Inhalt

LG Kempten, Endurteil v. 14.09.2020 – 14 O 117/20
Titel:

Abgasskandal, Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Sittenwidrige Schädigung, Klagepartei, Entscheidungsgründe, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Parteivorbringen, Klageabweisung, Literatur und Rechtsprechung, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Kosten des Rechtsstreits, Regel-Ausnahme-Verhältnis, Sicherheitsleistung, Zug-um-Zug, Zulässigkeit, Nebenentscheidung, Gesetzlicher Vertreter, Schädigungsvorsatz, Täuschungsverhalten

Schlagworte:
Zulässigkeit, Unbegründetheit, Abschalteinrichtung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 28.01.2022 – 14 U 6095/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 31.08.2023 – VIa ZR 264/22
Fundstelle:
BeckRS 2020, 63118

Tenor

1.    Die Klage wird abgewiesen.
2.    Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Klagepartei macht gegen die Beklagtenpartei Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Diesel – Abgasskandal, vorliegend jedoch im Hinblick auf den Nachfolgemotor EA 288 der Beklagten geltend.
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Die Klagepartei erwarb am 23.05.2017 den Pkw Audi A 5 TDI quattro. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.
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In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Baureihe EA 288 verbaut. Ferner verfügte das streitgegenständliche Fahrzeug über ein sogenanntes Thermofenster, welches die Abgasrückführung bei kühleren Außentemperaturen zurückfährt.
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Durch das Kraftfahrt-Bundesamt wurde nach Überprüfung keine unzulässige Abschaltung Einrichtung festgestellt.
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Die Klagepartei behauptet, dass ihr die Beklagte Schadensersatz schulde, weil sie von dieser sittenwidrig und betrügerisch geschädigt worden sei. Das gekaufte Fahrzeug würde unter den sogenannten „Abgasskandal“ fallen, und wäre mit einer Technik versehen, die die Messwerte bei Abgasprüfungen manipuliere und im Vergleich zum tatsächlichen Fahrbetrieb niedrigere Abgaswerte ausweise.
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Bei der Beklagten hätten verschiedene Personen von der Manipulation gewusst.
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Zur Rechtfertigung ihrer Ansprüche beruft sich die Klagepartei insbesondere auf Schadensersatzansprüche nach § 826 BGB.
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Die Klagepartei beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 30.570,82 EUR sowie Zinsen in Höhe von 4.852,52 EUR nebst weiteren Zinsen aus 38.444,24 EUR in Höhe von 4 Prozentpunkten pro Jahr seit dem 19.7.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A 5 TDI quattro mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … .
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbezeichneten Fahrzeugs in Verzug befindet.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten ist insbesondere der Ansicht, dass die streitgegenständliche Thematik zu dem Thermofenster nicht zu irgendwelchen Ansprüchen der Klagepartei führt. Vielmehr handele es sich um eine zulässige Abschaschlteinrichtung, die dem Schutz des Motoren dient.
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Das Gericht hat zur Sache mündlich verhandelt am 3.8.2020. Beweis wurde nicht erhoben. Es wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Im Übrigen wird zur Vervollständigung des Tatbestandes Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten umfangreichen Schriftsätze nebst Anlagen und sonstige Aktenbestandteile.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Kempten sachlich und örtlich gem. § 32 ZPO zuständig.
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II. Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Das Gericht sieht sich im Hinblick auf den umfangreichen Sach- und Rechtsvortrag der Parteien und die umfangreiche Aufarbeitung des „Abgasskandals“ in Rechtsprechung und Literatur zunächst zu dem ausdrücklichen Hinweis veranlasst, dass es nicht Aufgabe des schriftlichen Urteils ist, sämtliche Erwägungen des Gerichts darzustellen. Nach § 313 III ZPO sollen die Entscheidungsgründe nur eine „kurze Zusammenfassung“ der Erwägungen enthalten, auf denen die Entscheidung in tat-sächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht. Ein Gericht braucht deshalb nicht jedes Parteivorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu behandeln (BVerfG RdL 2004, 68 [unter II 1 a]; BGHZ 3, 162 [175]; NJW 2003, 1943 [1947]; NJOZ 2005, 3387 [3388]; BAG MDR 2005, 1008).
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Das Gericht hat gleichwohl vor seiner Entscheidung alle vorgetragenen Sachverhalte und Behauptungen der Parteien und ihren Rechtsvortrag geprüft und sich mit dem aktuellen Stand von Literatur und Rechtsprechung zur rechtlichen Beurteilung der im Zusammenhang mit dem Abgasskandal zu klärenden Rechtsfragen befasst. Die nachfolgende Begründung der richterlichen Entscheidung im vorliegenden Verfahren beschränkt sich aber bewusst auf die punktuelle Darstellung der wichtigsten Gründe, weshalb die Klage keinen Erfolg haben konnte.
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Der Klagepartei kommen keine insbesondere keine Ansprüche gemäß § 826 BGB zu, nachdem insbesondere eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung nicht hinreichend dargelegt wurde.
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1. Dabei schließt sich das Gericht hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit der Abschalteinrichtung in Gestalt des sogenannten Thermofensters des den Ausführungen des Oberlandesgerichts München in dessen Hinweis vom 06.05.2020 im Verfahren 14 U 7367/19 an. Das Gericht ist sich bewusst, dass dieser Hinweis zu Motoren der Daimler AG erging jedoch es sind die dortigen Ausführungen zum Thermofenstern hiesigen Sachverhalt übertragbar.
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So führte das Oberlandesgericht dort aus:
„Nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates vom 20.6.2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen Euro 5 und 6 (künftig: Verordnung (EG) Nr. 715/2007) ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Dies ist nach dem 2. Satz der Regelung u.a. dann nicht der Fall, wenn die Einrichtung (in der deutschen Übersetzung) „notwendig“ ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
„Abschalteinrichtung“ ist nach der Begriffsbestimmung in Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EG) 715/2007 ein „Konstruktionsteil“, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionkontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
Die Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat der für Kaufrecht zu-ständige Senat des Bundesgerichtshofs in seinem Hinweisbeschluss vom 8.1.2019 im Verfahren VIII ZR 225/17 hinsichtlich der Motoren des Typs EA 189 des Herstellers Volkswagen AG tendenziell bejaht, da die bei diesem Motor verwendete Software erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet, und in diesem Fall in einen Modus schaltet, bei dem verstärkt Abgase in den Motor zurückgelangen und sich so der Ausstoß an Stickoxiden verringert.
Demgegenüber ist nach dem klägerischen Sachvortrag bei dem streitgegenständlichen Motor der Beklagten keine Software installiert, die nach Erkennung eines Prüfstandes in einen anderen Modus schaltet.
Vielmehr wird klägerseits behauptet, dass das installierte Thermofenster bereits so konzipiert sei, dass die Abgasreinigung unter den vorgeschriebenen Prüfstandbedingungen optimal funktioniert, aber bereits bei Veränderung der Umgebungstemperatur entsprechend der über einen Großteil des Jahres im Außenbereich vorherrschenden Temperaturen reduziert werde.
Das Emissionsverhalten des streitgegenständlichen Motors entspricht jedoch auch nach dem klägerischen Vortrag bei gleichen Bedingungen auf der Straße dem Prüfstand.
Eine „Manipulation“ der Motorsteuerung zum Zweck der „Überlistung“ des NEFZ Prüfverfahrens liegt insoweit nicht auf der Hand.
Es ist vielmehr sehr fraglich, ob eine derartige Programmierung als „Abschalteinrichtung“ i.S. von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) 715/2007 bezeichnet werden kann, was höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, aber im vorliegenden Fall auch nicht geklärt werden muss.
Die Beklagte beruft sich insbesondere auf die Zulässigkeit einer temperaturgesteuerten Veränderung der Abgasreinigung zum Schutz des Motors vor Beschädigung i.S. von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) 715/2007.
Unabhängig von der Frage, ob eine Notwendigkeit in dem Sinne, dass keine anderen Maßnahmen zum Schutz des Motors in Betracht kommen würden, von Seiten der Beklagten nachgewiesen werden könnte, wäre eine derartige unzutreffende Gesetzesanwendung weder objektiv noch subjektiv als sittenwidrige Schädigung zu bewerten.
Dafür spricht auch kein Anscheinsbeweis.
Die Motorsteuerung und das Emissionsverhalten des streitgegenständlichen Motors ist unstreitig auf der Straße und dem Prüfstand bei gleichen Temperaturbedingungen identisch. Es mag sein, dass die vorgegebenen Umgebungsparameter für den Prüfzyklus insbesondere ein Temperaturbereich zwischen 20 und 30 Grad Celsius nicht den normalerweise für den Großteil des Jahres in Mitteleuropa zu erwartenden Temperaturen entsprechen. Diese Vorgabe war für die Beklagte nicht beeinflussbar.
Der zulässige Spielraum für die Programmierung eines Thermofensters zum Schutz des Motors ist aus den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht eindeutig und unmissverständlich erkennbar, insbesondere wird auch in der deutschen Übersetzung der Normen nicht verlangt, dass die Einrichtung eines Thermofensters zum Schutz des Motors alternativlos zwingend notwendig wäre.
Die Klagepartei behauptet nicht, dass die Abgasrückführung außerhalb dieses Temperaturrahmens völlig ausgesetzt würde, sondern macht ab bestimmten Temperaturen eine nicht näher quantifizierbare Reduzierung der Abgasrückführung geltend, die zu einer erheblichen Erhöhung der Schadstoffemissionen führen würde.
Die Programmierung einer Motorsteuerung eines derartigen Thermofensters verstößt nicht ohne weiteres gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und ist nicht schon mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung unvereinbar. Selbst wenn die programmierte Reduzierung der Abgasreduzierung in dem vorgenommenen Umfang zum Schutz des Motors nicht unbedingt erforderlich wäre, kann unter diesen Umständen weder von einem objektiv sittenwidrigen Verhalten und erst recht nicht von einem Schädigungsvorsatz der zuständigen Mitarbeiter und gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu Lasten der Fahrzeugkäufer ausgegangen werden.
Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Programmierung des Thermofensters in dem Bewusstsein geschah, damit zumindest möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dass dies billigend in Kauf genommen wurde, sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann nicht als verwerfliches Verhalten i.S. von § 826 BGB angesehen werden.
Der Senat schließt sich insoweit den bereits vorliegenden Entscheidungen des OLG Köln vom 4.7.2019, Az. 3 U 148/18, des OLG Dresden vom 9.7.2019, Az. 9 U 567/19, des OLG Stuttgart vom 30.7.2019, Az. 10 U 134/19 und des Schleswigholsteinischen Oberlandesgerichts vom 23.8.2019, Az. 3 U 13/19, an.
Ein sittenwidriges täuschendes Verhalten ergibt sich auch nicht bereits daraus, dass der Fahrzeugkäufer von Seiten der Beklagten nicht über das gesetzliche Regel-/Ausnahmeverhältnis aufgeklärt wurde.“
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2. Des Weiteren kann im vorliegenden Fall, anders als in dem vom BGH in dem Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19 zu beurteilenden Fall, gerade nicht von einem eingetretenen Schaden aufgrund drohender Stilllegung durch das KBA ausgegangen werden.
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Bereits angesichts des Umstandes, dass das KBA nicht von einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeht, scheidet dies aus.
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3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91, 709 ZPO.