Titel:
Kein Anspruch auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem von Audi entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-Motor
Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 33393; BeckRS 2024, 7118; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG Hamm BeckRS 2021, 37295; OLG München BeckRS 2023, 32991; BeckRS 2024, 3294; BeckRS 2024, 7529; BeckRS 2024, 7526; OLG Naumburg BeckRS 2023, 41799; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 738; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mwN in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mwN in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mwN in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mwN in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit einer Klageschrift, die eine Aneinanderreihung von Textbausteinen und Entscheidungen im Zusammenhang mit einem unstreitig in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht verbauten Dieselmotor enthält, kann die Klagepartei nicht darlegen, welche konkreten unzulässigen Abschalteinrichtungen in ihrem Fahrzeug verbaut sein sollen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein erfolgter Rückruf, weil "das missbräuchliche Falschbefüllen des AdBlue-Tanks, beispielsweise mit Wasser, nicht in allen Fällen mit der erforderlichen Güte erkannt werde", indiziert nicht das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3,0l V6 Dieselmotor, Motorsteuerungssoftware, unzulässige Abschalteinrichtung, Falschbefüllen des AdBlue-Tanks, Erkennung eines falschen Reagens, Thermofenster, Rückruf
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Endurteil vom 06.03.2024 – 7 U 18/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 63911
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagtenpartei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des je- weils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 77.532,15 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselabgasskandal“.
2
Die Klägerin, die Firma ..., kaufte am ... von einem Autohändler in M. ein Fahrzeug, deren Hersteller die Beklagte ist, zu einem Kaufpreis von 72.878,15 Euro netto ... . Es handelte sich um einen ... . Das Fahrzeug hatte am einen Kilometerstand von ... .
3
In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter 3,0 Liter – ... verbaut, der intern als ... bezeichnet wird.
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Das Fahrzeug verfügt über mehrere Technologien zur Reduktion des Stickoxidausstoßes, insbesondere über ein Abgasrückführungssystem (sog. Thermofenster) und über einen SCR-Katalysator, der mit Ad-Blue betrieben wird.
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Es gab bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug eine Rückrufaktion unter ... . In einem klägerseits vorgelegten Schreiben der Beklagten heißt es, dass „Hintergrund sei, dass ... .
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Die Klägerin behauptet, in dem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut.
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Das sog. Thermofenster sowie der Einsatz ... betrieben wird, seien solche unzulässige Abschalteinrichtung.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine illegale Motorsteuerungssoftware, die den Ausstoß von Stickoxid im Prüfstandbereich optimiere. Die Software des Autos erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde und reduziere in einem solchen Fall den Abgasausstoß des Fahrzeuges.
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Zudem verweist die Klagepartei auf die Rückrufaktion des Kraftfahrtbundesamtes entsprechend der Schreiben der Beklagten im ... .
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Die Klägerin hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn sie von der Existenz der unzulässigen Abschalteinrichtungen gewusst hätte. Hierüber sei die Klagepartei getäuscht worden.
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Die Klägerin macht deliktische Ansprüche, insbesondere aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. ... geltend.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeuges der Marke ... mit der Fahrgestellnummer .... an die Klagepartei € 73.592,36 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 77.532,15 Euro seit dem ... zu bezahlen.
- 2.
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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges gemäß vorstehender Ziffer 1 in Annahmeverzug befindet.
- 3.
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Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 2.085,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem .... zu erstatten.
13
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte bringt vor, dass das Fahrzeug von keinem KBA-Bescheid betroffen sei, der eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Gegenstand habe.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug sei nicht von der in Fahrzeugen mit ... verbauten Umschaltlogik betroffen.
16
Die Rückrufaktion des KBA habe sich nur auf die Neukalibrierung des ... . Die Beklagte hätte die Klagepartei in keiner Weise getäuscht. Ein Anspruch aus scheide aus ... .
17
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze jeweils nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom ... verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Sie war daher abzuweisen.
19
Die Klagepartei konnte nicht substantiiert darlegen, dass ihr ein Schadenersatzanspruch aus vorsätzlich sittenwidriger Schädigung gemäß ... zusteht.
20
Mit der Klageschrift, die eine Aneinanderreihung von Textbausteinen und Entscheidungen im Zusammenhang mit dem unstreitig in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht verbauten Dieselmotor ... enthält, konnte die Klagepartei nicht darlegen, welche konkreten unzulässigen Abschalteinrichtungen in ihrem Fahrzeug verbaut sein sollen.
21
Die Behauptung der Klagepartei, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über eine illegale Motorsteuerungssoftware, die den Ausstoß von Stickoxid im Prüfstandbereich optimiere, weil die Software des Autos erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde und in einem solchen Fall den Abgasausstoß des Fahrzeuges reduziere, konnte die Klagepartei durch nichts belegen. Dies betrifft die Fahrzeuge, in denen der hier nicht streitgegenständliche ... verbaut ist. Dort wurde die Motorsteuerungssoftware für den Rollenprüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durch unterschiedliche Betriebsmodi für Rollenprüfstand und Straßenbetrieb manipuliert.
22
Mit Schriftsatz vom ... legte die Klagepartei aufgrund einer gerichtlichen Verfügung ein Schreiben der Beklagten in Bezug auf eine Rückrufaktion veranlasst durch das Kraftfahrtbundesamt vor ... . Dort heißt es, dass der Rückruf erfolge, weil „das missbräuchliche Falschbefüllen des AdBlue-Tanks, beispielsweise mit Wasser, nicht in allen Fällen mit der erforderlichen Güte erkannt werde“. Von einer unzulässigen Abschalteinrichtung, wie sie das Gericht aus anderen Rückrufaktionen kennt, ist hier nicht die Rede.
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Zwar ist für Frage, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt oder nicht, kein KBA-Bescheid mit der entsprechenden Beurteilung notwendig, doch hätte diese Formulierung durchaus eine Indizwirkung, so dass sich die Beklagte hierzu erklären müsste.
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Einen solchen hat die Klagepartei aber nicht vorgelegt, sondern nur pauschal von der Rückrufaktion „missbräuchliche Falschbefüllen des AdBlue-Tanks“ darauf geschlossen, dass die Rückrufaktion notwendig war, um unzulässige Abschalteinrichtungen bzw. unzulässige Reduzierungen der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug zu entfernen, damit der erhöhte Stickoxid-Ausstoß unterbunden werde.
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Aus anderen Fällen ist dem Gericht bekannt, dass auch Rückrufaktionen bezogen auf bestimmte Audi-Modelle erfolgten wegen „Entfernung unzulässiger Abschalteinrichtungen bzw. unzulässiger Reduzierung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems“. Hier hat die Klagepartei aber bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug gerade nichts vorgelegt. Ob das einzelne Fahrzeug von einer bestimmten Rückrufaktion betroffen ist, hängt nicht nur vom Fahrzeugtyp, sondern auch von andernen Faktoren wie Ausführung (Motorisierung, Karosserieform etc.) ab.
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Tatsächlich gab es unter dem ... mit den hier streitgegenständlchen ... eine vom KBA veranlasste Rückrufaktion mit der Beschreibung „Konformitätabweichung von den Vorschriften des ... , die zeitlich auf das erste Schreiben der Beklagten aus dem ... passen könnte. Nach der oben genannten Vorschrift handelt es sich um
„4. ERKENNUNG EINES FALSCHEN REAGENS
4.1. Das Fahrzeug muss mit einer Einrichtung ausgestattet sein, die prüft, ob das im Behälter befindliche Reagens die vom Hersteller angegebenen und in ... dieser Verordnung aufgeführten Eigenschaften hat.
4.2. Entspricht das im Behälter befindliche Reagens nicht den Mindestanforderungen des Herstellers, muss sich das in ... beschriebene Warnsystem aktivieren und einen entsprechenden Warnhinweis anzeigen ... . Wird die Qualität des Reagens nicht innerhalb von 50 km nach Aktivierung des Warnsystems korrigiert, gelten die Vorschriften für die Aufforderung des Fahrers nach Aus dem kann somit nicht automatisch geschlossen werden, dass es sich, wie die Klagepartei annimmt, um die geht.
27
Soweit die Klagepartei der Ansicht ist, dass das in dem Motor des Fahrzeugs verwendete sog. Thermofenster ... darstelle, kann die Entscheidung dahinstehen, ob dies zutrifft oder nicht, insbesondere ob dies zum Schutz des Motors erlaubt ist oder nicht.
28
Der Einsatz eines Thermofenster ist jedenfalls nicht als vorsätzlicher und sittenwidriger Gesetzesverstoß anzusehen, weil die Zulässigkeit der Verwendung des Thermofensters umstritten ist ... .
29
Die Annahme eines für ... erforderlichen Täuschungsvorsatzes kann erst gerechtfertigt sein, wenn die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung kaum vertretbar erschiene und damit der Schluss gezogen werden müsste, der Hersteller habe die Unerlaubtheit seines Vorgehens erkannt und folglich die Typengenehmigungsbehörde und damit letztlich den Fahrzeugkäufer täuschen wollen ...
30
Fahrlässiges Handeln begründet gerade keine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf ... die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf ... .