zu umsatzsteuerpflichtigen Umsätzen zu verwenden. Langfristige Vermietungen zu Wohnzwecken sind allerdings umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchst. a) UStG. Nicht befreit ist nach § 4 Nr. 12 Satz 2 UStG die Vermietung von Wohn- und Schlafräumen, die ein Unternehmer zur kurzfristigen Beherbergung von Fremden bereithält. Die zeitliche Grenze zwischen kurzfristiger und langfristiger Vermietung wird nach der steuerrechtlichen Rechtsprechung bei sechs Monaten gezogen (BFH, U.v. 27.10.1993 - XI R 69/90 - juris Rn. 13). Dabei ist nicht die tatsächliche Dauer der Vermietung entscheidend, sondern die aus den äußeren Umständen ableitbare diesbezügliche Absicht des Vermieters (BFH, B.v. 23.9 2014 - V B 37/14 - juris Rn. 7). Nach dem Gewerbemietvertrag zwischen der Klägerin und der S. … … GmbH liegt es damit nahe, dass auch bezüglich der verfahrensgegenständlichen Wohnung nur Mietverhältnisse unter sechs Monaten angestrebt wurden. Bei einer derartigen vertraglichen Gestaltung eines Boardinghouses und bei Übernahme der zeitlichen Grenze von sechs Monaten für die Zweckentfremdung (VG München, U.v. 29.7.2015 - M 9 K 14.5596 - juris), kann ein Boardinghouse keine Wohnnutzung darstellen.
24
Vorliegend betrieb die Klägerin nach ihrer eigenen Einlassung, nach Aktenlage und nach den Ergebnissen der Ortsermittlungen auch in der streitgegenständlichen Wohnung, eine flexible, vorübergehende Unterkunft und keine Wohnung im Sinne einer auf Dauer angelegten Häuslichkeit. Die Vermietung durch die Klägerin erfolgte ausweislich des Gewerbemietvertrages mit dem Nutzungszweck, die Einheiten als möblierten Wohnraum unter Einhaltung der gerichtlichen Vereinbarung unterzuvermieten. Substantiierte Darlegungen, die eine Herausnahme der Wohnung Nr. 10 aus diesem Nutzungskonzept auch nur nahelegen, erfolgen bis zum maßgeblichen Zeitpunkt (vier Wochen nach Zustellung des Bescheides vom 2. Oktober 2018) nicht.
25
Die Herausnahme der Wohnung Nr. 10 aus dem Gewerbemietvertrag mit Vereinbarung vom 19. April 2019 und die neue Vermietung an einen Herrn N.… J.… erfolgten deutlich nach Ablauf der Erfüllungsfrist nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG sind schon deswegen für die Fälligkeit des Zwangsgeldes unbeachtlich.
26
2. Die Anfechtungsklage gegen die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes in Höhe von 20.000 € im Bescheid vom 1. April 2019 ist unbegründet, da die Androhung rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
27
Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 18 ff. VwZVG liegen vor. Der Bescheid vom 9. Oktober 2018 ist in Ziffer 1. auf ein Unterlassen gerichtet (Art. 18 Abs. 1 VwZVG). Die Pflicht ist auch vollziehbar, da die Klage dagegen nach Art. 3 Abs. 3 ZwEWG keine aufschiebende Wirkung hat und die aufschiebende Wirkung auch auf den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO durch das Gericht nicht angeordnet wurde. Die Klage gegen Grundbescheid wurde mit Urteil vom selben Tag abgewiesen (M 9 K 19.2395) und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss vom selben Tag abgelehnt (M 9 S 19.2405).
28
Auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen für die erneute Androhung eines Zwangsgeldes liegen vor (Art. 31, 36 VwZVG). Insbesondere durfte eine erneute Androhung nach Art. 36 Abs. 6 Satz 2 VwZVG erfolgen, da die vorausgegangene Androhung erfolglos geblieben ist. Dabei bedeutet erfolglos, dass die Behörde abzuwarten hat, bis das zunächst angedrohte Zwangsgeld fällig geworden ist und die Androhung auch weiterhin ohne Erfolg geblieben ist (VG München, B.v. 9.5.2019 - M 9 S 18.5843 - juris m. w. N.). Maßgeblicher Zeitpunkt ist bei der erneuten Zwangsgeldandrohung dabei der Zeitpunkt des Bescheiderlasses (BayVGH, B.v. 2.12.2019 - 9 ZB 19.999 - juris Rn. 8). Bei Erlass der Zwangsgeldandrohung am 1. April 2018 durfte die Beklagte weiterhin davon ausgehen, dass die Wohnung Nr. 10 im Rahmen des Nutzungskonzepts zum Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt wird und die erste Zwangsgeldandrohung damit erfolglos war. Substantiierte Darlegungen der Klägerin oder der S. … … GmbH zur Beendigung der Zweckentfremdung in Form eines Boardinghouses erfolgten auch nicht bis zum Bescheiderlass. Eine Änderung war auch aus anderen Gründen nicht offensichtlich. Die Ortsermittlung vom 8. März 2019 ergab zeitnah vor Bescheiderlass, dass die Wohnung von Herrn M.… M.… genutzt wurde. Dieser konnte aber keinen Mietvertrag vorliegen und gab dazu an, die Miete in bar zu zahlen. Aus den oben im Rahmen der Feststellungsklage genannten Gründen lag auch zum Zeitpunkt der erneuten Zwangsgeldandrohung eine fortgesetzte Zweckentfremdung der Wohnung vor.
29
Die vorübergehende Herausnahme der Wohnung aus dem Gewerbemietvertrag mit Vereinbarung vom 19. April 2019 erfolgte nach Erlass der Zwangsgeldandrohung und ist schon deswegen für die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung mit Bescheid vom 1. April 2019 unbeachtlich.
30
Ermessensfehler bei der Androhung des Zwangsgelds sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Die Höhe des Zwangsgelds orientiert sich am wirtschaftlichen Interesse der Klägerin (Art. 31 Abs. 2 Satz 2 VwZVG) und ist angemessen.
31
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
32
4. Die Berufung wird wegen grundsätzlicher Bedeutung nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen.