Titel:
Kein Anspruch auf Schadensersatz wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ein Dieselfahrzeug (hier: Mercedes-Benz B 200 CDI BE)
Normenketten:
BGB § 280, § 311, § 823 Abs. 2, § 826
StGB § 263
Leitsätze:
1. Vgl. auch zum Motor OM 651 grundlegend BGH BeckRS 2021, 33038; BeckRS 2021, 38651 sowie KG BeckRS 2024, 4584; OLG Brandenburg BeckRS 2023, 42525; OLG Bamberg BeckRS 2023, 41941; BeckRS 2024, 9113; BeckRS 2023, 41942 (mwN in Ls. 1); OLG Celle BeckRS 2024, 5732; OLG Köln BeckRS 2023, 44815; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35690; BeckRS 2022, 40422 (mwN in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem Rückruf liegen regelmäßig ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Abweichung der Software-Einstellungen vom zutreffenden Wert ein erhebliches Ausmaß aufweist, welches eine zeitnahe, zwingende Korrektur erfordert; bei einer solch erheblichen Abweichung ist es zunächst nicht nachvollziehbar, dass diese rein versehentlich auf einer falschen Einschätzung der zum Motorschutz erforderlichen Parameter beruht, und es liegen ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vorsätzlichen, anderen als dem Ziel des Motorschutzes dienenden Abweichung vor. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einem freiwillig vom Hersteller angebotenen Update ist käuferseits eine nähere, konkret auf den Einzelfall bezogene Darlegung der Abweichung der Motorsoftware vom zutreffenden Wert erforderlich, um zum einen die Relevanz und zum anderen Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Vorgehen beurteilen zu können. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, OM 651, unzulässige Abschalteinrichtung, KBA, Rückruf, freiwilliges Update, Motorschutz, Kenntnis seitens der Organe oder Mitarbeiter
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 09.03.2022 – 18 U 4479/20
OLG München, Beschluss vom 05.04.2022 – 18 U 4479/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 07.08.2024 – VIa ZR 641/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 64544
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 31.300,-- Euro festgesetzt (Klageantrag Ziffer 1: 31.300,-- Euro; Ziffer 2: Ohne eigenen Ansatz, da der Vollstreckung der Ziffer 1 dienend; Ziffer 3: Als Nebenforderung, § 4 Abs. 1 ZPO, ohne Ansatz).
Tatbestand
1
Der Kläger erwarb am 28.06.2012 bei der Sch***r & W*** GmbH & Co. KG den Pkw Mercedes-Benz B 200 CDI BE mit der Fahrzeugidentnr. …51 (9) mit einer Erstzulasssung 16.05.2012 und einem Kilometerstand von 3.500 zum Preis von 31.300,- Euro. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den als Anlage K1 vorgelegten Kaufvertrag Bezug genommen.
2
Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung am 02.06.2020 war der Kilometerstand des Pkws 93.494.
3
Eine Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes für den Pkw gibt es nicht. Der Kläger wurde zur freiwilligen Durchführung eines Software-Updates aufgefordert, welches er bisher nicht vornehmen ließ.
4
Der Kläger trägt vor, bei dem Motortyp des Pkws OM 651 seien mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen der Abgasreinigung verbaut. Damit sei die Typgenehmigung unwirksam. Organe der Beklagten hätten über diese Manipulation Bescheid gewusst und die Manipulation sei zur Erhöhung des Gewinns der Beklagten in Täuschungsabsicht und mit der Absicht der sittenwidrigen Schädigung durchgeführt worden. Im Rahmen des Schadensersatzes sei der Betrag des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Pkws zu zahlen. Eine Nutzungsentschädigung sei nicht, allenfalls ausgehend von einer Gesamtfahrleistung von 350.000 Kilometer, anzusetzen.
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 31.300,00 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 29.06.2012 bis 20.03.2019 und seither von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Mercedes Benz B 200, 1,8 mit der Fahrgestellnummer …51 zu zahlen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 21.03.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.256,24 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.03.2019 zu zahlen.
6
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
7
Sie trägt vor, der Motor OM 651 sei in verschiedensten Fahrzeugmodellen in verschiedensten Ausführungen eingebaut. Die Einstellungen zur Reduzierung oder Abschaltung der Abgasreinigung dienten dem legitimen Ziel des Schutzes des Motors und sonstiger Bauteile. Das angebotene Update diene zur Optimierung der Software-Einstellungen. Eine Täuschungs- oder sittenwidrige Schädigungsabsicht der Beklagten habe nicht bestanden.
8
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Sofern ein Schadensersatzanspruch – wie nicht – bestehe, sei eine Nutzungsentschädigung, ausgehend von einer Gesamtfahrleistung von 250.000 Kilometer, anzusetzen.
9
Es wird Bezug genommen auf das Protokoll der Hauptverhandlung vom 02.06.2020 (Bl. 396 bis 404), sämtliche von den Parteien eingereichten Schriftsätze sowie den übrigen Akteninhalt.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus §§ 280, 311 BGB. Vertragliche Beziehungen zwischen den Parteien bestehen nicht. Vertragspartner des Klägers war das Autohaus Sch*** & W.*** GmbH & Co. KG in Ergolding. Auch das Ausstellen verschiedener Bescheinigungen durch die Beklagte begründet kein vertragsähnliches Verhältnis. Diese Bescheinigungen dienen der Zulassung des Fahrzeuges zum Straßenverkehr, nicht der Übernahme einer bestimmten Garantie oder Gewährleistung gegenüber dem Kläger.
12
2. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 826 BGB. Eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung lässt sich dem Klägervortrag nicht entnehmen.
13
a) Der Klägervortrag ist allgemein gehalten, bezogen auf den Motortyp OM 651. Es wird dort vorgetragen, für diesen Motortyp seien von der Beklagten eine Reihe unzulässiger Abschalteinrichtungen verwendet worden.
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Es ist jedoch zu sehen, dass, wie sich bereits dem schriftsätzlichen klägerischen Vortrag entnehmen lässt, dieser Motortyp eine Vielzahl von Ausformungen für eine Vielzahl von Fahrzeugmodellen erhalten hat. Die Gestaltung der Motorsoftware variierte stark.
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Der Klägervortrag geht nunmehr nicht konkret darauf ein, welche Manipulation konkret bei der Software des dem Verfahren zugrunde liegenden Pkw vorliegen soll. Ferner wird auch nicht konkret dargestellt, was im Einzelnen für das Vorliegen eines Schädigungsvorsatzes durch die Organe oder Mitarbeiter der Beklagten spricht.
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b) Insoweit wird von der Klägerseite auf eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten verwiesen. Die Beklagte wiederum tritt einer solchen sekundären Darlegungslast mit der Ausführung entgegen, dies würde sie zur Preisgabe von Geschäftsgeheimnissen zwingen.
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c) Nach der vom Gericht vertretenen Auffassung obliegt zwar der Beklagten grundsätzlich keine sekundäre Darlegungslast. Jedoch ist es so, dass für den Fall, dass der Klägervortrag eine ausreichende vorläufige Überzeugung des Gerichts von einem sittenwidrigen Handeln der Beklagten begründete, es an der Beklagten wäre, diese vorläufige Überzeugung durch entsprechenden Vortrag und gegebenenfalls Beweisantritt zu entkräften.
18
Als Abgrenzung kann hier die Einordnung durch das Kraftfahrtbundesamt dienen. Das Kraftfahrtbundesamt als neutrale und sachkundige Behörde beurteilt ein Abweichen der Motorsoftware von der angezeigten Einstellung dahingehend, ob dies einen Rückruf erfordert oder ein freiwilliges Update ausreichend ist. Bei einem Rückruf liegen regelmäßig ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Abweichung der Software-Einstellungen vom zutreffenden Wert ein erhebliches Ausmaß aufweist, welches eine zeitnahe, zwingende Korrektur erfordert. Bei einer solch erheblichen Abweichung ist es zunächst nicht nachvollziehbar, dass diese rein versehentlich auf einer falschen Einschätzung der zum Motorschutz erforderlichen Parameter beruht und es lägen ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen einer vorsätzlichen, anderen als den Motorschutz dienenden Zielen der Abweichung vor. In einem solchen Fall wäre es an der Beklagten, dieses sich bietende Bild durch Vortrag und gegebenenfalls Nachweis zum Zustandekommen der Abweichung und dessen konkreten Ausmaßes zu zerstreuen.
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Im Falle eines rein freiwilligen Updates spricht die Entscheidung des Kraftfahrtbundesamtes dafür, dass die Abweichung der Motorsoftware noch in einem moderaten Bereich liegt, der es als hinnehmbar erscheinen lässt, dass eine nicht unerhebliche Zahl der betroffenen Fahrzeuge keine Anpassung an die zutreffenden Einstellungen erhält. Bei einer solchen moderaten Abweichung ist es durchaus denkbar, dass bei der Einschätzung der zum Motorschutz erforderlichen Parameter von den Organen oder Mitarbeitern der Beklagten versehentlich Fehler begangen wurden, was im vorliegenden Fall für die Begründung eines Schadensersatzanspruches nicht ausreichend wäre. In einem solchen Fall wäre vielmehr von Klägerseite eine nähere, konkret auf den Einzelfall bezogene Darlegung der Abweichung der Motorsoftware vom zutreffenden Wert erforderlich, um zum einen die Relevanz und zum anderen Anhaltspunkte für ein vorsätzliches Vorgehen beurteilen zu können. Ein solcher klägerischer Vortrag liegt nicht vor.
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d) Im vorliegenden Verfahren liegt unstreitig lediglich eine Aufforderung zu einem freiwilligen Update vor. Damit liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vor. Die von Klägerseite angebotenen Beweismittel Sachverständigengutachten und Vernehmung verschiedener Zeugen sowie Beiziehung einer Ermittlungsakte stellen sich mangels konkretem, auch zum Einzelfall bezogenen Vortrags als Ausforschungsbeweis dar. Diesen Angeboten war nicht nachzukommen.
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3. Aus den unter Ziffer 2 aufgeführten Gründen besteht ebenfalls kein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §§ 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 263 StGB.
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4. Ergänzend ist zu sehen, dass es aufgrund der Freiwilligkeit des Updates auch an einem Schaden des Klägers fehlen würde. Es bleibt dem Kläger unbenommen, von einer Durchführung des Software-Updates abzusehen. Eine Stilllegung des Fahrzeuges oder sonstige Zwangsmaßnahmen wären keine Folge davon. Die Typgenehmigung sowie die Zulassung des Fahrzeuges als Verwaltungsakte bestehen ohne Widerruf durch die zuständigen Behörden fort. Sie erlöschen nicht automatisch, da der Zustand des Fahrzeuges dem des für die Typgenehmigung geprüften Modelles entspricht. Auch dieses Modell hatte die hier vorliegenden Software-Einstellungen. Der Kläger könnte damit das Fahrzeug weiterhin in dem Zustand nutzen, der dem Erwerb des Fahrzeuges zugrunde lag. Er hätte damit sowohl die Möglichkeit der weiteren Nutzung als auch die Möglichkeit der Vermeidung eines durch ein Software-Update eintretenden Mangelverdachtes hinsichtlich eines erhöhten Verschleißes von Fahrzeugteilen, einer negativen Veränderung der Fahrleistungen und eines erhöhten Kraftstoffverbrauches.
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6. Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.