Titel:
Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltstitel, Familiennachzug, Rechtsmißbrauch, Unrichtige Angaben, Familiäre Lebensgemeinschaft, Kostenentscheidung, Revisionsbegründung, Aufenthaltsrecht des Ehegatten, Aufenthaltsrechtliche Wirkung, Bedingter Vorsatz, Eigenständiges Aufenthaltsrecht, Generalstaatsanwaltschaft, Subjektive Voraussetzungen, Verlängerung, Ausländischer Ehegatte, Verbotsirrtum, Rechtsfehler, Ausländerrecht
Schlagworte:
Revision, Aufenthaltstitel, Strafbarkeit, Schutzzweck, Familiennachzug, bedingter Vorsatz, Unrechtsbewusstsein
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 25.02.2019 – 25 Ns 383 Js 165338/15
Fundstelle:
BeckRS 2020, 63237
Tenor
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 25. Februar 2019 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe
1
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Vorlageschreiben der Generalstaatsanwaltschaft M. vom 07.08.2019 Bezug genommen. Ergänzend bemerkt der Senat:
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1. Dem ergangenen Schuldspruch steht nicht entgegen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat ein eigenständiges Aufenthaltsrecht aus § 31 AufenthG hätte erlangen können. Nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG macht sich u.a. strafbar, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen. Zutreffend wurde hierzu im Vorlageschreiben der Generalstaatsanwaltschaft M. vom 07.08.2019 bereits darauf hingewiesen, dass § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG als abstraktes Gefährdungsdelikt nach seinem Schutzzweck den Rechtsmissbrauch zur Erlangung einer Aufenthaltstitels bereits im Vorfeld der behördlichen Entscheidung personalisiert. Geschütztes Rechtsgut ist das formelle Verfahren, das der Gewährleistung materiell richtiger Aufenthaltstitel dient. Für die Strafbarkeit genügt es, dass die unrichtigen Angaben vor einer Behörde in einem Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz gemacht wurden. Dass dem Angeklagten unbeschadet der unrichtigen Angaben auf Grund anderer Umstände ein Aufenthaltstitel zu erteilen gewesen wäre, ist für den Tatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG unerheblich (vgl. z.B. Erbs/Kohlhaas/Senge, 226. EL August 2019, § 95 AufenthG Rn. 56 m.w.N.). Dass ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels genehmigungsfähig ist, steht der Genehmigung nicht gleich (MüKo-StGB/Gericke, 3. Aufl. 2018, § 95 AufenthG Rn. 4).
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Aus den Feststellungen des Landgerichts wird deutlich, dass der Angeklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27, 30 AufenthaltsG (Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug) beantragt und in diesem Rahmen falsche Angaben über den Bestand seiner ehelichen Lebensgemeinschaft und seinem Wohnsitz getätigt hatte, worauf ihm nach dieser Vorschrift eine Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis um drei Jahre erteilt wurde. Bei einem Aufenthaltstitel nach § 31 AufenthG hätte es sich demgegenüber – auch nach der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung der einschlägigen Bestimmungen – um eine ganz andersartige Entscheidung gehandelt; eine solche wurde weder beantragt noch erteilt und kann daher entsprechend der genannten Grundsätze für die Strafbarkeit des Angeklagten keine Bedeutung erlangen.
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So wird eine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27, 30 AufenthaltsG allein zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG erteilt (§ 27 Abs. 1 AufenthG). Der Zweck eines entsprechenden Antrags muss daher gerade die Herstellung und Wahrung einer familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet sein, denn erst der Wille hierzu löst den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG aus. Das formale Band der Ehe reicht allein nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten eines ausländischen Ehegatten abzuleiten (vgl. z.B. BeckOK AuslR/Tewocht, 24. Ed. 01.11.2019, § 27 AufenthG Rn. 33).
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Demgegenüber setzt ein eigenständiges, vom Zweck des Familiennachzugs unabhängiges Aufenthaltsrecht des Ehegatten nach § 31 AufenthG gerade die Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft voraus, während sich die Verlängerung des Aufenthaltstitels für den Ehegatten ansonsten nach § 30 AufenthG richtet. Bei der Verlängerung der eigenständigen Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG einerseits und der Erteilung einer akzessorischen Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten nach § 30 AufenthG andererseits handelt es sich um jeweils eigenständige Regelungsgegenstände (vgl. BeckOK AuslR/Tewocht a.a.O. § 31 AufenthG Rn. 12 m.w.N.).
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Darüber hinaus unterscheidet sich die vom Angeklagten erlangte Aufenthaltserlaubnis auch im Gestattungsumfang von dem Titel, den er mittels richtiger Angaben hätte erhalten können, denn es wurde ihm gemäß § 30 AufenthG eine Verlängerung seines Status um drei Jahre erteilt (vgl. § 27 Abs. 4 Satz 1 AufenthG: Eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift darf längstens für den Gültigkeitszeitraum der Aufenthaltserlaubnis des Ausländers erteilt werden, zu dem der Familiennachzug stattfindet), während eine Verlängerung nach § 31 Abs. 1 AufenthG maximal für ein Jahr hätte erfolgen können (vgl. hierzu Bergmann/Dienelt/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 31 AufenthG Rn. 74).
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2. Die Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch auch hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen. So setzt § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht mehr als bedingten Vorsatz voraus (siehe z.B. MüKo-StGB/Gericke a.a.O. Rn. 116); die Tatbestandsumschreibung mit den Worten „um … zu“ markiert hier nicht das Erfordernis eines absichtlichen Handelns. Soweit daneben die Revisionsbegründung Ausführungen zu rechtlichen Vorstellungen des Angeklagten vermisst, waren solche im Berufungsurteil nicht veranlasst, da der Angeklagte weder behauptet hat, etwa in einem Verbotsirrtum gehandelt zu haben, noch die Feststellungen sonst Anlass boten, das Unrechtsbewusstsein des Angeklagten zu hinterfragen (vgl. z.B. LR/Stuckenberg, 26. Aufl. 2012, § 267 StPO Rn. 46).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.