Inhalt

LG München II, Endurteil v. 15.10.2020 – 14 O 561/20
Titel:

Vorläufige Vollstreckbarkeit, Sekundäre Darlegungslast, Darlegungs- und Beweislast, Organisationsverschulden, Elektronischer Rechtsverkehr, Abschalteinrichtung, Elektronisches Dokument, OLG Braunschweig, Bereicherungsabsicht, Annahmeverzug, Übereinstimmende Erklärung, Streitwert, Greifbare Anhaltspunkte, Klageschrift, Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten, Gewährleistungsansprüche, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Einrede der Verjährung, Anspruch auf Schadensersatz

Schlagworte:
Schadenersatzanspruch, Vorsatz, Darlegungs- und Beweislast, Organisationsverschulden, Betrug, Verjährung, Annahmeverzug
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 12.09.2024 – 23 U 6607/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 64585

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.    Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 38.159,49 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadenersatz mit der Behauptung, dass ein von ihm erworbenes Fahrzeug vom „Diesel-Abgasskandal“ betroffen sei.
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Die Klagepartei kaufte am 08.07.2011 das streitgegenständliche Fahrzeug, Typ E 350 CDI BE CAB, Fahrgestellnummer zu einem Kaufpreis in Höhe von 57.700,- € bei einem Kilometerstand von 8.259 Kilometern. Verkäuferin war die Beklagte. Die Erstzulassung erfolgte am 24.03.2010. In dem von der Klägerin erworbenen Kraftfahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs OM 651 eingebaut, welcher von der Beklagten entwickelt und gefertigt wurde.
3
Der Kläger trägt vor, ihm sei es beim Erwerb des Fahrzeugs auf dessen Umweltfreundlichkeit angekommen. Er sei davon ausgegangen, ein wertstabiles, technisch einwandfreies Fahrzeug zu erwerben, welches nicht über eine illegale Abschalteinrichtung verfügt und die gesetzlichen Schadstoffgrenzen unter allen normalen Fahrbedingen einhält oder bestenfalls geringfügig überschreitet.
4
In die Motorsteuerung des Dieselmotors Typ OM 651 sei eine Software eingebaut, welche den Stickoxidausstoß unter den Bedingungen des Prüfstandbetriebes optimiere. Das Kraftfahrtbundesamt sei aufgrund von Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, dass die verbaute Motorsteuerungssoftware nicht gesetzeskonform sei und habe daher angeordnet, dass eine Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware vorgenommen werden müsse. Nach Feststellungen des Kraftfahrtbundesamtes habe die Beklagte „Mechanismen“ eingebaut, die nur unter den Bedingungen des Prüfstandes die Abgasreinigung vollständig aktivieren. Werde eine bestimmte Temperatur über- oder unterschritten, dann „schalte die Elektronik den seitens der Beklagten gepriesenen Umweltschutz und die Sparsamkeit ab“. Nur auf diese Weise würden die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxide unter den im Testbetrieb herrschenden Bedingungen eingehalten, unter den im realen Straßenverkehr herrschenden aber um ein Vielfaches überschritten, da das Auto im realen Fahrbetrieb mit einer viel geringeren Abgasrückführungsrate betrieben werde. Bei der eingebauten Software handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die für den streitgegenständlichen Modelltyp erteilte Typgenehmigung sei rechtswidrig gewesen und hätte nicht erteilt werden dürfen. Die Beklagte habe daher auch keine Übereinstimmungserklärung ausstellen dürfen. Sie hätte das Fahrzeug mit dem Motor Typ OM 651 gar nicht in Verkehr bringen dürfen. Die für das Fahrzeug erteilte Betriebserlaubnis sei daher gefährdet. Weiter reduziere eine Abschalteinrichtung zu Beginn der Warmlaufphase und bei einstelligen positiven Außentemperaturen die Wirkungsweise des Abgasrückführungssystems (AGR-System) bzw. schalte es gänzlich ab (“Thermofenster“). Dadurch werde bei niedrigen Außentemperaturen der Grad der Abgasrückführung reduziert, wodurch die Stickstoffemissionen erheblich anstiegen.
5
Hätte der Kläger gewusst, dass die Motorsteuerung nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspreche, dann hätte er das Fahrzeug nicht erworben.
6
Der Einbau einer illegalen Abschalteinrichtung stelle eine sittenwidrige Handlung dar. Die Beklagte habe mit Schädigungsvorsatz gehandelt. Weiterhin „gelte die Lehre vom Organisationsmangel“. Der Kläger könne hierzu nicht genauer vortragen, weil er keinen Einblick in die Abläufe und Organisation der Beklagten habe. Die Beklagte treffe daher eine sekundäre Darlegungslast, im Rahmen derer sie zu den Kenntnissen ihrer gesetzlichen Vertreter und ihrer internen Organisation vortragen müsse.
7
Der Kläger hat mit Klageschrift vom 12.02.2020, bei Gericht eingegangen am 12.02.2020 und an die Beklagte zugestellt am 13.03.2020 Klage erhoben.
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Der Kläger beantragt,
I. Die Beklagte wird kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar verurteilt, an die Klägerpartei 38.159,49 € nebst jährlichen Zinsen in Höhe von 4 Prozent aus 57.700,000 € seit dem 08.07.2011 bis zum 28.02.2019 sowie in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 38.159,49 € seit dem 01.03.2019 Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs Mercedes Benz und des Typs E 350 CDI BE CAB,, zu zahlen.
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs befindet.
9
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte trägt vor, das Fahrzeug des Klägers sei in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt. Es entspreche vollumfänglich den geltenden Abgasgrenzwerten und der Euro 6 Norm. Im Motor des Fahrzeuges sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Die EG-Typgenehmigung sei wirksam und die Übereinstimmungserklärung zutreffend. Das Fahrzeug des Klägers sei nicht von einem Rückruf erfasst. Der Sachvortrag der Klagepartei erschöpfe sich in pauschalen und sachlich unzutreffenden Behauptungen. Er sei einer Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten nicht zugänglich. Angesichts des unsubstantiierten Vorbringens des Klägers liefe eine solche Beweiserhebung auf eine Ausforschung der Beklagten hinaus. Im Hinblick auf mögliche kaufrechtliche Mängelgewährleistungsansprüche werde die Einrede der Verjährung erhoben.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten des Parteivortrags und Rechtsstreits wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteivertreter und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2020 (Bl. 193/196 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
13
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadenersatz nach § 826 in Verbindung mit § 31 BGB.
14
§ 826 BGB setzt voraus, dass derjenige, der einem anderen einen Schaden zufügt, vorsätzlich handelt. Ist der (mögliche) Schädiger eine juristische Person, ist insoweit in entsprechender Anwendung des § 31 BGB auf deren verfassungsmäßige Vertreter abzustellen (vgl. Wagner in MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 50). Dies sind bei einer Aktiengesellschaft der Vorstand bzw. die einzelnen Mitglieder des Vorstandes (§ 76 Abs. 1 und 2 AktG). Die Darlegungs- und Beweislast liegt vollumfänglich bei dem Kläger, welcher behauptet von der Beklagten vorsätzlich geschädigt worden zu sein (vgl. Wagner in MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 51 f. m.w.N.; OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019, 7 U 134/17, dort Rn. 167 f.).
15
Der Kläger trägt zum Vorsatz des Vorstandes der Beklagten bzw. zum Vorsatz der einzelnen Vorstandsmitglieder nichts vor. Der klägerische Vortrag erschöpft sich in Ausführungen zur Rechtslage, die (rechtlich unzutreffend) darauf hinauslaufen, der Kläger müsse hierzu nichts vortragen. Weiterhin zitiert der Kläger aus anderen Gerichtsurteilen. Der Grundsatz der vollen Darlegungslast der eine für sie günstige Rechtsfolge behauptenden Partei bedarf zwar in Fällen, in denen wesentliche Geschehensabläufe außerhalb ihrer Wahrnehmung liegen und die sie auch nicht ermitteln kann, einer Einschränkung, wenn es der anderen Partei möglich und zumutbar ist, die notwendige Aufklärung zu leisten (BGH NJW 2014, 3033). Dies bedeutet aber nicht, dass sich die grundsätzlich darlegungsbelastete Partei jeglichen Sachvorhalts enthalten kann. Vielmehr hat sie soweit vorzutragen, wie es ihr möglich ist, sich Kenntnis zu verschaffen, also beispielsweise zur Frage, welche Personen zur maßgeblichen Zeit Vorstände der Beklagten gewesen sind und für welche Aufgabenbereiche sie zuständig waren. Darüber hinaus hat sie greifbare Anhaltspunkte vorzutragen und unter Beweis zu stellen, aus welchen sich ein Vorsatz herleiten lässt (BGH NJW 2014, 2033). Erst wenn aufgrund solcher greifbarer Anhaltspunkte in nachvollziehbarer Weise der konkrete Verdacht vorsätzlichen Handelns der Vorstände der Beklagten besteht, kommt eine Reduzierung der Anforderungen an die Darlegungslast des Klägers nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast in Betracht. Nachdem der Kläger aber nichts vorträgt, kommen die Grundsätze der sekundären Darlegungslast nicht zur Anwendung. Alles andere liefe auf eine unzulässige Ausforschung der Beklagten hinaus.
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Ebenso wenig trägt der Kläger zu der von ihm behaupteten Haftung wegen behaupteten Organisationsverschuldens vor. Auch hier erschöpfen sich die Darlegungen auf Seite 26 ff der Klageschrift in rechtlichen Ausführungen. Wiederum werden nicht im Ansatz Anhaltspunkte für ein mögliches Organisationsverschulden mitgeteilt.
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Nach alldem ist festzustellen, dass der Kläger ein vorsätzliches Handeln der Beklagten nicht hinreichend substantiiert dargestellt, er hierfür auch keine greifbaren Anhaltspunkte benannt und er keinen Beweis angeboten hat. Infolgedessen kommt eine Haftung der Beklagten nach §§ 826 in Verbindung mit 31 BGB nicht in Betracht. Auf die weiteren Anspruchsvoraussetzungen muss daher nicht eingegangen werden.
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II. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadenersatz nach §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 Abs. 1 StGB.
19
Auch soweit der Kläger behauptet, die Beklagte habe ihn betrügerisch geschädigt, trägt er hierfür die Darlegungs- und Beweislast (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019, 7 U 134/17, dort Rn. 150, 153). Dieser Darlegungs- und Beweislast ist er mindestens im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzungen vorsätzlichen Handelns (§ 263 Abs. 1 StGB) und des Vorliegens einer Bereicherungsabsicht (§ 263 Abs. 1 StGB) der Beklagten bzw. der für sie handelnden Vorstände (§ 31 BGB) nicht nachgekommen. Die Ausführungen zu möglichen Mängeln wegen des eventuellen Vorhandenseins einer Abschalteinrichtung und der Nichteinhaltung von Grenzwerten genügen hierfür nicht. Selbst wenn diese Ausführungen zuträfen (was offen bleiben kann), bedeutet das nicht, dass die Beklagte bzw. deren Vorstände bewusst manipuliert hätten (vgl. zu den Darlegungsanforderungen OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019, 7 U 134/17, dort Rn. 159 ff.). Ebenso gut käme dann in Betracht, dass der Motor konstruktiv schlich nicht ausgereift gewesen oder fahrlässig gehandelt worden wäre. Darlegungen zu einer möglichen Bereicherungsabsicht fehlen völlig. Daher kommt auch hier nicht Betracht, die Grundsätze sekundärer Darlegungslast anzuwenden (vgl. bereits die Ausführung unter Ziffer I.).
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III. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadenersatz nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FGV.
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Die §§ 6, 27 EG-FGV sind Vorschriften des öffentlichen Rechts, die sicherzustellen sollen, dass in Verkehr zu bringende Fahrzeuge mit einer gültigen Übereinstimmungserklärung versehen sind. Die Vorschriften sollen im öffentlichen Interesse eine hohe Verkehrssicherheit und eine rationale Energienutzung gewährleisten, dem Gesundheits- und Umweltschutz dienen und einen wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung bieten. Der Schutz von Individualinteressen von Kraftfahrzeugerwerbern gehört dagegen nicht zum Schutzzweck der Vorschriften (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 19.02.2019, 7 U 134/17, dort Rn. 124 ff.).
22
IV. Mögliche kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche, die als Schadenersatz oder als Rücktritt wegen Mangelhaftigkeit der Kaufsache nach § 437 Nr. 2 und 3 BGB geltend gemacht werden könnten, sind nach § 438 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 BGB verjährt. Der Kläger hat das Fahrzeug am 08.07.2011 erhalten. Die zweijährige Verjährungsfrist endete mit Ablauf des 08.07.2013. Eine Hemmung der Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist nicht eingetreten, da der Kläger erst mit Klageschrift vom 12.02.2020, die am 12.02.2020 bei Gericht einging und am 13.03.2020 zugestellt wurde und damit nach Ablauf der Verjährungsfrist Klage erhoben hat. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben. Einer Prüfung des Bestehens von Gewährleistungs- oder Garantieansprüchen bedarf es daher nicht mehr.
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V. Da der Kläger gegen die Beklagte keinen Schadenersatzanspruch hat, muss die Beklagte das Fahrzeug auch nicht zurücknehmen. Sie befindet sich daher mit der Rücknahme auch nicht im Annahmeverzug, weshalb auch der Klageantrag zu II. unbegründet ist. In Ermangelung von Schadenersatzansprüchen hat der Kläger gegen die Beklagte auch keine Ansprüche auf die Zahlung von Zinsen.
B.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.