Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 15.01.2020 – AN 5 K 18.02322
Titel:

Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts

Normenketten:
FreizüG/EU § 6 Abs. 1, Abs. 2
BtMG § 35, § 36 Abs. 1 S. 3
Leitsätze:
1. Eine erfolgreich abgeschlossene Drogentherapie schließt eine Rückfall- und Wiederholungsgefahr per se nicht aus.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bescheinigt die Klinik in ihrem Abschlussbericht ein Abhängigkeitssyndrom bei gegenwärtiger Abstinenz in beschützender Umgebung, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Ausländerbehörde im Hinblick auf die langfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, der Ausländer werde wieder straffällig werden.  (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verlustfeststellung, Drogentherapie, Drogensucht, Drogenhandel, Entziehungsanstalt, Freiheitsstrafe, Gefahrenprognose, Handeltreiben, Strafzumessung, Sicherheitsprognose, Betäubungsmittelabhängigkeit, Freizügigkeitsrecht
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 14.05.2021 – 19 ZB 20.2345
Fundstelle:
BeckRS 2020, 675

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Aufhebung der Verlustfeststellung.
2
Der am …1989 geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er reiste am 2. Februar 2017 in das Bundesgebiet ein und lebte zunächst im Haushalt seiner Schwester, in der Folgezeit bei seinen Eltern und einem Freund. Der Kläger hat keine Berufsausbildung absolviert, er ist ledig und kinderlos und arbeitete bis zu seiner Inhaftierung am 5. Januar 2018 als LKW-Fahrer für eine Spedition, bei einem monatlichen Nettoeinkommen von ca. 1.200,00 EUR.
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Mit Urteil des Landgerichts … vom 8. August 2018, rechtskräftig seit 16. August 2018, wurde der Kläger wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, nachdem er im Zeitraum vom 21. Dezember 2017 bis 3. Januar 2018 Kokain gekauft und gewinnbringend weiterverkauft hatte.
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Nach Aktenlage konsumierte der Kläger erstmals im Alter von ca. 19 Jahren Cannabis. Dies tat in den Folgejahren ca. zwei- bis fünfmal pro Woche, phasenweise auch intensiver. Seit seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland nahm er nach Aktenlage auch einige Male Amphetamine sowie Metamphetamine zu sich. Im Alter von 24 Jahren kam es zum erstmaligen Konsum von Kokain. Der Kläger steigerte den Konsum von Kokain seither stetig, seit September 2017 kam er auf bis zu fünf Konsumtage pro Woche bei einer Menge von ca. 1,5 g pro Tag.
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Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 2018 zu der beabsichtigten Verlustfeststellung an.
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Mit Schreiben vom 18. Oktober 2018 trug der Kläger im Wesentlichen vor, dass seine gesamte Familie in Deutschland lebe, er habe hier einen Arbeitsplatz und eine Wohnung.
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Mit Bescheid vom 20. November 2018 stellte die Beklagte den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland fest (Ziffer 1), befristete die Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise/Abschiebung (Ziffer 2), forderte den Kläger auf, das Bundesgebiet innerhalb einer Frist von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen (Ziffer 3) und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung insbesondere nach Griechenland an (Ziffer 4).
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Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Kläger aufgrund seiner Staatsangehörigkeit Freizügigkeit genieße. Nachdem er erst am 2. Februar 2017 in das Bundesgebiet eingereist sei, habe er ein Daueraufenthaltsrecht nicht erworben, so dass der Verlust des Freizügigkeitsrechts nach § 6 Abs. 1 und 2 FreizügG/EU zu verfügen sei. Der Kläger habe bereits wenige Monate nach seiner Einreise in das Bundesgebiet begonnen, mit Kokain zu handeln. Es sei zu berücksichtigen, dass Kokain eine sehr gefährliche Droge mit hohem Suchtpotenzial sei und der Grenzwert zur nicht geringen Menge, mit der der Kläger Handel betrieben habe, erheblich überschritten war. Aufgrund der Kontakte des Klägers zur Rauschgiftszene und dem organisierten Handel, dessen nicht therapierte Drogenabhängigkeit sei gegenwärtig von einer erheblichen Wiederholungsgefahr auszugehen. Das Strafgericht habe die Therapiemotivation des Klägers verneint und eine Unterbringungsmaßnahme nicht angeordnet. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung sei zwar zu berücksichtigen gewesen, dass die Familie des Klägers im Bundesgebiet lebt. Die familiären Bindungen müssten jedoch im Hinblick auf die Schwere der zu erwartenden Straftaten zurücktreten.
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Mit Schreiben vom 26. November 2018 an das Verwaltungsgericht Ansbach legte der Kläger „Widerspruch“ gegen den Bescheid vom 20. November 2018 ein.
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Zur Begründung führte er unter Bezugnahme auf eine Kostenübernahmeerklärung der Deutschen Rentenversicherung im Wesentlichen aus, dass er eine Therapie nach § 35 (wohl BtMG) in … antreten werde. Außerdem lebe seine gesamte Familie seit 2012 in …, so dass auch er dauerhaft hier leben und arbeiten wolle. Sobald er ausreichend Deutschkenntnisse habe, beabsichtige er, eine Ausbildung beginnen.
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Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2019 teilte die Regierung … als Vertreterin des öffentlichen Interesses mit, dass sie sich am Verfahren beteiligen werde.
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In der mündlichen Verhandlung trug der Kläger ergänzend vor, dass er 13 Monate seiner Haftstrafe verbüßt habe. Mit Beschluss vom 18. Januar 2019 habe die Staatsanwaltschaft die weitere Strafverfolgung aus dem Urteil des LG … vom 8. August 2018 zur Durchführung einer Therapie gemäß § 35 BtMG zurückgestellt. In der Zeit vom 7. Februar 2019 bis 26. November 2019 habe er in der … Klinik … in … erfolgreich eine stationäre Therapie absolviert. Die Adaptionsphase mit dem Ziel über ein externes Praktikum in einem neuen Umfeld Arbeit und eine Wohnung zu finden, sei vom 8. August 2019 bis 26. November 2019 erfolgt. Entsprechende Therapiebescheinigungen der … Klinik … vom 21.11.2019 und 26.11.2019 wurden vorgelegt. Seit 1. Januar sei er in Vollzeit unbefristet bei der Firma … Transporte als Auslieferungsfahrer beschäftigt, der Mietvertrag für die Wohnung in der … … in … werde heute (15. Januar 2020) unterzeichnet. Er sei jedoch schon im Besitz der Schlüssel für die Wohnung. Gleichzeitigt legte der Kläger den Beschluss des Landgerichts … vom 16. September 2019 vor, mit dem die weitere Vollstreckung der gegen den Kläger mit Urteil des LG … verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG bei einer Bewährungszeit von 5 Jahren und Verfügung weiterer Weisungen zur Bewährung ausgesetzt wurde. Da er nunmehr therapiert sei, werde er keine Straftaten mehr begehen.
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Der Kläger beantragt die Aufhebung des Bescheids vom 20. November 2018.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Behördensowie die Gerichtsakte und die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 20. November 2018 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die in Ziffer I verfügte Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt für die Bundesrepublik Deutschland ist ebenso wenig zu beanstanden wie die in Ziffer IV und V verfügten Annexentscheidungen. Ebenso begegnet die unter Ziffer II verfügte Befristung der Wirkungen der Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise/Abschiebung keinen rechtlichen Bedenken.
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Die nach pflichtgemäßem Ermessen ausgesprochene Verlustfeststellung gemäß § 6 Abs. 1 und Abs. 2 FreizügG/EU erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, U.v. 16.7.2015 - 1 C 22/14 - juris Rn. 11) als rechtmäßig.
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Die Beklagte geht zu Gunsten des Klägers, allerdings ohne die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 FreizügG/EU im Einzelnen zu prüfen, davon aus, dass der Kläger schon auf Grund seiner griechischen Staatsangehörigkeit ein freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist.
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Zutreffend geht die Beklagte weiter davon aus, dass der Kläger den besonderen Schutzstatus nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU mangels Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts nach § 4a FreizügG/EU nicht innehat. Nach Aktenlage ist der Kläger am 2. Februar 2017 in das Bundesgebiet eingereist. Bereits im Januar 2018 wurde er in Haft genommen. Nachdem Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe nicht für den Zweck des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden dürfen (EuGH, U.v.16.1.2014 - C 378/12 juris Rn. 25, 26) hat der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht nicht erworben. Auch den besonderen Status des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU hat der Kläger nicht erworben, weil er seinen Aufenthalt nicht in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatte.
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Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann demnach der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit festgestellt werden. Gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 FreizügG/EU genügt die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nach § 6 Abs. 2 Satz 2 FreizügG/EU nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen berücksichtigt werden, und diese nur insoweit, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, § 6 Abs. 2 Satz 3 FreizügG/EU. Bei der Entscheidung über die Verlustfeststellung sind nach § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
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Für die Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erforderlich und ausschlaggebend sind nach den dargestellten Grundsätzen die unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Bewertung des persönlichen Verhaltens des Freizügigkeitsberechtigten und die insoweit anzustellende aktuelle Gefährdungsprognose. Dabei steht es den Ausländerbehörden und Gerichten nicht frei, von einem früheren Verhalten ohne weiteres auf eine aktuelle Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu schließen. Auf der anderen Seite besagt das Erfordernis einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Ordnung nicht, dass eine gegenwärtige „Gefahr“ im Sinne des deutschen Polizeirechts vorliegen müsste, die voraussetzt, dass der Eintritt des Schadens sofort und nahezu mit Gewissheit zu erwarten ist. Es verlangt vielmehr eine hinreichende, unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nach dem Ausmaß des möglichen Schadens und dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu differenzierende Wahrscheinlichkeit, dass der Ausländer künftig die öffentliche Ordnung im Sinne des Art. 45 Abs. 3 AEUV beeinträchtigen wird. Hierbei ist eine individuelle Würdigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich (BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - juris Rn. 26). Es ist unter anderem zu prüfen, ob eine etwaige Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Unionsbürger künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdende Straftaten mehr begehen wird (BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - juris Rn. 26).
22
Die Kammer geht vorliegend von einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung durch den Kläger aus, durch die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und Verlustfeststellungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris, Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BayVGH, U.v. 30.10.2012 - 10 B 11.2744 - juris, Rn. 33). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, U.v.4.10.2012 - 1 C 13.11 - Rn. 18; BayVGH, B.v. 8.3.2016 - 10 B 15.180 - juris Rn. 31). Bei Straftaten, die auch auf der Suchterkrankung des Ausländers beruhen, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr zudem nicht ausgegangen werden, solange der Ausländer nicht eine Drogentherapie beziehungsweise eine andere Suchttherapie erfolgreich abgeschlossen und die damit verbundene Erwartung künftig drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat. Angesichts der erheblichen Rückfallquoten während einer andauernden Drogentherapie und auch noch in der ersten Zeit nach dem erfolgreichen Abschluss einer Drogentherapie kann allein aus der begonnenen Therapie noch nicht auf ein künftiges straffreies Leben geschlossen werden (BayVGH, B.v. 26.11.2015 - 10 ZB 14.1800 - juris Rn. 7; B. v. 13.5.2015 - 10 C 14.2795 - juris Rn. 4; B.v. 21.2.2014 - 10 ZB 13.1861 - juris Rn. 6). Selbst eine erfolgreich abgeschlossene Drogentherapie schließt eine Rückfall- und Wiederholungsgefahr nicht per se aus (BayVGH, B.v. 24.5.2012 - 10 ZB 11.2198 - juris Rn. 13).
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Gemessen an diesen Grundsätzen geht die Kammer davon aus, dass nach dem persönlichen Verhalten des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass von ihm auch künftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Die Gefahrenprognose wird konkret durch das Verhalten des Klägers im Bundesgebiet getragen. Bereits im Jahr seiner Einreise in das Bundesgebiet hat der Kläger mit Betäubungsmitteln gehandelt. Mit Urteil des Landgerichts … vom 8. August 2018, rechtskräftig seit 16. August 2018, wurde er wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, nachdem er Beihilfe zum Handel mit Kokain geleistet hatte. Das Strafgericht hat im Rahmen der Strafzumessung zwar zu Gunsten des Klägers dessen Reue und den Umstand, dass er die Taten zur Finanzierung seiner eigenen Betäubungsmittelabhängigkeit unter gewissem Suchtdruck begangen hat, gewertet. Zu Lasten des Klägers wurden insbesondere die Gefährlichkeit des gehandelten Kokains sowie die Tatsache berücksichtigt, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge des gehandelten Kokains teilweise erheblich (um das 96-fache) überschritten war. Zudem ist wesentlicher Hintergrund der Delinquenz des Klägers offensichtlich dessen Suchtmittelabhängigkeit. Bereits die Untersuchung der Haare des Klägers im Strafverfahren hatte den Schluss auf einen intensiven Konsum von Kokain sowie jeweils gelegentlichen Konsum von Cannabisprodukten, Amphetamin, Metamphetamin und Heroin zugelassen. Die in dem Strafverfahren hinzugezogene Sachverständige … hatte festgestellt, dass eine entsprechende Suchttherapie voraussichtlich 24 Monate dauern werde. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB war in dem Strafurteil jedoch nicht angeordnet worden, da der Kläger keine Therapiebereitschaft und Therapiewilligkeit gezeigt hat.
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Zwar hat der Kläger nunmehr, nach Rückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, in der Zeit vom 17. Februar 2019 bis 8. August 2019 eine stationäre Therapie in der Klinik … … in … absolviert und die sich anschließende Adaptionsphase mit dem Ziel der Arbeits- und Wohnungssuche seit dem 26. November 2019 (erfolgreich) beendet. Der Kläger steht seit dem 1. Januar 2020 in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis und hat zum 15. Januar 2020 eine eigene Wohnung angemietet. Nach dem Abschlussbericht der … Klinik … vom 26. November 2019 ist beim Kläger ein Abhängigkeitssyndrom bei multiplen Substanzgebrauch und Konsum sonstiger psychotroper Substanzen, gegenwärtig abstinent, aber in beschützender Umgebung diagnostiziert. Die Kammer erkennt durchaus, dass der Kläger an seiner Suchtproblematik arbeitet und sich um ein geregeltes Leben bemüht.
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Doch auch wenn er mittlerweile eine Suchttherapie absolviert hat, seit 1. Januar 2020 in Vollzeit beschäftigt ist, eine eigene Wohnung angemietet hat und mit Beschluss des Landgerichts … vom 16. September 2019 die weitere Vollstreckung der gegen den Kläger mit Urteil des Landegerichts … verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten gemäß § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG zur Bewährung ausgesetzt wurde, ergibt sich nach der Überzeugung der Kammer für den Kläger im Verlustfeststellungsverfahren keine positive Sicherheitsprognose. Dies insbesondere, als in dem Strafrestaussetzungsbeschluss des Landgerichts … vom 16. September 2019 eine Bewährungszeit von 5 Jahren festgesetzt und entsprechende Weisungen zur Abstinenzkontrolle ausgesprochen wurden. Zudem wurde in dem Strafrestaussetzungsbeschluss ausschließlich auf die Tatsache abgestellt, dass die Therapieeinrichtung die Behandlung des Klägers für planmäßig abgeschlossen hält. In Anbetracht der Tatsache, dass die Therapie lediglich über einen Zeitraum von 9 Monaten stattgefunden hat und der Kläger bereits nach 6 Monaten über ein externes Praktikum an Arbeit und Wohnung herangeführt wurde, die Sachverständige im Strafverfahren jedoch von einer voraussichtlichen Therapiedauer von 24 Monaten ausgegangen ist und auch nach dem Abschlussbericht der Klinik ein Abhängigkeitssyndrom bei gegenwärtige Abstinenz in beschützender Umgebung bescheinigt wurde, geht die Kammer im Hinblick auf die längerfristig angelegte ausländerrechtliche Gefahrenprognose und den Schutz besonders gewichtiger Rechtsgüter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der Kläger wieder straffällig wird. Von einem Grundinteresse der Gesellschaft kann in diesem Zusammenhang ausgegangen werden, da die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, schwerwiegend sind und ein Grundinteresse der Gesellschaft berühren (vgl. BVerwG U. v. 14.5.2013 - 1 C 13.12- juris Rn. 12), so dass ein Einschreiten seitens des Staates erforderlich ist.
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Die Beklagte hat bei Erlass der Verlustfeststellung das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung ist abzuwägen, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt (BVerwG, U.v. 3.8.2004 - 1 C 30/02 - juris Rn. 27). Es ist insoweit der nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK garantierte Schutz des Familienfriedens zu Gunsten des Unionsbürgers zu beachten. Hierbei sind gemäß § 6 Abs. 3 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
27
Das Gericht kann die Ermessensentscheidung der Beklagten gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich darauf hin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Gemessen an diesen Vorgaben ist die Entscheidung der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ermessensfehlerfrei festgestellt, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung das private Interesse des Unionsbürgers an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Sie hat in ihrer Ermessensentscheidung zutreffend berücksichtigt, dass der Kläger erst 2017 in das Bundesgebiet eingereist ist und bis zu diesem Zeitpunkt in seinem Heimatland gelebt hat. Er ist demnach mit der Kultur und den Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut und spricht die Landessprache. Auch unter Berücksichtigung des Art. 6 GG und des Art. 8 EMRK ist die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts des Klägers nicht unverhältnismäßig. Der Kläger ist volljährig und hat auch bis zu seiner Einreise im Jahr 2017 ohne Unterstützung seiner Eltern gelebt. Die Beklagte hat daher in rechtlich nicht zu beanstandender Weise das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts des Klägers höher gewichtet, als dessen Interesse, weiterhin im Bundesgebiet zu leben.
28
Die Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise ist ebenfalls rechtmäßig. Die Frist, das Bundesgebiet innerhalb von einem Monat nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung zu verlassen, erscheint angemessen. Dies gilt auch für die ausgesprochene Abschiebungsandrohung für den Fall, dass der Kläger seiner Ausreiseverpflichtung nicht innerhalb der gesetzten Frist freiwillig nachkommt.
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Ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken begegnet die in Ziffer II des streitgegenständlichen Bescheids verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf die Dauer von 8 Jahren ab Ausreise/Abschiebung. Rechtsgrundlage ist insoweit § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Dabei ist jeweils auf die aktuelle Tatsachenlage im Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung abzustellen (EuGH, U.v. 17. Juni 1997 - C-65/95, C-111/95 - Rn. 39 ff.). Die Frist ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen und darf fünf Jahre nur in den Fällen des § 6 Abs. 1 FreizügG/EU - wie hier - überschreiten (§ 7 Abs. 2 Satz 6 FreizügG/EU). Eine Höchstfrist für Verlustfeststellungen nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU ist nicht vorgesehen (BVerwG, U.v. 25.3.2015 - 1 C 18/14 - juris Rn. 23). Die Beklagte geht zutreffend davon aus, dass von dem Kläger auch künftig schwerwiegende Straftaten zu erwarten sind und dass eine zeitnahe Befristung im Hinblick auf die von dem Kläger ausgehende Wiederholungsgefahr hinsichtlich neuer Straftaten den Verlustfeststellungszweck konterkarieren würde. Trotz der im Bundesgebiet lebenden Eltern und der Schwester und der Tatsache, dass der Kläger in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, kommt die Beklagte unter Berücksichtigung aller für und gegen den Kläger sprechenden bekannten Umstände zum Ergebnis, die Wirkung der Verlustfeststellung auf die Dauer von sieben Jahren ab Ausreise/Abschiebung zu befristen. Diese Frist erscheint auch der Kammer im Hinblick auf die von dem Kläger ausgehenden Gefahren angemessen, insbesondere verhältnismäßig.
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Im Übrigen folgt die Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheids und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Gründe ab.
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Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.