Inhalt

LG Traunstein, Endurteil v. 19.02.2020 – 8 O 108/19
Titel:

Abschalteinrichtung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Sittenwidrigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Teilweise Erledigung der Hauptsache, Klagepartei, Unzulässigkeit, Kostenentscheidung, Zug-um-Zug, Sachverständigengutachten, Maßgeblicher Zeitpunkt, Bestandskräftiger Bescheid, Schädigungsvorsatz, Unerlaubte Handlung, Prozeßbevollmächtigter, Emissionsgrenzwerte, OLG Stuttgart, Inverkehrbringen, Gesetzesverstoß, Fahrzeuge

Schlagworte:
Thermofenster, Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Schädigungsvorsatz, Haftungsausschluss, Typgenehmigungsverfahren, Emissionskontrollsystem
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 20.09.2021 – 15 U 1400/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 10.12.2024 – VIa ZR 368/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 65254

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. 

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines PKWKaufvertrages im Zuge des sogenannten „Abgasskandals“.
2
Die Beklagte ist Auto- und Motorenherstellerin mit Sitz in S.. Mit verbindlicher Bestellung vom 17.06.2015 (Anlage K 1) erwarb die Klagepartei von der H. GmbH & Co. KG in S2. einen Mercedes Benz V-Klasse mit einer Laufleistung von 9.900 km zu einem Kaufpreis von 53.900 €. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um ein Fahrzeug der EURO Norm 6, in dem ein von der Beklagten entwickelter und hergestellter Motor OM 651 sowie ein SCR-Katalysator, der mit Ad-Blue betrieben wird, verbaut ist. Das Fahrzeug verfügt über Einrichtungen, die sich u.a. auf das Abgasrückführungssystem (AGR-System) und auf den SCR-Katalysor auswirken und dazu führen, dass die Systeme zu Beginn der Warmlaufphase und/oder bei tiefen Außentemperaturen abgeschaltet werden, wodurch der Grad der Abgasrückführung reduziert bzw. die Zufuhr von Harnstofflösung verringert oder ganz ausgesetzt wird, womit die Stickoxidemissionen erheblich ansteigen. Aufgrunddessen ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt für das streitgegenständliche Fahrzeug den verpflichtenden Rückruf an (vgl. Pressemeldung des KBA vom 25.05.2018, Bl. 85 d.A.). Ein Software-Update wurde jedoch bislang nicht durchgeführt. Mit Schreiben vom 15.12.2018 forderten die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei die Beklagte zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich der gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeuges unter Fristsetzung bis 31.12.2018 auf; zugleich wurde das Fahrzeug zur Abholung angeboten (Anlage K 2). Dieser Aufforderung kam die Beklagte nicht nach. Das Fahrzeug weist aktuell einen Kilometerstand von 97.915 km auf.
3
Die Klagepartei trägt vor, dass es ihr auf den Erwerb eines besonders umweltfreundlichen Fahrzeuges angekommen sei, so wie dies von der Beklagten beworben worden sei (“sauberste Dieseltechnologie der Welt“). Hätte sie von dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtungen und damit von den deutlichen höheren Schadstoffemissionen gewusst, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Die Klagepartei behauptet ferner, der Vorstand der Beklagten hätte Kenntnis von dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtungen gehabt.
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Sie ist der Ansicht, das Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 VO EG 715/2007. Insbesondere seien die verbauten Abschalteinrichtungen auch nicht notwendig, um das Fahrzeug, den Motor oder Bauteile hiervon vor Beschädigung zu schützen. Ihr stünden daher Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gem. §§ 826 i.V.m. 31 BGB, aus § 823 II BGB i.V.m. § 16 UWG sowie aus § 823 II BGB i.V.m. Art. 5 II VO (EG) Nr. 715/2007, aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB und aus § 823 II BGB i.V.m. §§ 6 I, 27 I EG-FGV zu.
5
Unter Erledigterklärung im übrigen hat die Klägerin zuletzt beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 37.546,99 Euro sowie Zinsen in Höhe von 9.959,52 € nebst weiterer Zinsen aus 53.900 € in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 30.01.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Mercedes-Benz V-Klasse mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ...
2.
festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges seit dem 31.12.2018 in Annahmeverzug befindet,
3.
die Beklagte zu verurteilen, an die A. Allgemeine Versicherungs AG, A. Platz 1, ... D. zur Schadennummer ...758 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.492,14 € sowie an die Klagepartei vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 525,90 €, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten, sowie die Klagepartei von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 336 € gegenüber der W.../v... R... Partnerschaft von Rechtsanwälten freizustellen.
6
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
7
Die Beklagte behauptet insbesondere, die Tatsache, dass das KBA mit nicht bestandskräftigem Bescheid vom 3.08.2018 nachträgliche Nebenbestimmungen zur Typengenehmigung erlassen habe ohne sich (anders als bei VW) eine Aufhebung der Typgenehmigung vorzubehalten, lasse nicht den Schluss auf eine Mangelhaftigkeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu. Für das Fahrzeug sei von der Beklagten bereits ein Update entwickelt und vom KBA freigegeben worden. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug würde keine Programmierung verwendet, die so gestaltet sei, dass auf der Straße unter normalen Betriebsbedingungen ein anderes Verhalten des Emissionskontrollsystems angestrebt werde als auf dem Prüfstand. Die Emissions-Grenzwerte der Euro-Normen seien mit detailliert normierten Prüfbedingungen verknüpft, daher sei nur das Emissionsverhalten des Fahrzeugs innerhalb der maßgeblichen gesetzlichen Prüfbedingungen relevant; hier würden die Grenzwerte durch das streitgegenständliche Fahrzeug eingehalten. Eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 II EG-VO 715/2007 sei nicht gegeben, das sog. „Thermofenster“ sei zum Bauteilschutz notwendig. Das System der Abgasrückführung könne bei kalten Temperaturen Schäden durch Ablagerungen (sog. „Versottung“) erleiden. Eine höhere Abgasrückführungsrate außerhalb des Thermofensters führe zu einer solchen Versottung und damit zu Motorschäden. Sie ist der Ansicht, ein Schadensersatzanspruch stehe der Klagepartei unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
8
Das Gericht hat am 15.05.2019 und 29.01.2020 mündlich verhandelt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 15.05.2019 und 29.01.2020 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die zulässige Klage erweist sich im Ergebnis als unbegründet.
10
Unabhängig von der Frage des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung und einer Täuschung hierüber bei Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs sind jedenfalls die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen für eine Haftung nach § 826 BGB, ein sittenwidriges Handeln und ein Schädigungsvorsatz auf Seiten der Beklagten, nicht mit der zur Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachweisbar.
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1. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich bei dem unstreitig vorhandenen sog. Thermofenster um eine Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007, weil die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems infolge der Reduktion der Abgasrückführung in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur unter normalen Bedingungen des Fahrzeugbetriebs verringert wird.
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Gem. Art. 5 Abs. 1 EG-VO 715/2007 rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Nach Abs. 2 der Vorschrift ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die diese Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig. In Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 ist die Wirkungsweise von unzulässigen Abschalteinrichtungen ausdrücklich dahingehend definiert, dass diese die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringern.
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Unstreitig verfügt das streitgegenständliche Fahrzeug über ein sog. Thermofenster, d.h. die Abgasrückführung wird bei kühleren Temperaturen zurückgefahren, weil eine Software die Außentemperatur erkennt und die Funktion des Emissionskontrollsystems verändert. Unerheblich ist dabei, in welchem Maß eine Verringerung der Abgasrückführung erfolgt, da nach Art. 3 Nr. 10 EG-VO 715/2007 schlicht jede Veränderung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems als Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist (vgl. LG Stuttgart, 7 O 265/18, juris Rz. 47 m.w.N.).
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Eine Abschalteinrichtung ist nur dann ausnahmsweise gem. Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG-VO 715/2007 zulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen, wobei das Gericht durchaus die Rechtsansicht für schlüssig hält, wonach es an der Notwendigkeit im Sinne dieser Regelung vorliegend fehlt, die Abschalteinrichtung mithin als unzulässig einzustufen ist (vgl. LG Stuttgart, 7 O 265/18; 23 O 172/18; 23 O 178/18, 23 O 180/18). Allerdings ist die Auslegung des Ausnahmetatbestands des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit a) EG-VO 715/2077 nicht ganz eindeutig, insbesondere ergibt sich eine grundsätzlich enge Auslegung (u.a. des Begriffes der „Notwendigkeit“) weder aus allgemeinen Auslegungsgrundsätzen, noch lässt sie sich dem konkreten Wortlaut der Ausnahmevorschrift entnehmen. In diesem Zusammenhang führt das OLG Stuttgart zutreffend aus (Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19, juris Rz. 84 ff.):
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Dass die Gesetzeslage an dieser Stelle nicht unzweifelhaft und eindeutig ist, zeigt neben der kontrovers geführten Diskussion über Inhalt und Reichweite der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO 2007/715/EG auch der Umstand, dass sich das Kraftfahrt-Bundesamt wie auch das Bundesverkehrsministerium (BMVI) offenbar bislang nicht von der Unzulässigkeit des behaupteten sogenannten „Thermofensters“ im streitgegenständlichen Fahrzeug haben überzeugen können und ein Rückruf sämtlicher betroffener Fahrzeuge behördlich bis heute gerade nicht angeordnet worden ist. Insbesondere ist ein verbindlicher behördlicher Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeuges unstreitig bis heute nicht erfolgt.
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Nach der Einschätzung der vom BMVI eingesetzten Untersuchungskommission Volkswagen liegt ein Gesetzesverstoß durch die von allen Autoherstellern eingesetzten Thermofenster jedenfalls nicht eindeutig vor. So heißt es im Bericht der Kommission zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) VO 715/2007/EG ausdrücklich (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123): „Zudem verstößt eine weite Interpretation durch die Fahrzeughersteller und die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung, dass eine Abschaltung erforderlich ist, um den Motor vor Beschädigung zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
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Konsequenz dieser Unschärfe der europäischen Regelung könnte sein, dass unter Berufung auf den Motorschutz via Verwendung von Abschalteinrichtungen letztlich stets dann gerechtfertigt werden könnte, wenn von Seiten des Fahrzeugherstellers nachvollziehbar dargestellt wird, dass ohne die Verwendung einer solchen Einrichtung dem Motor Schaden droht, sei dieser auch noch so klein.“
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Aus Sicht der Untersuchungskommission bedarf es der weiteren Untersuchung durch die Aufsichtsbehörden im Einzelfall, die für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp bisher offenbar nicht zur Feststellung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und zu einem Rückruf geführt hat.
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Schließlich zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) und in den Entscheidungen der 23. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart betriebene – erhebliche – Begründungsaufwand, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist … (OLG Köln, Beschluss vom 4.7.2019 – 3 U 148/18, juris Rn. 6).
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Diesen Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht an. Zwar wurde im Unterschied zu dem vom OLG Stuttgart entschiedenen Fall hier ein Rückrufbescheid für das streitgegenständliche Fahrzeug durch das KBA erlassen (in Bezug auf „unzulässige Strategien“, die sich auf den „Einsatz des SCR-Abgasreinigungssystems“ beziehen, vgl. Pressemitteilung Bl. 85 d.A.), dieser ist allerdings im Unterschied zum sog. VW-Abgasskandal nicht bestandskräftig, sondern von der Beklagten angefochten worden, so dass sich daraus keine bestandskräftigen Feststellungen zulasten der Beklagten entnehmen lassen. Auch wurde von der Beklagten nachvollziehbar – wenn auch klägerseits bestritten – dargestellt, dass ohne die Verwendung eines sog. Thermofensters dem Motor Schaden droht, weshalb möglicherweise die Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 lit.
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a) EG-VO 715/2007 zum Tragen kommt. Zwar hat die Klagepartei zum Beweis ihrer Behauptung, die verbaute Einrichtung sei nicht notwendig, um das Fahrzeug, den Motor oder Bauteile hiervon vor Beschädigung zu schützen, die Erholung eines Sachverständigengutachtens angeboten; von der Einholung eines Gutachtens konnte gleichwohl abgesehen werden, weil aus den nachstehend unter Ziffer 2. ausgeführten Gründen ohnehin eine Haftung der Beklagten ausscheidet.
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2. Eine Haftung auf der Grundlage des § 826 BGB scheitert jedenfalls daran, dass das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit nicht zur Überzeugung des Gerichts gegeben ist. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt dabei allein noch nicht; hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (vgl. BGH, XI ZR 51/10, NJW 2012, 1800, Rn. 28; Palandt/Sprau, § 826, Rn. 4.).
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Bei der Verwendung eines Thermofensters kommt die Annahme einer Sittenwidrigkeit demnach nur dann in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis von dem Einbau einer solchen Einrichtung hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies von Seiten des Herstellers in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az. 10 U 134/19). Dies kann aber gerade bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz hier im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, nicht ohne weiteres angenommen werden.
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Wie bereits dargelegt, ist die Bewertung von Thermofenstern als unzulässige Abschalteinrichtung keinesfalls einhellig, zumal die Auslegung des Ausnahmetatbestands des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) EG-VO 715/2007 nicht ohne weiteres eindeutig und offensichtlich ist (siehe Ziffer 1.). Es erscheint daher nicht von vornherein als ausgeschlossen, dass die verantwortlichen Personen bei der Beklagten die von ihnen konzipierte Art der Motorsteuerung zum maßgeblichen Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs als zulässig angesehen haben, also gerade nicht in dem Bewusstsein handelten, gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen.
25
Dementsprechend führt auch das OLG Stuttgart aaO aus: Eine Auslegung, wonach ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, ist daher jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als besonders verwerfliches Verhalten angesehen werden (LG Stuttgart, Urteil vom 3.5.2019 – 22 O 238/18, juris Rn. 30 ff.; LG Limburg, Urteil vom 24.5.2019 – 2 O 50/19, juris Rn. 25; LG Bonn, Urteil vom 17.5.2019 – 15 O 132/18, juris, Rn. 25 ff.; LG Heidelberg, Urteil vom 17.5.2019 – 4 O 60/19, juris, Rn. 41 ff.; LG Amberg, Urteil vom 2.5.2019 – 21 O 849/18, juris Rn. 39).
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Darauf, ob das Thermofenster eine objektiv unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, kommt es damit letztlich gar nicht an, da es insoweit auf Seiten der Beklagten jedenfalls an einem sittenwidrigen Verhalten fehlt.
27
Anhaltspunkte dafür, dass die Verwendung des Thermofensters von Seiten des Herstellers in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, lassen sich insbesondere auch nicht daraus ableiten, dass die Beklagte falsche oder unvollständige Angaben zur temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung im Rahmen des Typgenehmigungsverfahren gemacht hätte. Auf Anordnung des Gerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 11.10.2019 die Systemgenehmigung Abgas einschließlich des Beschreibungsbogens vorgelegt. Dabei ergibt sich aus den Angaben unter Ziffer 3.2.12.2.4.1. (Anlage B 21, Bl. 22) in Verbindung mit der dort erwähnten Anlage LE05-75173 (Anlage B 23) zweifelsfrei, dass auch die Lufttemperatur ein Parameter für die Steuerung der Abgasrückführungsmenge ist, von einer gezielten Verschleierung der Wirkungsweise der Abschalteinrichtung durch die Beklagte kann daher keine Rede sein. Eine Beanstandung des Emissionskontrollsystems durch das KBA ist daraufhin unstreitig nicht erfolgt, vielmehr wurde die beantragte Typgenehmigung erteilt. Auch vor diesem Hintergrund konnte die Beklagte annehmen, dass das Emissionskontrollsystem den rechtlichen Vorgaben genügt; Gegenteiliges ist jedenfalls nicht mit der nötigen Sicherheit nachzuweisen.
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3. Damit ist aber auch der nach § 826 BGB erforderliche Schädigungsvorsatz nicht sicher feststellbar, da es vertretbar erscheint, die unstreitige temperaturabhängige Abschalteinrichtung unter den Ausnahmetatbestand des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO (EG) 715/2007 zu fassen und damit eine positive Kenntnis der Beklagten von der Rechtswidrigkeit der verwendeten Abschalteinrichtung nicht mit der nötigen Sicherheit nachzuweisen ist.
II.
29
Aus den vorgenannten Gründen haftet die Beklagte ebenfalls nicht auf der Grundlage der §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 263 StGB. Auch insoweit ist jedenfalls der subjektive Tatbestand nicht nachzuweisen.
III.
30
Eine Haftung gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. i.V.m. Art. 4, 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, deren Begehung auch fahrlässig möglich ist, scheidet vorliegend schon mangels denkbarer Verletzung eines Schutzgesetzes aus.
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1. Soweit die Vorschriften der VO (EG) 715/2007 über die Zulassung von Fahrzeugen sowie Abschalteinrichtungen als Schutzgesetze in Betracht kämen, weil sie nach Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar geltendes Unionsrecht sind, fehlt den genannten Normen der europäischen Verordnung die Schutzgesetzeigenschaft. Voraussetzung für die Qualifikation als Schutzgesetz wäre, dass diese Normen dazu bestimmt sind, die Vermögensinteressen des Fahrzeugkäufers zu schützen. Demgegenüber werden unter Ziffer (7) der VO umwelt- und gesundheitspolitische Zielsetzungen genannt, die in Beziehung gesetzt werden zu den Auswirkungen der Emissionsgrenzwerte auf die Märkte und die Wettbewerbsfähigkeit von Herstellern; dies spricht aber eindeutig gegen einen individualschützenden Charakter der Bestimmungen der VO (so auch OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, 8 U 1449/19).
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2. Ebensowenig sind auch die Bestimmungen der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, da die Erwägungsgründe der zugrunde liegenden RL 2007/46/EG lediglich Allgemeingüter wie ein hohes Umweltschutzniveau, den Schutz der (allgemeinen) Gesundheit und den Schutz der Verbraucher nennen, ohne den Vermögensschutz des Einzelnen und damit den Schutz individueller Interessen anzusprechen (vgl. OLG München, aaO).
33
Abgesehen davon kommt es tatbestandlich nur auf die formelle Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung, d.h. darauf an, ob der Hersteller die Bescheinigung unter Verwendung des vorgeschriebenen Formulars ausgestellt hat, sie fälschungssicher und vollständig ist (vgl. Armbrüster, ZIP 2019, 837, 838 m.w.N.), so dass es bereits an einem tatbestandlichen Verstoß gegen die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV fehlt.
34
Eine Haftung der Beklagten auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz kommt damit im Ergebnis nicht in Betracht.
35
Die Klage war daher mangels Anspruchsgrundes abzuweisen. Soweit der Klageantrag unter Ziffer 1 teilweise (einseitig) für erledigt erklärt wurde, war der darin liegende Antrag auf Feststellung der (teilweisen) Erledigung der Hauptsache ebenfalls abzuweisen, da auch insoweit die Klage bereits ursprünglich unbegründet war.
IV.
36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
V.
37
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO. gez.