Titel:
Verjährungshemmung: Anforderung an die Individualisierung des Anspruchs im Mahnverfahren
Normenketten:
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 3, § 214, § 280 Abs. 1, § 631 Abs. 1, § 633 Abs. 1, Abs. 2
ZPO § 690 Abs. 1 Nr. 3
Leitsatz:
Wir in einem Mahnbescheid die geltend gemachte Forderung lediglich als "Anspruch aus Ingenieurvertrag“ bezeichnet, so hemmt die Zustellung des Mahnbescheids mangels hinreichender Bestimmtheit und Individualisierung der Forderung den Lauf der Verjährung nicht. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ingenieur, Planung, Mängel, Schadensersatz, Verjährung, Mahnbescheid, Individualisierung, Bestimmtheit, Hemmung, Verzicht
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 19.03.2021 – 3 U 392/20
OLG Bamberg, Beschluss vom 20.05.2021 – 3 U 392/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 07.06.2023 – VII ZR 594/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62912
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche aus einem Ingenieurvertrag.
2
Die Klägerin hatte beim Bauvorhaben „Abwasseranlage K., BA 16, Bauumfangsänderung“ die Firma beauftragt, die Entwässerungs- und Kanalarbeiten sowie die Arbeiten zur Errichtung eines Regenüberlaufbauwerks aus Stahlbeton (Trennbauwerk) auszuführen.
3
Dem Beklagten oblagen die Ingenieurleistungen nach § 55 HOAI (Fassung vom 01.01.1996).
4
Die Firma hatte ihre Arbeiten eingestellt und das Trennbauwerk nicht errichtet. Die Firma war von der Klägerin unter Mitwirkung des Beklagten mehrfach aufgefordert worden, die Arbeiten wie vereinbart fortzuführen und zum Abschluss zu bringen, was erfolglos blieb. Es wurde eine Kündigung des Bauvertrages ausgesprochen. Anschließend wurde die Firma beauftragt, die Arbeiten zur Fertigstellung des Bauvorhabens auszuführen, die eigentlich der Firma oblagen. Die Vereinbarung, die zwischen den Parteien zugrunde lag, datierten vom 15.03. bzw. 08.05.2007. Die Ausschreibungsunterlagen waren vom Beklagten unter Datum 31.08.2007 erstellt worden. Die durch die Firma erbrachten Leistungen waren unter dem 25.11.2008 abgerechnet worden. Insgesamt war eine Werklohnforderung von 167.868,96 € geltend gemacht worden. Die anstelle der Firma beauftragte Firma rechnete ihre Leistungen mit 124.004,87 € ab. Für die Mehraufwendungen, die darauf zurückzuführen waren, dass die Errichtung des Trennbauwerkes neu ausgeschrieben werden musste, hatte der Beklagte der Klägerin unter Datum 05.10.2009 zusätzlich 2.928,86 € berechnet. Für die Kündigung des Bauvertrages waren 1.999,32 € Anwaltskosten angefallen. Am 16.03.2009 erteilte der Beklagte seine Honorarschlussabrechnung bezüglich der beauftragten Leistungen der Abwasseranlage und der Abwasserkanäle in Höhe eines Restbetrages von 1.457,95 €. Diese Schlussrechnung wurde von der Klägerin am 24.04.2009 bezahlt.
5
Am 10.08.2009 erteilte der Beklagte schließlich seine Honorarschlussrechnung hinsichtlich des Trennbauwerks der Abwasseranlage. Unter Berücksichtigung der geleisteten Abschlagszahlungen wies die Honorarschlussrechnung einen Restbetrag in Höhe von 1.175,86 € aus. Die Honorarschlussrechnung wurde von der Klägerin am 29.12.2009 bezahlt.
6
Mit Mahnbescheidsantrag vom 20.08.2014 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten Ansprüche geltend. Der Anspruch im Erlass eines Mahnbescheids wurde wie folgt bezeichnet: „Anspruch aus Ingenieurvertrag vom 08.05.2007“.
7
Gegen den Mahnbescheid erhob der Beklagte am 10.09.2014 Widerspruch. Mit Schreiben vom 10.03.2015 beantragte die Klägerin beim Amtsgericht Coburg – Zentrales Mahngericht – die Abgabe an das für das streitige Verfahren zuständige Landgericht Hof. Das Amtsgericht Coburg – Zentrales Mahngericht – teilte mit Schreiben vom 11.03.2015 dem Klägervertreter mit, dass nunmehr der Vorgang an das Landgericht Hof abgegeben wurde. Das Verfahren ging beim Landgericht Hof am 19.03.2015 unter dem Aktenzeichen 11 O 98/15 ein. Mit Verfügung vom 19.03.2015 wurde die Klägerin aufgefordert, eine Anspruchsbegründung nachzureichen.
8
Mit Schreiben vom 22.07.2015 gab die Haftpflichtversicherung des Beklagten folgende Erklärung ab:
„Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und im Rahmen der hier aufgeführten Versicherungspolice erklären wir betreffend der im Schreiben vom 21.08.2014 erhoben Ansprüche, dass wir bis einen Monat nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahren gegen vor dem Landgericht Hof (879/12) auf die Einrede der Verjährung verzichten, soweit diese nicht bis zum heutigen Tag bereits eingetreten ist.“
9
Durch weitere E-Mails der Haftpflichtversicherung des Beklagten vom 10.10.2019 und vom 09.01.2020 erstreckte diese die mit Schreiben vom 22.07.2015 abgegebene Erklärung zum Verjährungsverzicht gleichen Inhalts bis zum 15.01.2020 (Anlage K 36) bzw. 12.02.2020 (Anlage K 37). Die Anspruchsbegründung der Klägerin ging am 12.02.2020 beim Landgericht Hof ein.
10
Das Verfahren zwischen der Firma und der Klägerin im Rechtsstreit 12 O 290/12 endete mit Vergleich vom 13.09.2019 gemäß § 278 Abs. 6 ZPO. Das Verfahren 13 O 384/10 endete durch rechtskräftiges Endurteil.
11
Die Klägerin trägt weiterhin vor, die tatsächlichen Baukosten hätten 296.801,11 € betragen. Abzüglich der Sowiesokosten und des vorgenommenen Einbehalts verbliebe ihr ein Schaden, der durch den Beklagten verursacht sei, in Höhe von 37.088,26 €.
12
Die Verfahrenskosten in dem Rechtsstreit 13 O 384/10 hätten 8.853,94 €, im Berufungsrechtstreit vor dem OLG Bamberg, Az. 8 U 82/12, weitere 8.895,07 € sowie im Revisionszulassungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof, Az. VII ZR 179/13, weitere 3.721,84 € verbraucht. Mithin ergäbe sich für die Klägerin gegenüber dem Beklagten ein Schadenersatzanspruch in Höhe von 66.998,02 €.
13
Die Klägerin ist der Auffassung, der Anspruch sei nicht verjährt. Im Mahnbescheidsantrag sei eine hinreichende Individualisierung des Anspruchs vorgenommen worden, zudem sei eine Hemmung der Verjährung eingetreten.
14
Die Klägerin beantragt daher:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 66.998,02 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.12.2009 zu bezahlen.
15
Die Beklagte beantragt:
16
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung und ist der Auffassung, es sei Verjährung eingetreten. Die allgemein gehaltene Bezeichnung im Mahnbescheidserlassantrag „Anspruch aus Ingenieurvertrag“ sei zu unbestimmt, so dass sich der Beklagte nicht habe hinreichend verteidigen können. Überdies sei im Hinblick auf die durch die Haftpflichtversicherung des Beklagten vorgenommene Verjährungsverzichtserklärung unter Bezugnahme auf ein Aktenzeichen 879/12 nicht klar, welcher Rechtsstreit damit gemeint sei. Der Rechtsstreit vor dem Landgericht Hof habe das Aktenzeichen 12 O 290/12 getragen.
17
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen, insbesondere auf die im Tatbestand bezeichneten Anlagen.
18
Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
19
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
20
Denn jedenfalls sind möglicherweise der Klägerin gegen den Beklagten zustehende Ansprüche nicht durchsetzbar, weil Verjährung eingetreten ist.
21
Die Einrede der Verjährung wurde durch die Klägerin im Klageerwiderungsschriftsatz erhoben.
22
Maßgeblich für die Beurteilung des Verjährungseintritts ist die Honoroarschlussrechnung vom 10.08.2009 hinsichtlich des streitgegenständlichen Trennbauwerks. Unstreitig wurde diese durch die Klägerin mit Eingang auf dem Konto des Beklagten am 29.12.2009 beglichen. Gemäß § 9.4 der AVB des Ingenieurvertrages, die Vertragsgegenstand wurden, beginnt die Verjährung spätestens mit der Anweisung der Schlusszahlung nach § 7. Die Verjährungsfrist beträgt 5 Jahre.
23
Damit trat mit Ablauf des 29.12.2014 Verjährung ein.
3. Keine Verjährungshemmung
24
Die Verjährung wurde auch nicht gehemmt.
25
Eine Hemmung der Verjährung durch den Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides durch die Klägerin gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB ist vorliegend nicht erfolgt. Mangels hinreichender Bestimmtheit und Individualisierung ist die Hemmungswirkung vorliegend nicht eingetreten. Unstreitig ist im Mahnbescheidsantrag lediglich als Anspruchsgrund aufgenommen „Anspruch aus Ingenieurvertrag“. Welche konkrete Forderung aus welchem tatsächlichen oder rechtlichen Grund gegen den Beklagten hier geltend gemacht wurde, ergibt sich daraus jedoch noch nicht. Das Gericht teilt die Ansicht der Klägerin, ein „Anspruch aus dem Ingenieurvertrag vom 08.05.2007“ könne vielfältiger Natur sein.
26
Es kann sich hier in der Tat um einen Resterfüllungsanspruch, einen Honorarrückforderungsanspruch oder wie vorliegend geltend gemacht um einen Schadenersatzanspruch handeln. Ein Schadenersatzanspruch ist allerdings der Sache nach kein Anspruch aus einem Vertrag, da vertragliche Ansprüche unmittelbar nur Erfüllungs- oder Rückabwicklungsansprüche sein können. Schadenersatzansprüche ihrerseits können ihre Rechtsgrundlage in verschiedenen Rechtsverhältnissen haben, zwar auch vertraglichen, aber auch beispielsweise deliktischen Anspruchsgrundlagen. Insofern legt die Bezeichnung als „Anspruch aus Ingenieurvertrag“ Schadenersatzansprüche zunächst einmal nicht nahe.
27
Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass es unstreitig im August 2014, dem Zeitpunkt des Mahnbescheidsantrages bzw. Zustellung des Mahnbescheides an den Beklagten, keine weiteren Rechtsbeziehungen mehr gab. Die Klägerin hat allerdings auch nicht vorgetragen, dass zuvor bereits Schadenersatzansprüche gegenüber dem Beklagten geltend gemacht wurden. Insofern war es dem Beklagten nicht zwingend ersichtlich, dass es im Rahmen des Mahnverfahrens ausschließlich um Schadenersatzansprüche gegen ihn gehen würde.
28
Mangels ausreichender Individualisierung ist eine verjährungshemmende Wirkung i.S.d. § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB somit nicht eingetreten, so dass die Klageforderung am 29.12.2014 verjährt ist.
b) Keine Hemmung durch Verzichtserklärung der Haftpflichtversicherung des Beklagten
29
Dies kann letztlich aber dahinstehen, denn jedenfalls wäre die Klageforderung vor Eingang der Anspruchsbegründung beim Landgericht Hof am 12.02.2020 verjährt, weil in der Folgezeit der Rechtsstreit durch die Klägerin beim Landgericht Hof, der bereits durch Abgabe des Mahnverfahrens an das Landgericht Hof dort anhängig wurde, nicht mehr weiterbetrieben worden. Eine Hemmung insoweit durch Verzichtserklärungen seitens der Haftpflichtversicherung des Beklagten ist nicht eingetreten, denn die Erklärung der Haftpflichtversicherung vom 22.07.2015, wiederholt durch ausdrückliche Bezugnahme auf die Erklärung vom 20.07.2015 durch die E-Mails gemäß Anlagen K 35 und K 36, bezieht sich nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont auf dem Rechtsstreit nicht zugrunde liegende … Sachverhalte.
30
Die Erklärung, auf die Einrede der Verjährung zeitweise oder dauerhaft zu verzichten, ist Ausfluss der Privatautonomie, ebenso wie die Erhebung der Einrede der Verjährung deren Ausfluss ist. Die Regelungen der Verjährung dienen der Rechtssicherheit im Rahmen der Rechtsdurchsetzung, sollen aber ihrem Wesen nach nicht ausschließen, dass der Schuldner gegenüber dem Gläubiger die Einrede der Verjährung nicht erhebt. Ebenso ist es möglich, gegenüber dem Gläubiger die Erklärung abzugeben, zeitweise oder auf Dauer auf das Recht der Einrede zur Verjährung … zu … verzichten.
31
Eine in diesem Rahmen abzugebende Erklärung stellt sich ihrer Rechtsnatur als Willenserklärung dar. Sie ist somit im Rahmen der §§ 133 ff BGB der Auslegung zugänglich und im Falle der Auslegungsbedürftigkeit abstrakt auch der Auslegung fähig.
32
Nach diesen Maßstäben ergibt die Auslegung der durch die Haftpflichtversicherung des Beklagten unter dem 22.07.2015 abgegebene Erklärung, dass sich diese nicht auf den vorliegenden Rechtsstreit oder eines der zugrundeliegenden weiteren Rechtsstreitigkeiten beziehen kann, jedenfalls aber, dass dies unklar ist. Denn in Bezug genommen sind weder die gerichtlichen Aktenzeichen 12 O 290/12 noch 13 O 384/10, sondern ein – wohl rechtsanwaltliches – Aktenzeichen 872/12.
33
Bei der Auslegung von Willenserklärungen ist jedoch nicht das konkrete Verständnis, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung verstehen kann oder verstehen wird, sondern der objektive Empfängerhorizont maßgeblich. Der durchschnittliche und vernünftige Erklärungsempfänger der durch die Haftpflichtversicherung des Beklagten unter dem 22.07.2015 abgegebenen Erklärung wird jedoch nach dem objektiven Empfängerhorizont keinen Bezug zu den vorliegenden Rechtsstreit bzw. dem weiteren zugrundeliegenden Verfahren erkennen können, da eines der tatsächlichen anhängigen gerichtlichen Zivilverfahren mit Nennung des entsprechenden Aktenzeichens nicht in Bezug genommen … ist.
34
Damit jedoch bleibt unklar, hinsichtlich welcher weiteren Gegebenheiten und unter welchen konkreten tatsächlichen und rechtlichen Umständen auf die Einrede der Verjährung verzichtet wird. Bei dem dabei anzulegenden objektiven Maßstab ist das Ergebnis der Auslegung dieser Erklärung, dass sich diese Erklärung auf irgendeinen, keineswegs aber auf den vorliegenden Rechtsstreit bezieht.
35
Damit ist eine wirksame Verjährungsverzichtserklärung seitens des Beklagten bzw. der hinter ihm stehenden Haftpflichtversicherung nicht abgegeben worden, so dass eine weitergehende Hemmung der Verjährung nicht eingetreten ist.
36
Auch nach dieser Maßgabe ist die Klageforderung verjährt, so dass es auf das Bestehen von Ansprüchen dem Grunde und der Höhe nach nicht ankommt.
37
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.