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OLG München, Hinweisbeschluss v. 16.03.2020 – 28 U 6408/19 Bau
Titel:

Vorschuss für Mängelsbeseitigung an Wohneigentumsanlage

Normenketten:
BGB § 634 Abs. 1 Nr. 2, § 637 Abs. 3
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Beim Bauträgervertrag, der grundsätzlich einen typengemischten Vertrag darstellt, dominiert das werkvertragliche Gewährleistungsrecht. (Rn. 8 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soweit die Sanierung den reinen Bezug zum Sondereigentum verlässt und einen nennenswerten Umfang einnimmt, gilt für die Sanierungsmaßnahme umfassend das Werkvertragsrecht, wobei auch die sogenannte Altsubstanz erfasst wird. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Anspruch auf Kostenvorschuss umfasst die künftig erforderlichen Aufwendungen, steht daher regelmäßig nicht fest und muss folglich gem. § 287 ZPO geschätzt werden, wobei die Schätzung ihre Grundlage in den zu beseitigenden Mängeln hat; bei gravierenden Mängeln, bei denen die Neuherstellung günstiger als die Sanierung ist, umfasst der Anspruch auch die Kosten der vollständigen Neuerrichtung, wobei angesichts der Vorläufigkeit des Anspruchs und der folgenden Abrechnungspflicht und Überprüfungsmöglichkeit (§ 259 BGB, § 666 BGB analog) eine substantiierte Schätzung ausreichend ist. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentum, Aktivlegitimation, Bauträgervertrag, Werkvertragsrecht, Altsubstanz, Sanierungsmaßnahmen, Wohnungseigentumsanlage, Mängel, Mängelbeseitigung, Kostenvorschuss
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 17.10.2019 – 11 O 16697/17
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 22.04.2020 – 28 U 6408/19 Bau
BGH Karlsruhe vom 09.02.2022 – VII ZR 76/20
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62722

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 17.10.2019, Az. 11 O 16697/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

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I. Urteil des Landgerichts
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Das Landgericht verurteilte den Beklagten zu 1) als Unternehmer zur Zahlung eines Vorschusses von etwa einer halben Millionen Euro, da der Beklagte zu 1) die Wohnungseigentumsanlage aufgestockt und hierbei in erheblichem Umfang Mängel verursacht habe. Im Übrigen wurde die weitergehende Haftung des Beklagten zu 1) festgestellt.
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II. Berufung des Beklagten zu 1)
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Der Beklagte zu 1) meint, dass die klagende Wohnungseigentümerin nicht aktiv legitimiert sei, da kein „Bauträgervertrag“ geschlossen, sondern „nur eine Aufstockung“ der bereits bestehenden Wohnungseigentumsanlage erfolgt sei. Im Übrigen sei die Abnahme nicht erfolgt und die Voraussetzungen für ein Abrechnungsverhältnis bestünden nicht. Es läge ein Fehler der Beweiswürdigung vor, da das Erstgericht rechtsfehlerhaft der Einschätzung des Sachverständigen gefolgt sei, diese aber erkennbar mangelhaft sei. Auf die Einzelheiten der Berufungsbegründung wird Bezug genommen.
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III. Gegenwärtige Einschätzung des Senats
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Die Berufung des Beklagten zu 1) hat keine Aussicht auf Erfolg, da das Erstgericht zutreffend die vertragliche Haftung der Beklagten zu 1) aus §§ 634 Abs. 1 Nr. 2, 637 Abs. 3 BGB festgestellt hat.
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1. Der Anwendungsbereich der vorgenannten Anspruchsgrundlage ist bei der hier erfolgten Aufstockung des Gebäudes eröffnet. Insoweit greifen die Wertungen der
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Rechtsprechung zum Bauträgervertrag,
a) Beim Bauträgervertrag, der grundsätzlich einen typengemischten Vertrag darstellt, dominiert das werkvertragliche Gewährleistungsrecht.
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Hintergrund ist die auch in wirtschaftlicher Hinsicht überragende Bedeutung der Werkkomponente, weshalb die spezifisch gesetzlichen Bestimmungen besser geeignet sind, die betroffenen wechselseitigen Interessen in einen sachgerechten Ausgleich zu bringen. Mit dem Werkvertrag wird ein Erfolg versprochen und die Einhaltung dieses Leistungsversprechens macht Regeln wie die Abnahme erforderlich, da der Besteller das Recht haben muss, umfassend die Vertragsmäßigkeit der Leistung zu prüfen. Dieses Erfolgsversprechen setzt sich in den Sekundärrechten fort, da als Besonderheit im Werkvertragsrecht über die Ersatzvornahme genau dieser Erfolg „erzwing-bar“ ist. Hinzu kommt, dass die Erstellungsphase – wie hier eineinhalb Jahre – häufig langwierig ist und damit Normen zur Kündigung, Vertragsanpassung, Behandlung von Mitwirkungsobliegenheiten erhebliche Bedeutung zukommt.
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b) Folgerichtig hat die Rechtsprechung die werkvertraglichen Besonderheiten auch auf Verträge erstreckt, die auf den ersten Blick keinen werkvertraglichen Bezug haben.
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Wird eine Wohnungseigentumsanlage errichtet und eine Wohnung erst nach vollständiger Errichtung veräußert, kommt Werkvertragsrecht regelmäßig in Betracht.
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c) Gleiches gilt für Sanierungsmaßnahmen.
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Soweit die Sanierung den reinen Bezug zum Sondereigentum verlässt und einen nennenswerten Umfang einnimmt, gilt für die Sanierungsmaßnahme umfassend das Werkvertragsrecht und – anders als der Beklagte zu 1) meint – auch die sogenannte „Altsubstanz“ wird erfasst (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BGH VII ZR 146/87).
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Das ist angesichts des Umfangs der Werkleistung des Beklagten zu 1) nicht zweifelhaft. Der Beklagte zu 1) schuldet – und allein das wäre ausreichend – die komplette Neuerrichtung eines Daches und hiermit sind regelmäßig tiefe Eingriffe in die Bausubstanz erforderlich und eine sensible Abstimmung und Verbindung mit Vorgewerken wird erforderlich. Das macht es denknotwendig erforderlich, dass Mangelfolgeschäden an der betroffenen Bausubstanz – in neuerer Zeit wird trotz der Schuldrechtsmodernisierung die Notwendigkeit der früheren Differenzierung sogenannter „entfernter“ und „naher“ Mangelfolgeerscheinungen wieder anerkannt – den „nahen“ Mangelfolgen zugerechnet werden, die als „Mangel“ insgesamt unter § 634 BGB fallen. Es wäre schlicht nicht begründbar, warum es insoweit bei der Verjährung oder dem Abnahmeerfordernis zu Unterschieden kommen kann.
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Hintergrund der z.B. langjährigen Verjährungsfrist ist die Erkenntnis, dass Baumängel vielfach schwer erkennbar sind, sich oft nur Symptome zeigen, sich häufig spät auswirken und wirtschaftlich erheblich sind. Wird bei der Sanierung eines Daches – wie vorliegend – eine Abdichtung mangelhaft erstellt und hierdurch das darunter liegende Mauerwerk in Mitleidenschaft gezogen, haftet der Unternehmer umfassend verschuldensunabhängig.
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d) Soweit der Beklagte zu 1) meint, die Klägerin hätte beispielsweise durch eine Aufzugsanlage etwas erhalten, was einen Mehrwert darstellt, da zuvor kein Aufzug vorhanden gewesen sei, sieht der Senat hierin kein taugliches Gegenargument, da dies bei jeder Sanierung/Modernisierung der Fall ist und keine Wechselwirkung zu einem für den Anspruch maßgeblichen Tatbestandsmerkmal ersichtlich ist.
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2. Die Abnahme war entbehrlich, da ein Abrechnungsverhältnis entstanden ist.
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Der Beklagte zu 1) meint, dass insoweit der entsprechende Beschluss der Wohnungseigentumsgemeinschaft nicht ausreichend ist. Der Senat folgt dem bereits vor dem Hintergrund des § 81 ZPO nicht, der in seinem Anwendungsbereich den §§ 174, 180 BGB vorgeht. Die Wohnungseigentumsgemeinschaft hat daher unproblematisch zum Ausdruck gebracht, dass ein weiteres Zusammenarbeiten nicht gewünscht ist.
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3. Soweit der Beklagte zu 1) eine fehlerhafte Beweiswürdigung rügt, folgt der Senat dem nicht. Es bestehen keine Anhaltspunkte an der Vollständigkeit oder Richtigkeit der in erster Instanz getroffenen Feststellungen und die Rügen sind teilweise irritierend.
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a) So führt der Beklagte zu 1) aus, es sei nicht nachgewiesen, dass er das Wärmedämmverbundsystem aufgebracht habe, obwohl dies seitens der Klägerin so vorgetragen worden sei. Der Senat hat die Zielrichtung dieser Rüge nicht verstanden, da die Ausführungen den Anforderungen des § 138 Abs. 1 ZPO nicht genügen und sogar in der Berufungsbegründung kein konkreter Vortrag hierzu ersichtlich ist. Dass ein Dritter die Wärmedämmung aufgebracht hatte, stand nie im Raum und ein entsprechendes Vorbringen wäre in zweiter Instanz präkludiert.
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b) Soweit der Beklagte zu 1) meint, die anzusetzenden Kosten seien nicht ausreichend präzise ermittelt, folgt der Senat dem nicht.
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Der Anspruch auf Kostenvorschuss umfasst die künftig erforderlichen Aufwendungen, steht daher regelmäßig nicht fest und muss folglich gemäß § 287 ZPO geschätzt werden, wobei die Schätzung ihre Grundlage in den zu beseitigenden Mängeln hat. Bei gravierenden Mängeln, bei denen die Neuherstellung günstiger als die Sanierung ist, umfasst der Anspruch auch die Kosten der vollständigen Neuerrichtung. Angesichts der Vorläufigkeit des Anspruchs und der folgenden Abrechnungspflicht und Überprüfungsmöglichkeit (§§ 259, 666 BGB analog) ist eine substantiierte Schätzung ausreichend.
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Im hier vorliegenden Fall besteht zudem die Besonderheit, dass die Mängel in Ansehung des Gewerks ungewöhnlich gewichtig, die verursachten Feuchtigkeitsschäden umfangreich und kostenintensiv sind, so dass die Ausführungen des Sachverständigen für die Beurteilung der Vorläufigkeit nachvollziehbar sind. Auch hat der Sachverständige nachvollziehbar das Ausmaß und den Umfang der Mängel und der erforderlichen Beseitigungsmaßnahmen ermittelt. Die Berufung setzt sich nicht in Ansätzen mit der, für den Senat nachvollziehbaren, detaillierten und auf den Lichtbildern eindrucksvoll dokumentierten Situation und der hieraus gezogenen Schlussfolgerungen auseinander. Wie das Erstgericht konnte der Senat auf Basis des Gutachtens auch die eigene Überzeugung gewinnen, dass die Werkleistung des Beklagten zu
1) grob mangelhaft war und der im Ersturteil genannte Betrag zur Mangelbeseitigung anfallen wird.
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c) Soweit der Beklagte zu 1) rügt, der Sachverständige wäre über den Beweisbeschluss hinausgegangen, bleibt die Zielrichtung der Rüge unklar.
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Das Gericht hat die Erkenntnisse des Sachverständigen für die Entscheidung zu Grunde gelegt und damit verwertet. Ob der Sachverständige hierbei die Vorgaben des Beweisbeschlusses – das lässt der Senat offen – verlassen hat, begründet keine Zweifel an der Richtigkeit der Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und deren Vollständigkeit wächst u.U.. Möglicherweise – der Berufungsführer versäumt es entgegen seiner aus § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO folgenden Pflicht, zur Bedeutung einer Rechtsverletzung und der Erheblichkeit vorzutragen – meint der Beklagte zu 1), dass hieraus ein zivilrechtliches Beweisverwertungsverbot folgt. Das wird weder in der Rechtsprechung noch in der Kommentarliteratur ernsthaft vertreten (§ 286 ZPO).
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d) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs dringt nicht durch und auch insoweit ist die Gehörsrüge nicht geeignet, konkrete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen zu begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO):
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aa) Es wäre in materieller Hinsicht erforderlich gewesen, dass der Beklagte zu 1) in der Berufung vorträgt, welche konkreten Nachfragen verhindert wurden. Der pauschale Verweis auf die gewünschte Befragung ist angesichts des Umstands, dass ein schriftliches Gutachten erholt wurde, nicht ausreichend.
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bb) Im Übrigen verkennt der Beklagte zu 1), dass auch in formeller Hinsicht die Gehörsrüge nicht greift: Die angebliche Verletzung von § 215 ZPO greift bereits im Ansatz nicht, da der Beklagte zu 1) verkennt, dass die Beweisaufnahme kein Teil der mündlichen Verhandlung ist, sondern – das ergibt sich bereits unmittelbar aus §§ 357 Abs. 1, 367 ZPO – diese unterbricht. Die Ladung zur Beweisaufnahme unterfällt daher bereits nicht dem Regelungsgehalt von § 215 ZPO, da eine Säumnisentscheidung gar nicht ergehen darf (§ 367 Abs. 1 ZPO). Nur falls nach der Beweisaufnahme geplant ist, die mündliche Verhandlung fortzusetzen, käme § 215 Abs. 1 ZPO in Betracht. Unterstellt man einen Verstoß gegen § 215 ZPO, den der Senat ausdrücklich offen lässt, hätte das Erstgericht die Beweisaufnahme durchführen müssen, nur kein Versäumnisurteil erlassen können. Der Beklagte zu 1) hatte – und das ist für sein rechtliches Gehörs ausreichend – die Möglichkeit, an der Beweisaufnahme teilzunehmen. Da die gerichtlichen Schreiben nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gelesen wurden, war die Säumnis schuldhaft und ein Anspruch auf Wiederholung bestünde nicht.
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Der Senat regt aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung an.
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Hierzu bzw. zur Stellungnahme zu diesem Hinweis besteht Gelegenheit bis zum 15.04.2020.