Inhalt

AG Neu-Ulm, Beschluss v. 17.06.2020 – 7 C 29/20
Titel:

Unbegründeter Befangenheitsantrag wegen prozessleitender Verfügungen

Normenkette:
ZPO § 42
Leitsatz:
Der Umstand, dass eine Rechtsauffassung der Richterin nicht mit derjenigen des Beteiligten, der einen Befangenheitsantrag stellt, übereinstimmt, ist kein Grund für die Annahme einer Unvoreingenommenheit der zuständigen Richterin. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablehnungsgesuch, Richterablehnung, Befangenheit, Rechtsauffassung
Rechtsmittelinstanzen:
LG Memmingen, Beschluss vom 28.01.2021 – 44 T 1816/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 24.08.2023 – IX ZB 6/23
Fundstelle:
BeckRS 2020, 63300

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Ablehnung der Richterin am Amtsgericht wegen Besorgnis der Befangenheit wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Mit Schriftsatz vom 04.01.2020 erhob der Kläger Klage gegen die „auf Auskunft im Zusammenhang mit einer Kontenpfändung. Zugleich beantragte er im selben Schriftsatz den Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Antrag: „Die Beklagte hat die Verarbeitung der Daten zur Kontopfändung einzuschränken (Sperrung)“. Der Schriftsatz wurde per DE-Mail übersandt und ging am 13.01.2020 um 02:02:07 Uhr bei Gericht ein. In diesem Schriftsatz beantragte der Kläger auch unter anderem die Übermittlung von Kopien von eingereichten elektronischen Dokumenten an seine DE-Mail Adresse, die Verpflichtung zur Vorlage einer Vollmacht eines etwaigen Bevollmächtigten der Beklagten, eine beglaubigte Ablichtung der Urschrift des zur Anhängigkeit geltenden Geschäftsverteilungsplans, hilfsweise Auskunft über den gesetzlichen Richter.
2
Mit Beschluss vom 21.01.2020 setzte Richterin am Amtsgericht einen Streitwert fest und wies den Kläger zugleich darauf hin, dass Bedenken gegen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestehen, weil als Beklagte eine unselbständige Zweigstelle der übergeordneten Zweigniederlassung der Beklagten in angegeben sei. Zudem erhob sie Bedenken gegen die Bezeichnung der Beklagten. Außerdem wies sie darauf hin, dass ein Verfügungsgrund im Rahmen der beantragten einstweiligen Verfügung bislang nicht schlüssig dargetan sei und er auch nicht glaubhaft gemacht sei. Der Beschluss wurde dem Kläger am 30.01.2020 zugestellt.
3
Mit Schreiben vom 30.01.2020, übersandt per DE-Mail und eingegangen bei Gericht am 03.02.2020, erhob der Kläger gegen den vorgenannten Beschluss sofortige Beschwerde. Dabei erhob er unter anderem Rügen bezüglich der Form der gerichtlichen Schreiben, wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs und gegen die Datenverarbeitung bei Gericht.
4
Mit Verfügung vom 24.02.2020 bestimmte Richterin am Amtsgericht frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 24.03.2020. Mit Verfügung vom 18.03.2020 wurde dieser Termin aufgehoben mit der Begründung: „Von Amts wegen aufgrund der derzeitigen Coronaebidemie (Infektionsschutz)“. In dieser Verfügung wies Richterin am Amtsgericht zudem unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 21.01.2020 darauf hin, dass sich eine besondere Dringlichkeit weiterhin aus dem bisherigen Vortrag nicht ergebe. Zudem wies sie erneut darauf hin, dass es weiterhin an einer Glaubhaftmachung fehle. Außerdem fragte Richterin am Amtsgericht an, ob die „sofortige Beschwerde“ dem Landgericht vorgelegt werden soll oder ob sie zurückgenommen werde.
5
Mit Schreiben vom 18.03.2020, bei Gericht eingegangen am selben Tag, bestellte sich Rechtsanwältin zur Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin und beantragte, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen.
6
Mit Schreiben vom 03.04.2020, bei Gericht per DE-Mail am 17.04.20, 23:52:20 Uhr eingegangen, erhob der Kläger erneut verschiedene Rügen bezüglich der Form der ihm zugeleiteten gerichtlichen Schreiben. Zudem rügte er erneut unter anderem eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die Unterlassung der Entscheidung bislang. Außerdem erhob er eine „Verzögerungsrüge“, die auch als Dienstaufsichtsbeschwerde gewertet werden soll.
7
Die Dienstaufsichtsbeschwerde wurde dem Präsidenten des Landgerichts vorgelegt.
8
Mit Verfügung vom 22.04.2020, dem Kläger zugestellt am 30.04.2020, wiederholte Richterin am Amtsgericht die bereits früher erteilten Hinweise bezüglich der einstweiligen Verfügung. Zusätzlich wies sie darauf hin, dass das Hauptsacheverfahren und das Verfahren wegen Erlass einer einstweiligen Verfügung getrennt werden sollen. Desweiteren wies sie darauf hin, dass der richterliche Geschäftsverteilungsplan in den Verwaltungsräumen des Amtsgerichts Neu-Ulm zu den geltenden Publikumsverkehrszeiten eingesehen werden kann.
9
Mit weiterem Schreiben des Klägers vom 07.05.2020, per DE-Mail bei Gericcht eingegangen am 14.05.20, 05:50:39 Uhr, wiederholte der Kläger bereits in früheren Schreiben erhobene Rügen.
10
Zusätzlich stellte er unter anderem auch Ablehnungsantrag gegen Richterin am Amtsgericht wegen Besorgnis der Befangenheit.
11
Nach Zuleitung dieses Antrags an Richterin am Amtsgericht gab diese unter dem Datum 20.05.2020 eine dienstliche Äußerung ab. Diese wurde dem Kläger und dem Beklagtenvertreter zugeleitet. Zustellung an den Kläger erfolgte am 30.05.2020.
12
Mit Schreiben vom 30.05.2020, per DE-Mail bei Gericht eingegangen am 05.06.20, 05:32:11 Uhr, nahm der Kläger unter anderem Stellung zur dienstlichen Äußerung der Richterin am Amtsgericht . Insoweit rügt er die Wirksamkeit der dienstlichen Äußerung, eine fehlende Wirksamkeit der Prozessleitung durch Richterin am Amtsgericht, eine fehlende Auseinandersetzung mit der Begründung des Befangenheitsantrags und dass ein wirksamer Bescheid des Dienstvorgesetzten nicht vorliege.
13
Im Übrigen wird auf die benannten Schreiben des Klägers und auf die dienstliche Stellungnahme der Richterin am Amtsgericht Bezug genommen.
II.
14
Der zulässige Befangenheitsantrag ist nicht begründet.
15
Bei Anwendung des maßgeblichen Maßstabs sind keine Befangenheitsgründe ersichtlich. Maßgeblich ist insoweit, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des Richters bzw. der Richterin zu zweifeln.
16
An dieser Stelle ist zunächst klarzustellen, dass lediglich dieser Antrag auf Ablehnung der Richterin am Amtsgericht wegen Befangenheit Gegenstand dieser Entscheidung ist.
17
Für eine Ablehnung der Richterin am Amtsgericht wegen Besorgnis der Befangenheit fehlt es bereits an konkretem Vortrag und an einer Erkennbarkeit entsprechender Handlungen oder Verhaltensweisen der betroffenen Richterin.
18
Der Hinweis der Richterin am Amtsgericht in ihrer dienstlichen Stellungnahme darauf, dass ihr als zuständige Richterin die Prozessleitung obliegt und dass sie diese durch die Erteilung von Hinweisen wahrgenommen hat, trifft zu.
19
Diese Prozessleitung, wie sie von Richterin am Amtsgericht durchgeführt wurde, ist sachgerecht und beinhaltet nichts, was, bei Anwendung des oben dargestellten Maßstabs, Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit begründen könnte. Der Umstand, dass eine Rechtsauffassung der Richterin nicht mit derjenigen des Beteiligten, der einen Befangenheitsantrag stellt, übereinstimmt, ist kein Grund für die Annahme einer Unvoreingenommenheit der zuständigen Richterin.
20
Die Zuständigkeit der Richterin am Amtsgericht ergibt sich aus der richterlichen Geschäftsverteilung, gültig ab dem 01.01.2020. Im dort festgelegten Turnus wurde ihr das Verfahren ordnungsgemäß zugeteilt. Der insoweit von Richterin am Amtsgericht erteilte Hinweis, dass der Kläger diese Geschäftsverteilung jederzeit innerhalb der üblichen Publikumsverkehrszeiten in der Verwaltung des Gerichts einsehen kann, ist inhaltlich richtig und sachlich erteilt. Dabei obliegt es nicht dem Gericht oder einem für ein streitiges Verfahren zuständigen Richter, entsprechende Kopien zu fertigen und zu übersenden. Ein weitergehender Anspruch als das Recht auf Einsichtnahme in die Geschäftsverteilung im Gerichtsgebäude steht dem Kläger nicht zu.
21
Auch die erteilten Hinweise im Verfahren sind in einer nicht zu beanstandenden Form erteilt. In der Tat ist es kraft prozessualer Regelungen Aufgabe des Richters bzw. der Richterin, durch Erteilung von Hinweisen und verfahrensleitenden Maßnahmen das Verfahren zu fördern. Dies hat sie getan, indem sie darauf hinwies, dass die Beklagte nicht korrekt bezeichnet sei und eine Zuständigkeit des hiesigen Gerichts von ihr nicht gesehen wird. Entsprechende Hinweise ergingen jedenfalls auch im Interesse des Klägers, damit dieser im Verfahren darauf reagieren kann und das Verfahren fördern kann, indem er etwa die Abgabe des Verfahrens an ein anderes Gericht beantragt oder die Bezeichnung oder Benennung der Beklagten entsprechend anpasst.
22
Dabei ist vorliegend klarzustellen, dass nicht die Richtigkeit entsprechender Erwägungen oder Ansichten der zuständigen Richterin oder die korrekte Abarbeitung von Verfügungen der Richterin und gegebenenfalls die Einhaltung gegebener Formvorschriften maßgeblich sind im Rahmen der Verbescheidung eines Befangenheitsantrags. Dies zu klären ist Sache des Hauptsacheverfahren und gegebenenfalls eines Rechtsmittelverfahren.
23
Im Rahmen der Entscheidung über die Ablehnung einer Richterin oder eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist lediglich zu prüfen, ob die Richterin oder der Richter sich in einer Weise verhalten hat, die Grund zu der Annahme bieten kann, dass die Richterin bzw. der Richter nicht unvoreingenommen bezogen auf einen Verfahrensbeteiligten ist. Dies ist bei sämtlichen Verfügungen der Richterin am Amtsgericht im vorliegenden Verfahren nicht der Fall.
24
Die Form, in der die Unterlagen und Verfügungen den Beteiligten zugeleitet wurden, entspricht den bestehenden gesetzlichen Regelungen und wird in allen Verfahren in dieser Weise gehandhabt. Eine Einflussnahme der Richterin am Amtsgericht hierauf ist nicht erkennbar.
25
Die Hinweise sind objektiv und sachlich gefasst. Sie beinhalten eine rechtliche Wertung, die zu treffen gerade Aufgabe der Richterin ist. Sie sind ausschließlich an der Sache orientiert. Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit Richterin am Amtsgericht lassen sich daraus nicht ableiten.
26
Dies gilt auch für die Anberaumung des frühen ersten Termins. In diesem hätte dem Kläger die weitere Gewährung rechtlichen Gehörs, neben der ohnehin gewährten und vom Kläger auch in Anspruch genommenen Möglichkeit, sich schriftlich zu äußern, gegeben werden sollen. Es gilt aber auch für die Absetzung des Termins. Im Hinblick auf das allgemeine Interesse am Gesundheitsschutz war es sachgerecht und im zu vermutenden Interesse aller Beteiligten bezogen auf gesundheitliche Aspekte, den Termin zur Vermeidung eines nicht notwendigen Ansteckungsrisikos nach seinerzeitigem Wissensstand abzusetzen.
27
In keiner der Verfügungen der Richterin am Amtsgericht findet sich bei sachlicher und vernünftiger Betrachtung ein Anhaltspunkt der gegen ihre Unvoreingenommenheit sprechen könnte. Daher ist der Befangenheitsantrag unbegründet.