Inhalt

VGH München, Beschluss v. 28.02.2020 – 10 C 20.32
Titel:

Duldung zu Ausbildungszwecken

Normenketten:
AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, § 60c
BayVwVfG Art. 14
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
BGB § 177
Leitsatz:
Es ist zweifelhaft, ob sich die bisherige Rechtsprechung zur Ausbildungsduldung, dass eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung bereits bei der Stellung eines Antrags auf Beschaffung eines Passersatzpapiers vorliegt, nach der gesetzlichen Neuregelung des § 60c AufenthG uneingeschränkt aufrechterhalten lässt.  (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Ausbildungsduldung, Antragstellung, Vollmacht, Nachweis der Aufnahme eines Ausbildungsverhältnisses, Asylverfahren, Ausbildungsverhältnis, Duldung, Nigeria, Prozesskostenhilfe
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 10.12.2019 – M 24 E 19.5896
Fundstelle:
BeckRS 2020, 6730

Tenor

In Abänderung von Nr.
IV. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2019 wird dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für das Verfahren M 24 E 19.5896 bewilligt und sein Prozessbevollmächtigter N. Wilhoff, Ampfing, beigeordnet.

Gründe

I.
1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seinen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine Duldung zur Ausbildung zum Maler und Lackierer und eine Beschäftigungserlaubnis hierfür zu erteilen, weiter.
2
Der Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger. Er führte in der Bundesrepublik erfolglos ein Asylverfahren durch und ist seit dem 6. Juni 2019 vollziehbar ausreisepflichtig.
3
Das Landratsamt wies den Antragsteller mit Schreiben vom 3. und 18. Juli 2019 auf seine Mitwirkungspflichten bei der Passbeschaffung hin und forderte ihn auf, einen Pass oder Passersatz vorzulegen. Der Antragsteller hat am 13. August 2019 bei der nigerianischen Botschaft einen Pass beantragt. Ein Passausstellungstermin wurde in für den 27. Januar 2020 avisiert. Hierüber hat der Antragsteller das Landratsamt informiert.
4
Das Landratsamt legte dem Antragsteller am 21. August 2019 einen Antrag auf Ausstellung eines Passersatzes (PEP-Antrag) Nigeria vor, den er unterzeichnete. Diesen Antrag hat das Landratsamt am 28. August 2019 an das Landesamt für Asyl und Rückführungen weitergeleitet.
5
Am 23. August 2019 wandte sich eine Dame aus dem Helferkreis des Antragstellers an das Landratsamt und kündigte an, dass er einige Unterlagen schicken wolle, damit er im September 2019 eine Ausbildung als Maler bei der Firma P. beginnen könne. Der Ausbildungsvertrag, der nicht unterzeichnet war, wurde als Handyfoto übersandt.
6
Am 3. September 2019 beantragte der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten, ihm die Ausbildung zum Maler und Lackierer zu erlauben und ihm hierfür eine Duldung für die Dauer der Ausbildung zu erteilen. Dem Antrag war der Antrag auf Eintragung des Ausbildungsverhältnisses mit Eingangsstempel der Handwerkskammer für München und Oberbayern vom 26. Juli 2019, vom Ausbilder am 17. Juli 2019 unterzeichnet, beigefügt.
7
Das Landratsamt hat über den Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung mit entsprechender Beschäftigungserlaubnis nicht entschieden.
8
Am 27. November 2019 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm bis zu Entscheidung in der Hauptsache eine Duldung für seine Berufsausbildung und die entsprechende Beschäftigungserlaubnis zu erteilen. Zugleich beantragte er, ihm für diesen Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
9
Mit Beschluss vom 10. Dezember 2019 (M 24 E 19.5896) lehnte das Verwaltungsgericht die Anträge ab. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Mit dem Ausschlusstatbestand des Nichtbevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung in § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG sollten die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausgenommen werden, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet sei. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof habe insoweit grundsätzlich in dem an die damalige Zentrale Ausländerbehörde Oberbayern gerichteten Antrag zur Beschaffung von Heimreisedokumenten einen ersten Schritt zur Durchführung der Abschiebung gesehen. Für die Ausbildungsduldung nach § 60 Abs. 2 Satz 4 AufenthG gelte, dass für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstünden, maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen sei. Gemessen daran habe der Antragsteller den Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, weil die Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis nicht bereits mit dem Schreiben vom 23. August 2019, sondern erst durch den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mit Schriftsatz vom 3. September 2019 beantragt worden seien. Die Dame aus dem Asylbewerberhelferkreis habe weder eine Vollmacht zur Antragstellung gehabt noch habe sie einen rechtswirksam zwischen dem Antragsteller und dem Ausbildungsbetrieb geschlossen Ausbildungsvertrag vorgelegt. Erst im gerichtlichen Verfahren habe der Antragsteller mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2019 den vom Antragsteller und Ausbildungsbetrieb unterzeichneten und in die Handwerksrolle eingetragen Ausbildungsvertrag vorgelegt. Der PEP-Antrag, der am 28. August 2019 an die zur Passbeschaffung zuständige Behörde weitergeleitet worden sei, stelle eine Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung dar. Daher sei auch der Prozesskostenhilfeantrag abzulehnen.
10
Zur Begründung seiner Beschwerden gegen die Ablehnung der Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (10 CE 20.31) und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren (10 C 20.32) bringt der Antragsteller vor, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, es hätten im Zeitpunkt der Antragstellung, den es auf den 3. September 2019 fixiere, bereits konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG vorgelegen. Die am 21. August 2019 erfolgte Ausfüllung und Unterzeichnung des PEP-Antrages durch den Antragsteller, welcher am 28. August 2019 durch das Landratsamt an die zur Passbeschaffung zuständige Behörde weitergeleitet worden sei, stelle keine solche Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung dar. Dies ergebe sich aus einem Vergleich mit der gesetzlichen Neuregelung in § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG. Auch der Argumentation des Verwaltungsgerichts, die Antragstellung sei erst am 3. September 2019 erfolgt, weil die Dame aus dem Asylhelferkreis nicht wirksam bevollmächtigt gewesen sei, könne nicht gefolgt werden. Das Landratsamt habe sich nie auf die fehlende Bevollmächtigung berufen. Auf § 174 Satz 1 BGB werde verwiesen. Es sei ohne Bedeutung, dass zu diesem Zeitpunkt der schriftliche Ausbildungsvertrag noch nicht vorgelegen habe.
11
Im Verfahren 10 CE 20.31 erklärten die Parteien übereinstimmend die Hauptsache für erledigt. Dieses Verfahren wurde mit Beschluss vom 28. Februar 2020 eingestellt.
12
Ergänzend wird auf die elektronische Behördenakte und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
13
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) für das Verfahren M 24 E 19.5896 sind erfüllt, weil die Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum für die Entscheidung über den Antrag auf Prozesskostenhilfe maßgeblichen Zeitpunkt zumindest offen waren. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs, die regelmäßig nach Vorlage der vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen sowie Anhörung der Gegenseite mit angemessener Frist zur Stellungnahme eintritt (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 3.1.2018 - 10 C 17.2195 - juris Rn. 3 m.w.N.). Die Äußerung des Antragsgegners ging am 5. Dezember 2019 beim Verwaltungsgericht München ein. Deshalb steht einer Bewilligung der Prozesskostenhilfe nicht entgegen, dass das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung inzwischen durch übereinstimmende Erledigungserklärungen beendet worden ist (BayVGH, B.v. 17.12.2013 - 10 ZB 12.2741 - juris Rn. 4).
14
Bei summarischer Prüfung der Rechtslage spricht vieles dafür, dass der Antrag auf Erteilung einer Ausbildungsduldung mit Beschäftigungserlaubnis bereits mit Schreiben vom 23. August 2019 und nicht - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - erst am 3. September 2019 wirksam gestellt worden war. Aus dem Scheiben vom 23. August 2019 ergibt sich eindeutig, dass der Antragsteller am 1. September 2019 eine Ausbildung zum Maler und Lackierer bei der Firma P. beginnen sollte und hierfür eine „Ausbildungserlaubnis“ beantragt. Der entsprechende Ausbildungsvertrag ist als Smart-Phone-Foto beigefügt. Es trifft zwar zu, dass die Dame aus dem Helferkreis bei der Antragstellung keine vom Antragsteller unterzeichnete Vollmacht vorgelegt hat. Allerdings ist eine Bevollmächtigung im Verwaltungsverfahren auch ohne entsprechende schriftliche Vollmacht wirksam. Da, wie im Umkehrschluss aus Art. 14 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG herzuleiten ist, die Existenz einer schriftlichen Vollmacht nicht Wirksamkeitsvoraussetzung dafür ist, damit eine Person in einem Verwaltungsverfahren für eine andere handeln kann, reicht eine konkludente Bevollmächtigung aus. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG hat der Bevollmächtigte lediglich eine entsprechende Vollmacht auf Verlangen schriftlich nachzuweisen. Eine solche Aufforderung ist seitens des Antragsgegners nicht ergangen. Zudem wäre das Fehlen einer Vollmacht für die Dame aus dem Helferkreis inzwischen geheilt, weil der Antragsteller die Antragstellung durch diese jedenfalls nachträglich genehmigt hat (vgl. § 177 BGB analog). Die Möglichkeit der Heilung ist nur dann verwehrt, wenn zum schriftlichen Nachweis der Bevollmächtigung eine Frist gesetzt wurde (vgl. GmS, B.v. 17.4.1984 - GmS-OGB 2/83 - juris. Rn. 13).
15
Für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, war nach der obergerichtlichen Rechtsprechung vor Inkrafttreten des § 60c AufenthG zum 1. Januar 2020 maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 - 10 CE 18.1598 - juris Rn. 12; B.v. 24.9.2018 - 10 CE 18.1825 - juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 3.9.2018 - 10 CE 18.1800 - Rn. 4; BayVGH, B.v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 - juris Rn. 18). Auch die gesetzliche Neuregelung der Ausbildungsduldung stellt auf diesen Zeitpunkt ab (vgl. § 60c Abs. 2 Nr. 5 AufenthG).
16
Nicht in der Rechtsprechung geklärt war bisher, welche Unterlagen der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung zum Nachweis dafür, dass er eine qualifizierte Berufsausbildung in einem Ausbildungsberuf aufnimmt (§ 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG), vorlegen musste (vgl. zum Meinungsstand: vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2018 - 19 CE 18.51 - juris Rn. 18 m.w.N.; OVG SH, B.v. 28.2.2019 - 4 MB 132/18 - juris Rn. 7). Der Antragsteller hat bei Antragstellung jedenfalls das Ausbildungsverhältnis konkret bezeichnet und das Foto eines (nicht unterschriebenen) Ausbildungsvertrags vorgelegt. Auch der neue § 60c Abs. 3 AufenthG enthält insoweit keine eindeutige Regelung. § 60c Abs. 3 Satz 3 AufenthG bestimmt lediglich, dass die Ausbildungsduldung erteilt wird, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung die Eintragung des Ausbildungsvertrags in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse bereits beantragt wurde, sagt aber nichts darüber aus, ob der Nachweis hierfür bereits bei der Antragstellung vorgelegen haben muss. Die Kommentarliteratur geht davon aus, dass die Sperrwirkung hinsichtlich des Ausschlussgrundes in dem Zeitpunkt eintritt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung der Ausbildungsduldung erstmals vorliegen (Röder in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.1.2020, AufenthG, § 60c Rn. 50). Auf einen Nachweis durch entsprechende Unterlagen bei Antragstellung wird insoweit nicht abgestellt. Die Gesetzesbegründung führt aus, es sei ausreichend, wenn bei der Antragstellung ein Nachweis darüber erbracht wird, dass die Eintragung des Berufsausbildungsvertrags in das Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse bei der zuständigen Stelle beantragt wurde (BT-Drs. 19/8286 S. 16). Nach Auffassung des Senats bezieht sich diese Aussage allerdings auf die Voraussetzungen für eine Erteilung der Duldung und nicht auf den Eintritt der Sperrwirkung. Jedenfalls hatte der Antragsteller ausweislich des mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 3. September 2019 vorgelegten Nachweises bereits am 26. Juli 2019 den Antrag auf Eintragung des Berufsausbildungsvertrages bei der Handwerkskammer gestellt. Es spricht demnach vieles dafür, dass die Sperrwirkung bereits bei Antragstellung am 23. bzw. 27. August 2019 und damit vor der Weiterleitung des PEP-Antrags an das Landesamt für Asyl und Rückführungen am 28. August 2019 eingetreten ist, so dass der Ausschlussgrund des Nichtbevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht vorlag.
17
Im Übrigen erscheint dem Senat auch zweifelhaft, ob sich die bisherige Rechtsprechung zur alten Rechtslage, dass eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung bereits bei der Stellung eines Antrags auf Beschaffung eines Passersatzpapiers vorliegt (BayVGH, B.v. 20.11.2018 - 10 CE 18.2159 - juris Rn. 12), nach der gesetzlichen Neuregelung uneingeschränkt aufrechterhalten lässt. Die in § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a bis c AufenthG aufgeführten Maßnahmen stehen bereits in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aufenthaltsbeendigung. § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. d AufenthG fordert vergleichbar konkrete Maßnahmen, die in einem hinreichend sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Aufenthaltsbeendigung stehen. Es wird daher wohl in jedem Einzelfall zu prüfen sein, ob der entsprechende Antrag in naher Zukunft zur Ausstellung eines Passersatzpapiers führt (vgl. Röder in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.1.2020, AufenthG, § 60c Rn. 51).
18
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, weil nach § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) Gerichtskosten nur bei der Zurückweisung oder Verwerfung der Beschwerde anfallen und eine Kostenerstattung ausgeschlossen ist (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
19
Da Gerichtskosten nicht erhoben werden können, ist auch eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.
20
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).