Inhalt

SG Landshut, Urteil v. 22.10.2020 – S 3 SO 46/20
Titel:

Kfz-Haftpflichtversicherung, Änderungsbescheid, Widerspruchsverfahren, Erwerbseinkommen, Private Unfallversicherung, Hausratsversicherung, Privathaftpflichtversicherung, Widerspruchsbescheid, Leistungen der Grundsicherung, Volle Erwerbsminderung, Erwerbsminderungsrente, Prozeßbevollmächtigter, Euro, Kontoführungsgebühr, Leistungsanspruch, Kostenentscheidung, Fiktives Einkommen, Einkommens- und Verbraucherstichprobe, Sozialgesetzbuch, Nachzahlung

Schlagworte:
Leistungsanspruch, Grundsicherung im Alter, Erwerbsminderung, Einkommensanrechnung, Versicherungsbeiträge, Angemessenheitsprüfung, Nachzahlung
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Beschluss vom 09.03.2023 – L 8 SO 18/21
BSG Kassel, Beschluss vom 29.02.2024 – B 8 SO 8/23 B
Fundstelle:
BeckRS 2020, 64309

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 19.03.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 11.07.2019 und des Bescheids vom 05.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2020 wird teilweise aufgehoben.
II. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger weitere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch für den Monat Oktober 2018 in Höhe von weiteren 35,08 Euro, für den Monat Januar 2019 in Höhe von weiteren 10,96 Euro, für den Monat Juli 2019 in Höhe von weiteren 46,22 Euro, für den Monat Oktober 2019 in Höhe von weiteren 40,17 Euro und für den Monat Januar 2020 in Höhe von weiteren 12,73 Euro zu zahlen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Der Beklagte hat 1/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers sowie 1/2 der notwendigen Aufwendungen des Klägers im Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 11.07.2019 zu tragen.

Tatbestand

1
Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für die Zeit vom 01.10.2018 bis 30.06.2020 hat. Gestritten wird zwischen den Beteiligten in diesem Verfahren insbesondere um die Frage, ob die Beiträge des Klägers zur privaten Unfallversicherung und zur Kfz-Haftpflichtversicherung in jedem Fälligkeitsmonat von dessen Einkommen abzusetzen sind.
2
Der 1971 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 90. Bei ihm wurde das Merkzeichen „G“ anerkannt. Dem lagen als Gesundheitsstörungen ein Verlust des rechten Beins im Unterschenkel, eine Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenks rechts und eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule zu Grunde.
3
Der Kläger bewohnt eine Mietwohnung unter der Anschrift A-Straße in A-Stadt (Landkreis D.). Für diese schuldete er im streitgegenständlichen Zeitraum zunächst eine monatliche Miete von 340,00 Euro, seit 01.05.2019 eine monatliche Miete von 350,00 Euro.
4
Der Kläger ist Inhaber einer Hausratversicherung. Der Jahresbeitrag für die Zeit vom 01.07.2018 bis 30.06.2019 in Höhe von 53,78 Euro war am 01.07.2018 fällig, der Jahresbeitrag für die Zeit vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 in Höhe von 54,59 Euro am 01.07.2019.
5
Des Weiteren ist der Kläger Inhaber einer privaten Haftpflichtversicherung. Laut Beitragsrechnung aus September 2018 war am 23.10.2018 der Jahresbeitrag in Höhe von 45,79 Euro fällig. Am 02.10.2019 wurde ein Jahresbeitrag in Höhe von 48,54 Euro abgebucht.
6
Außerdem ist der Kläger Inhaber einer privaten Unfallversicherung. Für diese wurden im streitgegenständlichen Zeitraum monatliche Beiträge in Höhe von zunächst 15,22 Euro, ab November 2018 in Höhe von 16,04 Euro und ab Herbst 2019 in Höhe von 16,87 Euro fällig. Aus dem Versicherungsschein vom 24.09.2018 geht hervor, dass der Kläger bei Invalidität mit progressiver Staffel (500%) mit 56.000,00 Euro versichert ist. Bei Vollinvalidität sind Leistungen in Höhe von 280.000,00 Euro vereinbart, bei Tod Leistungen in Höhe von 23.000,00 Euro.
7
Darüber hinaus ist der Kläger Halter eines Kfz – offenbar eines Motorrads – mit dem amtlichen Kennzeichen ..., für welches er eine Kfz-Haftpflichtversicherung unterhält. Hierfür wurde im Januar 2018 ein Jahresbeitrag in Höhe von 19,60 Euro fällig, im Januar 2019 ein Jahresbeitrag in Höhe von 18,90 Euro und im Januar 2020 ein Jahresbeitrag in Höhe von 21,10 Euro.
8
Der Kläger bezieht seit 01.12.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer von der Deutschen Rentenversicherung .... Der monatliche Zahlbetrag betrug vom 01.10.2018 bis 31.12.2018 monatlich 555,99 Euro, vom 01.01.2019 bis 28.02.2019 monatlich 556,31 Euro, vom 01.03.2019 bis 30.06.2019 monatlich 556,68 Euro und vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 monatlich 575,14 Euro.
9
Ergänzend bezieht der Kläger seit 01.12.2013 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII vom Beklagten.
10
Mit Bescheid vom 05.06.2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 01.07.2018 bis 30.06.2019 in Höhe von monatlich 270,73 Euro.
11
Mit Bescheid vom 28.11.2018 änderte der Beklage die Leistungshöhe für die Zeit vom 01.01.2019 bis 30.06.2019 auf monatlich 280,09 Euro ab. Hierbei berücksichtigte er die Regelsatzerhöhung zum 01.01.2019.
12
Im Rahmen des vierteljährlichen Sozialhilfedatenabgleichs stellte der Beklagte fest, dass der Kläger im 4. Quartal des Jahres 2018 als geringfügig beschäftigt gemeldet war. Als Arbeitgeber wurde R. angegeben. Mit Schreiben vom 28.02.2019 bat der Beklagte den Kläger um die Vorlage von Nachweisen und Lohnabrechnungen. Der Kläger übersandte Lohnabrechnungen, aus welchen hervorgeht, dass er für den Monat Oktober 2018 Erwerbseinkommen von brutto 176,00 Euro bzw. netto 121,09 Euro, für den Monat November 2018 Erwerbseinkommen von brutto 187,00 Euro bzw. netto 128,66 Euro und für den Monat Dezember 2018 Erwerbseinkommen von brutto 143,00 Euro bzw. netto 98,38 Euro erzielt hat.
13
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19.03.2019 änderte der Beklagte die Bewilligung für die Zeit vom 01.10.2018 bis 31.12.2018 daher dahingehend ab, dass er dem Kläger nunmehr Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 01.10.2018 bis 31.10.2018 in Höhe von 191,17 Euro, für die Zeit vom 01.11.2018 bis 30.11.2018 in Höhe von 185,87 Euro und für die Zeit vom 01.12.2018 bis 31.12.2018 in Höhe von 207,06 Euro bewilligte. Für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.01.2019 blieb es bei der bisherigen Bewilligung in Höhe von 280,09 Euro. Darüber hinaus bewilligte der Beklagte dem Kläger mit diesem Bescheid vorläufig Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.02.2019 bis 28.02.2019 in Höhe von 243,29 Euro und für die Zeit vom 01.03.2019 bis 30.06.2019 in Höhe von monatlich 201,29 Euro. Für die Zeit vom 01.10.2018 bis 31.01.2019 rechnete der Beklagte das tatsächlich erzielte Einkommen unter Berücksichtigung der Freibeträge an, wobei der Beklagte die Freibeträge aus dem Nettoeinkommen des Klägers berechnete. Für den Monat Februar 2019 setzte der Beklagte ein fiktives Einkommen des Klägers von 60,00 Euro und ab März 2019 jeweils ein fiktives Einkommen von monatlich 120,00 Euro an.
14
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 24.03.2019 Widerspruch. Er beanstandete die Höhe der Anrechnung des Erwerbseinkommens. Seines Erachtens ist ein Freibetrag in Höhe von 100,00 Euro von seinem Erwerbseinkommen abzuziehen, um eine unzulässige Ungleichbehandlung gegenüber Empfängern von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu vermeiden. Jedenfalls seien vom Einkommen des Klägers die Beiträge zur privaten Unfallversicherung sowie zur Kfz-Haftpflichtversicherung abzusetzen, außerdem Telefonrechnungen.
15
Der Kläger teilte dem Beklagten mit, dass seine Beschäftigung bei Herrn R. zum 30.04.2019 endet. Er übersandte Lohnabrechnungen, aus welchen hervorgeht, dass er für den Monat Februar 2019 Erwerbseinkommen in Höhe von 77,00 Euro brutto bzw. 52,98 Euro netto, für den Monat März 2019 Erwerbseinkommen in Höhe von 121,00 Euro brutto bzw. 83,25 Euro netto und für den Monat April 2019 Erwerbseinkommen in Höhe von 77,00 Euro brutto bzw. 52,98 Euro netto erzielt hat. Das Einkommen floss jeweils im laufenden Monat zu.
16
Am 11.07.2019 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid, mit welchem er dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 01.10.2018 bis 31.10.2018 in Höhe von 217,10 Euro, für die Zeit vom 01.11.2018 bis 30.11.2018 in Höhe von 211,80 Euro, für die Zeit vom 01.12.2018 bis 31.12.2018 in Höhe von 232,99 Euro, für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.01.2019 in Höhe von 287,71 Euro, für die Zeit vom 01.02.2019 bis 28.02.2019 in Höhe von 273,44 Euro, für die Zeit vom 01.03.2019 bis 31.03.2019 in Höhe von 252,26 Euro, für die Zeit vom 01.04.2019 bis 30.04.2019 in Höhe von 273,44 Euro und für die Zeit vom 01.05.2019 bis 30.06.2019 in Höhe von monatlich 297,71 Euro bewilligte. Darüber hinaus bewilligte der Beklagte dem Kläger mit diesem Bescheid Leistungen der Grundsicherung für die Zeit vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 in Höhe von monatlich 279,31 Euro. Hierbei berücksichtigte der Beklagte das vom Kläger erzielte Erwerbseinkommen, von welchem er in den Monaten, in denen der Kläger Erwerbseinkommen erzielte, Arbeitsmittel, Beiträge zur privaten Unfallversicherung, zur Kfz-Haftpflichtversicherung, zur Privathaftpflichtversicherung sowie zur Hausratversicherung absetzte. In den übrigen Monaten setzte der Beklagte lediglich die Beiträge zur Hausrat- und Haftpflichtversicherung von der Rente des Klägers ab. Die Versicherungsbeiträge rechnete der Beklagte dabei jeweils auf einen Monatsbetrag um. Ausweislich der Rechtsbehelfsbelehrungdieses Bescheids sollte der Widerspruch statthaft sein.
17
Auf Nachfrage des Beklagten, ob der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.03.2019 nach Erlass des Änderungsbescheids vom 11.07.2019 zurückgenommen wird, ließ der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 16.07.2019 zurückfragen, in welcher Höhe die Kosten des Widerspruchsverfahrens erstattet werden. Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 24.07.2019 geantwortet hatte, dass in diesem Fall der Kläger mangels Mitwirkung die Kosten des Widerspruchsverfahrens verschuldet habe und deshalb eine Kostentragungspflicht seitens des Beklagten nicht in Betracht komme, ließ der Kläger gegen den Bescheid vom 11.07.2019 mit Schreiben vom 12.08.2019 Widerspruch erheben. In der Begründung ließ er ausführen, dass nach Auffassung seiner Prozessbevollmächtigten der Änderungsbescheid vom 11.07.2019 betreffend die Zeit vom 01.10.2018 bis 30.06.2019 Gegenstand des laufenden Widerspruchsverfahrens geworden sei. Nichtsdestotrotz werde entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrungin diesem Bescheid Widerspruch eingelegt. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.03.2019 werde nicht zurückgenommen. Die Regierung von Niederbayern werde auch über die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu entscheiden haben. Zur Begründung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 11.07.2019 betreffend die Zeit vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 ließ der Kläger ausführen, dass auf Grund der körperlichen Einschränkungen des Klägers sowohl die Beiträge zur privaten Unfallversicherung als auch die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung vom Einkommen des Klägers abzusetzen seien.
18
Der Beklagte half dem Widerspruch nicht ab, sondern legte ihn mit Schreiben vom 20.09.2019 der Regierung von Niederbayern zur Entscheidung vor.
19
Am 05.02.2020 erließ der Beklagte einen weiteren Bescheid, mit welchem er die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII an den Kläger für die Zeit vom 01.01.2020 bis 30.06.2020 auf monatlich 288,67 Euro erhöhte. Hiermit wurde die Regelsatzerhöhung zum 01.01.2020 umgesetzt.
20
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2020, dem Kläger zugegangen am 04.06.2020, hob die Regierung von Niederbayern den Änderungsbescheid des Beklagten vom 11.07.2019 insoweit auf, als dem Kläger nunmehr Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 01.10.2018 bis 31.10.2018 in Höhe von 233,57 Euro, für die Zeit vom 01.11.2018 bis 30.11.2018 in Höhe von 229,30 Euro, für die Zeit vom 01.12.2018 bis 31.12.2018 in Höhe von 246,38 Euro, für die Zeit vom 01.01.2019 bis 31.01.2019 in Höhe von 287,71 Euro, für die Zeit vom 01.02.2019 bis 28.02.2019 in Höhe von 280,65 Euro, für die Zeit vom 01.03.2019 bis 31.03.2019 in Höhe von 263,58 Euro, für die Zeit vom 01.04.2019 bis 30.04.2019 in Höhe von 280,65 Euro und für die Zeit vom 01.05.2019 bis 30.06.2019 in Höhe von monatlich 297,71 Euro bewilligt wurden. Die geänderten Beträge kamen zustande, weil die Regierung von Niederbayern die Erwerbstätigenfreibeträge aus dem Bruttoerwerbseinkommen des Klägers errechnete, nicht aus dem Nettoerwerbseinkommen. Es errechnete sich für den Zeitraum vom 01.10.2018 bis 30.06.2019 eine Nachzahlung in Höhe von 73,10 Euro. Im Übrigen wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen. Der Beklagte wurde verpflichtet, dem Kläger 1/4 seiner zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.
21
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 03.07.2020, bei Gericht eingegangen am Montag, den 06.07.2020, Klage zum Sozialgericht Landshut erheben lassen. Zur Begründung hat er ausführen lassen, auf Grund der Behinderung des Klägers seien nicht nur in den Monaten, in denen er Erwerbseinkommen erzielt habe, sondern auch in allen übrigen Monaten die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung und zur privaten Unfallversicherung vom Einkommen des Klägers abzusetzen. Außerdem seien die Kontoführungsgebühren als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben mit einem Betrag von 0,35 Euro/Monat vom Renteneinkommen des Klägers abzuziehen. Zudem habe der Beklagte die Kosten des Widerspruchs vom 12.08.2019 zu tragen.
22
Der Kläger hat beantragen lassen,
den Bescheid des Beklagten vom 19.03.2019 in der Fassung des Teilabhilfebescheids vom 11.07.2019 und des Bescheids vom 05.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2020 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 01.10.2018 bis 30.06.2020 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
23
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
24
Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Akte des Beklagten, die Widerspruchsakte der Regierung von Niederbayern sowie auf die vorliegende Streitakte.

Entscheidungsgründe

25
Die Klage ist zulässig und im tenorierten Umfang begründet. Für die Monate Oktober 2018, Januar 2019, Juli 2019, Oktober 2019 und Januar 2020 besteht ein höherer Leistungsanspruch des Klägers, als er bislang vom Beklagten bewilligt wurde.
26
Streitgegenständlich ist zum einen der Bescheid des Beklagten vom 19.03.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2020. Zum anderen sind auch die Bescheide vom 11.07.2019 und vom 05.02.2020 nach § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Vorverfahrens und damit auch Gegenstand des Klageverfahrens geworden.
27
Nach § 19 Absatz 2 Satz 1 SGB XII ist Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 SGB XII erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.
28
Der Kläger gehört nach § 41 SGB XII dem Grunde nach zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, weil er das 18. Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Absatz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ist und bei ihm unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann.
29
Der monatliche Bedarf des Klägers beläuft sich in den Monaten Oktober bis Dezember 2018 auf jeweils 826,72 Euro (Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 416,00 Euro, Mehrbedarf nach § 42 Nummer 2 i. V. m. § 30 Absatz 1 Nummer 2 SGB XII in Höhe von 70,72 Euro, Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 340,00 Euro). In den Monaten Januar bis April 2019 besteht ein monatlicher Bedarf des Klägers von 836,08 Euro (Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 424,00 Euro, Mehrbedarf nach § 42 Nummer 2 i. V. m. § 30 Absatz 1 Nummer 2 SGB XII in Höhe von 72,08 Euro, Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 340,00 Euro). Der monatliche Bedarf des Klägers erhöht sich in den Monaten Mai bis Dezember 2019 auf monatlich 846,08 Euro (Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 424,00 Euro, Mehrbedarf nach § 42 Nummer 2 i. V. m. § 30 Absatz 1 Nummer 2 SGB XII in Höhe von 72,08 Euro, Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 350,00 Euro). In den Monaten Januar bis Juni 2020 beträgt der monatliche Bedarf des Klägers 855,44 Euro (Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 432,00 Euro, Mehrbedarf nach § 42 Nummer 2 i. V. m. § 30 Absatz 1 Nummer 2 SGB XII in Höhe von 73,44 Euro, Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 350,00 Euro). Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind jeweils im Monat ihrer Fälligkeit anzuerkennen. Es kommt nicht darauf an, wann der Kläger die Miete tatsächlich gezahlt hat.
30
Als Einkommen des Klägers ist zum einen dessen Rente wegen voller Erwerbsminderung anzurechnen. Der monatliche Zahlbetrag beträgt in den Monaten Oktober bis Dezember 2018 555,99 Euro, in den Monaten Januar bis Februar 2019 556,31 Euro, in den Monaten März bis Juni 2019 monatlich 556,68 Euro und in den Monaten Juli 2019 bis Juni 2020 monatlich 575,14 Euro.
31
Des Weiteren ist als Einkommen des Klägers das Erwerbseinkommen in den Monaten anzurechnen, in denen der Kläger Erwerbseinkommen erzielt hat. Da das Einkommen jeweils im laufenden Monat zugeflossen ist, sind im Oktober 2018 ein Nettoerwerbseinkommen von 121,09 Euro, im November 2018 ein Nettoerwerbseinkommen von 128,66 Euro, im Dezember 2018 ein Nettoerwerbseinkommen von 98,38 Euro, im Februar 2019 ein Nettoerwerbseinkommen von 52,98 Euro, im März 2019 ein Nettoerwerbseinkommen von 83,25 Euro und im April 2019 ein Nettoerwerbseinkommen von 52,98 Euro anzurechnen. In den übrigen Monaten des streitgegenständlichen Zeitraums hat der Kläger kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt.
32
Anders als bei Empfängern von Leistungen nach dem SGB II (vgl. § 11b Absatz 2 Satz 1 SGB II) ist bei Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII der Abzug eines Grundfreibetrags von 100,00 Euro nicht gesetzlich vorgesehen. Dies stellt keine Verletzung von Artikel 3 Grundgesetz (GG) dar. Denn Bezieher von Leistungen nach dem SGB II unterscheiden sich von den Grundsicherungsleistungsbeziehern wesentlich dadurch, dass erstere in den Arbeitsmarkt zurückkehren sollen, während dies für die anderen gerade nicht zutrifft. Der in § 11b Absatz 2 SGB II statuierte Grundfreibetrag verfolgt insbesondere das in § 1 Absatz 2 Satz 2 SGB II normierte Ziel der Integration erwerbsfähiger Hilfebedürftiger in den Arbeitsmarkt, indem er Arbeitsanreize auch in unteren Einkommensbereichen verstärkt und dadurch den Boden bereitet für eine gestufte Integration in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Es liegt innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums, dass er diese zusätzlichen, über die mit § 82 Absatz 3 Satz 1 SGB XII verfolgten Ziele hinausgehenden Anreize zur Rückkehr in den Arbeitsmarkt Personen nach Erreichen der Regelaltersgrenze nicht mehr zur Verfügung stellt. Dieser Personenkreis ist typischerweise dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Die mit dem Grundfreibetrag des SGB II bezweckte besondere Anreizfunktion kommt in diesen Fällen (typisierend) nicht mehr zum Tragen (BSG, Urteil vom 25.04.2018, B 8 SO 24/16 R Rn. 23 f. m. w. N. – juris).
33
Vom Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit des Klägers ist aber nach § 82 Absatz 3 Satz 1 SGB XII ein Betrag in Höhe von 30 vom Hundert dieses Einkommens abzusetzen, höchstens jedoch 50 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII. Im angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 26.05.2020 wurde zutreffend in den Monaten, in denen der Kläger Erwerbseinkommen erzielt hat, ein Betrag in Höhe von 30 vom Hundert des Bruttoerwerbseinkommens abgesetzt. Dies führt dazu, dass nach § 82 Absatz 3 Satz 1 SGB XII im Oktober 2018 ein Betrag von 52,80 Euro (= 30 v. H. von 176,00 Euro), im November 2018 ein Betrag von 56,10 Euro (= 30 v. H. von 187,00 Euro), im Dezember 2018 ein Betrag von 42,90 Euro (= 30 v. H. von 143,00 Euro), im Februar 2019 ein Betrag von 23,10 Euro (= 30 v. H. von 77,00 Euro), im März 2019 ein Betrag von 36,30 Euro (= 30 v. H. von 121,00 Euro) und im April 2019 ein Betrag von 23,10 Euro (= 30 v. H. von 77,00 Euro) vom Erwerbseinkommen des Klägers abzusetzen ist.
34
Entsprechend der Regelung in § 82 Absatz 2 Nummer 4 SGB XII i. V. m. § 3 Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 und Absatz 5 der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch hat der Beklagte darüber hinaus in den Monaten, in denen der Kläger Erwerbseinkommen erzielt hat, als Aufwendungen für Arbeitsmittel einen monatlichen Pauschalbetrag von 5,20 Euro vom Erwerbseinkommen des Klägers abgezogen.
35
Überobligatorisch hat der Beklagte zudem in den Monaten, in denen der Kläger Erwerbseinkommen erzielt hat, die Beiträge des Klägers zur privaten Unfallversicherung von dessen Einkommen abgesetzt. Diese Vorgehensweise ist für den Kläger günstig und wird daher von der Kammer nicht beanstandet. Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Beiträge zur privaten Unfallversicherung nicht auch in den Monaten vom Einkommen des Klägers abzusetzen, in denen er ausschließlich Erwerbsminderungsrente bezogen hat, aber kein Erwerbseinkommen.
36
Nach § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII sind vom Einkommen abzusetzen Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind.
37
Die Beiträge zur privaten Unfallversicherung können im vorliegenden Fall nicht als dem Grunde und der Höhe nach angemessene Beiträge angesehen werden.
38
Der Begriff der Angemessenheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Von der inneren Systematik des SGB XII ist dieser Begriff eine Umschreibung des auf § 82 Absatz 2 Nummer 3 SGB XII bezogenen Individualisierungsgrundsatzes, wie er allgemein in § 9 Absatz 1 SGB XII festgelegt ist. Für den Begriff der Angemessenheit ist deshalb darauf abzustellen, welche Vorsorgeaufwendungen Bezieher von Einkommen knapp oberhalb der Grundsicherungsgrenze üblicherweise zu tätigen pflegen und welche individuellen Lebensverhältnisse die Situation des Hilfebedürftigen prägen. Für die Frage, ob eine Versicherung unter den Tatbestand des § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII fällt, bedarf es daher stets einer Einzelfallbetrachtung (Giere in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 6. Aufl. 2018, § 82 Rn. 94 m. w. N.).
39
Üblichkeit kann aus Praktikabilitätsgründen angenommen werden, wenn mehr als 50% der Haushalte knapp oberhalb der Sozialhilfegrenze eine entsprechende Versicherung abschließen (Giere a. a. O. m. w. N.). Demnach kann eine private Unfallversicherung nicht bereits auf Grund der Üblichkeit als dem Grunde nach angemessene Versicherung angesehen werden. So verfügten im Jahr 2018 ausweislich einer Sonderauswertung der Einkommens- und Verbraucherstichprobe des Statistischen Bundesamts durch den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GdV) 31,2% aller Singlehaushalte über eine private Unfallversicherung. (Die Auswertung ist abrufbar unter der URL https://www.gdv.de/themen/news/versicherungsschutz-versicherungsdichte-ueberversicherung-49418.) Bereits die Gesamtzahl der Singlehaushalte, welche über eine private Unfallversicherung verfügt, liegt also deutlich unterhalb von 50%. Zur Überzeugung der Kammer ist davon auszugehen, dass die Häufigkeit der Singlehaushalte, die über eine private Unfallversicherung verfügt, mit zunehmendem Einkommen steigt. Unter dem Aspekt der Häufigkeit des Abschlusses dieser Versicherung kann somit nicht angenommen werden, dass es sich bei der privaten Unfallversicherung um eine dem Grunde nach angemessene Versicherung handelt.
40
Aber auch die individuellen Lebensverhältnisse des Klägers führen vorliegend nicht dazu, dass die Beiträge zur privaten Unfallversicherung des Klägers als dem Grunde und der Höhe nach angemessen im Sinne des § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII anzusehen sind.
41
Zweifel hat die Kammer vorliegend allerdings nicht in erster Linie an der Angemessenheit der Beiträge dem Grunde nach. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung können auch besondere Umstände des Einzelfalls dazu führen, dass eine private Absicherung als dem Grunde nach angemessen zu bewerten ist. Diese können beispielsweise in einer besonderen Gefährdung einer Person auf Grund einer Erkrankung oder einer sonstigen besondere Gefährdungen hervorrufenden Lebenssituation erblickt werden (BSG, Urteil vom 10.05.2011, B 4 AS 139/10 R Rn. 23 – juris). Auf eine erhöhte Unfallgefahr infolge seiner Behinderung beruft sich der Kläger vorliegend. Soweit der Beklagte gegen die Angemessenheit der Versicherung dem Grunde nach eingewandt hat, dass bei einem versicherten Unfallereignis Leistungen der Versicherung als einzusetzendes Vermögen nach § 90 Absatz 1 SGB XII behandelt werden, so dass ein vorausplanender Bürger, der kein überzogenes Sicherheitsbedürfnis hat, in dieser Fallgestaltung auf den Abschluss einer Unfallversicherung verzichten würde (so auch SG Nürnberg, Urteil vom 27.03.2017, S 5 SO 256/16 Rn. 16 – juris), überzeugt dies die Kammer nicht. Mit dieser Begründung müssten Beiträge zur privaten Unfallversicherung stets als dem Grunde nach unangemessen bewertet werden. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforderte Einzelfallprüfung würde damit in jedem Fall zu einem für den Leistungsberechtigten ungünstigen Ergebnis führen. Nach Auffassung der Kammer kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass ein vorausplanender Bürger ohne überzogenes Sicherheitsbedürfnis davon absehen würde, eine private Unfallversicherung abzuschließen. Denn Leistungen aus der privaten Unfallversicherung sind unter Umständen erheblich höher als die existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII. Einem Bürger, der für den Fall eines privaten Unfalls bevorzugt höhere Leistungen aus der privaten Unfallversicherung in Anspruch nimmt als die lediglich das Existenzminimum deckenden staatlichen Leistungen, kann zur Überzeugung der Kammer nicht ein überzogenes Sicherheitsbedürfnis unterstellt werden.
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Die Kammer kann sich aber nicht davon überzeugen, dass die Beiträge zur privaten Unfallversicherung der Höhe nach angemessen sind. Das Bayerische Landessozialgericht (Bay. LSG) hat sich in der Vergangenheit bei der Angemessenheitsprüfung der Höhe der Beiträge zur privaten Unfallversicherung mehrfach an den Empfehlungen für den Abschluss einer Unfallversicherung („Merkblatt Unfallversicherung“ des Bundes der Versicherten e. V.) orientiert (Bay. LSG, Urteil vom 20.06.2017, L 8 SO 8/13 Rn. 94 – juris; Bay. LSG, Urteil vom 26.09.2016, L 8 SO 295/14 Rn. 43 – juris). Laut diesem Merkblatt dient die private Unfallversicherung der Absicherung des zusätzlichen Kapitalbedarfs, welcher durch eine unfallbedingte Invalidität entsteht. Eine gängige Faustformel ermittelt die Invaliditätsgrundsumme bei Berufstätigen nach Alter und Einkommen. Für einen bis zu 50-Jährigen wird das Vierfache des Bruttojahreseinkommens als ausreichend angesehen. Im streitgegenständlichen Zeitraum wurde dem Kläger zuletzt für die Zeit vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 eine Erwerbsminderungsrente durch die Deutsche Rentenversicherung ... in Höhe von monatlich brutto 646,88 Euro bewilligt. Dies entspricht einem jährlichen Bruttojahreseinkommen von 7.762,56 Euro. Das Vierfache dieser Summe sind 31.050,24 Euro. Zwischen dem Kläger und dem privaten Unfallversicherer wurden Leistungen bei Invalidität mit progressiver Staffel (500%) in Höhe von 56.000,00 Euro und Leistungen bei Vollinvalidität in Höhe von 280.000,00 Euro vereinbart, also Leistungen in einer Höhe, die deutlich über das Vierfache des Bruttojahreseinkommens des Klägers hinausgeht. Daher können die Beiträge zur privaten Unfallversicherung auf der Grundlage der vom Bay. LSG in den zitierten Entscheidungen aufgestellten Maßstäbe nicht als der Höhe nach angemessen angesehen werden.
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Demgegenüber sind die Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung zur Überzeugung der Kammer vorliegend nicht nur in den Monaten, in denen der Kläger Erwerbseinkommen erzielt hat, sondern in sämtlichen Monaten, in denen diese Beiträge fällig geworden sind, vom Einkommen des Klägers abzusetzen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII.
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Zwar ist eine Kfz-Haftpflichtversicherung keine gesetzlich vorgeschriebene Versicherung im Sinne des § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII. Denn einem Hilfeempfänger kann grundsätzlich zugemutet werden, auf das Halten eines Kraftfahrzeugs zu verzichten. Ausnahmen können z. B. für die Fälle akzeptiert werden, in denen der Betroffene auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist, um zu seiner Arbeitsstelle zu gelangen. Ein anderer sozialhilferechtlich anzuerkennender Zweck kann eine Behinderung eines Mitglieds der Einstandsgemeinschaft sein, so dass die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich ist (Giere a. a. O. Rn. 93 m. w. N.).
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Derartige sozialhilferechtlich anzuerkennende Zwecke liegen zur Überzeugung der Kammer auch dann vor, wenn ein Kfz benötigt wird, um existenzielle Bedürfnisse zu befriedigen, etwa um Einkäufe zu erledigen oder Arztbesuche wahrnehmen zu können.
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Dass der Kläger auf ein Kfz angewiesen ist, um Einkäufe zu erledigen, steht zur Überzeugung der Kammer allerdings nicht fest. Der Kläger wohnt sehr zentral in A-Stadt, einer Gemeinde mit einer durchaus vorhandenen Infrastruktur. Die nächsten Einkaufsmöglichkeiten (Netto und Edeka) befinden sich zwar noch im selben Ort, allerdings etwa zwei Kilometer von der Wohnung des Klägers entfernt, wie sich aus einer Recherche mittels Routenplaners ergibt. Beim Kläger sind die Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ anerkannt. Das Merkzeichen „G“ wird nach § 229 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) einer Person zuerkannt, die infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Wegstrecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Teil D Ziffer 1 lit. b Satz 3 der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008). Die Wegstrecke von der Wohnung des Klägers zum Einkaufsladen übersteigt somit die Wegstrecke, welche der Kläger noch zu Fuß zurücklegen kann. Allerdings existiert eine Busverbindung. Die Bushaltestelle „Schule, A-Stadt“ befindet sich in unmittelbarer Nähe der Wohnung des Klägers, die Bushaltestelle „N., A-Stadt“ in unmittelbarer Nähe der Einkaufsläden. Werktäglich existiert zwei- bis viermal täglich eine Busverbindung zwischen diesen beiden Haltestellen (Bus 6151), und zwar verstärkt am Nachmittag zu Öffnungszeiten der Geschäfte. Dem Kläger kann zur Überzeugung der Kammer zugemutet werden, seine Einkäufe zu einer Zeit zu erledigen, zu welcher er den Bus nutzen kann.
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Der Kläger benötigt jedoch zur Überzeugung der Kammer sein Kfz, um sämtliche Ärzte aufsuchen zu können, durch die er sich behandeln lassen muss. Auf Grund seiner Behinderung ist der Kläger auf die Behandlung durch einen Orthopäden angewiesen. Ein solcher befindet sich aber nicht vor Ort. Vielmehr fährt der Kläger regelmäßig zu Behandlungen nach L. (Isar). Auch nach L. (Isar) fährt zwar ebenfalls werktäglich mehrfach am Nachmittag die Buslinie 0. Würde man den Kläger insoweit auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel verweisen, dann wäre der Kläger jedoch ungleich stärker zeitlich eingeschränkt als bei seinen Einkäufen. Denn der Kläger wäre darauf angewiesen, dass er zu den Zeiten, zu denen der Bus fährt, auch einen Termin in der Arztpraxis bekommt. Für den Fall, dass er akute fachärztliche Hilfe benötigt, wäre er darauf angewiesen, dass zu dieser Zeit auch ein Bus fährt. In Anbetracht seiner gesundheitlichen Situation kann der Kläger auf eine Busverbindung, die regelmäßig lediglich in den Nachmittagsstunden verkehrt, zur Überzeugung der Kammer nicht verwiesen werden.
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Diese Beiträge können allerdings nicht in jedem Monat vom Einkommen des Klägers abgesetzt werden, sondern nur in den Monaten, in welchen sie tatsächlich und rechtlich anfallen. Eine Aufteilung der Kosten für abzugsfähige Versicherungen auf mehrere Monate ist hingegen nicht vorzunehmen, weil es insoweit an einer rechtlichen Grundlage fehlt (BSG, Urteil vom 04.04.2019, B 8 SO 10/18 R Rn. 23; Bay. LSG, Urteil vom 20.06.2017, L 8 SO 8/13 Rn. 101). Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass im Januar 2019 ein Betrag in Höhe von 18,90 Euro vom Einkommen des Klägers abzusetzen ist, im Januar 2020 ein Betrag in Höhe von 21,10 Euro. In den übrigen Monaten sind Beiträge zur Kfz-Haftpflichtversicherung mangels Fälligkeit nicht vom Einkommen des Klägers abzusetzen.
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Darüber hinaus sind nach § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 SGB XII die Beiträge des Klägers zur privaten Haftpflichtversicherung und zur Hausratversicherung in jedem Monat der Fälligkeit vom Einkommen des Klägers abzusetzen. Auch insoweit kommt entgegen der Vorgehensweise des Beklagten eine Aufteilung auf mehrere Monate nicht in Betracht. Dies hat zur Folge, dass die Beiträge zur privaten Haftpflichtversicherung im Oktober 2018 mit einem Betrag von 45,79 Euro einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, im Oktober 2019 mit einem Betrag von 48,54 Euro. Die Beiträge zur Hausratversicherung sind im Juli 2019 mit einem Betrag von 54,59 Euro vom Einkommen abzusetzen.
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Eine Rechtsgrundlage für die Absetzung der Kontoführungsgebühr vom Einkommen des Klägers besteht zur Überzeugung der Kammer nicht. Insbesondere stellt § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 SGB XII keine Rechtsgrundlage dar. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass er ein Girokonto vorhalten muss, damit seine Erwerbsminderungsrente ausgezahlt wird, führt dies nicht dazu, dass die Kontoführungsgebühr vom Einkommen des Klägers abzusetzen ist. Denn § 82 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 SGB XII stellt eine Rechtsgrundlage dar für die Absetzung von Ausgaben, die mit der Erzielung des Einkommens notwendig verbunden sind, nicht für die Absetzung von Ausgaben, die mit der Auszahlung des Einkommens notwendig verbunden sind. Das Vorhalten eines Girokontos stellt aber keine Voraussetzung für die Erzielung der Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit dar, sondern allenfalls für deren Auszahlung (LSG NRW, Urteil vom 22.06.2017, L 9 SO 218/15 Rn. 30 – juris).
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Aus den vorstehenden Gründen steht dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum also folgender Leistungsanspruch zu:
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Im Oktober 2018 errechnet sich ein Leistungsanspruch des Klägers in Höhe von 268,65 Euro (Bedarf von 826,72 Euro abzüglich Renteneinkommen in Höhe von 555,99 Euro und Erwerbseinkommen in Höhe von 121,09 Euro, hiervon abzusetzen sind der Erwerbstätigenfreibetrag in Höhe von 52,80 Euro, die Aufwendungen für Arbeitsmittel in Höhe von 5,20 Euro, der Beitrag zur privaten Unfallversicherung in Höhe von 15,22 Euro sowie der Beitrag zur privaten Haftpflichtversicherung in Höhe von 45,79 Euro). Mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2020 wurden dem Kläger für diesen Monat 233,57 Euro (= 217,10 Euro + 16,47 Euro) bewilligt. Es errechnet sich somit eine vom Beklagten an den Kläger zu leistende Nachzahlung von 35,08 Euro.
53
Im Januar 2019 errechnet sich ein Leistungsanspruch des Klägers in Höhe von 298,67 Euro (Bedarf von 836,08 Euro abzüglich Renteneinkommen in Höhe von 556,31 Euro, hiervon abzusetzen ist der Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 18,90 Euro). Mit Änderungsbescheid vom 11.07.2019 wurden dem Kläger für diesen Monat 287,71 Euro bewilligt. Es errechnet sich somit eine vom Beklagten an den Kläger zu leistende Nachzahlung von 10,96 Euro.
54
Im Juli 2019 errechnet sich ein Leistungsanspruch des Klägers in Höhe von 325,53 Euro (Bedarf von 846,08 Euro abzüglich Renteneinkommen in Höhe von 575,14 Euro, hiervon abzusetzen ist der Beitrag zur Hausratversicherung in Höhe von 54,59 Euro). Durch den Beklagten wurden dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 11.07.2019 für diesen Monat 279,31 Euro bewilligt. Es errechnet sich somit eine vom Beklagten an den Kläger zu leistende Nachzahlung von 46,22 Euro.
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Im Oktober 2019 errechnet sich ein Leistungsanspruch des Klägers in Höhe von 319,48 Euro (Bedarf von 846,08 Euro abzüglich Renteneinkommen in Höhe von 575,14 Euro, hiervon abzusetzen ist der Beitrag zur privaten Haftpflichtversicherung in Höhe von 48,54 Euro). Durch den Beklagten wurden dem Kläger mit Änderungsbescheid vom 11.07.2019 für diesen Monat 279,31 Euro bewilligt. Es errechnet sich somit eine vom Beklagten an den Kläger zu leistende Nachzahlung von 40,17 Euro.
56
Im Januar 2020 errechnet sich ein Leistungsanspruch des Klägers in Höhe von 301,40 Euro (Bedarf von 855,44 Euro abzüglich Renteneinkommen in Höhe von 575,14 Euro, hiervon abzusetzen ist der Beitrag zur Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 21,10 Euro). Mit Bescheid vom 05.02.2020 hat der Beklagte dem Kläger für diesen Monat 288,67 Euro bewilligt. Es errechnet sich somit eine vom Beklagten an den Kläger zu leistende Nachzahlung von 12,73 Euro.
57
In den übrigen Monaten hat der Beklagte dadurch, dass die Versicherungsbeiträge des Klägers jeweils auf einen Monatsbetrag umgerechnet hat, höhere Leistungen bewilligt, als sie dem Kläger bei richtiger Leistungsberechnung zustünden. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII sind monatsweise zu errechnen. In den Monaten, in denen dem Kläger zu hohe Leistungen bewilligt wurden, gilt das Verbot der reformatio in peius. Es findet keine Saldierung zu hoher Leistungen in einzelnen Monaten mit zu niedrigen Leistungen in anderen Monaten statt.
58
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG. Im Rahmen der Kostenentscheidung ist über die Kosten des Widerspruchs vom 12.08.2019 gegen den Bescheid vom 11.07.2019 mitzuentscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2010, B 13 R 15/10 R Rn. 23 – juris). Im Hinblick darauf, dass der Beklagte durch die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrungim Bescheid vom 11.07.2019 Veranlassung zur Erhebung des Widerspruchs durch den Kläger gegeben hat, erscheint es angemessen, dem Beklagten die Hälfte der notwendigen Aufwendungen des Klägers für dieses Widerspruchsverfahren aufzuerlegen.
59
Die Berufung ist im vorliegenden Fall nach § 144 Absatz 1 Satz 2 SGG unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstands statthaft, weil um laufende Leistungen für mehr als ein Jahr gestritten wird.