Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 16.12.2020 – 10 O 3914/20
Titel:

OLG Nürnberg, Einrede der Verjährung, Verjährungsfrist, Abschalteinrichtung, Klagepartei, Sittenwidrige Schädigung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Bereicherungsrechtlicher Anspruch, Gewährleistungsansprüche, verfassungsmäßig berufener Vertreter, Unerlaubte Handlung, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Klageantrag, Beschlüsse, Haftung für Verrichtungsgehilfen, Streitwert, Unzulässigkeit, Typgenehmigung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten

Schlagworte:
Verjährungseinrede, Gewährleistungsrechte, Arglistiges Verschweigen, Anfechtung, Schadensersatzanspruch, Schutzgesetz, Sittenwidrige Schädigung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 07.12.2021 – 5 U 250/21
OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.01.2022 – 5 U 250/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 23.07.2024 – VIa ZR 1743/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 64388

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 24.500,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klagepartei fordert von der Beklagten als Herstellerin eines von der Klägerin gebraucht erworbenen Kraftfahrzeuges Schadensersatz, weil die Beklagte das Fahrzeug vorsätzlich mit einer nicht zulässigen Motorsteuerung ausgestattet habe, die zu einer überhöhten Abgasemission im Fahrbetrieb führe.
2
Die Klägerin erwarb unter dem 08.02.2016 von der Beklagten einen gebrauchten Pkw Marke … zum Preis von 24.500,00 € brutto (Anlage K 1). Das Fahrzeug ist mit einem EU 5 Dieselmotor der Baureihe … ausgestattet. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde seitens der Beklagten mit einer temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung versehen, durch die die Abgasrückführung, die zur Reduktion des Stickoxidausstoßes eingesetzt wird, bei niedrigen Außentemperaturen reduziert wird (sog. „Thermofenster“).
3
Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor:
4
In dem Fahrzeug sei eine nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Zusätzlich zum „Thermofenster“ enthalte das Fahrzeug auch eine Steuerungssoftware, die dazu führe, dass das Fahrzeug das Durchfahren des „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) auf dem Prüfstand erkenne und abhängig davon die Abgasaufbereitung dergestalt regele, dass der Ausstoß an Stickoxiden nur beim Durchfahren des NEFZ optimiert werde. Die im streitgegenständliche Fahrzeug verbauten Abschalteinrichtungen seien nicht notwendig, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen.
5
Hochrangige Führungspersönlichkeiten der Beklagten hätten von der Manipulation gewusst und hätten diese angewiesen und gebilligt; sogar der damalige Vorstand sei daran beteiligt gewesen. Die Beklagte habe die weltweite Marktführerschaft im Luxussegment und die Gewinnmaximierung um jeden Preis gewollt. Sie habe erhebliche Schädigung ihrer Kunden bewusst in Kauf genommen und eine Vermögensminderung der Kunden bewusst verursacht, um das eigene Vermögen zu mehren.
6
Die Klagepartei meint, das im streitgegenständliche Fahrzeug verbaute „Thermofenster“ sei eine nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung. Das Fahrzeug verfüge nicht über die Voraussetzungen für die EG-Typgenehmigung und habe einen erheblich höheren Schadstoffausstoß als von der Beklagten angegeben.
7
Die Klagepartei ist der Rechtsauffassung, ihr stehe ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig: Sie habe die Zulassungsvorschriften ausschließlich aus Gewinninteresse umgangen.
8
Die Klagepartei ist der Auffassung, sein Anspruch ergebe sich auch aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB, da es ausgeschlossen sei, dass die Software von Entwicklungsingenieuren versehentlich ohne Vorsatz verbaut wurde.
9
Auch stehe der Klagepartei ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu. Es liege ein eigennütziger Betrug vor.
10
Auch bestehe ein Anspruch aufgrund europarechtlicher Schutznormen: Die Beklagte hafte als Herstellerin gemäß §§ 311 Abs. 3, 443, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 12, 18 der Richtlinie 2007/46/EG, §§ 4, 6, 25 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung, da sie das europäische Typengenehmigungsrecht verletzt habe.
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Ferner bestünden Ansprüche aus § 823 Abs. II BGB i.V.m. §§ 16 bzw. 4 Nr. 11 UWG.
12
Es seien auch bereicherungsrechtliche Ansprüche wegen Nichtigkeit des Kaufvertrags nach §§ 134 bzw. 142 BGB gegeben, sowie kaufvertragliche Gewährleistungsansprüche nach §§ 346, 434 437 BGB.
13
Die Klagepartei beantragt:
1.
Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei 24.500,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.02.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges … (Fahrzeugidentifikationsnummer: …) sowie Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des PKW.
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei für über Klageantrag Zif. 1 hinausgehende Schäden, die aus der Manipulation des in Klageantrag Zif. 1 genannten Fahrzeugs durch die Beklagtenpartei resultieren, Schadensersatz zu leisten.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.195,95 € freizustellen.
14
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
15
Die Beklagte trägt vor, das streitgegenständliche Fahrzeug unterscheide sich grundlegend von den Fahrzeugen des …-Konzerns, bei denen die Rechtsprechung offenbar eine Prüfstandmanipulation mittels Umschaltens zwischen einem Modus 0 und einem Modus 1 festgestellt hat. Eine Funktion, durch die der Prüfstand erkannt und der Stickoxidausstoß manipulativ lediglich für die Zwecke des EG-Typgenehmigungsverfahrens gezielt reduziert wird, existiere im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht. Die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug sei notwendig, um Schäden am Motor und Abgassystem zu vermeiden: Die Grundidee der Abgasrückführung bestehe darin, Abgas bereits innermotorisch über ein Rohrsystem in den Brennraum zurückzuführen. Insoweit handele es sich um kein Konstruktionsteil, das die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verändert, sondern um eine vorgelagerte, innermotorische Maßnahme, die schon die Entstehung bestimmter Emissionen verringere. Durch die innermotorische Rückführung des Abgases verringere sich die Sauerstoffkonzentration der Zylinderladung und die Verbrennungstemperatur sinke. Durch die niedrigen Verbrennungstemperaturen würden weniger NOx-Emissionen entstehen. Würde die Rückführung allerdings bei zu niedrigen Temperaturen stattfinden, würde es zur Kondensation von Abgasbestandteilen kommen und dies wiederum zu verschiedenen unerwünschten Ablagerungen in den Bauteilen. Ein wiederholter Betrieb des Motors in diesem Zustand könnte zu einer dauerhaften Schädigung des Motors führen. In Fachkreisen und demgemäß auch bei den Genehmigungsbehörden sei anerkannt, dass es notwendig ist, die Abgasrückführung unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen zu steuern, um eine hinreichende Reduzierung sämtlicher relevanter Emissionen zu erzielen, Schäden am Motor und Abgassystem zu vermeiden und den sicheren Betrieb des Systems zu gewährleisten.
16
Die Beklagte meint, die Klagepartei habe nicht substantiiert vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen aktiv seien. Gewährleistungsansprüche seien jedenfalls verjährt. Deliktische Ansprüche würden nach der obergerichtlichen Rechtsprechung bereits deshalb ausscheiden, weil die Beklagte bei der Herstellung des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Hinblick auf dessen NOx-Emissionen einer vertretbaren Rechtsauffassung gefolgt ist, so dass für Vorsatz oder Sittenwidrigkeit von vorneherein kein Raum sei. In Bezug auf die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung habe die Beklagte ein zutreffendes, jedenfalls aber vertretbares Normverständnis zugrunde gelegt und davon ausgehen dürfen, dass eine temperaturabhängige Abgasregelung schon keine Abschalteinrichtung darstelle, jedenfalls aber aus Gründen des Motorschutzes zulässig sei. Es komme nicht einmal darauf an, ob das Fahrzeug von einem Rückruf des … betroffen ist. Ein Anspruch aus § 826 BGB scheide auch deshalb aus, weil der geltend gemachte Schaden nicht vom Schutzzweck der vermeintlich verletzten Emissionsvorschriften gedeckt wäre, welcher beschränkt sei auf die Harmonisierung des Binnenmarktes, die Verbesserung der Luftqualität und den Schutz der Umwelt im Übrigen. Die Klägerin habe auch nicht substanziiert dargelegt, welches konkrete deliktische Verhalten sie welchem verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten vorwirft. Ein Anspruch aus §§ 831, 826 BGB sei nicht schlüssig dargelegt.
17
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

18
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
19
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Zahlung Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streigegenständlichen Fahrzeugs.
20
1. Vertragliche Ansprüche sind jedenfalls verjährt, bereicherungsrechtlichen Ansprüchen steht die Wirksamkeit des Kaufvertrags entgegen.
21
1.1. Die Beklagte ist gemäß § 214 Abs. 1 BGB berechtigt, die Leistung zu verweigern, da die Verjährung der etwaigen Ansprüche der Klagepartei eingetreten ist. Die Einrede der Verjährung wurde von der Beklagten in der Klageerwiderung erhoben. Der Eintritt der Verjährung etwaiger Gewährleistungsrechte ist auch gegeben. Gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB verjähren die in § 437 Nr. 1 und 3 BGB bezeichneten Ansprüche vorliegend in zwei Jahren. Gemäß § 438 Abs. 2 BGB beginnt die Verjährung mit der Ablieferung der Sache. Die Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger erfolgte im Februar. Die Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB von zwei Jahren ist damit im Februar 2018 abgelaufen, ohne dass die Klagepartei etwaige Gewährleistungsrechte geltend gemacht hat.
22
Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren gemäß §§ 438 Abs. 3 Satz 1, 195 BGB gilt hier nicht, da die Beklagte einen etwaigen Mangel jedenfalls nicht arglistig verschwiegen hat.
23
Arglist setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zumindest Eventualvorsatz voraus; leichtfertige oder grob fahrlässige Unkenntnis genügt dagegen nicht. Ein arglistiges Verschweigen ist danach nur gegeben, wenn der Verkäufer den Mangel kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiß oder doch damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Diese Kenntnis muss festgestellt werden; sie kann nicht durch wertende Überlegungen ersetzt werden. Insoweit fehlt es vorliegend schon am entsprechenden Vortrag der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klagepartei und ist auch sonst aus den Umständen des Falls nicht ersichtlich.
24
1.2 Bereicherungsrechtliche Ansprüche liegen nicht vor. Der streitgegenständliche Kaufvertrag verstößt weder gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB, noch sind die formellen und materiellen Voraussetzung einer Anfechtung hinreichend dargelegt.
25
2. Deliktische Ansprüche sind ebenfalls nicht gegeben.
26
a. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB), sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen, nämlich mit einer Prüfstandserkennung verbundenen Abschalteinrichtung sind vom Kläger unschlüssig und nicht ausreichend dargelegt worden. Über ihre Behauptung, das streitgegenständliche Fahrzeug enthalte eine unzulässige, nämlich mit einer Prüfstandserkennung verbundene Abschalteinrichtung ist kein Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18).
27
(1) Zwar darf ein Kläger im Rechtsstreit auch solche Tatsachen behaupten, über deren Vorliegen er kein sicheres Wissen hat und ein solches nicht erlangen kann. Eine Partei kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (zuletzt BGH, NJW-RR 2015, 829). So liegt es auch hier: Der Kläger kann, sofern er keine mutmaßlich aufwändige technische Untersuchung durchführen lässt, kein sicheres Wissen darüber haben, ob die Motorsteuerung seines Pkws so gestaltet ist, dass das Fahrzeug das Durchfahren des „Neuen Europäischen Fahrzyklus“ (NEFZ) auf dem Prüfstand erkennt und abhängig davon die Abgasaufbereitung dergestalt regelt, dass der Ausstoß an Strickoxiden nur beim Durchfahren des NEFZ optimiert wird. Jedoch wird ein solches prozessuales Vorgehen dann unzulässig, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürliche Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt, was nur angenommen werden darf, wenn es an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten für die Richtigkeit der betroffenen Behauptung fehlt (BGH, a.a.O., sowie NJW-RR 2004, 337).
28
(2) Im vorliegenden Fall fehlt es in diesem Sinne an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten. Weder hatte die Klagepartei solche aufgezeigt noch sind sie sonst für das Gericht in irgendeiner Weise erkennbar.
29
(a) Offenkundig ist, dass die inzwischen allgemein bekannte Verwendung einer manipulativen Motorsteuerung in Fahrzeugen des …-Konzerns, die mit dem Motor der Baureihe … ausgestattet sind, für den Streitfall keinerlei Aussagekraft haben kann. Denn dieser Motor ist im Fahrzeug der Klägerin unstreitig nicht eingebaut. Die von der Klagepartei zitierte Rechtsprechung bezieht sich allesamt auf Fahrzeuge mit dem Motor der Baureihe …. Dem Gericht sind Entscheidungen nicht bekannt, die sich mit einer Prüfstandserkennung und einer davon abhängigen Beeinflussung des Emmissions-Kontrollsystems bei Fahrzeugen der Beklagten auch nur befassen, geschweige denn eine solche feststellen.
30
(b) Eine unzulässige an die Erkennung des Prüfstandsbetriebes gekoppelten Beeinflussung der zur Reduzierung der Stickoxid-Emissionen dienenden Abgasrückführung wurde im streitgegenständlichen Fahrzeugtyp nicht vom … festgestellt. Unstreitig ist, dass das … gegenüber der Beklagten bislang in keinem Fall die EG-Typgenehmigung wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen in Bezug auf NOx-Emissionen ganz oder teilweise widerrufen hat.
31
b. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeuges wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB), sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) sind auch unter dem unter dem Gesichtspunkt eines sog. thermischen Fensters nicht gegeben.
32
(1) Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB. Nach § 823 Abs. 1 BGB ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum oder ein sonstiges absolutes Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Die gleiche Verpflichtung trifft gemäß § 823 Abs. 2 S. 1 BGB denjenigen, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Bei dem Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB handelt es sich um ein solches Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Betrug im Sinne des § 263 StGB ist die Vermögensschädigung durch Täuschung eines anderen in Bereicherungsabsicht. Er setzt im äußeren Tatbestand eine Täuschungshandlung des Täters, einen Irrtum des Getäuschten, eine Vermögensverfügung des Getäuschten und einen Vermögensschaden des Getäuschten oder eines anderen voraus. Im inneren Tatbestand setzt er den zumindest bedingten Vorsatz voraus hinsichtlich aller Merkmale des äußeren Tatbestandes und des zwischen ihnen notwendigen Kausalzusammenhangs sowie einen erstrebten (nicht notwendig erreichten) rechtswidrigen Vermögensvorteil des Täters oder eines Dritten. Zwischen den Merkmalen des äußeren Tatbestandes muss ein kausaler und funktionaler Zusammenhang und zwischen dem Schaden und dem Vorteil die sogenannte Stoffgleichheit bestehen. Geschütztes Rechtsgut ist dabei ausschließlich das Vermögen; nicht die Redlichkeit im Geschäftsverkehr und auch nicht die Dispositionsfreiheit als solche (vgl. Kühl in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Rn. 1, 2 m.w.N.).
33
Eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 StGB durch die Beklagte vermag das Gericht nicht festzustellen. Die Beklagte müsste zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung gehandelt haben, und zwar zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs (OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19 mit weiteren Nachweisen), hier also im Jahr 2011. Der heutige Meinungsstand – und insbesondere die heutige Auffassung eines Zivilgerichts – ist dagegen nicht maßgeblich (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19 mit weiteren Nachweisen), ebenso wenig die Auffassung der Generalstaatsanwältin in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache C-693/18 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union am 30.04.2020, wonach die Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 eng auszulegen sei (vgl. Anlage K 22). Der Annahme des Vorsatzes steht hier entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, nämlich Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10, keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte konnte vielmehr durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei. Denn die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen war nicht derart eindeutig, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die unpräzise Fassung der Ausnahmebestimmung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 räumt den Motorherstellern möglicherweise einen weiten Ermessensspielraum (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19).
34
Zum anderen ist davon auszugehen, dass die Beklagte, wie in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 in Art. 3 Nr. 9 vorgeschrieben, zur Erlangung der EG-Typgenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems, einschließlich seines Funktionierens bei niedrigeren Temperaturen nebst Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emission gemacht hat, so dass dem … bei Erteilung der Typgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein muss, von ihm aber – offensichtlich – nicht beanstandet worden ist (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Dass die EG-Typgenehmigung trotz Fehlens der vorgeschriebenen Angaben erteilt worden ist, kann ausgeschlossen werden (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Hätte das … hinsichtlich der Zulässigkeit der u.a. temperaturabhängig gesteuerten Abgasrückführung Bedenken gehegt, so hätte es die Typgenehmigung nicht oder nicht ohne weiteres erteilt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19). Weshalb den verantwortlichen Personen auf Seiten der Beklagten gleichwohl bewusst gewesen sein sollte, dass die von ihnen gewählte Steuerung der Abgasrückführung unzulässig sei, ist nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht aufgezeigt. War aber die Einstufung der temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung aufgrund der damals (2011) geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene, so ist der Schluss nicht gerechtfertigt, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und somit die Typgenehmigungsbehörde und damit auch die Käufer täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19).
35
(2) Ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 besteht ebenfalls nicht. Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Zwar können EU-Verordnungen im Einzelfall grundsätzlich Schutzgesetze gemäß § 823 Abs. 2 BGB darstellen. Im vorliegenden Fall kommt Artikel 5 Absatz II der VO (EG) Nr. 715/2007 jedoch bereits keine individualschützende, das heißt insbesondere das Vermögen Privater schützende Funktion zu. Ausweislich der Erwägungsgründe zu der vorzitierten Verordnung dient diese der Verwirklichung des Binnenmarktes (vergleiche Ziffer 1 der Erwägungsgründe) sowie der Verbesserung der Luftqualität und der Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte insbesondere zur Minderung der Stickoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen (vergleiche Ziffern 5 und 6 der Erwägungsgründe).
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(3) Ein Anspruch der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV besteht ebenfalls nicht. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Diese Vorschriften der EG-FGV, welche die Richtlinie 2007/46/EG in nationales Recht umsetzen, berücksichtigen nicht den Schutz individueller Interessen, sondern stellen eine (nur) die Allgemeinheit schützende Norm dar. Es ist nicht ersichtlich, dass der Individualschutz – hier der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs – im Aufgabenbereich der genannten Vorschriften liegt oder aber aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrunde liegenden Richtlinie 2007/46/EG folgt.
37
Aus den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) der Richtlinie 2007/46/EG ergibt sich eindeutig, dass das Ziel der Richtlinie in erster Linie die Vollendung des europäischen Binnenmarktes ist. Überdies sollte sie die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisieren und spezifizieren, wobei diese Rechtsakte vor allem auf hohe Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Nutzung abzielten. Individualinteressen, vor allem das Vermögensinteresse von Kraftfahrzeugerwerbern, finden darin keine Erwähnung. Auch sonstige Erwägungsgründe der Richtlinie, insbesondere die unter Nrn. 14 und 17 genannten, betreffen neben den bereits genannten Erwägungsgründen ausschließlich weitere Allgemeingüter, nämlich ein hohes Umweltschutzniveau, den Schutz der Gesundheit und den Schutz der Verbraucher, ohne dass der Vermögensschutz des Einzelnen darin angesprochen wäre.
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Etwas Anderes folgt auch nicht aus dem Zweck der Art. 18 Abs. 1 und 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG selbst, deren Umsetzung die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen. Soweit nach Art. 26 Abs. 1 die Mitgliedstaaten die Zulassung, den Verkauf und die Inbetriebnahme von Fahrzeugen gestatten, wenn sie mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung versehen sind, zielt dies auf die Erleichterung des Binnenmarktes; Anhaltspunkte dafür, dass die Richtlinie auf den Schutz des Vermögens des Autokäufers abstellt, ergeben sich nicht.
39
(4) Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte zu 2) ergibt sich auch nicht aus § 826 BGB. § 826 BGB ist als übergeordnete allgemeine Norm des Schadensrechts grundsätzlich neben anderen Anspruchsgrundlagen innerhalb und außerhalb des BGB anwendbar und ergänzt insoweit die konkreten Tatbestände des § 823 Abs. 1 BGB und § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Teichmann in Jauernig, BGB, 17. Aufl., § 826 Rn. 2). Wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, ist dem anderen gemäß § 826 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
40
Auch hier gilt, dass die Beklagte zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung gehandelt haben müsste. Der Annahme des Schädigungsvorsatzes steht jedoch hier wie oben ausgeführt unter B. I. 2. b. (1) entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen). Da die Einstufung der temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als unzulässige Abschalteinrichtung aufgrund der damals (2011) geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene, ist der Schluss nicht gerechtfertigt, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und somit die Typgenehmigungsbehörde und damit auch die Käufer täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19).
41
(5) Ansprüche der Klagepartei gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 826 BGB und gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB sind ebenfalls nicht gegeben. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB stellt keine Zurechnungsnorm, sondern einen eigenständigen Haftungstatbestand dar. Der Verrichtungsgehilfe muss den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung im Sinne des § 826 BGB bzw. des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB erfüllt haben, und zwar rechtswidrig (Sprau in Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 831 Rn 8) sowie auch subjektive Elemente der unerlaubten Handlung, nämlich Vorsatz gemäß § 826 BGB und bei vorsätzlicher Straftat wie hier der des Betrugs im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB (vgl. Sprau in Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 831 Rn 8). Auch hier gilt das oben unter B. I. 2. b. (1) Ausgeführte: Der Annahme des Vorsatzes steht jedenfalls entgegen, dass die maßgeblichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste (OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az.: 5 U 1670/18, OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az.: 5 U 1783/19, OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.02.2020, Az.: 5 U 3382/19, jeweils mit weiteren Nachweisen).
42
3. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 bzw. 4 Nr. 11 (a.F.) UWG bestehen ebenfalls nicht, die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 16, 4 Nr. 11 (a.F.) UWG sind nicht hinreichend dargelegt unbeschadet der fehlenden drittschützenden Wirkung dieser wettbewerbsrechtlichen Vorschriften.
II.
43
Die Nebenforderung sowie die Klageanträge in Ziffer 2-3 teilen das Schicksal des Hauptanspruchs.
III.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
IV.
45
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 2 ZPO.