Titel:
Erkrankung, Rechtsanwaltskosten, Wohnung, Suizidgefahr, Streitwert, Gefahr, Vollstreckbarkeit, Betretungsrecht, Anwaltskosten, Zinsen, Eigentum, Klage, Rechtsbehelfsbelehrung, Klageantrag, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Schlagworte:
Erkrankung, Rechtsanwaltskosten, Wohnung, Suizidgefahr, Streitwert, Gefahr, Vollstreckbarkeit, Betretungsrecht, Anwaltskosten, Zinsen, Eigentum, Klage, Rechtsbehelfsbelehrung, Klageantrag, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten
Rechtsmittelinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 30.11.2021 – 7 S 5584/20
BGH Karlsruhe, Urteil vom 26.04.2023 – VIII ZR 420/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62673
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern oder einer von den Klägern mit schriftlicher Bevollmächtigung ausgestatteten Person (Makler oder Kaufinteressent) nach schriftlicher, zeitlich mindestens eine Woche vor dem Termin liegenden Ankündigung an einem Werktag zwischen 10:00 Uhr und 18:00 Uhr den Zutritt zu der Wohnung im Erdgeschoss links im Anwesen … zu gewähren.
Das Zutrittsrecht betrifft alle Räume, ist aber auf die Anwesenheit von maximal zwei Personen und die Dauer von maximal 45 Minuten zu beschränken.
2. Die Beklagte hat an die Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 78,20 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.12.2019 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000 € abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleiche Höhe leisten.
Der Streitwert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um das Zutrittsrecht der Kläger zu der von der Beklagten angemieteten Wohnung.
2
Die Kläger vermieteten mit Mietvertrag vom 09.06.2017 die streitgegenständliche Wohnung an die Beklagte. In § 14 der Vertragsurkunde ist geregelt:
1. Dem Vermieter oder seinem Beauftragten oder beiden steht aus besonderem Anlass (insbesondere im Fall der Beendigung des Mietverhältnisses zwecks anderweitiger Vermietung oder bei beabsichtigtem Verkauf der Mietsache) die Besichtigung der Mieträume zu verkehrsüblicher Tageszeit nach vorheriger rechtzeitiger Ankündigung an Werktagen (auch samstags) frei.
2. In Fällen dringender Gefahr ist den genannten Personen das Betreten der Mieträume zu jeder Zeit zu gestatten.
3
Die Kläger machen ein Betretungsrecht geltend und tragen vor, dass sie die Wohnung veräußern wollen. Für einen Makler oder Kaufinteressenten müsse die Beklagte eine Besichtigung ermöglichen.
- 1.
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Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern, von den Klägern beauftragten, in der Vorankündigung namentlich benannten Immobilienmaklern und, in der Vorankündigung namentlich benannten Kaufinteressenten, nach schriftlicher, mindestens drei Werktage vorhergehender Ankündigung eines Termins an einem Werktag zwischen 10:00 Uhr und 18:00 Uhr den Zutritt zu der Wohnung der Beklagten im Erdgeschoss links des Anwesens … zu gewähren, und zwar durch öffnen der Wohnungstür sowie sämtlicher Zimmertüren und der Tür zum Kellerabteil.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 384,37 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Sie lässt vortragen, dass sie aufgrund einer erheblichen psychischen Erkrankung den Zutritt fremder Personen zu ihrer Wohnung seelisch nicht verkraften würde; in diesem Fall bestünde sogar Suizidgefahr.
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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.
8
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien sowie die zu den Akten gegebenen Anlagen, insbesondere auch die ärztlichen Atteste der Fachklinik …. Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist in der Sache begründet; aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls war dem Klageantrag nur mit Einschränkungen statt zu geben, so dass eine förmliche Klageabweisung „im Übrigen“ auszusprechen war.
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1. Aus § 14 des Mietvertrages, an dessen Wirksamkeit jedenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (vgl. BVerfG in NJW 1993, 2035) ergibt sich ein grundsätzliches Betretungsrecht der Kläger. Dies ist nach herrschender Meinung schonend auszuüben und auf die Fälle beschränkt, in denen besondere Umstände vorliegen, die für die Bewirtschaftung des Objekts notwendig sind (Schmidt/Futterer – Eisenschmid, Mietrecht, 12. Aufl., § 535 Rn 206 m.w.N.)
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2. Ein solcher Fall liegt hier vor.
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a) Die Kläger haben nachvollziehbar dargelegt, dass das Besichtigungsrecht im Zusammenhang mit dem Verkauf des Objekts notwendig ist. Es liegt auf der Hand, dass ein Verkauf nur dann vonstatten gehen kann, wenn ein Kaufinteressent die Möglichkeit zur Besichtigung des zu erwerbenden Objekts erhält.
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b) Das Gericht übersieht nicht die psychischen Probleme der Beklagten. Diese können aber nicht dazu führen, dass bei der erforderlichen Abwägung der Grundrechte aus dem Eigentum (Art. 14 GG) und der Uhverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) sowie dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) grundsätzlich in besonderen Fällen bestehende Betretungsrecht der Kläger auf unabsehbare Zeit unberücksichtigt bleiben kann oder gar – angesichts des sich nicht ändernden Gesundheitszustandes – vollständig ins Leere läuft.
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c) Ein absolut geschützter Raum, in dem es vollständig zu verhindern ist, mit einer fremden in Kontakt zu kommen, wird sich außerhalb einer geschlossenen Einrichtung wohl nicht finden. Auch immer wieder erforderliche Reparaturen oder Wartungsarbeiten sind in einer Mietwohnung nie völlig auszuschließen.
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Inwieweit die Beklagte unter den medizinischen Gegebenheiten in der Lage ist, in einem „normalen“ Lebensumkreis zu verbleiben, der eine Eigengefährdung zumindest auf ein Minimum reduziert, ist im Rahmen dieses Rechtsstreits nicht zu entscheiden.
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Der Zivilprozess hat ausschließlich die im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben gebotene Interessenabwägungen der Streitparteien zu berücksichtigen.
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d) Der Streit zieht sich nun mittlerweile fast ein ganzes Jahr hin, nachdem des erste außergerichtliche Anschreiben vom 27.08.2019 datiert. Im Laufe des Rechtsstreits wurde zudem verschiedene Möglichkeiten einer einvernehmlichen und ins besondere die Interessenlage der Beklagten berücksichtigenden Möglichkeiten einer Besichtigung erörtert, ohne dass dies im Ergebnis zielführend war; es musste daher eine „juristische“ Entscheidung ergehen.
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3. Nebenentscheidungen:
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Anwaltskosten: § 286 BGB.
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Kosten: § 92. Abs. 2 ZPO.
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Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 7, 711 ZPO.
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Streitwert: § 3 ZPO.
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Auf die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung, die nach § 232 ZPO Gegenstand der Entscheidung sein soll, wird Bezug genommen.