Inhalt

LG Ansbach, Endurteil v. 28.12.2020 – 3 O 504/20
Titel:

Abschalteinrichtung, Sittenwidrige Schädigung, Irreführende Werbung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nutzungsentschädigung, Sittenwidrigkeit, Zug-um-Zug, Emissionsgrenzwerte, Rückabwicklung des Kaufvertrags, Kostenentscheidung, Klageantrag, Betriebsuntersagung, Verrichtungsgehilfen, Übereignung, Unerlaubte Handlung, Streitwertbeschlüsse, Übereinstimmende Erklärung, Harmonisierung, Schutzgesetzcharakter, EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung

Schlagworte:
Zulässigkeit der Klage, Begründetheit der Klage, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrige Schädigung, Abschalteinrichtung, Thermofenster, Deliktische Haftung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 27.01.2022 – 5 U 289/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 23.05.2022 – 5 U 289/21
BGH Karlsruhe, Urteil vom 10.12.2024 – VIa ZR 784/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 65735

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 41.235,79 € festgesetzt.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal Schadensersatz in Form der Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Dieselfahrzeug.
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Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 31.08.2017 von der Autohaus … mit Sitz in … das Fahrzeug … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … zu einem Kaufpreis von 44.490,00 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ OM 642 der Schadstoffklasse EURO 6 ausgestattet und wurde dem Kläger am 14.09.2017 mit einer Laufleistung von 50.500 Km übergeben. Die Erstzulassung des Fahrzeuges datiert vom 21.03.2014. Am 16.12.2020 betrug die Laufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs 104.264 km.
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Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs einschließlich des Motors.
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Das Fahrzeug verfügt über eine gültige EG-Typengenehmigung.
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Die Kontrolle der Stickoxidemissionen erfolgt im streitgegenständlichen Fahrzeug unter anderem durch die sogenannte Abgasrückführung. Bei dieser wird ein Teil des Abgases zurück in das Ansaugsystem des Motors geführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Ferner verfügt das Fahrzeug über ein sogenanntes SCR-System (selective catalytic reduction), im Rahmen dessen Stickoxidemissionen dadurch reduziert werden, dass dem Abgas eine wässrige Harnstofflösung (AdBlue) beigemischt wird und durch die sodann ausgelöste chemische Reaktion die Stickoxide im Wesentlichen zu Stickstoff und Wasser abgebaut werden. Das Kraftfahrtbundesamt ordnete einen Rückruf des Fahrzeugs an und stellte nachträgliche Nebenbestimmungen auf. Mit Anwaltsschreiben vom 04.03.2020 forderte der Kläger die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs bis 18.03.2020 auf.
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Der Kläger behauptet, die Beklagte habe Fahrzeuge mit Dieselmotoren in Verkehr gebracht, die mithilfe unzulässiger Abschalteinrichtungen die einschlägigen Emissionsgrenzwerte softwaregesteuert nur einhielten, wenn sie auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolvierten. Hiervon seien die von der Beklagten hergestellten Dieselmotoren OM 607, OM 626, OM 642 und OM 651, somit auch das streitgegenständliche Fahrzeug, betroffen. Es komme ein sogenanntes Thermofenster zur Anwendung, das dazu führe, dass die Emissionsgrenzwerte zwar bei den auf dem Prüfstand herrschenden Temperaturen eingehalten werden, über weite Strecken des realen Fahrbetriebs hingegen nicht.
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Der Kläger meint, der heimliche Einsatz einer Software, die den Schadstoffausstoß eines Fahrzeugs nur während eines Emissionstests oder bei bestimmten Temperaturen reduziere, sei sittenwidrig. Als Käufer eines der betroffenen Fahrzeuge habe der Kläger deshalb einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages, insbesondere aus § 826 BGB. Zu Gunsten der Beklagten sei von dem geschuldeten Rückzahlungsbetrag allerdings ein Abzug für Nutzungsersatz vorzunehmen, wobei von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km auszugehen sei.
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Nachdem der Kläger zunächst die Zahlung von 38.936,21 € sowie von Deliktszinsen in Höhe von 2.299,58 € nebst weiterer Zinsen aus 47.308,00 € in Höhe von 4% pro Jahr seit dem 21.04.2020 Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs begehrt hatte, hat er unter Erledigterklärung im Übrigen zuletzt beantragt,
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 37.724,14 EUR sowie Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 19.03.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ….
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeuges … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … seit dem 19.03.2020 in Annahmeverzug befindet.
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Die Beklagte hat der Teilerledigungserklärung nicht zugestimmt und beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, in dem von dem Kläger erworbenen Fahrzeug befinde sich keine Manipulationssoftware, mithilfe derer Abgase lediglich für eine gewisse Dauer oder Distanz gereinigt würden oder die lediglich für die Zwecke des Typgenehmigungsverfahrens eine Schadstoffarmut der Emissionen vortäusche, indem sie aufgrund einer Prüfstandserkennung die Abgasreinigung intensiviere. Die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung habe nichts mit einer Abschalteinrichtung zu tun und hänge insbesondere nicht von einer Prüfstandserkennung ab. Im Falle relativ niedriger Außentemperaturen sei die Rate der Abgasrückführung zur Senkung des Versottungsrisikos betriebspunktabhängig geringer als bei höheren Temperaturen. Diese Kalibrierung des Systems sei zum Schutz des Motors vor dauerhafter Schädigung oder totalem Ausfall notwendig. Die Außentemperatur sei nur einer von vielen Faktoren, die bei der Steuerung der Abgassysteme eine Rolle spielen könnten. Dabei sei die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung bei kalter Umgebungstemperatur Industriestandard, um den beschriebenen Gefahren zu begegnen. Die Beklagte habe in den EG-Typgenehmigungsunterlagen der Systemgenehmigung Abgas regelmäßig Angaben zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung gemacht, ohne dass die Behörde Veranlassung gesehen hätte, deswegen die Typgenehmigung zu verweigern.
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Der Kläger bietet zum Beweis des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Das Gericht hat den Beweis nicht erhoben.
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Im Übrigen wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie insbesondere das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.12.2020 (Bl. 226 ff. d.A.) umfassend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist vollumfänglich nicht begründet.
A. Zulässigkeit
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Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Ansbach gem. § 32 ZPO örtlich und gem. §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG sachlich zuständig.
B. Begründetheit
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Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung des vom Kläger für das streitgegenständliche Fahrzeug bezahlten Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges.
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I. Dem Kläger steht insoweit kein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte durch das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs liegt nicht vor.
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1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verhalten (nur) dann sittenwidrig, wenn es nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller Billig- und Gerechtdenkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht oder einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Auch hier müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden verwerflich machen (vgl. zum Ganzen BGH, Urteile vom 28. Juni 2016 – VI ZR 526/15, NJW 2017, 250 Rn. 16; vom 7. Mai 2019 – VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8; jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
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Zwar kann grundsätzlich dem Käufer eines Pkw, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware versehen ist, gegen den Fahrzeughersteller ein solcher Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB, der auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung und Rückgabe des Fahrzeuges gerichtet ist, zustehen. Allerdings darf die insoweit jüngst ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung zum Motor EA 189 des Volkswagen-Konzerns nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gesetz für den Anspruch aus § 826 BGB sehr hohe Hürden vorsieht. Der Bundesgerichtshof betont mit gutem Grund in diesem Zusammenhang die Berücksichtigung des Verhältnisses zwischen der vertraglichen und der deliktischen Haftung. Denn eine unbeschränkte und vorschnell bejahte Deliktshaftung für Vermögensschäden birgt die Gefahr, die Risikozuweisungen des jeweils einschlägigen Vertragsrechts zu unterlaufen (zutreffend hierzu MünchKommBGB/Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 16 f.; vgl. auch bereits LG Ellwangen, Urteil vom 10. Juni 2016 – 5 O 385/15, juris Rn. 24). Allein die Verletzung vertraglicher Leistungspflichten stellt deshalb grundsätzlich keine sittenwidrige Schädigung dar, selbst wenn sie im Einzelfall vorsätzlich erfolgen sollte (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 18. Juni 2019 – 3 U 416/19, juris Rn. 37).
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2. Hiernach kommt vorliegend ein Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 826 BGB nicht in Betracht.
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Selbst wenn in dem klägerischen Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut wären und es sich im Zusammenhang mit der daraus resultierenden Gefahr der Betriebsuntersagung um einen Sachmangel handeln würde, für die der Gesetzgeber die gewährleistungsrechtliche Haftung nach den §§ 434 ff. BGB vorgesehen hat, würde die Mangelhaftigkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs allein aus den genannten Gründen aber nicht die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung rechtfertigen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 01.09.2020 – 5 U 698/20; OLG Köln, Beschluss vom 4. Juli 2019 – 3 U 148/18, juris Rn. 6).
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Die Klägerseite kritisiert hier die Programmierung eines Thermofensters und die Verwendung eines temperaturabhängigen Modus im SCR-Katalysator. Diese Situation unterscheidet sich wesentlich von jenen Dieselthematikfällen, in denen eine Prüfstanderkennungssoftware mit Umschaltlogik, wie sie beim VW-Motor EA189 verwendet wurde, vorliegt. Dort liegt der Vorwurf darin, der Hersteller habe ein System zur planmäßigen Verschleierung der Übertretung gesetzlicher Abgaswerte geschaffen. Im hier vorliegenden Fall behauptet der Kläger gerade nicht, sein Fahrzeug verfüge über eine Abschalteinrichtung in der Form, dass die Software den Prüfstand erkenne und deshalb in einen anderen Modus schalte. Gemäß dem klägerischen Vortrag zielt das Thermofenster nicht darauf ab, auf dem Prüfstand und im Normalbetrieb unterschiedliche Abgasrückführungsmodi zu aktivieren. Vielmehr soll die Aktivität der Abgasrückführung von den herrschenden Temperaturen abhängig sein. Das Gericht vermag sich daher nicht davon zu überzeugen, dass das Thermofenster speziell auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt ist.
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Unter welchen Voraussetzungen ein Thermofenster eine zulässige oder unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO 2007/715/EG darstellt, darüber herrschen bei den Gerichten unterschiedliche Auffassungen. Ohnehin kann dies jedoch offengelassen werden. Denn es fehlt jedenfalls an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten, der zuzugestehen ist, dass eine Auslegung, wonach ein Thermofenster keine unzulässige Abschalteinrichtung bildet, juristisch zumindest vertretbar erscheint. Dabei stützt sich das Gericht auf die Tatsache, dass die Abgasreinigung zunächst einmal im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise funktioniert wie auf dem Prüfstand. Für die Reduktion der Abgasreinigung oberhalb und unterhalb bestimmter Umgebungstemperaturen führt die Beklagte Gesichtspunkte des Motor- und Bauteilschutzes an. Bei dieser vorgetragenen Motivation der Beklagten sieht sich das Gericht außer Stande, dieser zu unterstellen, sie habe eine unzulässige Abschalteinrichtung wissentlich und willentlich verwendet. Für genauso wahrscheinlich hält es das Gericht, dass die Beklagte von einer Zulässigkeit des Thermofensters ausging. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erstzulassung des Fahrzeuges im Jahr 2014 erfolgte. Für das Vorliegen des Schädigungsvorsatzes ist auf diesen Zeitpunkt abzustellen. Anhaltspunkte dafür, die Beklagte habe hier sehenden Auges gegen das Gesetz verstoßen, kann das Gericht nicht erkennen. Es fehlt mithin bereits an einer vorsätzlichen Handlung. Somit kann aber auch nicht von einem besonders verwerflichen Verhalten ausgegangen werden, wenn die Beklagte die Norm über die unzulässigen Abschalteinrichtungen in einer Weise ausgelegt hat, die jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist (so auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020, Aktenzeichen I – 5 U110/19, zitiert nach Juris).
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II. Hieran anknüpfend steht der Klagepartei auch ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB nicht zu, da es (unter anderem) bereits an hinreichendem Vorbringen zu einer bewussten Täuschung der Beklagten gegenüber der Klagepartei und zu einem zumindest bedingten Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit einer hieraus resultierenden Bereicherung fehlt.
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III. Auch ein deliktischer Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. der VO 715/2007/EG scheidet aus. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.
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Die Frage, ob es sich bei einer Norm um ein Schutzgesetz handelt, kann nicht allein aus dieser heraus durch deren Interpretation beantwortet werden, sondern bedarf einer autonom-deliktsrechtlichen Würdigung durch das Gericht (Münchner Kommentar, BGB, 17. Aufl. 2007, § 823 BGB Rn. 503, zitiert nach Beck-Online). Vom Gesetz muss erkennbar die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs angestrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems sinnvoll und tragbar erscheinen, wobei hierüber durch umfassende Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs der Norm zu entscheiden ist (BGH NJW 2008, 1734).
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Zwar mag die Verordnung 715/2007/EG neben dem vorrangigen Allgemeininteresse an der Verbesserung der Luftqualität auch dem Schutz des individuellen Verbrauchers dienen, indem die Übergabe der Übereinstimmungsbescheinigung den Käufer eines Fahrzeugs in die Lage versetzt, die Umweltfreundlichkeit und Sparsamkeit im Verbrauch des von ihm zu erwerbenden Fahrzeugs zur Grundlage seiner Kaufentscheidung zu machen. Jedoch resultiert hieraus noch nicht der Charakter der Verordnung als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Denn der Schutz individueller Vermögensinteressen, worauf die Regelung des § 823 Abs. 2 BGB abzielt, ist hierdurch nicht bezweckt. Vielmehr stehen der Schutz der Umwelt und die Harmonisierung und Stärkung des Binnenmarktes als übergeordnete Interessen der Allgemeinheit im Vordergrund.
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Das Gericht setzt sich mit dieser Auffassung nicht in Widerspruch zum OLG München (Urteil vom 15.10.2019, Az. 24 U 797/19, dort Rn. 55). Dieses zieht in einem anders gelagerten Fall den – auch – individualschützenden Charakter der Verordnung dazu heran, um einen Verstoß gegen die guten Sitten noch zu untermauern. Nicht jedweder bezweckte Individualschutz ist jedoch ausreichend, um einer Norm Schutzgesetzcharakter im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zu geben. Der Vermögensschutz ist das Ausschlaggebende – und der ist hier nicht bezweckt.
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IV. Auch aus §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i. V. m. § 16 UWG ergibt sich kein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz. Hiernach macht sich strafbar, wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, durch unwahre Angaben irreführend wirbt.
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Der Kläger hat zu einem durch irreführende Werbung ihm entstandenen Schaden nicht schlüssig vorgetragen. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es für einen Schadensersatzanspruch gerade wesentlich darauf an, dass er durch eine irreführende Werbung einen Schaden erlitten hat, diese also auch wahrgenommen und hierdurch zu der schädigenden Handlung veranlasst worden ist. Andernfalls fehlt es an der haftungsausfüllenden Kausalität (vgl. Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 79. Auflage 2020, Rn. 24 vor § 249).
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Zudem ist § 16 UWG nicht Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (Schünemann/G., Einordnung des Wettbewerbsrechts in das Rechtssystem, 5. Verhältnis zum bürgerlichen Recht, in: Teplitzky/Peifer/Leistner, UWG, 2. Aufl., 2013, Rn. 129 m.w.N.).
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V. Ebensowenig ist ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 4, 6, 25, 27 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) zu bejahen. Bei den zitierten Normen der EG-FGV, durch die die RL 2007/46/EG in nationales Recht umgesetzt wurde, handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.
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Vorliegend spielt die Zielsetzung der durch die EG-FGV umgesetzten Richtlinie eine entscheidende Rolle. Gemäß Art. 1 der RL 2007/46/EG dient die EG-Typgenehmigung der Harmonisierung der Verwaltungsvorschriften und allgemeinen technischen Anforderungen für die Genehmigung aller in den Geltungsbereich der Richtlinie fallenden Neufahrzeuge mit dem Zweck der Erleichterung von Zulassung, Verkauf und Inbetriebnahme in der Gemeinschaft. Mag durch die Übereinstimmungserklärung des Herstellers auch die Einhaltung gewisser Geräusch- und Emissionsgrenzwerte bestätigt bzw. behauptet werden, die wiederum auch im Interesse jedes einzelnen bestehen, so resultiert daraus jedoch noch nicht der Charakter der die Verpflichtung zur Erteilung der Übereinstimmungserklärung regelnden Normen der EG-FGV als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Denn der Schutz individueller Vermögensinteressen, worauf die Regelung des § 823 Abs. 2 BGB abzielt, ist hierdurch nicht bezweckt. Vielmehr stehen der Schutz der Umwelt und die Harmonisierung und Stärkung des Binnenmarktes als übergeordnete Interessen der Allgemeinheit im Vordergrund (so auch OLG München, Beschluss vom 22.02.2018, Az.: 27 U 2827/17, und OLG Köln, Beschluss vom 22.08.2018, Az.: 15 U 76/18).
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VI. Damit steht dem Kläger auch der geltend gemachte Anspruch nach § 831 BGB nicht zu, da hierfür der Verrichtungsgehilfe den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung (§ 823 bzw. § 826 BGB) rechtswidrig erfüllt haben müsste (vgl. etwa OLG Stuttgart, Urteil vom 21. Juni 2011 – 12 U 26/11, juris Rn. 58).
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VII. Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Verzugszinsen.
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VIII. Der Klageantrag zu 2) ist vor dem Hintergrund des vorgenannten ebenfalls unbegründet.
36
IX. Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass der ursprüngliche Klageantrag zum Teil durch ein erledigendes Ereignis nach Rechtshängigkeit unbegründet geworden sei, war diese Feststellung nicht zu treffen, da die Klage bereits – wie aus Obenstehendem hervorgeht – von Anfang an unbegründet war.
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X. Schließlich hat auch ein Anspruch auf die Zahlung von Deliktszinsen aus § 849 BGB zu keinem Zeitpunkt bestanden. Hiernach kann der Verletzte die Verzinsung des zu ersetzenden Betrags verlangen, wenn wegen der Entziehung einer Sache der Wert zu ersetzen ist. Voraussetzung ist mithin eine Deliktsverantwortlichkeit der Beklagten, die vorliegend gerade nicht gegeben ist. Zudem können Deliktszinsen nach § 849 BGB nicht verlangt werden, wenn der Geschädigte für die Hingabe seines Geldes im Wege des Leistungsaustauschs eine in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbare Gegenleistung erhält. In diesem Fall kompensiert die tatsächliche Nutzbarkeit der Gegenleistung die Nutzungsmöglichkeit des Geldes (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, zitiert nach juris).
C. Nebenentscheidungen
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I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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II. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
40
III. Der Streitwertbeschluss beruht auf § 48 Abs. 1 GKG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.
Rückabwicklung: 38.936,21 €.
Deliktszinsen § 849 BGB: 2.299,58