Inhalt

VG München, Beschluss v. 02.01.2020 – M 26 S 19.4757
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage eines Fahreignungsgutachtens - einstweiliger Rechtsschutz

Normenketten:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8, § 46 Abs. 1, Abs. 3
FeV Anl. 4 Vorb. Nr. 1
Leitsatz:
Eine - behandlungsbedürftige - ADHS-Grunderkrankung gibt als solche bereits Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung (so wohl auch BayVGH BeckRS 2019, 7184 Rn. 19), ohne dass zu der Erkrankung noch „augenfällige und gehäufte Verstöße gegen Verkehrsvorschriften“ hinzutreten müssen (so aber VG Würzburg BeckRS 2016, 49875). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Eignungszweifel bei ADHS, Behandlung mit Lisdexamfetamin (Elvanse), Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, Verkehrsverstöße
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.03.2020 – 11 CS 20.203
Fundstelle:
BeckRS 2020, 6320

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der 2000 geborene Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L, welche er am 12. Juni 2018 erstmalig erworben hat.
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Am 14. Juni 2018 wurde der Antragsteller einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen. Laut Polizeibericht vom 28. Juni 2018 habe sich Antragsteller während der Kontrolle sehr unruhig verhalten und sei sichtlich nervös gewesen. Auf Nachfrage habe er angegeben, er würde regelmäßig, zuletzt vor wenigen Tagen, Marihuana konsumieren. Seine Pupillen seien drogentypisch verkleinert gewesen. Der durchgeführte Drogenvortest sei positiv auf Amphetamine gewesen. Der Antragsteller habe dazu angegeben, er leide unter einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, weshalb ihm sein behandelnder Arzt das Medikament Elvanse (Lisdexamfetamin) verschrieben habe.
3
Bei einer Blutprobenuntersuchung wurde durch das Institut für Rechtsmedizin im Universitätsklinikum … Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure (THC-COOH) mit einer Konzentration von 4,1 ng/ml festgestellt. THC wurde nicht nachgewiesen. Hinsichtlich Amphetaminen war die Blutuntersuchung negativ.
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Eine fachärztliche Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie vom 15. Juni 2018 erläutert hierzu, dass der Antragsteller an einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung nach ICD-10 F 90.0 leide. Angesichts der schwierigen schulischen Situation sei in der letzten Wiedervorstellung am 20. März 2018 vereinbart worden, dass der Antragsteller erneut auf die zuletzt verordnete Medikation Lisdexamfetamin (Elvanse) 50 mg/Tag zurückgreifen solle. Eine regelmäßige Einnahme sei aus ärztlicher Sicht nicht notwendig, da die Problematik der Aufmerksamkeitsstörung im Alltag nicht mehr störungsrelevant sei; allerdings zeigten sich noch Konzentrationsprobleme (Fokussierung und Daueraufmerksamkeit) in Prüfungssituationen, deshalb sei „am Dienstag“ (den 12. Juni 2018) wegen der bevorstehenden Führerscheinprüfung und gemäß ärztlicher Anweisung Elvanse eingenommen worden.
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In der Fahrerlaubnisakte finden sich zum Antragsteller mehrere polizeilich übersandte und stark geschwärzte Unterlagen, wonach der Antragsteller in der Vergangenheit wegen Besitzes von Marihuana von der Polizei kontrolliert und von den Beamten u.a. als „respektlos“, „verbal aggressiv“, „unkooperativ“ und „frech“ wahrgenommen wurde.
6
Mit Schreiben vom 6. Mai 2019 ordnete die Fahrerlaubnisbehörde unter Schilderung der oben dargestellten Sachverhalte die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens zur Klärung der Fahreignung bis zum 7. Juli 2019 an.
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Die Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung des Antragstellers sei eine psychische Störung, durch die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen eingeschränkt oder ausgeschlossen sein könne. Das Krankheitsbild sei zwar nicht in Anlage 4 zur FeV aufgeführt, gehöre jedoch zu den verkehrsrelevanten Grunderkrankungen nach Nummer 1 der Vorbemerkung zur Anlage 4 der FeV. Hinsichtlich der Fahreignung von Bedeutung seien die mit der Krankheit einhergehenden komorbiden Störungen wie soziale Anpassungsstörungen, aggressives Verhalten, Persönlichkeitsstörungen und eine mögliche Flucht in den Betäubungsmittelmissbrauch als Selbstmedikation. Menschen mit dieser Erkrankung falle es schwer, vor allem in monotonen Situationen dauerhaft aufmerksam und konzentriert zu sein. Das Nachlassen von Aufmerksamkeit und Konzentration trete manchmal sehr plötzlich ein. Die polizeilichen Berichte legten den Verdacht nahe, dass beim Antragsteller die Erkrankung Auswirkungen auf die Fahreignung habe. Zur weiteren Abklärung der Eignung oder bedingten Eignung sei das Gutachten erforderlich und verhältnismäßig. Die ärztliche Stellungnahme vom 15. Juni 2018 reiche nicht aus, um diesbezügliche Zweifel auszuräumen.
8
Das Medikament Lisdexamfetamin sei ein Prodrug von Dexamfetamin und unterliege der Betäubungsmittelverordnung. Die Nebenwirkungen des Medikaments könnten Auswirkungen auf die Fahreignung haben. Aufgrund der zentral stimulierenden und euphorischen Wirkung bestehe für Lisdexamfetamin Missbrauchspotenzial.
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Folgende Fragestellungen sollten Gegenstand der gutachterlichen Stellungnahme sein:
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1. Ist der Antragsteller trotz des Vorliegens einer Erkrankung (einfache Aktivitätund Aufmerksamkeitsstörung), die nach der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV die Fahreignung infrage stellt, weiterhin in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 vollständig gerecht zu werden?
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2. Ist die Medikamenteneinnahme auch außerhalb schwieriger schulischer Situationen erforderlich? Wenn ja, warum?
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3. Liegt eine ausreichende Adhärenz (Compliance; zum Beispiel Krankheitseinsicht, regelmäßige/überwachte Medikamenteneinnahme […] usw.) vor?
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4. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeuges (je Fahrerlaubnisklassengruppe) weiterhin gerecht zu werden?
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5. Ist eine fachlich einzelfallbegründete Nachuntersuchung (je Fahrerlaubnisklassengruppe) im Sinne einer (Nach-)begutachtung erforderlich? Wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand?
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6. Ist die Durchführung eines psychologischen Testverfahrens nach Nummer 8.2 der Beurteilungskriterien für die Urteilsbildung in der Fahreignung Begutachtung zur Ermittlung der psychophysischen Leistungsfähigkeit angezeigt?
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Das nach Fristverlängerung für den Antragsteller erstellte Gutachten legte dieser nicht vor.
17
Mit Bescheid vom … August 2019 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller nach Anhörung die Fahrerlaubnis (Nr. 1) und forderte den Antragsteller unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500 EUR (Nr. 3) auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzuliefern (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet. Nr. 5 enthält die Kostenentscheidung.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Fahrerlaubnisbehörde sei berechtigt, aus der Nichtvorlage des zu Recht geforderten Gutachtens auf die fehlende Eignung zu schließen.
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Am 24. August 2019 wurde Widerspruch erhoben, über den bisher nach Aktenlage nicht entschieden wurde.
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Am 18. September 2019 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München nach § 80 Abs. 5 VwGO:
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 24.08.2019 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom …08.2019 wird hinsichtlich der Nummern 1 und 2 wieder hergestellt und hinsichtlich der Nummer 5 angeordnet.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Nichteignung des Antragstellers nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV feststehe. Die Gutachtensanordnung sei rechtswidrig. Eine einfache Aufmerksamkeit- und Aktivitätsstörung begründe keine generellen Zweifel an der Fahreignung. In diesem Fall erfordere eine Begutachtungsanordnung eine besondere Begründung und eine sorgfältige Ermessensausübung. Das VG Würzburg habe (B.v. 27.07.2016 - 6 W S 16.680) ausgeführt, dass ADHS nur bei hinzutretenden augenfälligen oder gehäuften Verstößen gegen Verkehrsvorschriften abklärungsbedürftig sei.
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Eine Dauermedikation im Sinne der Ziffer 9.6 der Anlage 4 zur FeV und eine unsachgemäße Einnahme von Elvanse im Sinne eines Missbrauchs lägen nicht vor. Der Antragsteller nehme dieses Medikament ärztlich verschrieben und bestimmungsgemäß und nach konkreter ärztlicher Absprache ausschließlich in Prüfungssituationen ein.
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Aus dem positiven Nachweis von THC-Carbonsäure in der Blutprobe vom 14. Juni 2018 ergebe sich im Übrigen wegen des niedrigen Wertes weder gelegentlicher noch regelmäßiger Konsum von Cannabis. Aus dem Polizeibericht zum Vorfall vom 14. Juni 2018 ergäben sich keinerlei Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers, schon gar nicht aus den zweifelhaften „Eindrucksvermerken“ der Polizei.
25
Die Gutachtensanordnung sei auch wegen Fehlern in der Fragestellung rechtswidrig. Denn das ärztliche Gutachten könne die Frage, ob der zugrunde liegende Sachverhalt die Eignung infrage stelle, insoweit nicht klären, als die Eignungszweifel mit den charakterlichen Aspekten fehlender Reue und Respektlosigkeit gegenüber der Polizei begründet würden. Zudem sei die Frage 2 der Anordnung, ob die Medikamenteneinnahme auch außerhalb schwieriger schulischer Situationen erforderlich sei, zu allgemein gefasst, weil sie sich nicht auf ein konkretes Medikament und eine bestimmte Dosierung beziehe. Die Frage, ob, wann und in welcher Dosierung der Antragsteller Medikamente einnehmen müsse, falle in den alleinigen Kompetenzbereich des behandelnden Arztes, der diese Frage auch beantwortet habe. Auch die Frage nach der Adhärenz sei nicht anlassbezogen und damit unverhältnismäßig, da es keinerlei Anhaltspunkte für Missbrauch oder Überdosierung von Elvanse gäbe.
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Der Antragsgegner beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Vorbemerkung 1 der Anlage 4 zur FeV die Überprüfung auch bei Erkrankungen zulasse, die nicht explizit in der Anlage aufgeführt seien. Eine in diesem Fall erforderliche gründliche Ermessensabwägung sei in der Anordnung vom 6. Mai 2019 getroffen und ausführlich dargelegt worden.
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Zweifel bezüglich der Fahreignung ergäben sich einerseits generell aus dem bekannten Krankheitsbild, die mit den diesbezüglichen sachangemessenen Fragen aufgeklärt werden sollten. Andererseits sei aber auch die Auswirkung der konkreten amphetaminhaltigen Medikation auf den Antragsteller zu überprüfen. Auch die diesbezüglichen Fragen zur Adhärenz, der speziellen Auswirkungen des Betäubungsmittelanteils sowie zur Definition des Einnahmebedarfs seien sachangemessen.
30
Verkehrsauffälligkeit sei keine zusätzliche Voraussetzung für eine Begutachtung wegen gesundheitlicher Eignungszweifel. Die durch den THC-COOH-Wert ersichtliche Cannabisaufnahme untermauere die Eignungszweifel. Das angeführte Verhalten des Klägers bei den Kontakten mit der Polizei diene der Darstellung des Gesamtbildes, da nach medizinischen Erkenntnissen das geschilderte Verhalten des Antragstellers als Anzeichen der Krankheit erklärbar sein könnte.
31
Hierauf entgegnete der Antragsteller, ein möglicher Gebrauch zweier die Fahreignung grundsätzlich beeinträchtigender Substanzen sei nicht Teil der Fragestellung in der Gutachtensanordnung gewesen. Fahreignungszweifel nur durch die Bezugnahme auf die Erkrankung des Klägers ließen sich nicht begründen. Konkrete zusätzliche belastbare Umstände im Sinne von Verkehrsauffälligkeiten des Antragstellers lägen nicht vor.
32
Mit Beschluss vom 19. Dezember 2019 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
34
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht prüft, ob die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegeben sind. Im Übrigen trifft es eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
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Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist vorliegend der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, da das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
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1. Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheides gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO im ausreichenden Maß begründet (S. 5 f. des Bescheids). Die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid genügt den lediglich formellrechtlichen Anforderungen. Sie lässt erkennen, dass sich der Antragsgegner des Ausnahmecharakters der Vollzugsanordnung bewusst war und enthält die Erwägungen, die er für die Anordnung des Sofortvollzugs als maßgeblich angesehen hat.
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2. Nach summarischer Prüfung der Hauptsache, wie sie im Sofortverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO erforderlich und ausreichend ist, ist festzustellen, dass der Bescheid vom … August 2019 rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt. Der Antragsgegner durfte gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nämlich auf die Nichteignung des Antragstellers schließen, da die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens vom 6. Mai 2019 rechtmäßig war.
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Der Schluss auf die Nichteignung des Betroffenen im Fall der Nichtbeibringung eines Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV ist nur zulässig, wenn die Anordnung zur Gutachtensbeibringung rechtmäßig war, wenn also die rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung erfüllt sind und die Anordnung auch im Übrigen den Anforderungen des § 11 FeV entspricht. Voraussetzung ist insbesondere, dass die Anordnung zur Beibringung des Gutachtens anlassbezogen und verhältnismäßig erfolgt ist. Der Betroffene muss der Gutachtensaufforderung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das Verlautbarte die behördlichen Zweifel an seiner Fahreignung zu rechtfertigen vermag. Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung gebunden (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 11 FeV Rn. 55; Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Jahnke/Hühnermann/Janker, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl. 2016, § 3 StVG Rn. 7c und 7e - jeweils m.w.N.).
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An die Rechtmäßigkeit der Gutachtensaufforderung sind auch formal strenge Maßstäbe anzulegen, weil der Antragsteller die Gutachtensaufforderung mangels Verwaltungsaktsqualität nicht direkt anfechten kann. Er trägt das Risiko, dass ihm gegebenenfalls die Fahrerlaubnis bei einer Weigerung deswegen entzogen wird. Der Gutachter ist an die Gutachtensaufforderung und die dort formulierte Fragestellung sowie die dort genannten Rechts- und Beurteilungsgrundlagen gebunden. Es ist gemäß § 11 Abs. 6 FeV Aufgabe der Fahrerlaubnisbehörde und nicht Aufgabe des Gutachters oder des Antragstellers, die Beurteilungsgrundlage und den Beurteilungsrahmen selbst klar und fehlerfrei festzulegen (vgl. BVerwG, B.v. 5.2.2015 - 3 B 16/14 - Buchholz 442.10 § 2 StVG Nr. 21 mit Anmerkung Liebler, jurisPR-BVerwG 10/2015 vom 8.5.2015, Anm. 2; BayVGH, B.v. 24.7.2015 - 11 CS 15.1203 - SVR 2016, 189; B.v. 24.11.2014 - 11 ZB 13.2240 - juris; U.v. 12.3.2012 - 11 B 10.955 - SVR 2012, 396; Zwerger, juris-PR-Verkehrsrecht 3/2014 vom 12.2.2014, Anm. 6).
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2.1 Die Fahrerlaubnisbehörde stützt sich zur Begründung ihrer Eignungszweifel in ihrer Gutachtensanordnung maßgeblich auf eine beim Antragsteller vorliegende Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (im folgenden ADHS) in der Ausprägung einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung nach ICD-10 F 90.0, wie der Antragsteller sie der Polizei gegenüber angegeben und sie der behandelnde Facharzt des Antragstellers in seiner Stellungnahme vom 15. Juni 2018 diagnostiziert hat. Dagegen stützt sich die Fahrerlaubnisbehörde ausweislich der Begründung und der Fragestellung der Gutachtensanordnung nicht auf die Einnahme von Cannabis durch den Antragsteller oder eine Dauer(!)behandlung mit Lisdexamfetamin, sodass maßgeblich allein die Frage ist, ob die dem Antragsteller unterstellte Erkrankung und ihre medikamentöse Behandlung im konkreten Einzelfall die Gutachtensanordnung als solche und die in ihrem Rahmen formulierten Fragestellungen im Einzelnen rechtfertigen.
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2.2 Die - behandlungsbedürftige - Grunderkrankung ADHS gibt nach Auffassung des Gerichts als solche bereits Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung des Antragstellers (vgl. Nr. 1 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV), wovon wohl auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 28.03.2019 - 11 CS 18.2127 -, Rdnr. 19 juris). Dass, wie das Verwaltungsgericht Würzburg in seinem vom Antragsteller zitierten Beschluss vom … Juli 2016 anzunehmen scheint, zu der Erkrankung noch „augenfällige und gehäufte Verstöße gegen Verkehrsvorschriften“ hinzutreten müssen, ist hingegen nicht erforderlich. Denn das vom Antragsgegner in seiner Gutachtensanordnung (S. 3) dargestellte Krankheitsbild, insbesondere auch die potenziell mit der Krankheit einhergehenden komorbiden Störungen, lassen eine negative Beeinflussung der Fahreignung in jedem Falle als naheliegend oder zumindest möglich erscheinen. Daneben kommt den Schilderungen des Polizeiberichts vom 28. Juni 2018, wonach der Antragsteller im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle den kontrollierenden Beamten negativ aufgefallen ist, keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Gleichfalls unerheblich sind die polizeilich übersandten „Eindrucksvermerke“ zum Antragsteller, die wegen ihres fehlenden Kontexts und mangels feststellbarer Urheberschaft in diesem Verfahren nicht verwertbar sein dürften. Andererseits macht nach Auffassung des Gerichts die Wiedergabe dieser Vermerke in der Gutachtensanordnung diese nicht rechtswidrig, solange, wie hier, anderweitige tragfähige tatsächliche Anhaltspunkte für eine fehlende Eignung vorliegen.
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2.3 Die Gutachtensaufforderung ist formell rechtmäßig. Sie enthält alle nach § 11 Abs. 6 sowie Abs. 8 FeV notwendigen Mitteilungen und Hinweise. Die gesetzte Frist bis zum 7. Juli 2019 ist angemessen.
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2.4 Die gestellten gutachterlich zu beantwortenden Fragen sind gemessen an den im konkreten Einzelfall gegebenen Zweifeln an der Fahreignung auch inhaltlich sachangemessen. Die Fragen 1, 3, 4 und 5 der Gutachtensanordnung zielen sachgerecht auf die (fach)ärztliche und fahreignungsbezogene Klärung der Frage ab, ob der Antragsteller trotz seiner konkret bekannten ADHS-Erkrankung unbedingt oder wenigstens bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 ist. Dabei sind die ergänzenden Fragen nach Beschränkungen und/oder Auflagen und nach Nachuntersuchungen hier wie bei einer Vielzahl der in Anlage 4 der FeV gelisteten Krankheiten und Mängel sinnvoll und ein Gebot der Verhältnismäßigkeit. Die Frage 6 nach der Notwendigkeit der Durchführung eines psychologischen Testverfahrens zur Ermittlung der psychophysischen Leistungsfähigkeit kann durch einen verkehrsmedizinisch qualifizierten Facharzt für Psychiatrie beantwortet werden und genügt dem in § 11 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV angelegten Stufenverhältnis von ärztlichem und medizinischpsychologischem Gutachten in bestimmten Fallkonstellationen. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall wesentlich von dem oben zitierten vom VG Würzburg entschiedenen Fall, in dem die Fahrerlaubnisbehörde die Frage nach der psychophysischen Leistungsfähigkeit des Betroffenen bereits im ersten Schritt durch ein ärztliches Gutachten geklärt wissen wollte. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall. Die Frage 2 nach der Erforderlichkeit einer Medikamenteneinnahme auch außerhalb schwieriger schulischer Situationen korrespondiert mit der Aussage der fachärztlichen Stellungnahme des behandelnden Arztes des Antragstellers vom 15. Juni 2018, wonach der Antragsteller die Medikation Lisdexamfetamin 50 mg/Tag „angesichts der schwierigen schulischen Situation“ erhalte. Unbeschadet der Frage, wodurch eine „schwierige schulische Situation“ gekennzeichnet ist, geht der behandelnde Facharzt offensichtlich darüber hinaus davon aus, dass eine Medikationsbedürftigkeit auch für sonstige Prüfungssituationen besteht, insofern er offenbar auch die Führerscheinprüfung als eine solche ansieht. Da es nach dem festgestellten Sachverhalt einerseits nicht ausgeschlossen ist und auch die Behörde ersichtlich davon ausgeht, dass der Antragsteller möglicherweise das Medikament Elvanse auch außerhalb von schulischen Prüfungssituationen einnimmt und andererseits die fachärztliche Stellungnahme die Frage nach der Erforderlichkeit der Medikation nicht zufriedenstellend beantwortet, ist die Frage nach der Erforderlichkeit einer Medikamenteneinnahme an den psychiatrischen Facharzt auch sachangemessen. Die Frage ist entgegen der Argumentation des Antragstellers auch inhaltlich hinreichend bestimmt, weil sie sich dem Kontext nach auf die konkret dem Antragsteller verschriebene Medikation durch den behandelnden Facharzt bezieht.
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2.5 Ermessensfehler der Fahrerlaubnisbehörde sind nicht ersichtlich. Sie hat erkannt, dass ihr durch § 11 Abs. 2 FeV ein Entschließungsermessen eingeräumt ist und hat dieses Ermessen auch rechtsfehlerfrei ausgeübt. Insbesondere war es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht geboten, zunächst weitere ärztliche Stellungnahmen beim Antragsteller anzufordern, da die ADHS-Erkrankung vom behandelnden Arzt des Antragstellers ausdrücklich diagnostiziert wurde und valide Aussagen zur Fahreignung trotz der vorliegenden Erkrankung von dieser Seite nicht zu erwarten waren.
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2.6 Da somit die Gutachtensanordnung rechtmäßig war und der Antragsteller das Gutachten, von dessen Erstellung auszugehen ist, aus welchen Gründen auch immer nicht vorgelegt hat, dürfte die Behörde nach § 11 Abs. 8 FeV aus der Nichtvorlage auf die fehlende Eignung des Antragstellers schließen.
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3. Da nach dem Gesagten der Entzug der Fahrerlaubnis voraussichtlich rechtmäßig ist, ist auch die zur Entziehung akzessorische (§ 47 Abs. 1 FeV) Ablieferungspflicht in Nr. 2 des Bescheids sowie die Kostenentscheidung in Nr. 5 rechtmäßig.
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4. Der Antrag war nach alldem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz in Verbindung mit Nr. 1.5 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.