Titel:
verfassungsmäßig berufener Vertreter, Verrichtungsgehilfen, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Sittenwidrigkeit, Gewährleistungsansprüche, Feststellungsantrag, Annahmeverzug, Garantenstellung, Rücktritt vom Kaufvertrag, Arglistige Täuschung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nutzungsentschädigung, Juristische Person, Unerlaubte Handlung, Prozeßbevollmächtigter, Rückabwicklungsanspruch, Sachmängel, Klageantrag, Vertragshändlervertrag, Sekundäre Darlegungslast
Schlagworte:
Leistungsklage, Nichtigkeit, Verbotsgesetz, Arglistige Täuschung, Rückabwicklungsanspruch, Schadensersatzanspruch, Prospekthaftung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Endurteil vom 29.09.2022 – 14 U 4124/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 02.10.2024 – VIa ZR 1500/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 64824
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagten im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten zu 1) Bereicherungs- bzw. Gewährleistungsansprüche und Schadensersatzansprüche, sowie gegenüber der Beklagten zu 2) Schadensersatzansprüche bzw. deliktische Ansprüche nach einem Fahrzeugkauf geltend.
2
Die Beklagte zu 1) ist unabhängige Vertragshändlerin der Beklagten zu 2).
3
Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 29.12.2014 (Anlage K30) den streitgegenständlichen Porsche Macan S Diesel V6 TDI EUVI mit der FIN: … für 72.698,83 €.
4
Das Fahrzeug verfügt über einen 3,0 L-V6-TDI Motor. Für das Fahrzeug wurde eine EGTypengenehmigung nach der Abgasnorm EURO-6 erteilt.
5
Mit Bescheid vom 16.05.2018 hat das Kraftfahrtbundesamt eine verpflichtende Rückrufaktion für den Fahrzeugtyp Porsche Macan S erlassen, um eine aus Sicht des Kraftfahrtbundesamts vorhandene unzulässige Abschalteinrichtung zu beseitigen. Weiterhin erließ das Kraftfahrtbundesamt im Juli 2018 für den oben genannten Fahrzeugtyp eine Nebenbestimmung zur EG-Typengenehmigung. Das von der Beklagten zu 2) entwickelte Software-Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt am 01.08.2018 freigegeben.
6
Die Klägerin begehrt nun nach Anfechtung des oben genannten Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung die Rückzahlung des Kaufpreises, bzw. fordert sie hilfsweise nach Rücktritt vom Kaufvertrag, abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug-um-Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
7
Darüber hinaus macht die Klägerin Schadensersatzansprüche, insbesondere deliktische Schadensersatzansprüche gegenüber der Beklagten zu 2) geltend.
8
Die Klägerin behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug einen Sachmangel im Sinne von § 434 BGB aufweise.
9
Das Fahrzeug sei mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet, die durch ein SoftwareUpdate nicht behoben werden könne. Darüber hinaus sei das Fahrzeug auch mit einem unzulässigen Thermofenster ausgestattet.
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Desweiteren verfüge das Fahrzeug über eine Prüfstanderkennung zur Aktivierung eines Emissionsabschaltprogramms. Außerhalb des Prüfstands sei die Harnstoffdosierung zu niedrig.
11
Insgesamt komme es immer zu solch hohen NOx-Werten, dass die Grenzwerte der EURO-6Abgasnorm bei weitem nicht eingehalten werden.
12
Eine Nachbesserung der Mängel sei nicht möglich, weil nicht gewährleistet sei, dass es durch die beabsichtigte Maßnahme (Software-Update) zu keinen Schäden an der Motorelektronik und insbesondere an den AGR-Ventilen komme.
13
Bei Kenntnis der Umstände hätte die Klägerin das Fahrzeug, welches erheblich wertgemindert sei, nicht erworben.
14
Gerade der Umweltaspekt,d.h. die niedrigen Emissionswerte und ein geringer Spritverbrauch seien für die Klägerin und deren Ehemann von kaufentscheidender Bedeutung gewesen.
15
Die Klägerin behauptet weiter, die Vorstandschaft der Beklagten zu 2) habe von Anfang an Kenntnis von den Manipulationen gehabt, diese auch gebilligt und die Schädigung der Kunden zumindest billigend in Kauf genommen.
16
Aus rechtlicher Hinsicht vertritt die Klägerin im wesentlichen die Auffassung, dass der Kaufvertrag mit der Beklagten zu 1) nach § 134 BGB nichtig sei, jedenfalls bestünde ein Rückabwicklungsanspruch gegenüber der Beklagten zu 1), nach Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, sowie aus kaufrechtlicher Gewährleistung (§§ 346, 433, 434, 437 und 323 BGB).
17
Die Schadensersatzverpflichtung der Beklagten zu 2) leitet die Klägerin insbesondere aus § 823 Abs. 2 iVm § 263 StGB sowie iVm § 6 EG-FGV bzw. aus § 826 BGB her.
18
Die Klägerin beantragt zuletzt,
- 1.
-
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klagepartei € € 72.698,83 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2019 zu bezahlenZug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Porsche Macan S Diesel, FIN … und Zugum Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten zu 1) noch darzulegenden Nutzungsentschädigung, hilfsweise 1,00 Euro, fü ur die Nutzung des PKW.
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei zu 2) verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei zu 2) das Fahrzeug Porsche Macan S Diesel Fahrzeugidentifikationsnummer: … dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei zu 2) verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei zu
2) in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs Porsche Macan S Diesel Fahrzeugidentifikationsnummer: …eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prü ufstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, sodass es zu einem höheren NOx -Ausstoß s führt.
2a. Die Beklagtenpartei zu 2) wird verurteilt, an die Klagepartei € 72.698,83 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.04.2015 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Porsche Macan S Diesel, FIN ….
2b. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei zu 2) verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei zu 2) das Fahrzeug Porsche Macan S Diesel (Fahrzeugidentifikationsnummer: … dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
2b. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei zu 2) verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei zu 2) in den Motor, Typ 3.0 l V6 Dieselmotor, des Fahrzeugs Porsche Macan S Diesel Fahrzeugidentifikationsnummer: … eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickoxidemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß s führt.
2c. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei zu 2) mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 2a. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei zu 1) mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
4. Die Beklagtenparteien werden jeweils getrennt, nicht gesamtschuldnerisch verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils € € 3.196,34 freizustellen.
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Die Beklagten beantragen
20
Die Beklagten bestreiten das Vorliegen eines Sachmangels. Das streitgegenständliche Fahrzeug weise insbesondere nicht die aus den Motoren des Typs EA189 des VW-Konzerns bekannte Umschaltautomatik auf. Die erteilte Typengenehmigung für das Fahrzeug habe weiterhin Bestand. Dieses sei technisch sicher und uneingeschränkt gebrauchstauglich.
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Die Beklagte zu 1) rügt weitergehend, sofern ein Sachmangel unterstellt würde, eine fehlende Fristsetzung zur Nachbesserung und beruft sich über dies auf die Einrede der Verjährung.
22
Die Beklagte zu 2) wendet sich gegen die geltend gemachten Schadensersatzansprüche, da sie weder vorsätzlich noch sittenwidrig gehandelt habe.
23
Der Vortrag der Klägerin sei zu unsubstantiiert. Der Beklagten zu 2) könne auch kein zurechenbares arglistiges Verhalten vorgeworfen werden.
24
Im Übrigen seien auch die Feststellungsanträge unzulässig bzw. unbegründet.
25
Das Gericht hat mit den Parteien am 15.05.2020 mündlich verhandelt.
26
Beweis wurde nicht erhoben.
27
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die gesetzlichen Ausführungen der Parteivertreter nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
28
Die Leistungsklage, als auch die Feststellungsklagen gegenüber der Beklagten zu 1) sind zwar zulässig aber allesamt unbegründet, weil Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) nicht bestehen.
29
1. Der Kaufvertrag der Klägerin mit der Beklagten zu 1) ist nicht gemäß § 134 BGB nichtig.
30
Ein Rechtsgeschäft ist regelmäßig nur dann gemäß § 134 BGB nichtig, wenn sich das Verbot gegen beide Vertragsteile richtet (Palandt/BGB 90. Auflage, § 134 Rdnr. 8 f).
31
Die Vorschrift des § 27 Abs. 1 EG-FGV stellt kein solches Verbotsgesetz nach § 134 BGB dar.
32
Dieses Verbot richtet sich nämlich lediglich einseitig an den Hersteller bzw. Händler der Rechtsgeschäfte tätigt, die darauf gerichtet sind, Fahrzeuge in den Verkehr zu bringen.
33
Ein Verstoß dieser Adressaten hiergegen mag möglicherweise gewährleistungsrechtliche Ansprüche begründen, ein Kaufvertrag über ein solches Fahrzeug bleibt jedoch wirksam (Palandt/BGB 79. Auflage, § 134 Rdnr. 9 ff.).
34
2. Der Klägerin steht kein Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB in Folge der von ihr erklärten Anfechtung des Kaufvertrags zu.
35
Die Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.
36
In diesem Zusammenhang hat die Klägerin bereits nicht ausreichend konkret vorgetragen, dass sie Mitarbeiter der Beklagten zu 1) bei Abschluss des Kaufvertrags getäuscht haben.
37
Insbesondere fehlt es an einem Vortrag, dass die Beklagte zu 1) selbst die geltend gemachten Mängel hätte erkennen können.
38
Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin auch darauf, dass die Beklagte zu 2) sich eine gegebenenfalls arglistige Täuschung durch die Beklagte zu 2) zurechnen lassen muss.
39
Sowohl bei der Beklagten zu 1) als auch bei der Beklagten zu 2) handelt es sich um unabhängige, selbstständige Rechtspersönlichkeiten. Die Beklagte zu 1) ist allenfalls Vertragshändlerin der Beklagten zu 2). Sie ist mithin als Dritte im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB zu sehen.
40
Die Abgrenzung, ob jemand Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB ist, oder ein Stellvertreter bzw. ein Verhandlungsbeauftragter ist letztlich eine Frage der Auslegung.
41
Vertragliche Beziehungen allein zwischen dem Hersteller und dem Händler über einen Vertragshändlervertrag lassen die Annahme nicht zu, dass der Hersteller seit derart eng in die Vertragsbeziehungen zwischen Händler und einem Kunden eingebunden, dass sich der Händler ein Handeln oder Unterlassen des Herstellers als eigenes, gemäß § 123 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss. Der Vertragshändler übernimmt nur den Vertrieb der Produkte des Herstellers. In die Herstellung, Entwicklung und Konstruktion der Fahrzeuge, ist er nicht eingebunden. Insoweit treffen ihn auch nach dem Vertragshändlervertrag weder Rechte noch Pflichten.
42
Allein aus dem Umstand, dass er Produkte eines Herstellers vertreibt, folgt nicht, dass der Händler für Pflichtverletzungen des Herstellers, die dieser im Rahmen seines Aufgabenkreises begeht, außerhalb des gesetzlichen Gewährleistungsrechts einzustehen hat.
43
Nach der überwiegenden Rechtsprechung, welcher sich das Gericht anschließt (OLG München NJW-RR 2016, 1238 f) wird der Hersteller dementsprechend als Dritter im Sinne von § 123 Abs. 2 BGB angesehen.
44
3. Gewährleistungsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) gemäß §§ 346 ff, 433, 434, 437, 323 BGB bestehen nicht.
45
In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob das Fahrzeug, wie die Klägerin behauptet, mangelhaft ist. Da etwaige Mängelansprüche jedenfalls verjährt sind, ist, wie im vorliegenden Fall der Anspruch auf Nacherfüllung bereits verjährt und der Schuldner beruft sich hierauf, ist ein erklärter Rücktritt wegen nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung unwirksam (§ 218 Abs. 1 Satz 1 BGB).
46
Im zu beurteilenden Fall beträgt die Gewährleistungsfrist 2 Jahre (§ 538 Abs. 1 Nr. 3 BGB) und beginnt mit Übergabe des Fahrzeugs. Das Fahrzeug wurde im vorliegenden Fall am 17.04.2015 an die Klägerin übergeben. Die Verjährungsfrist lief damit bis zum 17.04.2017.
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Umstände, die eine Hemmung oder Unterbrechung der Verjährungsfrist begründen könnten, wurden nicht vorgetragen.
48
Zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 04.04.2019 waren die Gewährleistungsansprüche der Klägerin jedenfalls verjährt.
49
Dies gilt auch für die 3-jährige Verjährungsfrist des § 438 Abs. 3 BGB, wobei für ein arglistiges Verschweigen eines Mangels durch die Beklagte zu 1) keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen.
50
Darüber hinaus ist der Beklagten zu 1) das Verhalten der Beklagten zu 2) – wie ausgeführt – nicht zuzurechnen. Im Übrigen wäre der erklärte Rücktritt vom Kaufvertrag auch mangels Fristsetzung zur Nachbesserung unwirksam.
51
4. Der Klageantrag auf Feststellung, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB) befindet, ist zwar zulässig (§ 256 ZPO) aber unbegründet, da der Klägerin wie oben ausgeführt, kein Rückabwicklungsanspruch zusteht.
52
5. Mangels berechtigter Hauptforderung, kann die Klägerin auch keinen Schadenersatzanspruch hinsichtlich ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.196,34 € geltend machen.
53
Der im Hauptantrag gestellte Feststellungsantrag der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) ist bereits unzulässig.
54
1. Der gestellte Antrag ist nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 ZPO (vgl. OLG München, Beschluss vom 12.06.2018, Aktenzeichen: 8 U 3169/17).
55
Im Übrigen ist die Klage gegen die Beklagte zu 2) auch unbegründet.
56
Der Klägerin stehen bereits dem Grunde nach keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu 2) zu. Der von der Klägerin geltend gemachte deliktische Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB setzt voraus, dass die objektive und subjektive Erfüllung des Schutzgesetzes (§ 263 StGB) durch eine natürliche Person nachgewiesen ist und das Verhalten dieser Person der Beklagten zu 2) nach den Grundsätzen des § 31 BGB zugerechnet werden kann.
57
Erforderlich ist damit, die Tatbestandsverwirklichung durch ein Organ der Gesellschaft bzw. eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters.
58
Unter „verfassungsmäßig berufenen Vertretern“ werden nach ganz herrschender Meinung die sog. Repräsentanten der juristische Person verstanden.
59
Dies sind alle Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, sie also die juristische Person auf diese Weise repräsentieren.
60
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Einzelfall anhand der konkreten Stellung und Funktion der jeweiligen Position zu entscheiden (BeckOK BGB § 31, Rdnr. 41 f).
61
Darüber hinaus kommt im Rahmen des § 31 BGB die Zurechnung deliktischen Verhaltens anderer Angehöriger der juristischen Person nicht in Betracht (vgl. BGH NJW 2017, 250).
62
Eine Ausweitung der Haftung auf Verfehlungen sämtlicher Mitglieder einer Körperschaft würde die Gesetzessystematik der Haftungsvoraussetzungen des § 823 BGB iVm § 31 BGB in Abgrenzung zur Haftung einer juristischen Person für Verfehlungen von Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB unterlaufen.
63
Die Darlegungs- und Beweislast für eine tatbestandsmäßige Handlung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB eines Organs der Gesellschaft oder eines verfassungsmäßigen Vertreters trägt dabei der Geschädigte, das heißt vorliegend die Klägerin.
64
Erforderlich ist ein Vortrag, Nachweis der Klägerin, welches Organmitglied oder welcher Repräsentant der Beklagten zu 2) wann und auf welcher Grundlage was gewusst haben soll (vgl. OLG München, Beschluss vom 25.07.2017, Aktenzeichen: 13 U 566/17) und welches Organmitglied oder welcher Repräsentant der Beklagten zu 2) mit welchem deliktischen Handeln die Kaufentscheidung der Klägerin beeinflusst haben soll.
65
Vorliegend fehlt es bereits an einem hinreichend konkreten Vortrag der Klägerin, durch welche konkrete aktive Täuschungshandlung einer Person aus dem in Betracht kommenden Personenkreis des § 31 BGB der Beklagten zu 2), bei ihr im konkreten Fall einen Irrtum erregt und deswegen zur Vornahme einer Vermögensverfügung veranlasst wurde.
66
Als Vermögensverfügung kommt vorliegend nur der Abschluss des Kaufvertrags in Betracht.
67
An Vertragsverhandlungen über den Kaufabschluss waren aber Organe oder Repräsentanten der Beklagten zu 2) unstreitig nicht beteiligt.
68
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch der Vortrag der Klägerin, wann wer auf welcher Grundlage im Hause der Beklagten zu 2) was gewusst haben soll, nicht hinreichend konkret ist.
69
Die Klägerin stellt über ihre Prozessbevollmächtigten lediglich pauschale Behauptungen auf, vermengt aber teilweise Vortrag zu den behaupteten Vorgängen innerhalb der V. AG im Zusammenhang mit der Entwicklung des Motors Typ EA189, der im streitgegenständlichen Fahrzeug unstreitig nicht verbaut ist und überträgt dies auf die Beklagte zu 2) und die vorliegende Sachverhaltskonstellation.
70
Es kann daher allenfalls eine Täuschung durch Unterlassen in Betracht gezogen werden.
71
Im Falle eines unechten Unterlassensdelikts muss der Täter aber eine Garantenstellung innehaben.
72
Ob eine solche Garantenstellung besteht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht abstrakt zu bestimmen, sondern nach den Umständen des Einzelfalls, wobei eine Abwägung der Interessenlage und des Verantwortungsbereichs der Beteiligten stattzufinden hat (BGH, Urteil vom 14.10.2014, Aktenzeichen: VI ZR 466/13).
73
Die erforderliche Garantenstellung von Organmitgliedern oder Repräsentanten im Sinne von § 31 BGB lässt sich mangels vertraglicher Beziehungen der Parteien allenfalls aus der Haftung für pflichtwidriges Vorverhalten ableiten. In Betracht kommt insoweit als pflichtwidriges Vorverhalten ausschließlich der von der Klägerin behauptete Verstoß gegen die maßgeblichen europarechtlichen Regelungen. Ein solcher Verstoß ist allerdings nicht geeignet, eine Garantenstellung von Organen der Beklagten zugunsten der Klägerin zu begründen. Die Garantenstellung aus pflichtwidrigem Vorverhalten beschränkt sich auf das Individualrechtsgut, welches das betreffende Gesetz schützen soll (Beck OK StGB, § 13 Rdnr. 53 f). Es muss ich um die Missachtung einer Vorschrift handeln, die gerade dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient.
74
Die hier von der Klägerin angeführten Regelungen zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Abgasprüfungsverfahrens dienen aber nicht dem Schutz der hier allein betroffenen Vermögensinteressen der Klägerin, sondern gesamt gesellschaftlichen Zielen, nämlich der Weiterentwicklung des Binnenmarkts durch Harmonisierung der technischen Vorschriften übe die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen, sowie der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus (vgl. OLG Braunschweig, BeckRS 2019, 2737).
75
Auch wenn zugunsten der Klägerin eine tatbestandlich relevante Täuschungshandlung vorliegen sollte, ist das erkennende Gericht nicht davon überzeugt (§ 286 ZPO), dass diese kausal für einen Irrtum der Klägerin und in Folge deren Kaufentscheidung war. Die Klägerin gab im Termin zur mündlichen Handlung des Gerichts an, was bereits auch vorab schriftsätzlich ausgeführt wurde, dass sie bei dem PKW-Kauf einen hohen Wert auf die Umweltaspekte gelegt habe, sodass die genannten Schadstoffwerte für sie mit kaufentscheidend waren. Dies erscheint dem Gericht beim Kauf eines hochmotorisierten, schweren SUV-Fahrzeugs allerdings nicht nachvollziehbar.
76
2. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 823 Abs. 2 BGB iVm den Vorschriften der EG-FGV besteht ebenfalls nicht.
77
Diese Vorschriften dienen nicht dem Schutz der Vermögensinteressen der Klägerin, sondern – wie dargestellt – dem Erreichen gesamt gesellschaftlicher Ziele, nämlich der Weiterentwicklung des Binnenmarkts durch Harmonisierung der technischen Vorschriften über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen, sowie der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus.
78
3. Auch Ansprüche gemäß §§ 826, 831 BGB der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) bestehen nicht .
79
Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB iVm § 31 BGB setzt voraus, dass der Nachweis erbracht wird, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne von § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB in seiner Person verwirklicht hat.
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Der Tatbestand der vorsätzlich sittenwidrigen Handlung setzt dabei in objektiver Hinsicht ein sittenwidriges Verhalten voraus. Dies ist gegeben, wenn ein Verhalten gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH vom 19.10.2010, VI ZR 124/09). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ geltenden verwerflich machen (BGH vom 19.10.2010, VI ZR 124/09).
81
Das behauptete Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung kann nicht als sittenwidrig im oben dargestellten Sinne gewertet werden. Ein Verstoß gegen Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VOEG 715/2007 ist zwar rechtlich zu beanstanden. Allerdings sind diese Vorschriften, wie dargelegt, kein Ausdruck einer sittlichen Gesinnung zum Schutz der Vermögensinteressen, sondern stellen vielmehr Regelungen zum Schutz öffentlicher Interessen dar. Ein Verstoß gegen die Vorschriften der VOEU 715/2017 liegt damit außerhalb des Schutzzwecks des § 826 BGB (vgl. OLG Braunschweig, BeckRS 2019, 2737).
82
Betreffend Kausalität einer etwaigen Täuschungshandlung der Beklagten zu 2) kann auf die vorliegenden Darlegungen verwiesen werden.
83
Weiterhin ist von Bedeutung, dass im Falle der hier behaupteten Unternehmensverantwortlichkeit der Beklagten zu 2) im Rahmen des § 826 BGB konkret festzustellen ist, welche natürliche Person, deren Handeln der Beklagten zu 2) im Rahmen von § 31 BGB zuzurechnen ist, sittenwidrig gehandelt hat. Auch hier wäre klägerseits zunächst darzulegen, welches Organmitglied oder welcher Repräsentant den objektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat. Ferner ist klägerseits aber auch der subjektive Tatbestand der Vorschrift darzulegen und nachzuweisen. Der Täter muss im Fall des § 826 BGB mit Vorsatz gehandelt haben. Hierzu gehört insbesondere das Bewusstsein, dass das eigene Handeln den schädlichen Erfolg (Vermögensschaden) herbeiführen wird.
84
Anders als nach § 823 Abs. 1 BGB muss der Vorsatz die Zufügung des Schadens umfassen.
85
Der Vorsatz muss sich ferner auf die Kausalität des eigenen Verhaltens des Täters beziehen (vgl. Beck/OK BGB § 826 Rdnr. 12 f).
86
Der Vorsatz, den der Anspruchsteller vorzutragen und ggf. zu beweisen hat, enthält damit ein „Wissens-“ und ein „Wollens-Element“. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte erkennen können oder müssen. In einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt.
87
Auch im Rahmen des Vorsatzes kann nicht auf konkrete Feststellungen verzichtet werden (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, Aktenzeichen VI ZR 536/15).
88
Zu dem behaupteten Schädigungsvorsatz der Beklagten zu 2) einer nach § 31 BGB zuzurechnenden Person, hat die Klägerseite ebenfalls nicht ausreichend konkret vorgetragen.
89
Hierbei verkennt das Gericht zwar nicht, dass sich die Klägerin in einer Darlegungs- und Beweisnot befindet, da ihr die innerbetrieblichen Vorgänge der Beklagten zu 2) und die subjektiven Vorstellungen von Mitarbeitern der Beklagten zu 2) aus eigener Wahrnehmung nicht bekannt sein können. Diese Beweisnot allein kann aber nicht zu Beweiserleichterungen oder zu einer sekundären Beweislast der Beklagten zu 2) dergestalt führen, dass diese verpflichtet ist sämtliche betriebsinternen Vorgänge offen zu legen, um so den klägerischen Anspruch zum Erfolg zu verhelfen. Das Ausmaß der sekundären Darlegungslast der Beklagten zu 2) ist vom gegnerischen Vortrag abhängig (BGH NJW-RR 1998, 712).
90
Die Beklagte zu 2) ist gehalten, auf konkrete Tatsachenbehauptungen zu erwidern, aber keineswegs ist sie gezwungen einen pauschalen Vorwurf des betrügerischen bzw. sittenwidrigen Verhaltens durch detaillierte Darlegung ihrer innerbetrieblichen Abläufe zu entkräften. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte zu 2) im Rahmen der von der Klägerin geforderten sekundären Darlegungslast verpflichtet wäre, zunächst die Unkenntnis der Vorstandsmitglieder/Repräsentanten von dem Einsatz der Software und hierauf aufbauend einen mangelnden Vorsatz im oben genannten Sinne, d.h. insoweit jeweils negative Tatsachen darzulegen. Hierzu müsste sie vortragen, warum es unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt möglich war, dass ein Vorstand oder ein Repräsentant im Sinne von § 31 BGB von der Software Kenntnis hatte und auch nicht vorsätzlich handelte. Dies käme einer völligen Umkehr der Darlegungslast gleich, welche keinesfalls gerechtfertigt ist.
91
4. Auch ein Anspruch aus § 831 BGB steht der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2) nicht zu.
92
Nach § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB wäre die Beklagte zu 2) zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn sie einen zu einer Verrichtung bestellt und dieser andere in Ausführung der Verrichtung einen Dritten widerrechtlich einen Schaden zugefügt hat.
93
Ein Schaden ist widerrechtlich vom Verrichtungsgehilfen zugefügt worden, wenn dieser den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung im Sinne von § 823 ff BGB rechtswidrig erfüllt hat (Palandt/BGB 77. Auflage, 2018, § 831 Rdnr. 8).
94
Verrichtungsgehilfe im Sinne dieser Vorschrift ist derjenige, dem eine Tätigkeit von einem anderen übertragen worden ist, unter dessen Einfluss er allgemein und im konkreten Fall handelt und zudem er in einer gewissen Abhängigkeit steht, wobei die tatsächlichen Verhältnisse maßgeblich sind (Palandt/BGB 77. Auflage, § 831 Rdnr. 5).
95
Diese Voraussetzungen hat die Klägerseite nicht hinreichend konkret vorgetragen. Es wird nicht dargelegt, welcher konkrete Personenkreis hierunter fallen soll, und welchem Mitarbeiter der Beklagten zu 2) welche konkrete deliktische Handlung vorgeworfen wird. Anhand des pauschalen Vorbringens der Klägerin kann nicht beurteilt werden, ob im Zusammenhang mit der etwaigen Manipulationssoftware eine unerlaubte Handlung begangen worden und ob diese Person ein Verrichtungsgehilfe der Beklagten zu 2) war (LG Hildesheim, RS 2018, 6485).
96
5. Letztlich besteht auch kein Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß §§ 311, 241 Abs. 2 BGB gegenüber der Beklagten zu 2) aus den Grundsätzen der kapitalmarktrechtlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne. Diese Grundsätze sind aufgrund des vorrangigen Kaufrechts schon nicht anwendbar (BGH NJW 2009, 2120).
97
Darüber hinaus fehlt es an einem „Prospekt“ im Sinne des oben genannten Rechtsprechung, wobei es letztlich entscheidend auch wieder am Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität (§ 286 ZPO) durch die Klägerseite fehlt.
98
6. Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit ist der hilfsweise gestellte Feststellungsantrag zu Ziffer 2 bereits unbegründet, da der Klägerin – wie dargelegt – kein Schadensersatzanspruch zusteht.
99
7. Gleiches gilt für die von der Klägerseite weiterhin gestellten Hilfsanträge auf Rückzahlung des Kaufpreises (Ziffer 2a) bzw. die unter 2b Haupt- und hilfsweise gestellten Feststellungsanträge der Klägerin.
100
8. Mangels Rückabwicklungsanspruchs befindet sich die Beklagte zu 2) mit der Rücknahme des Fahrzeugs nicht in Annahmeverzug (§§ 293 f BGB), sodass auch der unter Ziffer 2c gestellte Antrag abzuweisen war.
101
9. Da der Klägerin weder Rückabwicklungs- noch Schadensersatzansprüche zustehen, kann diese auch nicht im Wege des Schadensersatzes von der Beklagten zu 2) ihre vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.196,34 € geltend machen, bzw. insoweit Freistellung verlangen.
102
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.