Titel:
Rabatt-Freibetrag für Stromdeputat - Nachträgliche Änderung der Verwaltungsauffassung
Normenketten:
EStG § 8 Abs. 3 S. 2
AO § 163, § 173 Abs. 1 Nr. 2
Schlagworte:
Rabatt-Freibetrag nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG für Stromdeputat, Änderungsmöglichkeit bezüglich bestandskräftigen Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO, Voraussetzung Rechtserheblichkeit der neuen Tatsache, Nachträgliche Änderung der Verwaltungsauffassung, Arbeitgeber, Billigkeitsgründe, grobes Verschulden, Änderung von Steuerbescheiden, Kenntnis
Fundstelle:
BeckRS 2020, 64011
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Streitig ist, ob die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide der Jahre 2013 bis 2016 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) zu korrigieren sind.
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Die Kläger sind Eheleute und wurden in den Streitjahren zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Neben gemeinsamen Kapitaleinkünften erzielte der Kläger Renteneinkünfte sowie Versorgungsbezüge aus seiner früheren Tätigkeit bei dem Werk A bzw. Werk B, vormals YX AG. Daneben wurde ihm aus diesem Anstellungsverhältnis ein Preisnachlass auf den von ihm bezogenen und verbrauchten Heizstrom gewährt (Stromdeputat). Der Kläger hatte seinen Strom in den Jahren zuvor unmittelbar von seinem ehemaligen Arbeitgeber bezogen und den geldwerten Vorteil aus dem verbilligten Strombezug bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (Versorgungsbezüge) unter Berücksichtigung des Rabattfreibetrags von 1.080 € nach § 8 Abs. 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) versteuert. Seit einer internen Umstrukturierung ist das Werk B grundsätzlich Netzbetreiber und der Kläger bezog nunmehr den verbilligten Strom von einer Tochtergesellschaft.
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Mit Schreiben vom 15. Oktober 2012 teilte das Finanzamt (FA) R. der XY AG mit, dass der Rabattfreibetrag gemäß § 8 Abs. 3 EStG für ehemalige Mitarbeiter der XY AG nicht mehr gewährt könne. Die Gewährung des Rabattfreibetrags setze voraus, dass die erhaltenen Waren oder Dienstleistungen vom Arbeitgeber vertrieben, hergestellt oder erbracht würden. Da die ehemaligen Mitarbeiter der XY AG bei der internen Umstrukturierung des Konzerns bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber verblieben seien, die XY AG aber nach der Umstrukturierung selbst keinen Strom mehr herstelle, fehle es nach Auffassung der Finanzverwaltung an der Tatbestandsvoraussetzung der Herstellung, Erbringung oder des Vertriebs der betreffenden Ware oder Dienstleistung durch den Arbeitgeber.
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Daraufhin wurde erstmals im Einkommensteuerbescheid 2012 die Einkommensteuer ohne Berücksichtigung des Rabattfreibetrags von 1.080 € festgesetzt. Hiergegen hatte der Kläger zunächst Einspruch eingelegt, diesen aber schließlich zurückgenommen, nachdem das Werk B mit Schreiben vom 17. Dezember 2014 mitgeteilt hatte, dass das FA R. den Einspruch gegen die ablehnende Auskunft aus dem Jahr 2012 zurückgewiesen habe und der Rabattfreibetrag bei der Versteuerung des geldwerten Vorteils nun endgültig nicht mehr berücksichtigt werden dürfe. Gegen die Einkommensteuerbescheide für 2013 vom 21. August 2014, für 2014 vom 6. August 2015, für 2015 vom 4. August 2016 und für 2016 vom 7. August 2017 in denen die Einkommensteuer ebenfalls ohne Abzug des Rabattfreibetrags festgesetzt worden war, legte der Kläger keinen Einspruch ein. Diese wurden bestandskräftig.
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Infolge vieler Anfragen von Wohnsitzfinanzämtern, bei denen (ehemalige) Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung die Berücksichtigung des Rabattfreibetrags begehrten, gab das Bayerische Landesamt für Steuern (BayLfSt) Ertragsteuer Fach-Info vom 10. Dezember 2014 mit Änderungen vom 13. März 2015, vom 18. August 2016, vom 2. November 2016 und vom 10. August 2017 heraus, auf die hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen wird.
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Mit an den Kläger gerichtetem Schreiben vom November 2017 teilte die E GmbH mit, dass die Finanzverwaltung ihre Auffassung über die Bewertung des geldwerten Vorteils aus verbilligt abgegebenem Strom an (ehemalige) Mitarbeiter des Werks B geändert habe und künftig die Rabattfreibetragsregelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG wieder Anwendung finden dürfe. Durch die neue Regelung des BayLfSt bestünde zudem die Möglichkeit, den Rabattfreibetrag auch für die vergangenen Jahre rückwirkend geltend zu machen. Daraufhin widersprach der Kläger durch Vorsprache im FA am 28. Juni 2018 der erklärten Rücknahme seines Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 und beantragte mit Schreiben vom 18. Juli 2018 die Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2012 bis 2016.
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Für 2012 entsprach das FA dem Antrag und änderte den Einkommensteuerbescheid aus Billigkeitsgründen, weil der Einspruch aufgrund einer Aufforderung des FA zurückgenommen worden war. Eine Änderung der ebenfalls bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für 2013 bis 2016 lehnte das FA hingegen mit Schreiben vom 2. Juli 2018 ab, da die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO nicht vorlägen.
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Die hiergegen eingelegten Einsprüche wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 22. Januar 2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte das FA im Wesentlichen an, dass auch eine neue Tatsache die Änderung eines Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nur rechtfertigen könne, wenn sie rechtserheblich sei. Diese Voraussetzung sei vorliegend nicht erfüllt, da das FA bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsachen schon bei der ursprünglichen Veranlagung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung gelangt wäre. Nach der damals bestehenden Weisungslage wäre der Rabattfreibetrag nicht zu gewähren gewesen. Erst seit 2018 halte die vorgesetzte Dienstbehörde eine andere Auslegung der Verwaltungsvorschriften für angezeigt. Deshalb habe offenen Rechtsbehelfen abgeholfen bzw. im Falle eines auf Aufforderung des FA zurückgenommenen Einspruchs der bestandskräftige Steuerbescheid im Billigkeitswege geändert werden können.
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Ihre hiergegen gerichtete Klage begründen die Kläger im Wesentlichen wie folgt: Es bestehe ein Anspruch auf Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2013 bis 2016. Zwar habe das FA eine Änderung abgelehnt, es habe aber in seiner Einspruchsentscheidung selbst anerkannt, dass es sich vorliegend um eine neue Tatsache handele. So werde die steuerrechtliche Beurteilung eines Sachverhalts dann ebenfalls als Tatsache angesehen, wenn sie in einem anderen, abgesonderten steuerrechtlichen Verfahren zu erfolgen habe. Im Streitfall habe die Finanzverwaltung ihre unzutreffende Rechtsauffassung nachträglich geändert. Die interne Rechtsauffassung der Finanzverwaltung und die hieraus resultierende Weisungslage entfalte keine Bindungswirkung für den einzelnen Steuerbürger. Ein Abänderungsanspruch ergebe sich ferner aus § 163 AO. Der Kläger habe durch die Rücknahme des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid für 2012 und die Nichteinlegung von Einsprüchen gegen die Einkommensteuerbescheide für 2013 bis 2016 Dispositionen getroffen, die nunmehr nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Der Abänderungsanspruch folge in diesem Falle aus dem Gebot der Gerechtigkeitsidee als besondere Ausformung des Rechtsstaatsprinzips.
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In Beantwortung des richterlichen Hinweises vom 26. November 2019 haben die Kläger mit Schreiben vom 21. Januar 2020 auf das Urteil des Finanzgerichts (FG) München vom 30. Mai 2016 7 K 532/15 und das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) VI ZR 144/13 vom 25. Februar 2014 hingewiesen und ergänzend vorgetragen, dass danach der Arbeitnehmer bei der Versteuerung des geldwerten Vorteils einen Anspruch auf den Rabattfreibetrag habe, wenn der Arbeitgeber als Stromnetzbetreiber bei wertender Betrachtung als Hersteller der vom Arbeitnehmer bezogenen Ware Strom anzusehen sei. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung sei ihnen indes nicht möglich, da es sich hierbei um verwaltungsinterne Anweisungen handele, die den Klägern nicht zugänglich seien.
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Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 2. Juli 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Januar 2019 das FA zu verpflichten, die Einkommensteuerbescheide für 2013 vom 21. August 2014, für 2014 vom 6. August 2015, für 2015 vom 4. August 2016 und für 2016 vom 7. August 2017 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um den Rabattfreibetrag in Höhe von 1.080 € gemindert werden und die Einkommensteuer für 2013 bis 2016 entsprechend herabgesetzt wird;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Zur Klageerwiderung verweist das FA im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und hebt ergänzend hervor, dass zwar eine neue Tatsache vorliege, diese aber aufgrund der damals bestehenden Weisungslage keine rechtliche Relevanz entfalte.
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In Beantwortung des richterlichen Hinweises vom 26. November 2019 hat das FA ergänzend vorgetragen, dass laut der am 10. August 2017 aktualisierten Fassung des o.a. Fach-Info weitere Unterlagen vorgelegt worden seien, nach denen nun der Rabattfreibetrag zu gewähren sei. Aus den beigefügten Fach-Info und dem Email-Verkehr gehe hervor, dass das Landesamt ursprünglich der Auffassung gewesen sei, der Rabattfreibetrag sei nicht zu gewähren. Diese Auffassung habe auch nach dem von den Klägern zitierten Urteil des FG München vom 30. Mai 2016 7 K 532/15 noch bestanden, da das Urteil ausdrücklich nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus angewendet werden sollte. Erst mit der Aktualisierung der Fach-Info vom 10. August 2017 habe das Landesamt seine Auffassung geändert. Darüber hinaus hat das FA auf das zu einem gleichgelagerten Sachverhalt beim FG Nürnberg anhängige Verfahren 6 K 212/19 hingewiesen, über das nunmehr mit Urteil vom 30. April 2020 entschieden worden ist.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und die vorgelegten Akten verwiesen.
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Auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2020 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet. Zu Recht hat das FA eine Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2016 abgelehnt, da die Voraussetzungen für eine Änderung nach der einzig in Betracht kommenden Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht vorliegen. Das FA wäre im Streitfall bei Erlass der zu ändernden Einkommensteuerbescheide trotz Kenntnis der entscheidungserheblichen Tatsachen wegen der bestehenden Verwaltungsanweisungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Entscheidung gelangt und hätte den begehrten Rabattfreibetrag nicht gewährt.
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1. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
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a) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob es sich bei dem Umstand, dass das Werk B als örtlicher Netzbetreiber nunmehr auch von der Finanzverwaltung bei wertender Betrachtung als Hersteller der vom Arbeitnehmer bezogenen Ware Strom angesehen wird, weil es selbst regenerativ erzeugten Strom und von den Erzeugern eingespeisten Strom aufgrund gesetzlicher Verpflichtung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zum Weiterverkauf ankauft und im Wesentlichen diesen beschafften Strom an den Übertragungsnetzbetreiber vertreibt, um eine dem FA nachträglich bekannt gewordene Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO handelt. Gleiches gilt hinsichtlich des nachträglich bekannt gewordenen Umstands, dass der Rabatt für den verbilligten Mitarbeiterstrom aufgrund der internen Verrechnung im Ergebnis von dem Werk B getragen wird.
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b) Denn auch bei rechtzeitiger Kenntnis dieser Umstände wäre das FA bei der ursprünglichen Veranlagung zu keiner niedrigeren Steuer gelangt.
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aa) Seit dem Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. November 1987 GrS 1/86 (BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180) vertritt die höchstrichterliche Finanzrechtsprechung die Auffassung, dass ein Steuerbescheid wegen nachträglich bekannt gewordener Tatsachen oder Beweismittel zugunsten des Steuerpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden darf, wenn das FA bei ursprünglicher Kenntnis der Tatsachen oder Beweismittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anders entschieden hätte (BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180; z.B. BFH-Urteile vom 9. August 1989 X R 7/84, BFH/NV 1990, 613; vom 22. April 2010 VI R 40/08, BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951). Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO scheidet hingegen aus, wenn die Unkenntnis der später bekanntgewordenen Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung nicht ursächlich (rechtserheblich) gewesen ist, weil das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Tatsache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu keiner anderen Steuer gelangt wäre (grundlegend BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180; nachfolgend z.B. BFH-Beschluss vom 10. Oktober 2007 VI B 48/06, BFH/NV 2008, 191).
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Rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 AO ist nämlich nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung, sondern der Umstand, dass das FA bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist. Demnach ist die nachträgliche Berücksichtigung neuer Tatsachen und Beweismittel strikt von der Korrektur von Rechtsfehlern abzugrenzen. Das Kriterium der Rechtserheblichkeit (Kausalität) der neuen Tatsache bei der ursprünglichen Veranlagung schließt es demnach aus, dass die Beteiligten des Steuerschuldverhältnisses mit Hilfe eines Änderungsbescheids eine neue Tatsache zum bloßen Anlass nehmen, ihre geläuterte Rechtsansicht nachträglich durchzusetzen (vgl. eingehend BFH-Beschluss in BFHE 151, 495, BStBl II 1988, 180). Es dürfen daher nicht rechtliche Erwägungen die eigentliche Ursache für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids sein (BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 117/95, BFH/NV 1997, 853). Der Gesetzgeber hat vielmehr dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit in solchen Fällen Vorrang vor der materiellen Richtigkeit der ergangenen Verwaltungsentscheidung eingeräumt (BFH-Urteil in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951). Hält der Steuerpflichtige die vom FA vertretene Rechtsauffassung für unrichtig, so hat er die Möglichkeit, den Bescheid außergerichtlich oder gerichtlich anzufechten. Macht er von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, muss er grundsätzlich hinnehmen, dass ein Bescheid auch bei späterer Änderung der Rechtserkenntnis unabänderbar bleibt (BFH-Urteil in BFH/NV 1990, 613).
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bb) Maßgebend für die Frage der Rechtserheblichkeit einer neuen Tatsache oder eines neuen Beweismittels ist grundsätzlich der Zeitpunkt, in dem die Willensbildung des FA über die Steuerfestsetzung abgeschlossen wird, d.h. im Normalfall der Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung des Eingabewertbogens oder der Verfügung zum Steuerbescheid (BFH-Urteil in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951).
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cc) Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das FA die dem Sachverhalt entsprechende zutreffende Entscheidung getroffen hätte (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli 1998 II R 39/96, BFH/NV 1999, 154). Wie das FA bei Kenntnis bestimmter Tatsachen und Beweismittel einen Sachverhalt in seinem ursprünglichen Bescheid gewürdigt hätte, ist im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des BFH ausgelegt wurde, und den die FÄ bindenden Verwaltungsanweisungen zu beurteilen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das FA gegolten haben (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteile in BFH/NV 1990, 613; vom 25. Juli 2001 VI R 82/96, BFH/NV 2001, 1533 und in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951).
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Liegen unmittelbar zu der umstrittenen Rechtslage weder eine Rechtsprechung des BFH noch bindende Verwaltungsanweisungen vor, ist aufgrund anderer Umstände abzuschätzen, wie das FA in Kenntnis des vollständigen Sachverhalts entschieden hätte (vgl. auch BFH-Urteil vom 10. März 1999 II R 99/97, BFHE 188, 276, BStBl II 1999, 433). Hierzu zählen beispielsweise das Vorgehen der Finanzbehörden in Parallelverfahren (BFH-Urteil in BFH/NV 1990, 613), interne Schreiben und Mitteilungen (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 853) wie etwa eines Landesfinanzministeriums an den Bundesminister (BFH-Urteile vom 15. Dezember 1999 XI R 22/99, BFH/NV 2000, 818, und XI R 38/99, BFH/NV 2000, 820). Deshalb ist das Gericht bei der Ermittlung der Verwaltungsauffassung auch nicht an bestimmte Beweismittel gebunden (BFH-Urteile in BFH/NV 2000, 818 und in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951). Das mutmaßliche Verhalten des einzelnen Sachbearbeiters und seine individuellen Rechtskenntnisse sind hingegen ohne Bedeutung (BFH-Urteil in BFHE 229, 57, BStBl II 2010, 951).
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dd) Nach diesen Grundsätzen hat das FA die Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2016 zu Recht abgelehnt. Für den Streitfall ist davon auszugehen, dass das FA auch bei rechtzeitiger Kenntnis der Umstände, dass das Werk B wegen seiner sich aus dem EEG ergebenden Verpflichtung am Strommarkt teilnimmt und im Ergebnis aufgrund der Verrechnungsregeln den Rabatt trägt, den Rabattfreibetrag nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG im Zeitpunkt des Erlasses der Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2016 am 21. August 2014 (2013), am 6. August 2015 (2014), am 4. August 2016 (2015) und am 7. August 2017 (2016) nicht gewährt hätte. Damit fehlt es an der für eine Änderung dieser Bescheide notwendigen Rechtserheblichkeit der Tatsachen. Der Senat schließt sich insoweit der vom FG Nürnberg im Urteil vom 30. April 2020 6 K 212/19 vertretenen Rechtsauffassung an.
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(1) Einnahmen sind nach § 8 Abs. 1 EStG alle Güter, die in Geld oder Geldeswert bestehen und dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG zufließen. Erhält ein Arbeitnehmer auf Grund seines Dienstverhältnisses Waren oder Dienstleistungen, die vom Arbeitgeber nicht überwiegend für den Bedarf seiner Arbeitnehmer hergestellt, vertrieben oder erbracht werden und deren Bezug nicht nach § 40 pauschal versteuert wird, so gelten nach § 8 Abs. 3 Satz 1 EStG als deren Werte abweichend vom Absatz 2 die um 4 Prozent geminderten Endpreise, zu denen der Arbeitgeber oder der dem Abgabeort nächstansässige Abnehmer die Waren oder Dienstleistungen fremden Letztverbrauchern im allgemeinen Geschäftsverkehr anbietet. Die sich nach Abzug der vom Arbeitnehmer gezahlten Entgelte ergebenden Vorteile sind nach § 8 Abs. 3 Satz 2 EStG steuerfrei, soweit sie aus dem Dienstverhältnis insgesamt 1.080 € im Kalenderjahr nicht übersteigen.
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(2) Der BFH hat die Regelung des § 8 Abs. 3 EStG stets so ausgelegt, dass sie ausschließlich für solche Zuwendungen gilt, die der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses gewährt. Für Vorteile von Dritten greift die Steuerbegünstigung hiernach selbst dann nicht ein, wenn die Dritten – wie etwa konzernzugehörige Unternehmen – dem Arbeitgeber nahe stehen (vgl. BFH-Urteile vom 15. Januar 1993 VI R 32/92, BFHE 170, 190, BStBl II 1993, 356; vom 1. Oktober 2009 VI R 22/07, BFHE 226, 339, BStBl II 2010, 204 und vom 26. April 2018 VI R 39/16, BFHE 261, 485, BStBl II 2019, 286). Der Vorteil muss dem Arbeitnehmer daher von seinem eigenen Arbeitgeber gewährt werden; bei der Zuwendung kann sich der Arbeitgeber aber Dritter bedienen, wenn sie in seinem Auftrag und für seine Rechnung tätig werden (eingehend hierzu zuletzt BFH-Urteil in BFHE 261, 485, BStBl II 2019, 286). Ferner muss der Arbeitgeber die Waren oder Dienstleistungen grundsätzlich als eigene herstellen, vertreiben oder erbringen, er muss mithin mit den Waren bzw. Dienstleistungen, die er den Arbeitnehmern unentgeltlich oder verbilligt gewährt, selbst am Markt in Erscheinung treten (BFH-Urteile in BFHE 226, 339, BStBl II 2010, 204 und in BFHE 261, 485, BStBl II 2019, 286). Ausreichend ist aber, wenn der Arbeitgeber die Ware (lediglich) vertreibt.
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Hersteller einer Ware oder Erbringer einer Dienstleistung i.S. des § 8 Abs. 3 EStG ist danach sowohl der Arbeitgeber, der den Gegenstand oder die Dienstleistung selbst produziert oder erbringt, als auch derjenige, der sie auf eigene Kosten nach seinen Vorgaben von einem anderen produzieren oder erbringen lässt oder einen derart gewichtigen Beitrag zur Herstellung oder Erbringung leistet, dass bei wertender Betrachtung die Annahme der Hersteller- oder Erbringereigenschaft gerechtfertigt erscheint (BFH-Urteile in BFHE 226, 339, BStBl II 2010, 204 und in BFHE 261, 485, BStBl II 2019, 286).
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(3) In seinem Urteil vom 30. Mai 2016 7 K 532/15 kam das FG München zu dem Schluss, dass der dortige Arbeitgeber bei wertender Betrachtung des Gewichts des Beitrags am Herstellungsprozess als Hersteller i.S. des § 8 Abs. 3 EStG anzusehen und der Rabatt-Freibetrag daher zu gewähren sei.
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(4) Zur Beurteilung der im Zeitpunkt der Steuerbescheide geltenden Verwaltungsauffassung ist zunächst R. 8.2. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 2008 vom 10. Dezember 2007 (BStBl I 2007, Sondernummer 1/2007), geändert durch Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Lohnsteuer-Richtlinien 2008 (LStÄR) vom 23. November 2010 (BStBl I 2010, 1325) heranzuziehen. Danach ist „auf Sachbezüge, die der Arbeitnehmer nicht unmittelbar vom Arbeitgeber erhält, § 8 Abs. 3 EStG grundsätzlich nicht anwendbar“.
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Daneben sind im Streitfall die im jeweiligen Erlasszeitpunkt geltenden Fassungen der Ertragsteuer Fach-Info des BayLfSt als das FA bindende Verwaltungsanweisungen anzusehen. So waren vom FA für den Erlass der Einkommensteuerbescheide 2014 am 6. August 2015 und 2015 am 4. August 2016 die Ertragsteuer Fach-Info vom 10. Dezember 2014 mit Änderung vom 13. März 2015, für den Erlass des Einkommensteuerbescheids 2016 am 7. August 2017 zudem die Änderungen vom 18. August 2016 und vom 2. November 2016 zu beachten. Diese als Ertragsteuer Fach-Info bezeichneten allgemeinen Äußerungen des BayLSt enthalten nicht lediglich Informationen für das dem BayLSt nachgeordnete FA, sondern weisen die FÄ für die hier besprochenen Fragen an.
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Inhaltlich haben sie den Zweck, die Frage der Bewertung des geldwerten Vorteils aus verbilligt abgegebenem Strom für die Wohnsitz-FÄ der betroffenen Arbeitnehmer und damit auch für den Kläger einheitlich zu regeln. Danach sah die Finanzverwaltung, wie sich jeweils aus Punkt 3 „rechtliche Würdigung“ der Ertragsteuer Fach-Info ergibt, „im Fall der (ehemaligen) Mitarbeiter des Werks B, vormals XY AG, die Voraussetzungen für die Anwendung des § 8 Abs. 3 EStG nicht“ als erfüllt an, weil dieser Arbeitgeber den verbilligt abgegebenen Strom weder herstelle noch vertreibe. Es handele sich vorliegend um einen als Lohn zu beurteilenden Vorteil von einem Dritten. Eine überbetriebliche Rabattgewährung innerhalb eines Konzernverbundes sei mangels entsprechender Konzernklausel in § 8 Abs. 3 EStG steuerlich nicht berücksichtigt. Die Bewertung des geldwerten Vorteils sei entsprechend der Behandlung im Lohnsteuerabzugsverfahren ab 2011 nach § 8 Abs. 2 EStG (insb. ohne Rabatt-Freibetrag“) vorzunehmen.
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(5) Selbst wenn das FA im Zeitpunkt der Bescheiderlasse Kenntnis davon gehabt hätte, dass das Werk B letztlich über die Verrechnungsregeln den Rabatt getragen und selbst regenerativ erzeugten Strom am Markt vertrieben hat, hätte es nach den zu diesem Zeitpunkt noch geltenden Ertragsteuer Fach-Info den Rabattfreibetrag nicht gewährt. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des FG Nürnberg im Urteil vom 30. April 2020 6 K 212/19 an. Danach ist die Finanzverwaltung – auch nach dem Urteil des FG München vom 30. Mai 2016 7 K 532/15 – weiterhin davon ausgegangen, dass es sich bei dem Stromdeputat um einen als Lohn zu beurteilenden Vorteil von einem Dritten handele. Die Finanzverwaltung hat sich der wertenden Betrachtung des FG München zunächst nicht angeschlossen. Insbesondere die Ausführungen in den Fassungen der Ertragssteuer Fach-Info vom 18. August 2016 und vom 2. November 2016 als Reaktion auf die Klagen und anschließenden Urteile des FG München zeigen die im Zeitpunkt der Bescheiderlasse unveränderte Weisungslage in Bezug auf die Versagung des Rabattfreibetrags. So stellte das BayLfSt unter Punkt 5 „Änderungen“ in der Ertragsteuer Fachinfo vom 18. August 2016 ausdrücklich klar, dass die Finanzverwaltung (weiterhin) der Auffassung sei, dass § 8 Abs. 3 EStG keine Anwendung finde. Daher seien die Entscheidungen des FG München nicht über die entschiedenen Einzelfälle hinaus anzuwenden.
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(6) Erst mit der Ertragsteuer Fach-Info in der Fassung vom 10. August 2017 änderte die Finanzverwaltung ihre Rechtsauffassung. Unter Punkt 3 wird hierzu ausgeführt, dass gemäß R 8.2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 LStR der Rabatt-Freibetrag grundsätzlich (auch weiterhin) nicht zu gewähren wäre, weil die Arbeitnehmer den verbilligten Strom nicht unmittelbar vom Arbeitgeber (Werk B), sondern von einem Dritten erhielten (E AG). Gleichwohl sei in entsprechender Anwendung des Anhang 18, Tz. 18.4.6 der Prüferanleitung für den Lohnsteuer-Außendienst 2017 der Rabatt-Freibetrag nach 8 Abs. 3 EStG für verbilligt abgegebenen Strom an Arbeitnehmer des Werks B zu gewähren, da der Rabatt für den verbilligten Mitarbeiterstrom durch interne Verrechnung ausschließlich und regelmäßig in voller Höhe von dem Werk B getragen werde. R 8.2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 LStR stehe dem nicht entgegen, da hier nur der Grundsatz geregelt sei, von dem unter gewissen Voraussetzungen Ausnahmen möglich seien.
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(7) Diese Änderung ist indes für den Streitfall bereits deshalb ohne Belang, da sie zeitlich nach Erlass der Einkommensteuerbescheide ergangen ist. Im Zeitpunkt des Erlasses der Einkommensteuerbescheide 2013 bis 2016 hätte das FA ausgehend von der oben beschriebenen Weisungslage, dass es sich gleichwohl um einen Vorteil von einem Dritten handele, auch bei Kenntnis der später eingereichten Unterlagen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht anders entschieden und die Gewährung des Rabatt-Freibetrags versagt. Zum anderen sind letztlich nicht Tatsachen die Ursache der geänderten Ertragsteuer Fach-Info, sondern die rechtliche Bewertung des Sachverhalts und damit rechtliche Erwägungen.
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Eine Korrektur der Steuerbescheide nach § 173 AO scheidet daher aus.
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2. Soweit die Kläger auf die Möglichkeit einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO verweisen, weist der Senat darauf hin, dass ihm eine Entscheidung im vorliegenden Verfahren verwehrt ist. Die Steuerfestsetzung nach § 155 AO und die Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO sind zwei verschiedene Streitgegenstände, über die in verschiedenen Verfahren zu entscheiden ist (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. u.a. BFH-Urteile vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297; vom 18. November 1998 X R 110/95, BFHE 187, 488, BStBl II 1999, 225, unter II.3. der Gründe und vom 21. Januar 2004 VIII R 15/02, BFH/NV 2004, 910).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO gegeben ist.