Inhalt

LG München I, Endurteil v. 06.10.2020 – 12 O 16223/19
Titel:

Widerspruchsbelehrung bei einer im Policenmodell geschlossenen Lebensversicherung

Normenkette:
VVG § 5a (idF bis zum 31.12.2007)
Leitsätze:
1. Widersprüchliche Belehrungen über das Widerspruchsrecht bei einer im Policenmodell geschlossenen Lebensversicherung führen nicht zu einer Irreführung des Versicherungsnehmers, wenn die zutreffende Belehrung an prominenter Stelle drucktechnisch hervorgehoben platziert ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Fehlen einer Angabe über die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds in den Verbraucherinformationen löst kein Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers aus, weil es sich bei diesen Angaben um "reine" Informationen handelt und keine Aussagen über die Qualität der Konditionen getroffen werden, sondern lediglich eine gesetzliche Verpflichtung erfüllt wird (Anschluss an OLG München BeckRS 2017, 144381). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Lebensversicherung, Policenmodell, Widerspruchsbelehrung, Irreführung, Sicherungsfonds, Verbraucherinformation
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 22.03.2021 – 21 U 6111/20
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 19.07.2023 – IV ZR 102/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62944

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 68.010,52 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht Rückabwicklungsansprüche nach Widerspruch gegen einen Kapitallebensversicherungsvertrag geltend.
2
Der Kläger beantragte am 26.03.2007 den Abschluss einer Rentenversicherung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit monatlichen Einzahlungen von 350 €, einer Beitragsdynamik von 3% auf den Vorjahresbetrag und einem Rentenbeginn in 38 Jahren sowie einer Todesfallleistung von 77.976,00 € (Versicherungsantrag (Anlage K1, B2). Der Kläger leistete bis zur Klageerhebung mit Schriftsatz vom 15.07.2019 Einzahlungen in Höhe von insgesamt 54.801,27 €.
3
Das Antragsformular enthielt auf Seite 8 vor der für die Unterschrift des Antragstellers vorgesehene Zeile folgenden im Verhältnis zum übrigen Text leicht fettgedruckten Text:
„Ich bin darüber belehrt worden, dass ich dem Versicherungsvertrag innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins, der Verbraucherinformation und der Versicherungsbedingungen widersprechen kann. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung der Widerspruchserklärung. Hierauf werde ich bei Überlassung der Versicherungsunterlagen nochmals ausdrücklich hingewiesen.“
4
Hinsichtlich der Gestaltung des Texts wird auf Anlage K1/B2 Bezug genommen.
5
Der Kläger erhielt den Versicherungsschein (Anlage K2) und die Verbraucherinformationen und Versicherungsbedingungen gemeinsam mit dem Begleitschreiben vom 29.07.2007 (Anlage B4), wobei die Verbraucherinformationen und Versicherungsbedingungen als einheitliche Broschüre zusammengeheftet und mit einem Deckblatt und Inhaltsverzeichnis versehen war (Muster: Anlage B3).
6
Der Text des Begleitschreibens umfasste eine DIN A4 Seite. Der 4. Absatz, der als einziger fettgedruckt ist, lautet:
„Nach § 5a VVG können Sie diesen Versicherungsvertrag innerhalb von 30 Tagen ab Zugang dieses Schreibens und der beigefügten Unterlagen in Textform im Sinne von § 126 b BGB widersprechen (z.B. durch Brief, Fax oder E-Mail).“
7
Hinsichtlich des weiteren Inhalts in der Gestaltung des Begleitschreibens wird auf Anlage B4 Bezug genommen.
8
Auf dem Deckblatt der beigefügten „Verbraucherinformation und Versicherungsbedingungen“ im Format DIN A4 findet sich in einem farblich abgehobenen Kasten im Format von ca. 10 × 8 cm der folgende Text in Fettdruck:
„Sehr geehrte/r Versicherungsnehmer/in
Als Teil ihrer Vertragsunterlagen übersenden wir Ihnen anbei die folgenden Dokumente für Ihren Versicherungsvertrag:
- Verbraucherinformation
- Versicherungsbedingungen
- Versicherungsschein Bei diesen Unterlagen handelt es sich um wichtige Dokumente, die im Anspruchsfall benötigt werden.
Bitte bewahren Sie diese Unterlagen bei einem sicheren Ort auf.
Nach § 5a VVG können Sie diesem Versicherungsvertrag innerhalb von 30 Tagen ab Zugang dieses Schreibens in der beigefügten Unterlagen in Textform im Sinne von § 126 b BGB widersprechen (z.B. durch Brief, Fax oder E-Mail).
Zur Wahrung dieser Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.
Wir freuen uns, dass sie sich für C. M. entschieden haben.“
9
Hinsichtlich der Gestaltung des Deckblatts wird auf Anlage B3 Bezug genommen.
10
Mit Schreiben vom 19.08.2018 erklärte der Kläger den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag (Anlage K3), welcher von der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Schreiben vom 06.11.2018 zurückgewiesen wurde (K4). Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe ein Rückabwicklungsanspruch gegen die Beklagte zu.Die Belehrung im Antragsformular sei bereits nicht ausreichend drucktechnisch hervorgehoben gewesen. Im Übrigen sei nicht auf die erforderliche Form hingewiesen worden. In 25.1 der Verbraucherinformationen sei angegeben worden, dass Erklärungen gegenüber der Beklagten in Schriftform abzugeben seien. Die weitere Belehrung auf Seite 5 der Verbraucherinformationen sei nicht deutlich genug hervorgehoben und ginge im weiteren Text der Verbraucherinformationen unter. Auch die Belehrung auf dem Deckblatt der Verbraucherinformationen und Versicherungsbedingungen sei nicht deutlich genug hervorgehoben. Es fehle ein auffälliges Druckbild, ein Abstand zu anderen Textteilen oder eine andere Kennzeichnung. Im Übrigen werde in den Verbraucherinformationen nicht darauf hingewiesen, dass die Beklagte nicht über den in Deutschland üblichen Protektor abgesichert sei. Angesichts der Tatsache, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten in Großbritannien ansässig gewesen sei und die dortigen Sicherungseinrichtungen nicht dasselbe Niveau aufwiesen, sei diese Information auch unverzichtbar. Im Übrigen enthielten die Verbraucherinformationen auch nicht alle in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Informationen, nämlich insbesondere die Angaben zur Überschussermittlung, den Rückkaufswerten und zum Ausmaß der Garantie. Wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf die Ausführungen der Klagepartei im Schriftsatz vom 17.07.2020 Bezug genommen. Dem Kläger stünden neben den eingezahlten Beiträgen auch eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 13.209,25 € zu, welche der Kläger aus vermuteten Abschlusskosten in Höhe von 11.600 18.079 EUR und den von der Beklagten veröffentlichten prozentualen Erträgen für die Jahre 2007-2018 (Tabelle auf Seite 7 der Klageschrift vom 15.07.2019) errechnet, wobei sie jedoch die dort angegebenen Verluste für die Jahre 2008, 2011 und 2018 bestreitet und unberücksichtigt lässt.
11
Der Kläger beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 68.010,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2879,09 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
13
Die Beklagte ist der Ansicht,
dass der Kläger ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden sei. Die Ausübung des Widerspruchsrechts verstoße auch gegen Treu und Glauben, Nachdem der Widerspruch erst nach über 11 Jahren Laufzeit erklärt wurde, der Kläger jährlich Informationen über die Entwicklung des Versicherungsvertrags erhalten habe und außerdem eine Aussetzung der monatlichen Beitragszahlung vom 01.12.2012 bis 30.11.2013 beantragt habe, sowie der automatischen Beitragserhöhung für das Jahr 2017 widersprochen habe. Die Beklagte habe im Vertrauen auf den Bestand des Versicherungsvertrags in den gewählten Pool investiert und Rückstellungen für den Versicherungsschutz des Klägers gebildet. Im Übrigen habe der Kläger seinen vermeintlichen Rückerstattungsanspruch auch falsch berechnet. Nach Abzug von Vermittlungsprovision und Gebühren werde der Rest der Sparrate in einen Pool investiert.
14
Der Pool stelle ein Sondervermögen da. Daraus ergebe sich, dass sämtliche Gewinne und Verluste, die im Rahmen des Fonds erwirtschaftet werden, ausschließlich den Versicherungsnehmer zugutekommen. Die Renditeentwicklung des Pools sei auf der Homepage der Klagepartei verfügbar. Außerdem könne sich der Kläger die maßgeblichen Informationen auch von der Versicherungsaufsicht besorgen. Lediglich aus dem Verwaltungskostenanteil könne die Beklagte Nutzungen ziehen. Diese berechnete sich anhand der Rendite der Beklagten. Dazu fehle jeder Vortrag der Klagepartei. Wegen der Einzelheiten wird insbesondere auf die Ausführungen der Beklagtenseite im Schriftsatz vom 14.10.2019, hier ab Seite 11, Bezug genommen.
15
Wegen der übrigen Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, den Hinweis des Gerichts in der Terminsladung vom 28.01.2020 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2020 Bezug genommen. Die Parteien erklärten ihre Einverständnis mit schriftlichem Verfahren.

Entscheidungsgründe

16
Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
17
Der Kläger hat keine Rückabwicklungsansprüche aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag, denn der von ihm erklärte Widerspruch ist verfristet.
18
1. Der Kläger wurde mehrfach, unter anderem durch die im Begleitschreiben enthaltene Belehrung und durch die auf dem Deckblatt der „Verbraucherinformation Versicherungsbedingungen“ enthaltene Belehrung entsprechend den formalen Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG 2004 belehrt.
19
Bereits oberhalb der Unterschriftszeile des Antragsformulars wurde der Kläger in einem fett gedruckten Absatz darüber belehrt, dass ihm ein Widerspruch zusteht und er darauf hingewiesen, dass er darauf noch einmal bei der Übersendung der Versicherungsunterlagen hingewiesen wird. Mit dem Versicherungsschein und dem Begleitschreiben, dass ebenfalls noch einmal einen fett gedruckten Absatz auf das Widerspruchsrecht hinweist, enthält das Deckblatt des übersandten Anlagenkonvoluts (Verbraucherinformationen und Versicherungsbedingungen einen farblich abgesetzten Text, der nur aus der Widerspruchsbelehrung besteht. Diese Belehrung ist schlechterdings nicht zu übersehen.
20
Das Gericht schließt sich insoweit den überzeugenden Ausführungen des Oberlandesgerichts München in seinem Hinweisbeschluss vom 25.03.2020, Az.: 14 U 569/19, an und macht sich diese zu eigen. Daneben wird auf das Urteil des LG Karlsruhe vom 05.09.2018, AZ: 21 O 45/18 Bezug genommen.
21
2. Die maßgebliche, auf dem Deckblatt der „Verbraucherinformationen Versicherungsbedingungen“ enthaltene Belehrung entspricht auch inhaltlich den Vorgaben des § 5a VVG Abs. 2 S. 1 und 3 VVG 2004.
22
a) Die für die ordnungsgemäße Belehrung erforderlichen Unterlagen sind in dieser Belehrung aufgeführt und waren in der einheitlich zusammengehefteten Broschüre auch vorhanden. Für den Kläger war es deshalb ohne Weiteres erkennbar, dass die Widerspruchsfrist mit Erhalt des Versicherungsscheins, der Verbraucherinformationen der Versicherungsbedingungen, mithin den nach § 5a VVG 2004 maßgeblichen Unterlagen, beginnt (BGH, Urt. v. 23.09.2015, Az.: IV ZR 496/14).
23
b) Dass die Beklagte mehrere – teilweise voneinander abweichende – Belehrungen erteilt hat, ist unschädlich. Die von dem Kläger geltend gemachte Gefahr, der durchschnittliche Versicherungsnehmer könnte durch eine fehlende Übereinstimmung der erteilten Belehrungen verwirrt werden, sieht das Gericht nicht.
24
Zutreffend ist zunächst, dass im Rahmen der im Antragsformular enthaltenen Belehrung die gesetzlich für den Widerspruch vorgesehen Textform nicht erwähnt wird. Auch sieht die Belehrung auf Seite 5 der Verbraucherinformation fehlerhaft eine Schriftform vor. Eine Gefahr der Verwirrung aufgrund der Widersprüchlichkeit der Belehrungen besteht jedoch nicht. Zum einen ist nicht davon auszugehen, dass ein Versicherungsnehmer sich im Falle des Widerspruchs nach der Widerspruchsbelehrung im streitgegenständlichen Antragsformular richten würde, nachdem diese Belehrung ausdrücklich auf die später übersandten Versicherungsunterlagen verweist. Zudem erscheint es naheliegend, dass sich ein Versicherungsnehmer, der sich von einem Versicherungsvertrag lösen möchte, über die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zunächst anhand der Verbraucherinformation /Versicherungsbedingungen zu informieren sucht und dabei unweigerlich auf die zutreffende Belehrung auf dem Deckblatt der „Verbraucherinformation und Versicherungsbedingungen“ stößt. Zudem ist die Belehrung in den Verbraucherinformationen im Unterschied zu der Belehrung auf dem Deckblatt drucktechnisch nicht hervorgehoben, womit eine Irreführung hier nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.2015, Az.: IV ZR 71/14).
25
c) Die Verbraucherinformationen enthalten auch alle notwendigen Informationen. Das hier vereinbarte Versicherungsprodukt verbindet, verglichen mit inländischen Produkten, Elemente von „klassischen“ und fondsgebundenen kapitalbildenden Lebensversicherungen. Bei fondsgebundenen Lebensversicherungen ist eine konkrete Gewinnberechnung, die Angabe von Rückkaufswerten oder Überschüssen und die Angabe einer Wertentwicklung nicht möglich. Nachdem der jeweilige Sparanteil zum Erwerb von Anteilen eines oder mehrerer Fonds verwendet wird, hängt die vom Versicherer zu erbringende künftige Leistung ausschließlich von der Wertentwicklung des bzw. der Fonds ab. Diese lässt sich nicht zuverlässig voraussagen. Daher gibt es keine entsprechende Garantie. Demnach war die Rechtsvorgängerin der Beklagten nur verpflichtet, Angaben über den der Versicherung zugrunde liegenden Fotos und die Art der darin enthaltenen Vermögenswerte zu machen. Diesen Anforderungen ist die Beklagte in Nr. 3 und 4 ihrer Verbraucherinformationen und Policenbedingungen nachgekommen. Wegen der Begründung im Detail wird auf das Urteil des OLG Stuttgart vom 09.05.2019, AZ: 7U 169/18 (Quelle: juris) Bezug genommen.
26
d) Unerheblich ist auch, dass sich in den Verbraucherinformationen keine Angabe über die Zugehörigkeit zu einem Sicherungsfonds befindet. Bei diesen Angaben handelt es sich um „reine“ Information, deren Unterbleiben ein Widerspruchsrecht nicht auslöst, weil keine Aussagen über die Qualität der Konditionen getroffen werden, sondern lediglich eine gesetzliche Verpflichtung des Versicherers erfüllt wird (OLG München, Beschluss vom 16. November 2017 – 25 U 3439/17, BeckRS 2017).
27
Damit hat die Klägerin die für den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 2 VVG 2004 geltende Frist versäumt.
28
Die Frage der Verwirkung kann daher dahinstehen. Ebenso kann dahinstehen, welche Ansprüche dem Kläger im Falle einer Rückabwicklung zugestanden hätten.
29
3. Mangels Begründetheit der Hauptforderung stehen dem Kläger auch die geltend gemachten Nebenforderungen nicht zu.
30
Die Klage war insgesamt abzuweisen.
II.
31
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
32
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gemäß § 709 ZPO.
33
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, § 43 GKG.