Titel:
Private Berufsunfähigkeitsversicherung, Eintritt der Berufsunfähigkeit, Prozeßbevollmächtigter, außergerichtliche Anwaltskosten, Versicherungsnehmer, Sitzungsniederschrift, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Rechtshängigkeit, Überschussbeteiligung, Gesundheitsbeeinträchtigung, Eintritt des Versicherungsfalls, Einholung eines Sachverständigengutachtens, Treuwidrigkeit, Neufestsetzung, Parteivorbringen, Ergebnis der Beweisaufnahme, Weiterer Sachvortrag, Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, Basiszins
Schlagworte:
Berufsunfähigkeitsversicherung, Bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit, Tätigkeitsbeschreibung, Leistungsanspruch, Beitragsfreistellung, Zinsanspruch, Anwaltskosten
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 19.03.2018 – 11 O 3508/17
Fundstelle:
BeckRS 2020, 64576
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.03.2018, Az. 11 O 3508/17, abgeändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.240,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins p.a.
aus 2.100,00 € seit dem 03.09.2016,
aus 2.250,00 € seit dem 01.10.2016,
aus weiteren 2.250,00 € seit dem 01.11.2016,
aus weiteren 2.250,00 € seit dem 01.12.2016,
aus weiteren 2.250,00 € seit dem 01.01.2017,
aus weiteren 2.250,00 € seit dem 01.02.2017,
aus weiteren 2.250,00 € seit dem 01.03.2017,
aus weiteren 2.250,00 € seit dem 01.04.2017,
aus weiteren 2.250,00 € seit dem 01.05.2017 und
aus weiteren 2.250,00 € seit dem 01.06.2017
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.193,10 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins p.a. seit 24.06.2017 zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend ab 01.07.2017 jeweils monatlich 1.573,43 € zuzüglich Überschussbeteiligung bis zu einer etwaigen Neufestsetzung der Überschussanteile in Höhe von 676,57 € längstens bis zum Ablauf des Vertrages oder bis zum Ablauf des 3. Monats nach Zugang der Erklärung gemäß § 7 Abs. 3 der AVB.
5. Es wird festgestellt, dass der Kläger von der Zahlung von Beiträgen für die Berufsunfähigkeitsversicherung (Versicherungsschein-Nr. 40-13340038) ab dem 01.07.2017 bis zum Ablauf des 3. Monats nach Zugang der Erklärung gemäß § 7 Abs. 3 der AVB freigestellt ist.
6. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.480,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins p.a. seit 24.06.2017 zu zahlen.
7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
8. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
9. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 10 % und die Beklagte 90 % zu tragen.
10. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung jeweils abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
11. Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 134.120,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung.
2
Der Kläger ist Bezugsberechtigter einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Nummer 40-13340038, deren Versicherungsnehmer der ehemalige Arbeitgeber des Klägers, die ... AG, ist. Der Beginn der Versicherung war der 01.04.2016; der Versicherungsvertrag soll spätestens am 01.04.2033, 0 Uhr ablaufen (Anlage K1).
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Vereinbart war eine garantierte Rente in Höhe von 1.573,43 € zuzüglich 676,43 € Überschussbeteiligung; im Zeitpunkt des Vertragsschlusses insgesamt 2.250,00 € monatlich. Die monatliche Prämie beläuft sich auf 145,44 €. Vereinbart ist die Zahlung einer Rente und Beitragsbefreiung.
4
§ 2 Abs. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Berufsunfähigkeit im Rahmen einer Direktversicherung nach § 3 Nr. 63 EStG (AVB; Anlage K2) lautet:
„Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn Art, Schwere und Ausmaß einer Krankheit, einer Körperverletzung oder eines Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, nach allgemein anerkannten medizinischen Erkenntnissen erwarten lassen, dass die versicherte Person ununterbrochen wenigstens sechs Monate mindestens zu 50 % außer Stande sein wird, ihren zuletzt bei Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, nachzugehen.“
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Der Kläger unterhält bei der Beklagten weiter als Versicherungsnehmer eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Nummer 827201. Mit Schreiben vom 29.08.2016 (Anlage K3) hat der Kläger mitgeteilt, dass mit Ablauf des 02.09.2016 der Versicherungsfall eingetreten sei, und hat Leistungen aus dieser Versicherung geltend gemacht. Auch für die streitgegenständliche Versicherung wurden vom Versicherungsmakler Leistungen beantragt. Mit Schreiben vom 07.09.2016 (Anlage K4), in dem beide Versicherungsnummern aufgeführt sind, forderte die Beklagte weitere Unterlagen an. Nachdem der Kläger weitere Unterlagen übersandt hatte, erkannte die Beklagte mit Schreiben vom 17.02.2017 (Anlage K6) im Hinblick auf die Versicherung mit der Nummer 827201 ihre Leistungspflicht wegen Berufsunfähigkeit an.
6
Mit weiterem Schreiben vom 17.02.2017 (Anlage K7) lehnte die Beklagte die Leistungspflicht bei der streitgegenständlichen Versicherung mit folgender Begründung ab:
„Versicherungsschutz im Rahmen des abgeschlossenen Vertrages besteht erst ab Beginn der Versicherung, dem 01.04.2016. Eine Berufsunfähigkeit, die am 02.03.2016 aufgrund eines Bumout-Syndroms, Hypersomnie und einer mittelgradigen depressiven Episode und deren Folgen eingetreten ist, fällt daher nicht unter den Versicherungsschutz des o.a. Vertrages, da die Berufsunfähigkeit nicht während der Dauer der Berufsunfähigkeits-Versicherung eingetreten ist.“
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Mit Schreiben vom 12.10.2017 hat die Versicherungsnehmerin (... AG) die Prozessführung des Klägers genehmigt.
8
Der Kläger hat vorgetragen, die Berufsunfähigkeit sei von der Beklagten anerkannt worden. Die Prognose gemäß § 2 Abs. 2 der AVB habe frühestens im August 2016 getroffen werden können. Bis zu diesem Zeitpunkt seien sowohl der Kläger als auch die behandelnden Ärzte davon ausgegangen, dass es sich um einen vorübergehenden Zustand handele. Berufsunfähigkeit sei deshalb frühestens Mitte August 2016 eingetreten. Es sei anerkannt worden, dass der Kläger im August 2016 berufsunfähig gewesen sei. Weitere Sachvortrag zur Tätigkeit des Klägers zuletzt in gesunden Tagen sei nicht erforderlich, da der Eintritt der Berufsunfähigkeit außer Streit stehe. Es seien auch ausreichend Unterlagen vorgelegt worden. Streitig sei nur, ob die Berufsunfähigkeit im August 2016 oder zum 02.03.2016 eingetreten sei.
9
Die Beklagte hat behauptet, die Berufsunfähigkeit sei von ihr im streitigen Vertrag nie anerkannt worden. Bei der anderen Versicherung sei unstreitig der 02.03.2016 der Eintrittszeitpunkt für die Berufsunfähigkeit.
10
Die Klage ist der Beklagten am 23.06.2017 zugestellt worden.
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Wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des am 19.03.2018 verkündeten Endurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth nebst den dort genannten Unterlagen Bezug genommen.
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Mit diesem Urteil hat das Landgericht Nürnberg-Fürth die Klage abgewiesen, weil der Kläger nicht den Beweis erbracht habe, dass er bedingungsgemäß berufsunfähig sei. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht möglich, da keine ausreichende Tätigkeitsbeschreibung vorliege.
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Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 26.03.2018 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten, eingegangen bei Gericht am 11.04.2018, Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 28.06.2018 mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten am 27.06.2018 begründet.
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Der Kläger rügt, dass das Landgericht jedenfalls versäumt habe, die entsprechende Beweisaufnahme zum Vorliegen seiner Berufsunfähigkeit durchzuführen.
- 1.
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Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19.03.2018 Aktenzeichen 11 O 3508/17, wird abgeändert.
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 31.500,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins p.a. aus € 2.250,00 seit dem 01.04.2016 und, aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.05.2016, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.06.2016, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.07.2016, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.08.2016, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.09.2016, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.10.2016, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.11.2016, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.12.2016, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.01.2017, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.02.2017, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.03.2017, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.04.2017, und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.05.2017 und aus weiteren € 2.250,00 seit dem 01.06.2017 zu zahlen.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.030,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins p.a. seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 4.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger beginnend ab dem 01.07.2017 jeweils monatlich € 2.250,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins p.a. seit Fälligkeit zu zahlen, längstens bis zum Ablauf des Vertrages oder bis zum Ablauf des 3. Monats nach Zugang der Erklärung gem. § 7 III der Bedingungen.
- 5.
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Es wird festgestellt, dass der Kläger von der Zahlung von Beiträgen für die streitgegenständliche Versicherung mit der Versicherungsnummer 13340038 ab dem 01.07.2017 bis zum Ablauf des 3. Monats nach Zugang der Erklärung gem. § 7 III der Bedingungen freigestellt ist.
- 6.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.611,93 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszins p.a. zu zahlen.
16
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
17
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.
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Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Schriftsätze vom 27.06.2018 (Bl. 102 ff. d.A.), 24.07.2018 (Bl. 117 ff. d.A.), 14.11.2018 (Bl. 138 f. d.A.), 26.11.2018 (Bl. 140 f. d.A.), 24.07.2019 (Bl. 159 ff. d.A.), 26.09.2019 (Bl. 182 ff. d.A.), 30.09.2019 (Bl. 186 ff. d.A.), 06.02.2020 (Bl. 262 d.A.), 03.04.2020 (Bl. 277 ff. d.A.) und 19.10.2020 (Bl. 305 ff. d.A.) Bezug genommen.
19
Der Senat hat den Kläger angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift vom 01.07.2019 (Bl. 148 ff. d.A.) Bezug genommen. Des Weiteren hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und mündliche Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das medizinische Gutachten des Sachverständigen Dr. med. W. Käfferlein vom 09.01.2020 (Bl. 211 ff. d.A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 30.11.2020 (Bl. 309 ff. d.A.) Bezug genommen.
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Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
21
In der Sache hat die Berufung überwiegend Erfolg. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth bedarf der Abänderung, da der Kläger den Nachweis der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit führen konnte.
22
1. Dem Kläger stehen aus der streitgegenständlichen Berufsunfähigkeitsversicherung Leistungen ab 03.09.2016 zu, § 172 Abs. 1 VVG i.V.m. § 2 Abs. 2 und 3 der AVB. Soweit er hinsichtlich des bis zur Klageeinreichung aufgelaufenen Rückstandes solche ab 01.04.2016 (bis 02.09.2016) geltend gemacht hat, war die Klage abzuweisen. Für den Zeitraum 03.09.2016 bis 30.06.2017 beläuft sich der rückständige Leistungsanspruch des Klägers auf 20.240,00 €.
23
a) Der Sachvortrag des Klägers zu seiner zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit genügt den Anforderungen an eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung.
24
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es bei der Beurteilung, ob der Versicherte bedingungsgemäß berufsunfähig geworden ist, zunächst darauf an, wie sich seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner konkreten Berufsausübung auswirken (BGH, Urteil vom 29.11.1995 – IV ZR 233/94, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 22.09.2004 – IV ZR 200/03, juris Rn. 10). Deshalb muss bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt (BGH, a.a.O.). Insoweit ist es Sache desjenigen, der den Eintritt von Berufsunfähigkeit geltend machen will, hierzu substantiiert vorzutragen und im Falle des Bestreitens Beweis für sein Vorbringen anzutreten (BGH, a.a.O.). Als Sachvortrag genügt dazu nicht die Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit, vielmehr muss eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs wie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (BGH, a.a.O.).
25
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der Sachvortrag des Klägers ausreichend. Der Kläger hat seine vielfältige Tätigkeit als Syndikusanwalt durch Vorlage einer konkreten, sehr detaillierten Tätigkeitsbeschreibung (Anlagenkonvolut K15), die einem typischen Arbeitstag entspricht (vgl. Sitzungsniederschrift vom 01.07.2019, Seite 3, Bl. 150 d.A.), dargelegt.
26
bb) Soweit die Beklagte die seitens des Klägers mit Anlagenkonvolut K15 auf Seite 1 dargelegten Tätigkeiten von 7.30 Uhr bis 19.07 Uhr mit Nichtwissen bestritten hat, ist dieses Bestreiten mit Nichtwissen treuwidrig (§ 242 BGB).
27
Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger als Versicherungsnehmer bei der Beklagten eine zweite Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Nummer 827201 hält und sowohl für diese Versicherung als auch die streitgegenständliche Berufsunfähigkeitsversicherung (Nr. 40-13340038-0) eine einheitliche Prüfung/Antragstellung (vgl. Anlage K4; „Angaben und Erklärungen zum Leistungsantrag wegen Berufsunfähigkeit“, Anlagenkonvolut K5) stattfand, liegt eine besondere Situation vor. Denn die Beklagte erkannte mit Schreiben vom 17.02.2017 (Anlage K6) ihre Leistungspflicht wegen Berufsunfähigkeit aus der Versicherung Nr. 827201 an, lehnte jedoch mit Schreiben vom 17.02.2017 (Anlage K7) die Leistungspflicht bei der streitgegenständlichen Versicherung ab.
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Vor dem Hintergrund des außergerichtlichen Schreibens der Beklagten an den Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 08.05.2017 (Anlage K9) stellt sich das Bestreiten der Beklagten mit Nichtwissen in Bezug auf die Arbeitsbeschreibung des Klägers als treuwidrig dar. Denn die Beklagte führt mit diesem Schreiben insbesondere Folgendes aus:
„Unstreitig ist, dass der Versicherte ab dem 02.03.2016 arbeitsunfähig erkrankt war. Er war zudem objektiv nicht in der Lage, seiner beruflichen Tätigkeit ab diesem Zeitpunkt in mehr als 50 %igen Umfang nachzugehen. Dieses hat auch die unsererseits durchgeführte Leistungsprüfung ergeben.“
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Insbesondere der Umstand, dass die Beklagte selbst eine Leistungsprüfung durchgeführt hat und dieser eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung zugrundelegen musste, führt zur Annahme, dass insofern ein Bestreiten mit Nichtwissen gegen Treu und Glauben verstößt.
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b) Der Kläger konnte nachweisen, dass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt.
31
Soweit der Sachverständige Dr. med. W. Käfferlein zu dem Ergebnis gelangte, dass ab 22.06.2016 bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorlag, hat sich der Kläger dies nicht zum eigenen Sachvortrag gemacht. Ausgehend vom klägerischen Sachvortrag, wonach mit Ablauf des 02.09.2016 Berufsunfähigkeit (vgl. Anlage K3) eingetreten sei, ist der Senat nach der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit ab 03.09.2016 gegeben war.
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aa) Der Kläger trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Berufsunfähigkeit während der Vertragsdauer eingetreten ist (Kai-Jochen Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Kap. 6 Medizinische Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit, Rn. 207, Seite 285; OLG Hamm, Urteil vom 18.06.2008 – 20 U 187/07, juris Rn. 68; KG Berlin, Urteil vom 28.05.2002 – 6 U 144/01, juris Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.1999 – 10 U 125/98, juris Rn. 3). Bei nachweislichen Hinweisen auf eine vorverträgliche Berufsunfähigkeit ist es Sache des Versicherungsnehmers die Vorvertraglichkeit auszuschließen (Thomas Richter, Private Berufsunfähigkeitsversicherung, 2017, H.II.1, Seite 123).
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Solche Hinweise ergeben sich vorliegend daraus, dass der Kläger tatsächlich bereits seit 02.03.2016 erstmalig arbeitsunfähig erkrankt war und dieser Zustand jedenfalls bis August 2016 andauerte.
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bb) Für die Feststellung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit ist weder allein die zu diesem Zustand führende Krankheit maßgebend noch die mit dem Krankheitsprozess verbundene Unfähigkeit zur Berufsausübung. Damit diese Beeinträchtigungen zu bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit werden, muss der körperlich-geistige Gesamtzustand des Versicherten derart beschaffen sein, dass eine günstige Prognose für die Wiederherstellung der verloren gegangenen Fähigkeiten ununterbrochen wenigstens sechs Monate nicht gestellt werden kann; es muss demnach ein Zustand erreicht sein, dessen Besserung zumindest bis zur Wiederherstellung der halben Arbeitskraft nicht mehr zu erwarten ist. Wann erstmals ein solcher Zustand gegeben war, der nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Erwartungen mehr auf eine Besserung rechtfertigte, ist danach rückschauend festzustellen bzw. zu ermitteln (zum Ganzen: BGH, Urteil vom 11.10.2006 – IV ZR 66/05, juris Rn. 10, m.w.N.).
35
cc) Auf der Grundlage des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme (§ 286 ZPO) ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger jedenfalls seit 03.09.2016 berufsunfähig ist.
36
Der Senat folgt den gutachterlichen Feststellungen des Sachverständigen Dr. med. W. Käfferlein. Er hat seine gutachterlichen Einschätzungen überzeugend, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei dargestellt. Insbesondere im Rahmen der Anhörung vor dem Senat hat der Sachverständige seine Einschätzung weiter darlegen und erläutern können. Er ist dabei auf die Einwendungen der Beklagten eingegangen und konnte diese unter Hinzuziehung der im hiesigen Verfahren vorliegenden Unterlagen überzeugend entkräften. Es bestehen keine Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen.
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So führte der Sachverständige Dr. med. W. Käfferlein aus, dass erst nach Abschluss der stationären psychosomatischen Behandlung im Universitätsklinikum in Erlangen, also ab 22.06.2016 nach allgemein anerkannten medizinischen Erkenntnissen und auf der Basis einer individuellen Prüfung des Sachverhalts davon auszugehen gewesen sei, dass der Kläger ununterbrochen wenigstens sechs Monate mindestens zu 50 Prozent außerstande sein werde, seinen zuletzt bei Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestattet gewesen sei, nachzugehen. Bis 21.06.2016 sei durchaus noch ein Behandlungsfall gegeben gewesen. Erst ab 22.06.2016 sei absehbar gewesen, dass auch durch eine Leitlinien-gerechte Behandlung des Klägers eine Besserung seiner Erkrankung nicht eintreten würde. Ab diesem Zeitpunkt habe der Kläger im Rahmen der tiefgreifenden depressiven Symptomatik keine Aufgaben mehr strukturieren können, die Flexibilität und Umstellungsfähigkeit sei hochgradig beeinträchtigt gewesen. Dies gelte auch für die Anwendung fachlicher Kompetenz im mentalen Bereich. Die Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit sei ebenso wie die mentale Durchhaltefähigkeit und auch die emotionale Belastbarkeit weitestgehend aufgehoben gewesen.
38
c) Hinsichtlich der Höhe der monatlichen Gesamtleistung für den Zeitraum vom 03. bis 30.09.2016 werden 28/30 von 2.250,00 € (vgl. § 1 Abs. 2 AVB), mithin 2.100,00 € in Ansatz gebracht. Nachdem die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht wie beantragt ab 01.04.2016, sondern erst ab 03.09.2016 zugesprochen werden können, unterliegt der Kläger insoweit mit einem Betrag von insgesamt 11.260,00 €.
39
2. Da der Versicherungsfall eingetreten ist, stehen dem Kläger auch ab dem 01.07.2017 Leistungen zu. Insofern kann der Kläger auch Auszahlung der Überschussbeteiligung verlangen, weil in der streitgegenständlichen Versicherung geregelt ist, dass die Höhe der Gesamtleistung bei Berufsunfähigkeit, also Rente zuzüglich Überschussbeteiligung, „bis zu einer Neufestsetzung der Überschussanteile unverändert“ bleibt (Anlage K1). Eine solche Neufestsetzung hat auch die Beklagte nicht behauptet.
40
Die in diesem Zusammenhang beantragten Fälligkeitszinsen können dem Kläger nicht zugesprochen werden. Er hat solche nicht dargetan. Sie ergeben sich insbesondere auch nicht aus den dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zugrundeliegenden AVB.
41
3. Der Anspruch auf Beitragsfreistellung beruht auf § 1 Abs. 1 a), Abs. 2 und Abs. 4 AVB. Bis zur Rechtshängigkeit kann der Kläger ab 03.09.2016 die Rückzahlung der gezahlten Prämien in Höhe von 1.193,10 € verlangen. Für den Zeitraum danach ist der diesbezügliche Feststellungsantrag begründet.
42
Der Kläger unterliegt, soweit er auch für die Zeit vom 01.04.2016 bis 02.09.2016 Rückzahlung der gezahlten Prämien begehrt hat; mithin in Höhe von insgesamt 736,90 € (5 × 145,44 € + 2/30 von 145,44 €). Auch hinsichtlich der Prämienbefreiung ist auf § 1 Abs. 2 AVB hinzuweisen. Danach entsteht der Anspruch frühestens an dem Tag, an dem die Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen eingetreten ist.
43
4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 1 S. 2, § 288 Abs. 1 BGB bzw. aus § 291, § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
44
Die geltend gemachten Prozesszinsen stehen den Klägern erst ab dem auf die Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs folgenden Tag (§ 187 Abs. 1 BGB entsprechend), also dem 24.06.2017 zu (BGH, Urteil vom 24.01.1990 – VIII ZR 296/88, juris Rn. 25).
45
5. Die außergerichtlichen Anwaltskosten stellen grundsätzlich einen erstattungsfähigen Verzugsschaden dar, § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, § 288 Abs. 4 BGB.
46
Das als Anlage K7 vorgelegte Schreiben der Beklagten vom 17.02.2017 ist als eine endgültige Erfüllungsverweigerung anzusehen.
47
Die außergerichtlichen Anwaltskosten belaufen sich unter Zugrundelegung eines Gegenstandswertes von 119.728,00 € (131.725,00 € ./. 11.996,90 €) allerdings nur auf 2.480,44 €.
48
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
49
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 709 S. 2, § 711 ZPO.
50
Die Revision wird nicht zugelassen, da die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).