Inhalt

OLG München, Beschluss v. 19.03.2020 – 3 Ws 205/20, 3 Ws 206/20, 3 Ws 207/20, 3 Ws 208/20
Titel:

Einziehungsbeteiligten, Nebenbeteiligte, Familiengerichte, Verfügung des Vorsitzenden, Strafkammer, Vermögenssorge, Mitwirkung eines Rechtsanwalts, Rechtsanwaltes, Beiordnung, Schriftsätze, Kosten des Beschwerdeverfahrens, Kostenentscheidung, Sach- und Rechtslage, Beschwerde gegen, Beschwerdebegründung, Zulässigkeit der Beschwerde, Landgerichte, Sachstandsanfrage, Wertersatz, Vermögensinteressen

Schlagworte:
Beschwerde, Einziehungsbeteiligte, Vertretungsbefugnis, Vermögenssorge, Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, Interessenkollision, Kostenentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 63887

Tenor

1. Die Beschwerden der Angeklagten A. und C. K. gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 16.01.2020 und die Beschwerde der Angeklagten A. K. gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 20.01.2020 werden als unzulässig kostenfällig verworfen.
2. Auf die Beschwerden der Angeklagten C. und A. K. im Namen der Einziehungsbeteiligten M. A. K. gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 16.01.2020 und die Beschwerde der Angeklagten A. K. im Namen des Einziehungsbeteiligten M. K. gegen die Verfügung des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 20.01.2020 werden die Verfügungen des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 16.01.2020 und vom 20.01.2020 aufgehoben. Rechtsanwältin B. wird der Einziehungsbeteiligten M.A. K. gemäß § 428 Abs. 2 StPO als Vertreterin bestellt, Rechtsanwalt H. wird dem Einziehungsbeteiligten M. K. gemäß § 428 Abs. 2 StPO als Vertreter bestellt.

Gründe

I.
1
Gegen die Angeklagten C. K. und A. K. wird derzeit vor der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg ein Strafverfahren wegen Vorenthaltens bzw. Veruntreuens von Arbeitsentgelt geführt. Ihnen werden 1188 Fälle der Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelt in 51 Fällen jeweils in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage von einer Einziehung bzw. erweiterten Einziehung von Wertersatz bei C. K. in Höhe von 5.880.150,86 €, bei A. K.in Höhe von 361.465,84 € und bei dem Einziehungsbeteiligten M. K. in Höhe von 46.178,85 € sowie bei M.A. K. in Höhe von 46.327,47 € aus.
2
Der Senat war bereits mit dem Verfahren befasst (3 Ws 1146/19, 3 Ws 1157-1158/19).
3
M.l K., der Sohn der Angeklagten A. K. und M.A. K., die Tochter beider Angeklagter sind am Verfahren als Einziehungsbeteiligte beteiligt. Mit Beschluss vom 19.09.2019 ordnete die 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg deren Einziehungsbeteiligung an. Dem Amtsgericht T. – Familiengericht – wurde eine Abschrift des Beschlusses und der Anklage zur Prüfung der Voraussetzungen der §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB übermittelt. Mit Schreiben vom 08.10.2019 übersandte das Familiengericht eine Stellungnahme des Jugendamtes T. vom 30.09.2019, wonach kein Anlass für die Einrichtung einer Vormundschaft für die Einziehungsbeteiligten gesehen wurde. Auf eine Sachstandanfrage von Seiten des Gerichts vom 10.01.2020 ist bislang keine Reaktion des Familiengerichts erfolgt.
4
Die Nebenbeteiligten M. und M.A. K. beantragten mit Schriftsatz ihrer anwaltlichen Vertreterin Frau Rechtsanwältin B, vom 27.12.2019 deren Beiordnung. Die Angeklagte A. K. beantragte mit Schriftsatz ihres Verteidigers Rechtsanwalt G. vom 08.01.2020 ebenfalls die Beiordnung von Frau Rechtsanwältin B. für die beiden Nebenbeteiligten.
5
Mit Verfügung vom 16.01.2020 lehnte der Vorsitzende der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg den Antrag von Frau Rechtsanwältin B. und von Herrn Rechtsanwalt G. für die Einziehungsbeteiligte M.A. K. ab.
6
Die 7. Strafkammer hat nach eigener Prüfung davon abgesehen den Einziehungsbeteiligten von Amts wegen einen Rechtsanwalt zu bestellen, da sie im Verfahren durch ihre Eltern bzw. durch ihre Mutter gesetzlich vertreten werden.
7
Nach Hinweis des Gerichts beantragte Herr Rechtsanwalt S. mit Schreiben vom 16.01.2020 namens und im Auftrag der Angeklagten A. K. die Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt H. für den Nebenbeteiligten M. K.
8
Mit Verfügung vom 20.01.2020 lehnte der Vorsitzende der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg den Antrag von Herrn Rechtsanwalt S. ab.
9
Die Nebenbeteiligte M.A. K. legte mit Schriftsatz von Frau Rechtsanwältin B. vom 10.02.2020 Beschwerde gegen die Vorsitzendenverfügung vom 16.01.2020 ein.
10
Mit Schriftsatz vom 13.02.2020 legte Herr Rechtsanwalt G. namens und in Vollmacht der Angeklagten A. K. in deren eigenem Namen und im Namen der Nebenbeteiligten M.A. K. Beschwerde gegen die Vorsitzendenverfügung vom 16.01.2020 ein.
11
Mit Schriftsatz vom 13.02.2020 legte Herr Rechtsanwalt S. namens und in Vollmacht des Angeklagten C. K. in dessen eigenem Namen und im Namen der Nebenbeteiligten M.A. K. Beschwerde gegen die Vorsitzendenverfügung vom 16.01.2020 ein.
12
Mit Schriftsatz vom 13.02.2020 legte Herr Rechtsanwalt G. namens und in Vollmacht der Angeklagten A. K. in deren eigenem Namen und im Namen des Nebenbeteiligten M. K. Beschwerde gegen die Vorsitzendenverfügung vom 20.01.2020 ein.
13
Der Vorsitzende der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg hat mit Verfügung vom 14.02.2020 den Beschwerden nicht abgeholfen.
II.
14
1. Die Beschwerden der Angeklagten A. und C. K. im eigenen Namen sind zwar statthaft, § 304 StPO, jedoch unzulässig.
15
Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde ist das Vorliegen einer Beschwer. Eine solche ist bei den beiden Angeklagten nicht gegeben. Die Verfügungen des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 16.01.2020 und 20.01.2020 betreffen ausschließlich die Bestellung eines Vertreters für die Einziehungsbeteiligten. Bei der voraussichtlich anzuordnenden Einziehung von Wertersatz gegenüber den Einziehungsbeteiligten sind ausschließlich deren Vermögensinteressen betroffen. Eine Verletzung der eigenen Rechte der Angeklagten durch die Verfügungen des Vorsitzenden sind nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen.
16
2. Die Beschwerden im Namen der Einziehungsbeteiligten sind statthaft und zulässig, § 304 StPO, und haben in der Sache Erfolg.
17
Gemäß § 428 Abs. 2 StPO bestellt der Vorsitzende dem Einziehungsbeteiligten einen Rechtsanwalt, entweder wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, soweit sie die Einziehung betrifft, die Mitwirkung eines Rechtsanwalts geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass der Einziehungsbeteiligte seine Rechte nicht selbst wahrnehmen kann. Die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ist dabei nicht an der ganzen Strafsache zu messen, sondern nur an dem Verfahrensteil und an den Sach- und Rechtsfragen, die die Beteiligung betreffen, es darf also nur auf die Einziehungsfrage abgehoben werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 62. Aufl., § 428 Rn 4; Karlsruher Kommentar StPO 8. Aufl. § 428 Rn. 7).
18
Ob eine solche Schwierigkeit gegeben ist, kann jedoch vorliegend dahinstehen, da die Angeklagten jedenfalls die sich aus der Vermögenssorge ergebenden Rechte der Einziehungsbeteiligten nicht wahrnehmen können.
19
Bei der Prüfung, ob der Einziehungsbeteiligte seine Rechte selbst wahrnehmen kann, ist nicht auf die Einziehungsbeteiligten selbst, sondern auf deren gesetzliche Vertreter abzustellen, sofern deren Vertretungsmacht auch die Vermögenssorge umfasst. Dies ergibt sich bei juristischen Personen aus der Natur der Sache und ist auch bei natürlichen Personen nicht anders zu sehen. Der Vorsitzende hat insoweit zu Recht auf die Entscheidung des Reichsgerichts vom 25.07.1896 verwiesen. Die Vermögenssorge der beiden Einziehungsbeteiligten wird von den erziehungsberechtigten Eltern bzw. der erziehungsberechtigten Mutter wahrgenommen. Es ist daher auf die beiden Angeklagten abzustellen.
20
Zur elterlichen Sorge gehört auch die Vertretung der Kinder, § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB. Diese ist nur ausgeschlossen, soweit die Voraussetzungen des § 1795 BGB vorliegen, § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB. Dies ist hier nicht der Fall. Das Amtsgericht T., Familiengericht, hat bislang keinen Anlass gesehen, einen Vormund für die beiden Einziehungsbeteiligten zu bestellen. Das Familiengericht hat eine Stellungnahme des Jugendamtes eingeholt und aufgrund derer offensichtlich keinen Handlungsbedarf gesehen, sondern diese nur weitergeleitet. Die Entscheidung nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB ist ausschließlich Sache des Familiengerichts, so dass von Seiten der Strafkammer diesbezüglich nichts weiter veranlasst war. Auf eine Sachstandsanfrage von Seiten des Gerichts vom 10.01.2020 hat das Familiengericht bislang nicht reagiert.
21
Die Beschwerdebegründung führt aus, die Interessen der Angeklagten seien nicht unbedingt immer gleichlaufend zu denen der Einziehungsbeteiligten. Auch der Senat sieht die Möglichkeit eines Auseinanderdriftens der Interessen der Angeklagten und der der Einziehungsbeteiligten. Der Schutz der Kinder und ihrer Vermögensinteressen sind bei einer Vertretung durch ihre Eltern nicht gewährleistet. Bei den Beträgen von jeweils ca. 46.000,00 € bei den Einziehungsbeteiligten handelt es sich um geringe Beträge im Verhältnis zu den 5,8 Millionen €, die hinsichtlich des Angeklagten C. K. im Raum stehen. Schon deswegen besteht die Gefahr, dass die Einziehung bei den Einziehungsbeteiligten bei der Prüfung der Vorgehensweise der Angeklagten im Prozess durch sie unberücksichtigt bleibt. Auch ist davon auszugehen, dass das Augenmerk der Angeklagten nicht vordringlich auf den Vermögensinteressen der Einziehungsbeteiligten liegt.
22
Die Angeklagten können daher wegen möglicher widerstreitender Interessen die sich aus der Vermögenssorge ergebenden Rechte nicht wahrnehmen.
23
3. Die Kostenentscheidung zu den Beschwerden der Angeklagten im eigenen Namen ergibt sich aus §§ 464, 473 Abs. 1 StPO (Ziffer 1 des Tenors).
24
Hinsichtlich der Beschwerden im Namen der Einziehungsbeteiligten hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der den Einziehungsbeteiligten darin entstandenen notwendigen Auflagen die Staatskasse zu tragen (Ziffer 2 des Tenors), §§ 464, 467 Abs. 2 bis 4 StPO analog .