Titel:
Widerspruchsrecht, Lebensversicherungsvertrag, Rücktrittsrecht, Weitere Beschwerde, Versicherungsschein, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Elektronisches Dokument, Verbraucherinformation, Versicherungsvertrag, Versicherungsnehmer, Belehrung, Abtretungsanzeige, Versicherungsunterlagen, Kostenentscheidung, Rücktrittsbelehrung, Rücktrittsfrist, Rücktrittserklärung, Antragsformular, Kapitallebensversicherung
Schlagworte:
Klage zulässig aber unbegründet, Rücktrittsfrist verstrichen, Antragsmodell nach VVG, ausreichende Rücktrittsbelehrung, Anspruch verwirkt, Zeit- und Umstandsmoment
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 08.11.2021 – 21 U 4581/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 25.10.2023 – IV ZR 452/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 63275
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 257.682,12 € festgesetzt.
Tatbestand
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Der Kläger macht Ansprüche infolge Widerspruch bzw. Rücktritts einer Lebensversicherung geltend.
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Der Kläger beantragte mit Antrag vom 19.11.2001 (Anlage K 1) den Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages bei der Beklagten. Bei der streitgegenständlichen Versicherungspolice handelt es sich um eine anteilsgebundene Kapitallebensversicherung gegen Einmalbeitrag des Typs „Wealthmaster Noble“ mit Police-Nr. 5070725P. Der Versicherung liegt der Versicherungsschein Anlage K 2 zugrunde. Der Inhalt des Versicherungsvertrages ergibt sich aus der Broschüre Anlage B 1. Im Antragsformular (Anlage K 1) hat der Kläger unter I Erklärung eines Antragstellers unterschrieben, dass ihm eine Ausfertigung der Policenbedingungen und der Poolinformationen ausgehändigt wurden. Unter K. Unterschriften hat der Kläger mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er die vorstehenden Erklärungen gelesen und verstanden hat, wobei vorstehend I Erklärung des Antragstellers und J Erklärung des/der Versicherten sind. Unter J. Unterschriften hat der Kläger unterschrieben, dass er über sein Rücktrittsrecht belehrt wurde (vgl. Anlage K 1). Diese Erklärung unter K befindet sich direkt über der zu leistenden Unterschrift. Die Belehrung hat folgenden Wortlaut: „Ich bin darüber belehrt worden, dass ich innerhalb einer Frist von 14 Tagen (Personen mit Wohnsitz in Deutschland) oder 30 Tagen (Personen mit Wohnsitz in Österreich) nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Policenbedingungen und der Verbraucherinformationen dem Vertrag widersprechen kann. Zur Wahrung der Frist genügt rechtzeitiges Absenden der Widerspruchserklärung.“
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Die Beklagte nahm den Antrag an und übersandte den Versicherungsschein Anlage K 2.
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Der Kläger trat mit Abtretungsanzeige vom 11.12.2001 (Anlage B 3) seine Ansprüche aus der streitgegenständlichen Versicherungspolice für den Todes und Erlebensfall in voller Höhe an die Sparkasse Kaarst-Büttgen ab.
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Im Juni 2012 zahlte die Beklagte nach Kündigung des Lebensversicherungsvertrages durch die Klagepartei 127.607,49 € aus (Anlage K 3).
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Mit Schreiben vom 16.09.2019 erklärte die Klagepartei den Widerspruch gegen den Lebensversicherungsvertrag (Anlage K 4). Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Schreiben vom 31.10.2019 (Anlage K 5) zurück.
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Der Kläger trägt vor, er könne infolge seines Widerspruchs bzw. Rücktrittsrechts die empfangenen Leistungen zurückfordern und die Herausgabe der gezogenen Nutzungen verlangen. Der Kläger sei nicht ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerspruchsrecht belehrt worden. Die Beklagte habe Nutzungen gezogen. Dem Kläger seien bei Antragstellung keine Policenbedingungen und Verbraucherinformationen überlassen worden. Es liege ein Vertrag nach dem Policenmodell vor. Verwirkung liege nicht vor.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 257.682,12 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte trägt vor, die Belehrungen seien gesetzeskonform erfolgt und somit habe ein Rücktrittsrecht oder ein Widerspruchsrecht des Klägers im Jahr 2019 nicht bestanden. Ein Rücktritt bzw. Widerspruch sei verfristet. Zudem sei ein Rücktritts- bzw. Widerspruchsrecht jedenfalls verwirkt. Der Kläger habe den Vertrag mehrfach bestätigt. Die Beklagte habe zudem nicht Nutzungen in der vom Kläger behaupteten Höhe gezogen.
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Die Beklagte wendet die Einrede der Verjährung ein hinsichtlich des Schadensersatzanspruches. Der Kläger verstoße mit der Geltendmachung des Rücktritts bzw. Widerspruchsrechts gegen Treu und Glauben.
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Der Kläger habe sämtliche Versicherungsunterlagen erhalten. Dies ergebe sich aus seinen Unterschriften.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.07.2020 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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Der Kläger hat keine Zahlungsansprüche gegenüber der Beklagten nach Rücktritt vom Versicherungsvertrag aus § 346 Abs. 1 BGB.
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Der Rücktritt vom 16.10.2019 hat keine Wirkungen, da die gesetzliche Rücktrittsfrist bereits verstrichen war.
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Es liegt ein Vertragsschluss nach dem sogenannten Antragsmodell nach § 8 Abs. 5 alte Fassung VVG vor.
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Zwar trägt die Klagepartei vor, dass der Kläger bei Antragstellung keine Policenbedingungen und Verbraucherinformationen erhalten habe. Der Kläger hat dies jedoch im Antrag Anlage K 1 bestätigt mit seiner Unterschrift, dass er dies erhalten habe. Der Kläger hat bestätigt, dass ihm je eine Ausfertigung der Policenbedingungen und der Poolinformationen ausgehändigt wurden. Näherer Sachvortrag der Klagepartei dazu, warum der Kläger dies unterschrieben habe, obwohl ihm die Bedingungen nicht übergeben wurden, ist nicht erfolgt. Zudem hat die Beklagtenpartei unter Anlage B 1 die Broschüre für die Versicherungspolice Wealthmaster Noble vorgelegt, die einleitende Beschreibung, Verbraucherinformationen, Poolinformation, Antragsformular und Policenbedingungen enthält und augenscheinlich als einheitliche Broschüre zusammengeheftet ist. In der Verbindung mit der Unterschrift des Klägers dazu, dass der Policenbedingungen und Poolinformationen erhalten habe, ist das Gericht davon überzeugt, dass dem Kläger bei Antragstellung die geforderten Informationen und Unterlagen vorlagen und somit ein Versicherungsschluss im Antragsmodell nach § 8 Abs. 5 alte Fassung VVG zustandekam.
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Gemäß § 8 Abs. 5 S. 1 VVG alte Fassung konnte der Kläger innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Abschluss des Vertrages vom Vertrag zurücktreten. Die Frist beginnt zu laufen, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer über sein Rücktrittsrecht belehrt und der Versicherungsnehmer die Belehrung durch Unterschrift bestätigt hat nach § 8 Abs. 5 S. 3 VVG alte Fassung.
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Danach wurde die Rücktrittsfrist hier in Lauf gesetzt. Die Belehrung des „Wealthmaster Noble“ genügt den Anforderungen des § 8 VVG alte Fassung.
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Sie ist hinreichend hervorgehoben. Der Wortlaut des § 8 Abs. 5 VVG alte Fassung setzt eine drucktechnische Hervorhebung nicht ausdrücklich voraus. Erforderlich ist lediglich, dass die Belehrung zur Erreichung ihres gesetzlichen Zweckes inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein muss. Das erfordert eine Form der Belehrung, die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt und darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das maßgebliche Wissen zu vermitteln (vgl. BGH Urteil vom 17.12.2014, IV ZR 260/11).
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Diesen Anforderungen genügt die Rücktrittsbelehrung im Antragsformular (K 1). Die Belehrung befindet sich direkt über der Unterschrift des Klägers, so dass sie auf jeden Fall ins Auge stach.
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Auch inhaltlich ist die Belehrung nicht zu beanstanden. Unerheblich ist, dass von einem Widerspruch statt von einem Rücktritt die Rede ist. Ein schützenswertes Interesse des Verbrauchers bezüglich dieser Fehlbezeichnung ist nicht erkennbar. Entscheidend ist, dass der Verbraucher die Möglichkeit erkennt, dass er sich vom Vertrag lösen kann, falls er dies möchte. Es ist unschädlich, dass die Belehrung keine Angaben zur Form der Rücktrittserklärung macht. Dies war in § 8 Abs. 5 alte Fassung VVG nicht vorgesehen. Somit konnte vom Versicherer nicht verlangt werden, dass er die insoweit unklare gesetzliche Bestimmung in einer bestimmten Weise auslegt.
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Die Belehrung ist auch durch Unterschrift bestätigt worden. Hierbei ist eine isolierte Unterzeichnung der Belehrung nicht erforderlich (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2017, 1377). Es genügt, wenn die Belehrung wie hier in unmittelbarer räumlicher Nähe über der Unterschriftenzeile im Antragsformular steht. Somit hat sich die Unterschrift des Klägers auf da Vertragsangebot und die Belehrung bezogen.
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Damit ist das Rücktrittsrecht mit Ablauf von 14 Tagen nach Vertragsschluss erloschen und konnte im Jahr 2019 nicht mehr ausgeübt werden.
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Zudem wäre ein Anspruch des Klägers auch verwirkt.
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Das Zeitmoment ist gegeben, da der Kläger seine Police am 19. November 2001 beantragte und der Widerspruch im Jahr 2019 erfolgte.
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Auch das Umstandsmoment ist verwirkt. Der Kläger hat seinen Anspruch aus der Versicherung an die Stadtsparkasse K.-B. abgetreten.
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Zudem hat er weiter auf den Vertrag eingewirkt. Somit musste die Beklagte im Jahr 2019 nicht mehr mit einem Rücktritt oder Widerspruch durch den Kläger rechnen. Zudem hat der Kläger die Versicherung im Jahr 2012 gekündigt. Er hat hierbei nicht innerhalb der regulären Verjährungsfrist nach Kündigung widersprochen. Auch aus diesem Umstand ergibt sich, dass die Beklagte im Jahr 2019 nicht mehr mit einem Widerspruch oder Rücktritt rechnen musste.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.