Inhalt

LG Ingolstadt, Endurteil v. 11.12.2020 – 41 O 1982/2
Titel:

Schadensersatz, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, untersagung, Erblasser, Vertragsschluss, Software, Leistung, Streitwert, Zeitpunkt, Leasing, Genehmigung, Wirksamkeit, Klage, Zug um Zug, juristische Person, Zeitpunkt des Vertragsschlusses

Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Sittenwidrigkeit, untersagung, Erblasser, Vertragsschluss, Software, Leistung, Streitwert, Zeitpunkt, Leasing, Genehmigung, Wirksamkeit, Klage, Zug um Zug, juristische Person, Zeitpunkt des Vertragsschlusses
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62720

Tenor

1.    Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 12.230,76 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A3 Sportback 2.0 TDI DSG, FahrzeugID-Nr.: ..., zu zahlen.
2.    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.    Von des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4.    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit dem sogenannten „Abgasskandal“.
2
Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater des Klägers zu 2), Herr P. H1. erwarb mit Kaufvertrag vom 26.03.2014 einen Pkw Audi A3 Sportback 2.0 TDI DSG mit einem Kilometerstand von 4.973 km zu einem Kaufpreis in Höhe von 25.400,00 € brutto von der F. S. GmbH & Co. KG in Simmern. Eingebaut in das Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 189, welcher vom Mutterkonzern der Beklagten hergestellt wurde. Das Fahrzeug ist Gegenstand eines Rückrufs des Kraftfahrtbundesamtes, da der Motor über eine Abschalteinrichtung verfügt, durch die softwaretechnisch im Prüfstand eine im Vergleich zum normalen Fahrbetrieb erhöhte Rückführung von Abgasen vorgenommen wird. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung betrug der aktuelle Kilometerstand 61.525 Kilometer.
3
Herr P. H1. verstarb am ... 2015 und wurde von den Klägern, seiner Ehefrau und seinem Sohn, jeweils hälftig beerbt. Die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei erhoben unter dem 27.11.2018 Klage im Namen des Herrn P. H1. gegen die Beklagte. Während des Verfahren wurde ein Parteiwechsel auf Klägerseite durch die Klägervertreter dahingehend beantragt, dass die Klage durch die Erben des Herrn P. H1. geführt werde. Hiergegen wendete sich die Beklagte.
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Mit Zwischenurteil vom 14.02.2020 entschied das Landgericht Ingolstadt, dass der gewillkürte Parteiwechsel auf Klägerseite zulässig ist. Die von der Beklagten gegen das Zwischenurteil eingelegte Berufung wurde wieder zurückgenommen.
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Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
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Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor:
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Die Beklagte habe in der Motorsteuerung des Motors EA 189 eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Das Fahrzeug sei daher durch die Beklagte werksseitig manipuliert gewesen hinsichtlich der Schadstoffwerte. Die Klagepartei stützt ihre Ansprüche gegen die Beklagte unter anderem auf § 826 BGB.
8
Die Klagepartei beantragte zuletzt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 25.400,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Übergabe des Audi A3 Sportback 2.0 TDI DSG, Fahrzeug-ID-Nr.: …, zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Die beklagte Partei trägt im Wesentlichen vor:
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Die Beklagte ist der Ansicht, es liege keine deliktische Handlung der Beklagten vor. Die Klagepartei habe eine Täuschung der Beklagten oder eine andere gegenüber der Klagepartei als besonders verwerflich anzusehende Handlung nicht dargelegt. Auch die subjektiven Voraussetzungen eines Betrugs lägen nicht vor, ebenso wenig eine Stoffgleichheit. Der Beklagten sei keinerlei Vorteil aus dem Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs zugeflossen. Bei der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Software handle es sich auch nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte ist ferner der Ansicht, dass im vorliegenden Fall kein Verstoß gegen Schutzgesetze vorliege. Für das Fahrzeug liege eine wirksame EG-Typengenehmigung vor. Die Tatsache, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Software ausgestattet gewesen sei, welche den Stickoxidausstoß im Prüfstand beeinflusste, habe an Bestand und Wirksamkeit der Genehmigung nichts geändert. Das Fahrzeug sei für den Straßenverkehr zugelassen worden und habe jederzeit uneingeschränkt genutzt werden können. Die Beklagte bestreitet die Kausalität zwischen einer etwaigen Täuschung/Schädigungshandlung und dem konkreten Vertragsabschluss mit Nichtwissen.
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Die Beklagte bringt weiter vor, dass sie den streitgegenständlichen Motor und die Motorensteuerungssoftware nicht entwickelt habe, sondern lediglich Komponenten erworben habe. Zudem hätten die Emissionswerte für die Kaufentscheidung der Klagepartei keine Rolle gespielt.
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Etwaige Ansprüche seien jedenfalls verjährt. Der Abgasskandal habe durch öffentliche Bekanntmachungen und Pressmitteilung der Beklagten sowie die öffentliche Presseberichterstattung ab dem 22. September 2015 permanent alle deutschen Medien beherrscht. Auch habe die Beklagte im Oktober 2015 eine Website zur Ermittlung der individuellen Betroffenheit einzelner Fahrzeuge durch Eingabe der Fahrzeugidentifikationsnummer geschaltet. Nach der Lebenserfahrung habe die Klagepartei daher bereits im Jahr 2015 positive Kenntnis von der Betroffenheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs vom Abgasskandal gehabt. Jedenfalls läge grob fahrlässige Unkenntnis vor. Im Jahr 2015 sei der Klagepartei auch nach den vom Gericht zugrunde gelegten Kriterien bereits eine schlüssige Klage möglich gewesen.
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Im Jahr 2018 habe jedoch noch keine wirksame Klageerhebung vorgelegen, da die Genehmigung des Verfahrens durch die Kläger erst im Termin zur mündlichen Verhandlung am 10.01.2020 erteilt worden sei.
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Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 30.10.2020 wurde mit den Parteien die Sach- und Rechtslage eingehend erörtert; die Kläger wurden informatorisch angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 267/271 d. A.) vollumfänglich Bezug genommen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze einschließlich der dazu vorgelegten Unterlagen zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 12.230,76 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus § 826 BGB. Weiter besteht ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte auf Zahlung von Verzugszinsen seit Rechtshängigkeit. Im Übrigen war die Klage als unbegründet abzuweisen.
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I. Die Klagepartei hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung aus §§ 826, 31 BGB. Die Beklagte hat Herrn P. H1. in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt. Der Herrn P. H1. zustehende Anspruch ging gemäß § 1922 Abs. 1 BGB auf die Kläger als dessen Erben über.
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1. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit der streitgegenständlichen Umschaltlogik stellt eine konkludente Täuschung der Klagepartei durch die Beklagte dar (vgl. auch OLG München 18 U 3363/19 m.w.N.). Mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs hat die Beklagte jedenfalls konkludent zum Ausdruck gebracht, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf. Obwohl die Hersteller teilweise bereits das Vorliegen eines Mangels bestreiten und die Abschaltvorrichtungen teilweise als „Motorenschutzmaßnahmen“ etc. beschönigen, ist an der Unzulässigkeit der installierten Einrichtungen spätestens seit dem am 15.10.2015 vom KBA gegenüber der VW AG angeordneten Rückrufaktion (abzurufen unter https://www.kba.de/DE/Presse/Archiv/VW/vw_inhalt.html?nn=1633522) der betroffenen Fahrzeuge mit EA 189-Motoren nicht mehr an der Unzulässigkeit der verbauten Einrichtungen zu zweifeln. Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung waren entgegen dem konkludenten Erklärungswert des Inverkehrbringens gerade nicht die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typengenehmigung gegeben, so dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand.
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2. Das Verhalten der Beklagten verstieß auch gegen die guten Sitten.
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Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Es muss eine besondere Verwerflichkeit vorliegen, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH VI ZR 124/12 Rn. 8 m.w.N.).
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Vor diesem Hintergrund ist von einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten auszugehen. Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit (siehe zum Ganzen statt vieler LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017, Az. 3 O 139/16, VuR 2017, 111). Dabei ergibt sich hier die besondere Verwerflichkeit bereits aus dem Ausmaß der Täuschung, nämlich dem Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen verschiedener Marken des Konzerns verbaut wurde, so dass sich eine entsprechend hohe Zahl getäuschter Verkäufer ergibt (vgl. OLG München 18 U 3363/19).
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Aber auch die Art und Weise der Täuschung sowie die aus der Täuschung folgenden Konsequenzen geben der Täuschung durch die Beklagte das erforderliche sittenwidrige Gepräge: Durch die Täuschung der Typengenehmigungsbehörde hat sich die Beklagte das Vertrauen der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens und damit auch in die Objektivität der staatlichen Behörde zunutze gemacht. Den Käufern droht zudem ein erheblicher Schaden in Form der Stilllegung ihres erworbenen Fahrzeugs. Das von der Beklagten angebotene Softwareupdate kann hieran nichts ändern, da es für die Schädigungshandlung und den Vorsatz auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses ankommt.
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Die Beklagte hat auf der Grundlage einer grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig eine Vielzahl von Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Das gilt auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs handelt. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich aus einer Gesamtschau des festgestellten Verhaltens der Beklagten unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen (vgl. hierzu, Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19).
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3. Der Klagepartei ist nach Überzeugung der Kammer durch die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit ein kausaler Schaden entstanden.
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Dabei kommt es nicht darauf an, ob der streitgegenständliche Pkw durch die in dem Motor verbaute Umschaltlogik einen geringeren Marktwert hatte oder seine Nutzbarkeit eingeschränkt war. Entscheidend ist allein, dass der Geschädigte durch das deliktische Verhalten der Beklagten zum Abschluss eines Vertrages gebracht wurde, den er sonst nicht abgeschlossen hätte, und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH VI ZR 15/14, BGH NJW 2004, 2668).
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Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können. Schon eine solche stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also die Ausstellung der unrichtigen Bescheinigung, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
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Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber, wie der Erblasser hier, infolge des dem Hersteller zur Last fallenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte der Hersteller keine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung erteilt und stattdessen offengelegt, dass die in Verkehr gebrachten Fahrzeuge gerade keinem genehmigten Typ entsprechen, hätte deren Erwerber davon abgesehen, diese Fahrzeuge zu kaufen. Dabei spielt es keine Rolle, welches konkrete Motiv für den einzelnen Erwerber bestimmend gewesen wäre. Ein Teil der Käufer mag besonderen Wert darauf gelegt haben, im Interesse des Umweltschutzes ein Fahrzeug zu nutzen, das die geltenden Grenzwerte für Abgasemissionen einhält, ein anderer Teil nicht. Aber nach Ansicht der Kammer waren zumindest alle Erwerber interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterlag. Jedenfalls lässt sich nach Überzeugung der Kammer keinem der Erwerber unterstellen, ihm wäre gleichgültig gewesen, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß produziert und in den Verkehr gebracht worden ist oder nicht. Die Investition in ein neues Fahrzeug war deshalb aus Sicht der Erwerber jedenfalls zweckwidrig, selbst wenn man unterstellt, dass das haftungsbegründende Verhalten zu keinerlei in Geld zu bemessender Einbuße bei den Fahrzeugerwerbern geführt hat.
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Im vorliegenden Fall ist der Erblasser nach Überzeugung des Gerichts aufgrund der Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2020 veranlasst durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Dabei kann dahinstehen, ob die Klagepartei einen Vermögensschaden dadurch erlitten hat, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs eine objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht gegeben war (§ 249 Abs. 1 BGB), auch wenn dafür angesichts des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhandenen verdeckten Sachmangels, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können einiges spricht. Denn ein Schaden ist hier jedenfalls deshalb eingetreten, weil der Vertragsschluss nach den oben genannten Grundsätzen als unvernünftig anzusehen ist. Der Erblasser hat durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war.
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Nach Überzeugung des Gerichts hätte der Erblasser den Kaufvertrag in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung nicht abgeschlossen. Es ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann. Auch bestätigten die Kläger, im Rahmen der informatorischen Anhörung, dass der Erblasser sich sicher nicht für das Fahrzeug entschieden hätte, wenn er von der Abschaltautomatik Kenntnis gehabt hätte.
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Die Kausalität wird im übrigen nicht dadurch unterbrochen, das der Erblasser das Fahrzeug nicht unmittelbar von der Beklagten erworben hat. Denn durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs hat die Beklagte den Kausalverlauf bewusst unter Einschaltung ihres Vertriebssystems in Gang gesetzt. Die von der Beklagten verübte Täuschungshandlung wirkt fort, da die Angaben der Fahrzeughändler auf dem durch die Herstellerangaben lediglich weitergibt (vgl. OLG München 18 U 3363/19).
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4. Die Beklagte handelte dabei auch mit Schädigungsvorsatz und Kenntnis aller Tatumstände, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen. Die jeweils verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten haben in Kenntnis der Tatsache, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Typenzulassung wegen des Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007/EG gemäß Art. 10 Abs. 2 der EU-Verordnung 715/2007/EG nicht vorliegen, vorsätzlich eine falsche Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne des § 6 Abs. 1 EG-FGV für das Fahrzeug ausgestellt. Die damit einhergehenden Täuschungshandlungen sind nach Überzeugung der Kammer auch nur vorsätzlich denkbar, weil die Beklagte als etablierte Fahrzeugherstellerin die Kenntnis der Programmierung ihrer eigenen Fahrzeuge sowie der für sie einschlägigen Rechtsnormen unterstellt werden kann. Jedenfalls liegt insofern aufgrund der substanziierten Darlegung der Klagepartei eine sekundäre Darlegungslast bei der Beklagten, welcher die Beklagte nicht genügt hat.
35
Eine Zurechnung der jeweiligen Handlungen auch verschiedener Mitarbeiter an die Beklagte erfolgt über § 31 BGB. Dieser setzt voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat. Der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ ist dabei weit auszulegen. Dies sind auch Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Es kommt nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist, oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt, da die juristische Person nicht selbst darüber entscheiden soll (durch die eigene Satzung), für welche Personen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will (sog. Repräsentantenhaftung, vgl. BGH VI ZR 536/15, BGH VII ZR 82/65). Der personelle Anwendungsbereich von § 31 BGB deckt sich im Wesentlichen mit dem Begriff des leitenden Angestellten im Sinne des Arbeitsrechts (vgl. Palandt-Ellenberger BGB § 31 Rn 6).
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Es bedarf dabei nach der Überzeugung der Kammer keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
37
Die Klagepartei behauptet, die Beklagte habe mit Schädigungsvorsatz gehandelt und die, die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände gekannt. Sie führt insoweit aus, der damalige Chef der Beklagten, Herr W2., sei neben weiteren Führungskräften von einem Motorenentwickler über die Problematik informiert worden. In mehreren Arbeitskreisen sei der Vorstand, einschließlich dem damaligen Audi Chef St. wiederholt über das Abgas-Problem informiert worden. Es liege eine personelle Verflechtung zwischen der Herstellerin des Motors, der V. AG als Muttergesellschaft und der Beklagten als Herstellerin und Vertreiberin des streitgegenständlichen Fahrzeugs vor. Der seit 2007 amtierende Vorstandsvorsitzende R. St. sowie der vormalige Entwicklungsvorstand Stefan Knirsch seien maßgeblich in das Geschehen involviert gewesen. Der Vorstandsvorsitzende St. sei bis 02.10.2018 Mitglied des Aufsichtsrats bei der VW AG und bis zu diesem Zeitpunkt Vorstandsvorsitzender der Beklagten gewesen. Herr W3. H2., der zunächst Leiter der Aggregateentwicklung gewesen sei, habe in dieser Funktion eng mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten Winterkorn zusammengearbeitet. Nachdem Herr W2. im Jahr 2007 zum Vorstandsvorsitzenden von der Muttergesellschaft der Beklagten, der VW AG, berufen worden sei, habe dieser Herrn H2. im Januar 2009 zum Chef der Aggregateentwicklung für den gesamten Konzern befördert. Diese Personenverflechtung belege, dass das deliktische Handeln nicht allein bei der Herstellerin des Motors gelegen habe, sondern dass Verantwortliche der Beklagten maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung und Produktion des Motors genommen hätten oder zumindest von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätten.
38
Die Beklagte wendet ein, die Klagepartei habe nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass Personen, deren Kenntnisse der Beklagten nach § 31 BGB zuzurechnen wären, mit Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände gehandelt hätten. Die Klagepartei habe nicht dargelegt, dass ein Vorstandsmitglied im aktienrechtlichen Sinne der Beklagten im Kaufvertragszeitpunkt Kenntnis von der Software hatte und einen endkundenbezogenen Schädigungsvorsatz aufwies. Die Beklagte zieht sich darauf zurück, sie habe den in dem streitgegentsändlichen Fahrzeug verbauten Motor nicht entwickelt.
39
Der Vortrag der Klagepartei ist nach alledem als hinreichend substantiiert anzusehen, während die Beklagte ihrer dadurch ausgelösten sekundären Darlegungslast nicht genügt hat. Die Klagepartei steht außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs und hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten, auch namentlich, vorgetragen. Hier genügt ein schlichtes Bestreiten der Beklagten nicht mehr. Die Beklagte hätte zumindest die Behauptungen der Klagepartei erschüttern müssen, indem sie z.B. andere Abläufe und Verantwortlichkeiten aufzeigte. Dies hat sie nicht getan.
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Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt ist für die Kammer jedoch nicht anzuzweifeln, da insoweit ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar ist.
41
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Behauptung zurückziehen, sie habe den streitgegenständlichen Motor und die Motorensteuerungssoftware nicht entwickelt. Zum einen war zum Zeitpunkt des Einbaus des Motors das Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel möglichst geringer Kohlendioxidemission und der Begrenzung der Stickoxidemissionen allgemein bekannt und hätte Anlass zu einer sehr genauen Prüfung geben müssen, als aus Sicht der für die Entwicklung des Motors und der für die Motorenentwicklung zuständigen VW AG die Auflösung dieses Zielkonflikts angeblich gelungen war. Zum anderen nahm zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber den Erlass eines Verbots von verbotenen Abschalteinrichtungen in Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG vor und wies daher auf dieses Problem in besonderer Weise hin. Die Repräsentanten mussten wegen dieser Warnwirkung also ohne Weiteres mit der Möglichkeit rechnen, dass eine solche Einrichtung verwendet würde. Dadurch, dass sie trotz der durch die Verordnung offenkundig gemachten Möglichkeit, dass eine solche Einrichtung verwendet werden könnte, nicht eingegriffen bzw. genau nachkontrolliert haben und dennoch die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellten bzw. deren Ausstellung nicht verhinderten, ist auch ihnen zumindest bedingter Vorsatz durch Unterlassen zur Last zu legen.
42
Nach alledem gilt der Klägervortrag als zugestanden im Sinne des § 138 Abs. 3 ZPO.
43
5. Die Klagepartei hat daher gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unter Anrechnung von Gebrauchsvorteilen im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB.
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6. Im Rahmen der Rückabwicklung muss sich die Klagepartei den Abzug von Gebrauchsvorteilen in Form einer Nutzungsentschädigung gefallen lassen, welche sie auch bereits selbst in ihrem zuletzt gestellten Klageantrag berücksichtigte. Allerdings hat sie den Nutzungsersatz im Termin nicht korrekt berechnet.
45
Der Bundesgerichtshof hebt im Rahmen der Schadensberechnung die Grundsätze der Vorteilsausgleichung und das schadensrechtliche Bereicherungsverbot hervor und stellt klar, dass der Ersatzanspruch in die Nähe eines dem deutschen Recht fremden Strafschadensersatzes gerückt würde, wenn ein Nutzungsersatz nicht berücksichtigt würde (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 64 ff.).
46
Die Nutzungsentschädigung, die die Klagepartei an die Beklagte im Wege der Zug-um-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist nach Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall auf 12.269,24 € festzusetzen.
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Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung unstreitig 61.525 km. Das Gericht geht weiter im Rahmen einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 300.000 km aus.
48
Das Gericht folgt den überzeugenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs zur Vorteilsausgleichung (siehe oben), ist aber der Auffassung, dass diese Grundsätze nicht nur bei der Frage eine Rolle spielen, ob sich die Klagepartei gezogene Nutzungen anrechnen lassen muss, sondern auch bei der Frage, wie der Wert der gezogenen Nutzungen im Rahmen von § 287 ZPO zu berechnen ist. Für die Berechnung ist – soweit ersichtlich – die folgende Methode üblich, die bisher auch das Gericht praktiziert hat und deren Anwendung der Bundesgerichtshof nicht beanstandet hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 78 ff.):
49
Der von der Klagepartei gezahlte Bruttokaufpreis für das Fahrzeug wird durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und dieser Wert wird mit den gefahrenen Kilometern multipliziert.
Nutzungsersatz in € =
50
Das Gericht wendet diese Methode aber nicht an, da sie den Nutzungsersatz linear berechnet, eine solche Bewertung aber – allgemein bekannt – nicht den realen Wert der Nutzung eines Pkws abbildet und damit dem schadensrechtlichen Bereicherungsverbot nicht ausreichend Rechnung trägt. Die Klagepartei würde mit dieser Berechnungsmethode nach Auffassung des Gerichts besser gestellt, als sie ohne das schädigende Ereignis stünde. Bei Anwendung der oben aufgeführten Methode entspricht der Wert der Nutzung des ersten gefahrenen Kilometers nämlich exakt dem Wert der Nutzung des letzten gefahrenen Kilometers. Tatsächlich ist die Nutzung eines Neufahrzeugs aber mehr wert, als die Nutzung eines Fahrzeugs mit einem Kilometerstand von beispielsweise 299.999 Kilometern. Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die Reparaturanfälligkeit regelmäßig mit zunehmenden Alter steigt, während die Zuverlässigkeit des Fahrzeugs abnimmt. Außerdem besteht ein Mehrwert bei der Nutzung eines neuen Fahrzeugs darin, dass es technisch auf dem aktuellen Stand ist. So wird auch ein Interessent, der beispielsweise mit der Beklagten einen Leasingvertrag abschließen will, erwarten, dass die Beklagte ihm im Rahmen dieses Leasingvertrags ein Neufahrzeug zur Verfügung stellt. Sollte ihm ein gebrauchtes Fahrzeug zum Leasing angeboten werden, wird er zumindest fordern, dass die Kosten für das Leasing im Vergleich zum Leasing eines Neufahrzeugs geringer sind. Als Kehrseite kann auf den Wertverlust eines Kraftfahrzeugs Bezug genommen werden, der nicht linear, sondern degressiv verläuft. Neufahrzeuge haben gerade in den ersten Jahren nach dem Kauf einen hohen Wertverlust.
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Es gibt deshalb Stimmen in der Literatur, die überlegen, bei der Berechnung des Nutzungsersatzes nicht auf die maximal mögliche Kilometerlaufleistung, sondern auf die gewöhnliche Nutzungsdauer abzustellen (vgl. BeckOGK/Schall, 1.3.2020, BGB § 346 Rn. 437). Die Klagepartei kann aber auf den Fortgang des Verfahrens und den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nur begrenzt Einfluss nehmen und es könnte sich ggf. nur aufgrund Zeitablaufs ein höherer Nutzungsersatz ergeben, wenn auf die gewöhnliche Nutzungsdauer abgestellt wird.
52
Das Gericht hat den Nutzungsersatz deshalb weiterhin anhand der oben aufgeführten Formel berechnet, allerdings mit der Modifikation, dass die jeweiligen Kilometerstände gewichtet werden. Dies hat den Vorteil, dass gegenüber dem Abstellen auf die Nutzungsdauer die tatsächlich gefahrenen Kilometer als tatsächlich gezogene Nutzungen bewertet werden, was auch der Bundesgerichtshof für sachgerecht erachtet hat (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 78 ff.). Statt einer linearen Betrachtung, geht das Gericht davon aus, dass der Wert der Nutzungen zunächst höher ist und sich mit zunehmender Kilometerlaufleistung verringert.
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Das Gericht setzt hierbei eine Berechnung nach einem Stufenmodell an. Die Kilometerlaufleistung wird hierbei in drei Stufen unterteilt.
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Dem Gericht erscheint es nach einer vorläufigen Schätzung sachgerecht, anzunehmen, dass die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs 300.000 Kilometer beträgt, der Wert der Nutzung bis einschließlich Kilometer 50.000 mit dem Faktor 3 (Stufe 1), von Kilometer 50.001 bis einschließlich Kilometer 200.000 mit dem Faktor 2 (Stufe 2) und von Kilometer 200.001 bis einschließlich Kilometer 300.000 mit dem Faktor 1 (Stufe 3) zu berücksichtigen ist. Ergebnis dieser Modifikation ist ein stufenweiser degressiver Verlauf des Wertes des Nutzungsersatzes. Bei der Bewertung der ersten Stufe bis 50.000 Kilometer wurde berücksichtigt, dass in Deutschland die durchschnittliche Jahresfahrleistung etwa 15.000 Kilometer (13.727 Kilometer für das Jahr 2018, vgl. Statistik des Kraftfahrtbundesamtes, abzurufen unter https://www.kba.de/DE/Statistik/Kraftverkehr/VerkehrKilometer/verkehr_in_kilometern_node.html) beträgt und ein drei Jahre altes Fahrzeug beim Verkauf etwa 50 Prozent seines Listenpreises erzielt. Ein Fahrzeug mit einer Laufleistung von über 200.000 Kilometer wird gegenüber einem Fahrzeug mit einer Laufleistung zwischen 50.000 Kilometern und 200.000 Kilometern deutlich anfälliger für Reparaturen sein. Daraus ergeben sich die weiteren beiden Stufen.
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Das Gericht weist weiter darauf hin, dass diese Berechnungsmethode nicht den Anspruch erhebt, den Wert der Nutzungen absolut realistisch abzubilden. Man könnte wohl auch nachvollziehbar begründen, eine zusätzliche Stufe zwischen 50.000 Kilometern und 100.000 Kilometern „einzubauen“ oder den Nutzungsersatz vollumfänglich degressiv (ohne Stufen) zu berechnen. Das Gericht geht aber davon aus, dass die oben dargelegte Gewichtung der Kilometerstände in drei Stufen der Realität deutlich näher kommt, als eine lineare Berechnung. Das Gericht hat zudem im Rahmen von § 287 ZPO einen weiten Ermessensspielraum. Dies hat auch der Bundesgerichtshof in der von der Klagepartei angesprochenen Entscheidung hervorgehoben und sogar eine lineare Berechnung des Nutzungsersatzes für revisionsrechtlich unbedenklich erklärt (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, Rn. 78 ff.). Dann kann aber die realitätsnähere Schätzung erst recht nicht zu beanstanden sein.
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Um die oben aufgeführten Stufen im Rahmen der Berechnung berücksichtigen zu können, hat das Gericht folgende Methode entwickelt:
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Es bleibt dabei, dass der von der Klagepartei gezahlte Bruttokaufpreis für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird. Allerdings werden in diese Berechnung nicht die tatsächlichen Kilometerstände eingestellt, sondern fiktive Werte. Die fiktiven Werte werden gebildet, indem die jeweiligen Kilometerstände in die oben aufgeführten Stufen zerlegt werden und mit den oben aufgeführten Faktoren multipliziert werden.
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Bei der Berechnung muss außerdem berücksichtigt werden, dass die Stufen unterschiedlich groß sind, also eine unterschiedliche Anzahl an Kilometern beinhalten. Um die Gewichtung der Stufen zueinander im Verhältnis 3:2:1 zu erhalten, muss die unterschiedliche Größe der Stufen mit den Faktoren 3 für Stufe 1, 1 für Stufe 2 (größte Stufe) und 1,5 für Stufe 3 ausgeglichen werden. Hinzu kommen die Faktoren für die Gewichtung: 3 für Stufe 1, 2 für Stufe 2 und 1 für Stufe 3 (Verhältnis 3:2:1).
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Insgesamt ergeben sich nach Multiplikation der jeweiligen Faktoren folgende Faktoren: 9 (3 * 3) für Stufe 1, 2 (2 * 1) für Stufe 2 und 1,5 für Stufe 3 (1 * 1,5).
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Der Nutzungsersatz berechnet sich unter Berücksichtigung der im vorliegenden gefahrenen Kilometer (76.504) und der Kilometer beim Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei (10) folgendermaßen:
Nutzungsersatz in € =
=
25.4000 € * ((50.000 * 9) + (11.525 * 2) – (4.973 * 9)) / ((50.000 * 3) + (150.000 * 2) +(100.000 * 1,5) – (4.973 * 9) = 12.269,24 €.
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Für 300.000 Kilometer (geschätzte maximale Gesamtlaufleistung) ergibt sich im obigen Beispiel ein fiktiver Wert von (50.000 * 9) + (150.000 * 2) +(100.000 * 1,5), also insgesamt 900.000 Kilometer, da alle drei Stufen voll ausgefüllt sind.
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Für 4.973 Kilometer (Kilometer zum Zeitpunkt des Schlusses des Kaufvertrags) ergibt sich im obigen Beispiel ein fiktiver Wert von (4.973 * 9), also 44.757 Kilometer, da Stufe 1 mit 4.973 Kilometern ausgefüllt ist.
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Für 61.525 Kilometer (Kilometer zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung) ergibt sich ein fiktiver Wert von (50.000 * 9) + (11.525 * 2), also 473.050 Kilometer, da Stufe 1 voll ausgefüllt ist und Stufe 2 mit 11.5254 (61.525 – 50.000) Kilometern ausgefüllt ist .
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Mithin verbleibt ein klägerischer Anspruch auf Zahlung in Höhe von 12.230,76 € (25.400 € – 12.269,24 €).
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Sollte zum Zeitpunkt der Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte eine Veränderung der Laufleistung des Fahrzeugs gegenüber der Laufleistung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung eingetreten sein, so wird diese entsprechend zu berücksichtigen sein. Da für die vorliegende Entscheidung jedoch die Lage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, sind derartige Veränderungen im Tenor dieses Urteils nicht zu berücksichtigen.
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Dass sich die Klagepartei im Wege des Vorteilsausgleichs die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss hat der BGH in dem Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, ausdrücklich bestätigt und ausgeführt, dass der Geschädigte im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden darf, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Der Bundesgerichtshof hat sich in der genannten Entscheidung auch mit der Problematik des Unionsrechts auseinander gesetzt und überzeugend begründet, weswegen der Abzug von Nutzungen nicht unionsrechtswidrig ist. Darauf nimmt die Kammer Bezug, weil kein Anlass besteht, an der Richtigkeit der höchstrichterlichen Entscheidung zu zweifeln.
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7. Die Forderung war entgegen des Antrags der Klagepartei gemäß § 291 BGB erst ab Rechtshängigkeit zu verzinsen.
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8. Der klägerische Anspruch ist auch nicht verjährt. Die Klage wurde bereits im Jahr 2018 erhoben. Die Zustellung der Klageschrift erfolgte auch noch demnächst im Sinne von § 167 ZPO.
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Es gilt die regelmäßige Drei-Jahres-Frist nach § 195 BGB. Diese beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den, den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Beklagte ist dabei für die maßgeblichen Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig. Der streitgegenständliche Anspruch ist bereits mit Kaufvertragsschluss, spätestens jedoch mit Verjährung der kaufvertraglichen Mängelrechte entstanden.
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Selbst wenn man mit der Beklagten davon ausgehen wollte, dass für die streitgegenständlichen Ansprüche mit Ablauf des Jahres 2018 eine Verjährung eintreten würde, so greift im vorliegenden Fall die Einrede der Verjährung nicht durch, da die Verjährung durch die Erhebung der Klage gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wirksam gehemmt war.
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Da der Prozessbevollmächtigte von den Klägern zur Klageerhebung beauftragt wurde und nur aufgrund eines Versehens der Klägervertreter die Klagepartei falsch bezeichnet wurde, ist die Berichtigung der Parteibezeichnung insoweit unschädlich. Grundsätzlich steht der Tod einer Partei vor Rechtshängigkeit, aber nachdem sie eine wirksame Prozessvollmacht ausgestellt hat, der ordnungsgemäßen Klageerhebung nicht entgegen. Die Prozesshandlungen gelten dann als für oder gegen die partei- und prozessfähigen Erben erfolgt; diese sind nunmehr Partei. Anerkannt ist weiterhin, dass die Partei, die im Laufe des Rechtsstreits prozessunfähig geworden ist, in dem Verfahren auch nach Eintritt der Prozessunfähigkeit noch Vorschrift der Gesetze vertreten ist, wenn für sie ein Prozessbevollmächtigter auftritt, dem sie wirksam Prozessvollmacht erteilt hat (vgl. hierzu BGH, Entscheidung vom 08.02.1993, Az.: II ZR 62/92).
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Das Gericht übersieht nicht, dass im vorliegenden Fall Herr P. H1. zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits verstorben war. Die Klägervertreter waren jedoch zur Klageerhebung ordnungsgemäß bevollmächtigt. Dabei erscheint es als unschädlich, dass die Klägervertreter nicht durch den ursprünglichen, bereits verstorbenen Forderungsinhaber mandatiert waren, sondern durch die nunmehr berechtigten Forderungsinhaber, die Erben. Wenn schon die wirksame Prozessvollmacht eines Verstorbenen für eine Klageerhebung ausreichend ist, ist nicht ersichtlich, weshalb die wirksame Prozessvollmacht der Erben nicht erst recht ausreichend sein sollte.
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Der vorliegende Fall ist auch nicht mit den Fällen gleichzusetzen, in denen ein ursprünglich Nichtberechtigter Klage erhebt, die dann durch die Berechtigten genehmigt wird, da die Prozessführung bereits von Anfang an durch die Kläger genehmigt und sogar in Auftrag gegeben worden war.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.