Titel:
Abschalteinrichtung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Nutzungsentschädigung, Klagepartei, Beweisbelastete Partei, Sekundäre Darlegungslast, Darlehensverträge, Diesel-Skandal, Anspruchsgrundlage, Unzulässigkeit, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Anhörungsverfahren, Kostenentscheidung, Substantiierter Vortrag, Zug-um-Zug, Digitale Infrastruktur, Außergerichtliche Rechtsverfolgung, Bestimmte Fahrzeuge, Deliktischer Anspruch, Basiszinssatz
Schlagworte:
Begründetheit der Klage, Vertragliche Beziehungen, Deliktische Haftung, Darlegungs- und Beweislast, Thermofenster, Vorsatz, Drittschutz
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 31.05.2021 – 21 U 5477/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 01.02.2024 – VII ZR 688/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 63961
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 57.300,00 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger möchte als Erwerber eines Audi A6 Avant 3.0 TDI EURO 5 (Fahrgestellnummer: …61), die Beklagte im Zuge des sogenannten „Dieselskandals“ in Anspruch nehmen.
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Der Kläger erwarb am 08.03.2013 bei der ..., zu einem Kaufpreis von 57.300,00 € den streitgegenständlichen Pkw. Der Kaufpreis wurde teilfinanziert über die ... Bank. Diese Finanzierung endete mit der Zahlung der Schlussrate in Höhe von 22.781,72 € am 01.03.2017. Die Schlussrate wurde durch ein weiteres Darlehen vom 18.01.2017 finanziert. Hierauf leistet der Kläger fortlaufend monatliche Raten in Höhe von 331,70 Euro. Der Kilometerstand des Fahrzeuges bei Kauf betrug 12.200. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 26.05.2020 betrug der Kilometerstand 75.904.
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In der Software dieses Fahrzeugs ist ein sogenanntes „Thermofenster“ integriert, das bewirkt, dass die Abgasrückführungsrate in bestimmten Temperaturbereichen abgeschaltet bzw. reduziert wird und der Ausstoß an Stickoxiden höher ist.
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Am 29.11.2019 versandte das KBA ein Anhörungsschreiben für bestimmte Fahrzeuge des Typs Audi A 6 3,0 TDI EURO 5 mit 180 KW wegen deren Emissionsverhaltens an die Beklagte.
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Der Kläger behauptet, das Fahrzeug verfüge über den Motor EA897. Er behauptet weiter, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge – zusätzlich zum Thermofenster – über diverse unzulässige Abschalteinrichtungen, wie sie im Zuge des sogenannten Dieselskandals bekannt geworden seien, die bewirken, dass die Schadstoffwerte des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter realen Bedingungen weitaus höher seien als auf dem Prüfstand. Der verwendete Motor verfüge über eine doppelte Abschalteinrichtung. Zum einen würden über eine höhere Abgasrückführungsquote nur für den Rollenprüfstand die Stickstoffdioxidwerte gemindert und zum anderen finde eine Leistungsreduzierung statt, um den Verbrauch und damit die streitgegenständlichen CO₂-Werte deutlich zu senken. In einem weiteren Schriftsatz trägt der Kläger vor, es finde die sogenannte „Aufwärmstrategie“ Verwendung. Jedenfalls liege ein Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (im weiteren KBA) bzgl. einer Überarbeitung der Motorsteuerungssoftware im Hinblick auf den NOx-Ausstoß vor, welcher als „freiwillig“ kaschiert werde. Zum 21.02.20 habe das KBA darüber hinaus einen weiteren Rückruf für alle Fahrzeuge der Modelle A 6 der Baujahre 2010 – 2015 mit dem identischen Motor EURO 5 veröffentlicht. Der Kläger verweist hierzu auf einen Auszug aus der Rückrufdatenbank des Kraftfahrtbundesamtes und legt diesen Auszug als Anlage K 33 vor. Er behauptet explizit, das streitgegenständliche Fahrzeug sei von diesem Rückruf betroffen. Auch andere 3.0 TDI Motoren der Beklagten mit der Abgasnorm EURO 6 seien bereits zurückgerufen worden.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 57.300,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 09.03.2013 bis 06.12.2018 und seither 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.337,68 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer: …61 zu zahlen.
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Hilfsweise beantragt der Kläger anstelle des Antrages 1.:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges und Abtretung des Anspruchs auf Rückübereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer …61 aus dem Darlehensvertrag vom 18.01.2017 mit der Vorgangsnummer ... an die Kläger Partei EURO 47.454,58 Nebst Zinsen in Höhe von 4% seit dem 09.03.2013 bis 06.12.2018 und seither 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 8337,68 € zu zahlen und den Kläger von seinen Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag bei der ...Bank (Nummer ...) freizustellen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 16.01.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.256,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2019 zu zahlen.
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Die Beklagte führt aus, der Vortrag der Klagepartei sei unsubstantiiert und bei dem „Thermofenster“ handle es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Ein vorsätzliches Handeln mit Schädigungsabsicht sei nicht dargelegt. Es liege kein verpflichtender Rückruf des KBA für das streitgegenständliche Fahrzeug vor. Es gebe derzeit lediglich ein Anhörungsverfahren durch das KBA bei dem eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht festgestellt worden sei. Es sei der Motor EA 896Gen2 verbaut.
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Das Gericht hat den Kläger informatorisch angehört. Wegen der insoweit getätigten Angaben wird auf das Protokoll der Sitzung des Landgerichts Ingolstadt vom 26.05.2020 Bezug genommen. Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Zwischen den Parteien bestehen keine vertraglichen Beziehungen, sodass als Anspruchsgrundlagen ausschließlich deliktische Normen in Betracht kommen. Die Klagepartei ist grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet bzgl. der anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale im Rahmen der deliktischen Haftung. Es ergibt sich insoweit auch nichts anderes aus der Formulierung von Art. 5 Abs. 2 EG VO 715/2007 (so auch OLG München (8. Zivilsenat), Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19). Zwar kann man in Fällen, in denen die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm nähere Angaben zuzumuten sind, zu einer sekundären Darlegungslast der grundsätzlich nicht beweisbelasteten Partei kommen. Außerdem ist eine beweisbelastete Partei auch nicht daran gehindert, Tatsachen vorzutragen, von denen sie zwar keine genaue Kenntnis hat, die sie aber aufgrund bestimmter Umstände für wahrscheinlich hält. Die beweisbelastete Partei muss in diesen Fällen aber dem Gericht schlüssig darlegen, warum sie zu ihren Vermutungen kommt. Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann in einem zweiten Schritt (“sekundär“) darüber entschieden werden, ob den jeweiligen Gegner eine sekundäre Darlegungslast trifft (siehe dazu ausführlich OLG München (8. Zivilsenat) aaO). Im vorliegenden Fall hätte die Klagepartei also zunächst konkret darlegen müssen, warum sie davon ausgeht, dass sich im streitgegenständlichen Fahrzeug technische Systeme befinden, die die Klagepartei als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 EG VO 715/2007 bewertet. Außerdem hätte sie darlegen müssen, warum die von ihr vermuteten Abschalteinrichtungen nach ihrer Ansicht nicht für den Motorschutz erforderlich seien. Es würde dagegen dem zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz widersprechen, allein aufgrund des Umstands, dass es Manipulationen von Herstellern an Dieselfahrzeugen gab, den betroffenen Herstellern bei sämtlichen Motortypen aufzugeben, darzulegen, welche Abschalteinrichtungen in der Software des Fahrzeugs integriert sind und warum diese zulässig sind (OLG München (8. Zivilsenat) aaO).
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2. Ihrer primären Darlegungslast ist die Klagepartei unter Berücksichtigung des oben dargestellten Maßstabs somit mit Ausnahme der Ausführungen zu dem sogenannten „Thermofenster“ (siehe dazu unten, Ziffer III.) nicht nachgekommen.
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Es kann dahingestellt bleiben, ob die Anforderungen an einen substantiierten Vortrag in den Fällen geringer sind, in denen es unstreitig um ein Fahrzeug mit dem Motor mit der Kennung EA 189 geht. Insoweit ist dem Gericht aufgrund einer Vielzahl dieser Fälle und des Vortrags der Hersteller in diesen Fällen mittlerweile bekannt, dass diese Fahrzeuge ursprünglich über ein System verfügten, das erkennt, ob sich das Fahrzeug auf einem Rollenprüfstand oder im Straßenverkehr befindet und das auf dem Rollenprüfstand den Ausstoß von Stickoxiden im Vergleich zum Realbetrieb reduziert. Im vorliegenden Fall ist das streitgegenständliche Fahrzeug aber gerade unstreitig nicht mit einem Motor des Typs EA 189 ausgestattet. Die Klagepartei argumentiert, dass die Beklagte bereits bei vielen anderen 3 Liter Motoren manipuliert habe und deshalb der Beklagten aus technischen Gründen die Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte bei vorliegendem Motor ebenfalls nur durch Manipulation und unzulässige Abschalteinrichtungen erreichen konnte. Dies ist aber zivilprozessual unzulässig. Der Umstand, dass von dem sogenannten „Dieselskandal“ zahlreiche Fahrzeuge verschiedener Hersteller betroffen sind und es sich bei Verfahren wie dem vorliegenden letztendlich um „Massenverfahren“ handelt, befreit die Klagepartei nicht von ihrer zivilprozessualen Pflicht, konkret zum streitgegenständlichen Fall vorzutragen.
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Der Vortrag der Klagepartei ist durch ein Lavieren zwischen dem Aufstellen von Behauptungen hinsichtlich des Vorhandenseins von Abschalteinrichtungen unter Verwendung konkreter technischer Bezeichnungen und dem Vortrag, das KBA habe Rückrufe auch hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeuges erlassen, gekennzeichnet. Die unsichere Tatsachengrundlage, auf der der Vortrag der Klagepartei beruht, kommt in Formulierungen zum Ausdruck wie zum Beispiel im Schriftsatz vom 18.11.2019, dort Seite 13, vorletzter Absatz. Hinsichtlich des unstreitig implementierten Thermofenstern trägt die Klagepartei vor, „das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt zumindest über eine unzulässige Abschalteinrichtung … in Form eines Thermofensters.“ (Unterstreichung durch den Unterzeichner). Die Klagepartei selbst scheint sich hinsichtlich der aufgestellten Behauptungen bezüglich des Vorliegens weiterer Abschalteinrichtungen nicht sicher zu sein. Ihr Vortrag kennzeichnet sich insgesamt dadurch aus, dass man nach dem Motto verfährt „viel hilft viel“ und „irgendetwas wird schon hängen bleiben“.
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Die Anforderungen an einen substantiierten Vortrag werden durch das Gericht auch nicht überspannt. Insoweit muss folgendes berücksichtigt werden: Wenn die Klagepartei Vermutungen bezüglich einer unzulässigen Abschalteinrichtung in ihrem Fahrzeug hat, diese Vermutungen aber nicht stichhaltig begründen kann, hat sie die Möglichkeit, entweder mit der Klageerhebung zuzuwarten, bis durch Ermittlungen von Behörden oder Recherchen von Journalisten genaueres bekannt wird oder aber selbst tätig zu werden und zum Beispiel ein privates Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben.
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1. Soweit die Klagepartei behauptet, es liege ein verpflichtender Rückruf für das streitgegenständliche Fahrzeug durch das KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor, so blieb sie einen entsprechenden Nachweis schuldig.
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Gerichtsbekannt – und auch über die Homepage des KBA abrufbar https://www.... - lag für das streitgegenständliche Fahrzeug mit Stand zum 30.03.2020 kein solcher Rückruf vor. Der dort genannte am 15.01.2020 freigegebene Rückruf für Fahrzeuge des Typs Audi A6 EURO 5 betrifft solche des Typs 4G mit 2967 ccm und 230 Kw. Vorliegend handelt es sich aber unstreitig um ein Fahrzeug mit 180 Kw. Auch die Bezeichnung der Variante der betroffenen Fahrzeuge stimmt mit der des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht überein. Betroffen sind Fahrzeuge der Variante CGQ. Die Bezeichnung der Variante des streitgegenständlichen Fahrzeuges lautet CDU. Hierzu wird auf die von Klägerseite vorgelegte Übereinstimmungsbescheinigung im Anhang zum Schriftsatz vom 25.02.2020 verwiesen.
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Soweit auf die Schreiben vom Oktober 2019 des KBA und der Beklagten an den Kläger verwiesen wird, ist zu sehen, dass es sich insoweit bereits dem Wortlaut nach ebenfalls nicht um einen verpflichtenden Rückruf aufgrund einer festgestellten unzulässigen Abschalteinrichtung handelt.
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2. Soweit die Klagepartei vorträgt, in der Motorsteuerung des Fahrzeugs sei ein sogenanntes „Thermofenster“ integriert, hat die Beklagte dies bestätigt, wobei sie entgegen der rechtlichen Auffassung der Klagepartei nicht davon ausgeht, dass es sich hierbei um eine verbotene Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 EG VO 715/2007 handelt.
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Die Software des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist unstreitig so programmiert, dass die Abgasrückführung zumindest bei bestimmten Temperaturen (signifikant) reduziert wird, sodass sich in diesen Fällen der Ausstoß von Stickoxiden erhöht. Die Beklagte beruft sich insoweit auf den Motorschutz und die entsprechenden Ausnahmeregelungen nach Art. 5 Abs. 2 lit. a) EG VO 715/2007. Insbesondere bei niedrigen Außentemperaturen bestehe die Gefahr der Versottung der Bauteile der Abgasrückführung und entsprechenden Schäden.
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Ob es sich bei diesem streitgegenständlichen „Thermofenster“ objektiv (nach der Auffassung des Gerichts) um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 EG VO 715/2007 handelt, kann aber dahingestellt bleiben.
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3. Das Gericht ist im Hinblick auf das sog. Thermofenster bereits nicht davon überzeugt, dass die Beklagte im Rahmen der Anspruchsgrundlage gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB vorsätzlich bzw. im Rahmen der Anspruchsgrundlage gemäß § 826 Abs. 1 BGB vorsätzlich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise gehandelt hat. Es fehlt damit auch an dem erforderlichen Vorsatz im Rahmen etwaiger deliktischer Ansprüche.
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Es ist eine offenkundige Tatsache im Sinne von § 291 ZPO, dass nach Bekanntwerden des sogenannten „Dieselskandals“ der damalige Verkehrsminister ... eine Untersuchungskommission eingesetzt hat, die insbesondere mit der Analyse des sogenannten Abgasskandals betraut war. Der Bericht der Untersuchungskommission „...“ kommt entsprechender Pressemitteilung nach zum Ergebnis, dass „Thermofenster“ grundsätzlich rechtlich zulässig sind, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen. Weiter wird in dem Untersuchungsbericht ausgeführt, dass die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 einerseits den unbestimmten Begriff der „normalen Betriebsbedingungen“ und andererseits auslegungsfähige Ausnahmemöglichkeiten für Abschalteinrichtungen, insbesondere hinsichtlich des Motorschutzes enthalte:
„Es wurden technische Verfahren festgestellt, mit denen Hersteller die Wirksamkeit ihres Emissionskontrollsystems an Fahr-, bzw. Umweltbedingungen anpassen. Das betrifft das so genannte „Thermofenster“, innerhalb dessen die Hersteller die Abgasreinigung zurückfahren. Das ist rechtlich zulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen. Bei einigen der untersuchten Fahrzeugtypen bestanden in der Untersuchungskommission Zweifel, ob die gewählten Thermofenster in vollem Umfang durch den Motorschutz gerechtfertigt sind. Die Untersuchungskommission hat die betreffenden Hersteller aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um das Thermofenster auf das tatsächlich notwendige Maß zu beschränken. Alle betroffenen deutschen Hersteller mit Typgenehmigung in Deutschland haben schriftlich erklärt, dass sie geeignete Optimierungen durchführen werden.“
(Pressemitteilung vom 22.04.2016, abzurufen auf der Internetseite des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, https://www.....html).
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In dem Bericht legt sich die Untersuchungskommission selbst nicht fest, ob bestimmte „Thermofenster“ dem geltenden Recht entsprechen:
„Mehrere Hersteller konnten im Interesse des Umweltschutzes ungeachtet der Zulässigkeit der verwendeten Motorschutzeinrichtungen dazu veranlasst werden, Verbesserungen für die laufende Produktion und teilweise auch für in Betrieb befindliche Fahrzeuge vorzunehmen. […] Die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 enthält einerseits den unbestimmten Begriff der „normalen Betriebsbedingungen“ und andererseits auslegungsfähige Ausnahmemöglichkeiten für Abschalteinrichtungen, insbesondere hinsichtlich des Motorschutzes. Insbesondere der Ausnahmetatbestand des Motorschutzes eröffnet den Herstellern einen Handlungsspielraum bei der Anwendung von Abschalteinrichtungen.“ (Seite 128 des Berichts Untersuchungskommission ..., abzurufen als PDF-Datei auf der Internetseite des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, https://www.....html).
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In der aktuellen Rechtsprechung ist nicht unumstritten, ob „Thermofenster“ unzulässige Abschalteinrichtungen sind: Das Landgericht Stuttgart (Urteil vom 17.01.2019 – 23 O 178/18) geht bei „Thermofenstern“ von unzulässigen Abschalteinrichtungen aus und ist der Auffassung, dass Hersteller, die solche „Thermofenster“ in der Software von Pkw integrieren, gemäß § 826 BGB haften. Das Oberlandesgericht Stuttgart (Urteil vom 30.7.2019 – 10 U 134/19) geht dagegen davon aus, dass die Vorschrift des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a) VO 2007/715/EG nicht eng auszulegen sei und die Reichweite dieser Vorschrift weder unzweifelhaft noch eindeutig sei. Die Auffassung, dass „Thermofenster“ zulässig seien, sei zumindest nicht unvertretbar. Die Rechtslage bzgl. der „Thermofenster“ ist also keinesfalls eindeutig. Unter diesen Umständen kann der Beklagten bzw. einzelnen Mitarbeitern der Beklagten nicht nachgewiesen werden, dass sie vorsätzlich gehandelt haben, also dass sie gewusst haben bzw. zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass „Thermofenster“ unzulässig seien, im vorliegenden Fall aber dennoch in die Software des streitgegenständlichen Fahrzeug ein solches integrierten. Zudem kann ein solches Verhalten bei Unklarheit der Rechtslage nicht als besonders verwerfliches Verhalten im Sinne von § 826 BGB angesehen werden. Die Sachlage ist eine andere als bei dem Motortyp EA 189, bei dem, wie aus anderen Verfahren bekannt, die Software der Pkw so programmiert wurde, dass die Abgasrückführung auf dem Prüfstand aktiv, im realen Straßenbetrieb aber deaktiviert ist (siehe dazu ausführlich OLG Stuttgart aaO).
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4. Deliktische Ansprüche, bei denen eine fahrlässige Begehungsweise ausreichend ist, sodass es auf den Vorsatz der Beklagten nicht ankommt, sind nicht ersichtlich. Insbesondere fehlt es bezüglich der Voraussetzungen von § 823 Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV an der drittschützenden Wirkung der Normen der EG-FGV, da der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs weder im Aufgabenbereich der Vorschriften liegt, noch sich aus deren Auslegung unter Berücksichtigung der zugrundeliegenden Richtlinie ergibt (vgl. OLG München 21 U 1896/19).
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Mangels Anspruch in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf entsprechende Zinsen, Feststellung eines Annahmeverzugs bzw. Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO.