Inhalt

ArbG Würzburg, Endurteil v. 06.08.2020 – 6 Ca 1435/19
Titel:

Unregelmäßige Nachtarbeit, Nachtarbeitszuschläge, Nachtarbeitnehmer, Nachtschichtarbeit, Manteltarifvertrag, Tarifvertragspartei, Bundesarbeitsgericht, Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, Zuschlagshöhe, Entscheidungsprärogative, Basiszinssatz, Tarifautonomie, Urteilsverfahren, Kostenentscheidung, Des Arbeitnehmers, für Arbeitnehmer, Rechtsmittelbelehrung, Ungleichbehandlung, Arbeitsgericht, Streitwert

Schlagworte:
Arbeitsgerichtsverfahren, Zuschlagshöhe, Gleichbehandlungsgrundsatz
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Endurteil vom 06.08.2020 – 6 Ca 1306/19
Rechtsmittelinstanzen:
ArbG Würzburg, Endurteil vom 06.08.2020 – 6 Ca 1431/19
ArbG Würzburg, Endurteil vom 06.08.2020 – 6 Ca 1426/19
LArbG Nürnberg, Urteil vom 22.03.2023 – 7 Sa 366/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62985

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 1.345,52 Euro.
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Tatbestand

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Die Parteien sind im Streit über die angemessene Höhe von Nachtarbeitszuschlägen.
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Die Beklagte ist ein tarifgebundenes Unternehmen der Nährmittelindustrie. Der Kläger, als Arbeitnehmer derselben, verrichtet bei der Beklagten Schichtarbeit, u.a. auch Nachtschichtarbeit. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für die Nährmittelindustrie und Fettschmelzen vom 3. Juni 2005 (nachfolgend MTV) Anwendung.
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In § 5 S. 1 Ziffer a sind diverse Zuschläge in unterschiedlicher Höhe geregelt. Für Nachtarbeit ist demnach ein Zuschlag von 50% zu zahlen, für Nachtschichtarbeit nur ein solcher in Höhe von 25%. Als Nachtarbeit definiert § 4 Ziffer 2 MTV Arbeit in der Zeit von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr, die unregelmäßig geleistet wird. In Ziffer 3 wird die Nachtschichtarbeit als eine solche definiert, welche in der Zeit von 21.00 Uhr bis 5.00 Uhr oder von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr auch im wöchentlichen Schichtwechsel geleistet wird. § 6 des genannten Tarifwerks regelt für Arbeitnehmer, die ausschließlich in Nachtarbeit beschäftigt sind, Schichtfreizeiten in der Form, dass für 50 geleistete Nachtschichten ein Tag Schichtfreizeit gewährt wird. Arbeitnehmer die regelmäßig im Dreischichtbetrieb arbeiten erhalten für 30 geleistete Nachtschichten je einen Tag Schichtfreizeit.
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Die Klagepartei hat in den hier eingeklagten Monaten jeweils in Nachtschicht gearbeitet und auch je 25% Zuschlag für die gearbeiteten Stunden erhalten. Die Gesamthöhe der gewährten Zuschläge entspricht dem jetzigen Klagebetrag.
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Nach vorgerichtlicher Geltendmachung ist am 16.12.2019 Klage erhoben worden.
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Nach Auffassung der Klagepartei ist die tarifvertraglich unterschiedliche Behandlung der Nachtschichtarbeit zur Nachtarbeit gleichheitswidrig und im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts 10 AZR 34/17 dahingehend zu korrigieren, dass für die Nachtschichtarbeiten eine Angleichung nach oben zu erfolgen hat. In diesem Zusammenhang werden daneben noch die Entscheidungen verschiedener anderer Gerichte zitiert, die diese Auffassung stützen sollen. Die Klagepartei trägt vor, die Nachtarbeit belaste gleichermaßen wie die Nachtschichtarbeit und führe zu biologischer wie sozialer Desynchronisation. Die Planbarkeit der Nachtschichtarbeit führe nicht zu geringeren Belastungen. Unsere Gesellschaft sei eine Feierabendgesellschaft, wer nicht regelmäßig teilnehmen kann, stehe außen vor. Die Zuschlagsregelung wird daher als unangemessen angesehen. Die Einschätzung der Tarifvertragsparteien überschreite die gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnisse. Nachtarbeit sei in jeder Form für jeden Menschen schädlich. Konkrete Vergleichsgruppe müsse nicht benannt werden, handle es sich doch um Normenkontrolle und vor diesem Hintergrund lediglich um die Erforderlichkeit, dass es eine Vergleichsgruppe geben kann. Konkrete Arbeitnehmer müsse der Kläger nicht benennen, dies könne er auch gar nicht.
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Hier werde aber eine Gruppe von Normadressaten sachwidrig anders behandelt als die andere Gruppe. Einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie sieht der Kläger nicht. Die Schutzpflichtfunktion der Grundrechte verpflichte die Rechtsprechung, hier dem Gleichbehandlungsgrundsatz Geltung zu verschaffen. Zweck der Zuschläge sei es die Unannehmlichkeiten der Nachtarbeit auszugleichen. Dies treffe beide Gruppen gleich. Die Verteuerung der unregelmäßigen Nachtarbeit möge ein Nebeneffekt gewesen sein, dies dürfe aber nicht zu tarifwidriger Schlechterstellung führen. Aufgrund der Unwirksamkeit der Zuschlagshöhe für die Nachtschichtarbeit, läge einer Regelungslücke vor die dahingehend zu korrigieren sei, auch den Nachtschichtarbeitern die gleichen Zuschläge zu zahlen wie den Nachtarbeitern.
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Der Kläger beantragt daher:
1. Die Beklagte wird verurteilt, 125,39 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2019 für den Monat Juni 2019 an den Kläger zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, 184,78 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2019 für den Monat Juli 2019 an den Kläger zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, 189,15 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2019 für den Monat August 2019 an den Kläger zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, 219,02 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.10.2019 für den Monat September 2019 an den Kläger zu zahlen.
5. Die Beklagte wird verurteilt, 268,79 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.11.2019 für den Monat Oktober 2019 an den Kläger zu zahlen.
6. Die Beklagte wird verurteilt, 169,24 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2019 für den Monat November 2019 an den Kläger zu zahlen.
7. Die Beklagte wird verurteilt, 189,15 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.01.2020 für den Monat Dezember 2019 an den Kläger zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage wird abgewiesen.
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Aus Sicht der Beklagten liegt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht vor. So fehle es bereits an einer substantiiert vorgetragenen Gruppenbildung als Voraussetzung für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Daneben bestünden sachliche Gründe für die Differenzierung zwischen der Nachtschichtarbeit und der Nachtarbeit. Auch die Beklagte benennt in diesem Zusammenhang diverse Gerichte, die ihre Auffassung der Beurteilung vergleichbarer Tarifwerke gestützt haben.
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Das Bundesarbeitsgericht habe in der Vergangenheit mit einer Vorentscheidung Leitplanken dahingehend gesetzt, dass bei Nachtarbeit dem Grunde nach ein Zuschlag von 25% als angemessen angesehen werden müsste. Die Tarifvertragsparteien hätten vor diesem Hintergrund eine Entscheidungsprärogative. Sie müssten nicht die zweckmäßigste Regelung treffen. Es genüge, wenn für die Regelung, die sie getroffen haben, ein sachlicher Grund besteht. Dieser Spielraum sei hier nicht überschritten worden (s. hierzu im Detail Bl. 73 ff. d. A.). So läge zum einen schon keine relevante Vergleichsgruppe vor weil zwischen Januar 2019 und Dezember 2019 nur 252,93 Stunden Nachtarbeit, hingegen allerdings 4.980,57 Stunden Nachtschichtarbeit angefallen seien. Die Nachtarbeit sei somit schon dem Grunde nach nicht vergleichbar. Zuschlag erhalte nur eine verschwindend geringe Anzahl von Arbeitnehmern. Dies wäre auch von den Tarifvertragsparteien so gewollt. Die unterschiedliche Zuschlagshöhe diene auch gerade dazu, den Arbeitgeber wegen der Verteuerung der Nachtarbeit davon abzuhalten, mit dem Instrument der Nachtarbeit zu leichtfertig umzugehen.
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Ziel der Tarifvertragsparteien bei dieser Regelung sei es gewesen, den Arbeitgeber von unplanmäßigen Eingriffen in den Freizeitbereich abzuschrecken. Die Nachtarbeit sei im Gegensatz zur Nachtschicht nicht planbar. Der Nachtarbeitnehmer könne dies bei seiner Freizeitplanung nicht berücksichtigen. Der Zuschlag solle also auch einen Ausgleich für die kurzfristige Einbuße der Dispositionsfreiheit schaffen. Im Übrigen seien die arbeitsmedizinischen Erkenntnisse zur Gesundheitsschädlichkeit der Nachtarbeit nicht ununmstritten. Das Bundesarbeitsgericht berufe sich auf veraltete Erkenntnisse, die nur bedingt zutreffen würden. Dies könne also nicht als Maßstab herangezogen werden. Auch müsste man bei der Bewertung der Vergütung berücksichtigen, dass Schichtfreizeiten als zusätzlicher Ausgleich gewährt werden. Eine Ungleichbehandlung aus sachwidrigem Grund läge nicht vor. Die Tarifvertragsparteien hätten eine Lösung der tarifpolitischen Konfliktsituation geschaffen, die die Rechtsprechung zu akzeptieren habe. Soweit die Klägerseite auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes 10 AZR 34/17 Bezug nimmt, sei diese nicht vergleichbar. Dort habe Zuschlag bei der Nachtarbeit bereits ab der ersten Stunde und bei der Nachtschichtarbeit lediglich dann, wenn mehr als sechs Stunden Nachtschicht gearbeitet würden, gezahlt werden müssen. Überdies seien die Zuschlagssätze unterschiedlich zu dem hier streitigen Tarifwerk gewesen. Hier würden 25% im Verhältnis zu 50 in Rede stehen, dort 15% im Verhältnis zu 50.
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Die Tarifautonomie habe Verfassungsrang, ein Eingriff der Rechtsprechung müsse daher äußerst zurückhaltend erfolgen. Die Tarifvertragsparteien hätten ausreichend eigene Kompetenz, um die Normen des Arbeitslebens festzulegen. So sei eine Gesamtbetrachtung des Tarifwerks erforderlich. Dieses enthalte regelmäßig ein Nehmen und Geben. Die stückweise Herauslösung einzelner Bestandteile durch die Rechtsprechung führt nur zu einem Ergebnis, welches dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht mehr gerecht wird.
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Selbst wenn eine Ungleichbehandlung vorläge, dürfte keine Korrektur nach oben hin erfolgen. Es bestünde dann eine Tarifvertragslücke. Diese hätten die Tarifvertragsparteien aber nicht in der nunmehr von der Klägerseite gewünschten Form schließen wollen.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig.
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Der Rechtsweg zum Arbeitsgericht im Urteilsverfahren folgt aus § 2 Abs. 1 Ziff. 3 a mit Abs. 5 ArbGG.
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Örtlich zuständig ist das angerufene Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, bereits über § 48 Abs. 1 a ArbGG.
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Der Kläger hat im streitgegenständlichen Zeitraum Nachtschicht in einem zeitlichen Umfang gearbeitet, die es vertragsmäßig rechtfertigen würde, den Klagebetrag zu verlangen, wenn für diese Stunden ein Satz von 50%, nicht aber lediglich die gewährten 25% zu zahlen gewesen wären.
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Eine Anspruchsgrundlage für die Zahlung der eingeforderten weiteren 25% besteht allerdings nicht.
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§ 5 Abs. 1 a des MTV scheidet als unmittelbar anzuwendende Anspruchsgrundlage aus, da dort für Nachtschichtarbeit eben nur ein Zuschlag von 25% vorgesehen ist.
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Ein Verstoß des Manteltarifvertrages gegen das Unionsrecht der Europäischen Gemeinschaft kann anspruchsbegründend nicht herangezogen werden.
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Die RL 2003/28/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitsgestaltung verpflichtet im Rahmen des Kapitels 3 Art. 12 lit. a die Mitgliedsstaaten zu den erforderlichen Maßnahmen, damit Nacht- und Schichtarbeiten hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit in einem Maß Schutz zu Teil wird, dass der Art ihrer Arbeit Rechnung trägt. Der deutsche Gesetzgeber hat insbesondere mit § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz eine Regelung geschaffen, die vorgenannte Pflicht umzusetzen. § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl befreiter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Der Zuschlag in § 6 Abs. 5 Arbeitszeitgesetz soll Nachtarbeit so nachhaltig verteuern, dass nur noch in unverzichtbaren Fällen Nachtarbeit verlangt wird (BAG vom 09.12.2015, 10 AZR 423/14). Eine solche Verteuerung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur dann gegeben, wenn mindestens ein Zuschlag von 25% bezahlt wird. Die vorliegend im Manteltarifvertrag vorgesehene und dem Kläger auch tatsächlich gezahlte Zuschlagshöhe von 25% ist somit unionsrechtlich ausreichend hoch.
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Der von der Klagepartei angesprochene verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz führt ebenfalls nicht zum Erfolg der Klage. Eine Unterscheidung der Zuschlagshöhe für regelmäßige Nachtarbeit von 25% gegenüber unregelmäßiger Nachtarbeit von 50% verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, auch nachdem vom Kläger zur Stützung seiner Klage besonders herangezogenen Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018, kommt den Tarifvertragsparteien als selbstständigen Grundrechtsträgern aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Die Tarifvertragsparteien haben eine Entscheidungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen. Bei der Lösung tarifpolitischer Konflikte sind sie nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet allerdings die Arbeitsgerichte solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu einer Art. 3 verletzenden Gruppenbildung führen würden (BAG vom 27.06.2017, 6 AZR 364/16).
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Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Hierbei ist es grundsätzlich dem Normgeber überlassen, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln. Die aus dem Gleichheitssatz folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (Bundesverfassungsgericht vom 07.05.2013 – 2 BVR 909/06).
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Die unterschiedlichen Zuschlagshöhen des vorliegenden Manteltarifvertrages sind nach der Überzeugung des erkennenden Gerichtes sachlich gerechtfertigt und stellen keine Art. 3 GG verletzende Ungleichbehandlung dar.
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Soweit sich die Klagepartei zur Begründung eines gegenläufigen Ergebnisses auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21.03.2018 bezieht, liegen gravierende Unterschiede in der hiesigen tarifvertraglichen Regelung zu der dort vom Bundesarbeitsgericht verbeschiedenen Regelung vor.
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Dies beginnt mit dem Unterschied der Zuschlagshöhe. Das Bundesarbeitsgericht hatte über einen Tarifvertrag zu unterscheiden, bei dem der Unterschied zwischen der regelmäßigen Nachtschicht und der unregelmäßigen Nachtarbeit wesentlich höher war als im Streitfall. Dort waren Zuschläge für Nachtschichtarbeit von 15% vorgesehen, für Nachtarbeit allerdings 50%. Nach dem hier vorliegenden Manteltarifvertrag sind es hingegen 25% für die regelmäßige Nachtschichtarbeit gegenüber 50% für unregelmäßige Nachtarbeit. Das Bundesarbeitsgericht hat im genannten Urteil zur Begründung seiner Annahme, die Tarifvertragsparteien des dortigen Manteltarifvertrags hätten den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum überschritten, dem Umstand besonderes Gewicht eingeräumt, dass der Zuschlag von 50% für Nachtarbeit um mehr als das dreifache höher war, als der Zuschlag für Nachtschichtarbeit. Vorliegend sind die Zuschläge jedoch lediglich doppelt so hoch. Das Bundesarbeitsgericht hat auch in einem früheren Fall wo der einschlägige Tarifvertrag für eine Nachtarbeit einen Zuschlag von 50% und für eine Nachtschichtarbeit einen Zuschlag von lediglich 20% vorsah – allerdings unter den besonderen branchentypischen Bedingungen des Einzelhandels – einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verneint (BAG vom 11.12.2013 – 10 AZR 736/12).
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Im Übrigen ist vorliegend nach Auffassung des Gerichtes eine Überschreitung der Entscheidungsprärogative durch die Tarifvertragsparteien deswegen ausgeschlossen, weil die geringere Zuschlagshöhe für regelmäßige gegenüber unregelmäßiger Nachtarbeit zumindest teilweise durch zusätzliche Schichtfreizeiten gemäß § 6 MTV kompensiert wird. Anspruch auf Schichtfreizeit von je einem Tag für 50 geleistete Nachtschichten haben nur Arbeitnehmer, die ausschließlich in Nachtarbeit beschäftigt sind. Arbeitnehmer, die regelmäßig im Dreischichtbetrieb arbeiten erhalten für je 30 geleistete Nachtschichten einen Tag Schichtfreizeit (§ 6 MTV Ziffer 1 a und b).
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Die Schichtfreizeit stellt einen zusätzlichen Ausgleich für die Nachtarbeit dar. Sie ist daher beim Vergleich von regelmäßiger mit unregelmäßiger Nachtarbeit mit zu berücksichtigen. Dies führt dazu, dass die Differenz der Vergütung zwischen regelmäßiger mit unregelmäßiger Nachtarbeit rechnerisch noch geringer ausfällt, als die zunächst anzunehmenden 25%. Ob die Nachtarbeit und die Nachtschichtarbeit gesundheitsmäßig gleichermaßen schädlich sind, wie zwischen den Parteien umstritten, ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht erheblich. Selbst wenn dem so wäre ist doch die Entscheidungsprärogative der Tarifvertragsparteien dann nicht überschritten, wenn als Differenzierungsgrund eine vernünftige sachgerechte Erwägung in Betracht kommt. Die Tarifvertragsparteien haben es ja in der Hand, aufgrund des ihnen zustehenden Prüfungsmaßstabes, nicht unbedingt die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Vereinbarung zu treffen. Sie müssen nur einen sachlich vertretbaren Grund für die getroffene Vereinbarung haben. Die Zweckbestimmung ergibt sich hierbei vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 21.03.2018 bei den Zuschlägen für Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit auf die mit der Nachtarbeit verbundenen herausgehobenen Belastungen abgestellt, die insbesondere in den möglichen negativen gesundheitlichen Auswirkungen und in der erschwerten Teilhabe am sozialen Leben bestehen soll. Das ist ein Grund. Ein anderer durchaus auch denkbarer und akzeptabler Grund ist aber, zusätzlich in der Höhe der Zuschläge den lichen Anreiz für Arbeitnehmer zu sehen, eine Tätigkeit in der Nacht bzw. Nachtschicht überhaupt ausüben zu wollen. Dabei muss die liche Belastung für den Arbeitgeber bedacht werden. Ein weiterer sachlicher Grund für die Differenzierung besteht darin, dass, wie auch die Klägerseite unstreitig stellt, die unregelmäßige Nachtarbeit nach Möglichkeit vermieden werden soll und daher mit höheren Zuschlag versehen ist, um den Arbeitgeber abzuhalten, zu leichtfertig von ihr Gebrauch zu machen.
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Im Übrigen ist das Gericht der Auffassung, dass sehr wohl der Aspekt der Planbarkeit des Freizeitverhaltens eine unterschiedliche Zuschlagshöhe rechtfertigt. Die unregelmäßige und damit auch nicht planbare Nachtarbeit greift wesentlich stärker in die Dispositionsfreiheit des Arbeitnehmers ein, als die regelmäßige und geplante Nachtschichttätigkeit. Der Nachtschichtleistende weiß, im Regelfall eine geraume Zeit vorher, dass und wann er Nachtschichten zu leisten hat. Er kann sein Verhalten darauf einstellen, indem er seine Planungen und Dispositionen dahingehend legt, dass diese mit der Nachtschichtarbeit möglichst optimal in Konkordanz gebracht werden. Anders derjenige der zu unregelmäßiger Nachtarbeit herangezogen wird. Unregelmäßige Nachtarbeit wird im Regelfall im Anschluss an die bereits geleistete Arbeitszeit als Überarbeit stattfinden. Sei es dass, Maschinen repariert werden müssen oder sonst eine Situation auftritt, die nicht planbar gewesen ist und die unregelmäßige Nachtarbeit erfordert. Der Arbeitnehmer wird hier in vielen Fällen bereits geraume Stunden hinter sich gebracht haben und nunmehr zusätzlich körperlich oder geistig über das an sich arbeitsvertraglich geschuldete Maß hinaus in Anspruch genommen. Er mag für den Tag etwas geplant haben, was er nun nicht wahrnehmen kann, weil er die plötzlich aufgetretene Nachtarbeit zu leisten hat. Er kann auch am Vortag keine Vorbereitungen dafür treffen, indem er zB. früher ins Bett geht oder andere Aktionen abbläst, die eine Belastung für den folgenden Arbeitstag darstellen. Dies deshalb nicht, weil er ja am Vortag gerade noch nicht weiß, dass er gegebenenfalls zu der unregelmäßigen Nachtarbeit am nächsten Tag herangezogen wird. All dies sind deutliche Unterschiede zwischen diesen beiden Formen nächtlicher Arbeit, die eine sachliche Differenzierung rechtfertigen. Das erkennende Gericht hat darüber hinaus den großen Vorteil gehabt, dass einer der ehrenamtlichen Richter seit über 30 Jahren Nachtschichttätigkeit leistet. Er hat der Kammer bestätigt, dass auch er einen deutlichen Unterschied zwischen der Nachtschichtarbeit und der unregelmäßigen Nachtarbeit im Hinblick auf die Belastung und Planbarkeit und die sonstigen hier genannten Aspekte sieht. Dies ist zwar vom Gericht nicht im Sinne eines Gutachtens verwertet worden aber gleichwohl eine wertvolle Unterstützung bei der Meinungsbildung der Kammer.
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Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Tarifvertragsparteien durch die unterschiedliche Gestaltung der Zuschläge den ihnen zustehenden Einschätzungsspielraum nicht überschritten haben. Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die über den Streitwert auf § 61 ArbGG mit §§ 3 ff. ZPO.