Titel:
Patientenverfügung eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten
Normenketten:
BayMRVG Art. 6 Abs. 4 S. 1 Nr. 7
StGB § 20, § 63
Leitsatz:
Das durch Art. 6 Abs. 4 S. 1 Nr. 7 BayMRVG geschützte Selbstbestimmungsrecht der untergebrachten Person findet seine Grenze in den Grundrechten Dritter. Daher sind Behandlungsmaßnahmen zum Schutz Dritter ohne Rücksicht auf die Einsichtsfähigkeit der betroffenen Person oder ihren entgegenstehenden freien Patientenwillen zulässig. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbringung, psychiatrisches Krankenhaus, Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Einsichtsfähigkeit, Psychopharmaka, Zwangsbehandlung, Schutz Dritter, konkrete Gefahr, Patientenwille, entgegenstehender Wille
Rechtsmittelinstanzen:
LG Regensburg, Beschluss vom 09.04.2021 – 53 T 33/21
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.03.2023 – XII ZB 232/21
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62531
Tenor
1 . Die folgende ärztliche Zwangsmaßnahme
- zwangsweise Behandlung des Betroffenen mit Xeplion-Depot (Wirkstoff Paliperidol), intramuskulär, in einer Dosierung von 150 mg am ersten Behandlungstag, nach einer Woche, d.h. am achten Behandlungstag, in einer Dosierung von 100 mg, im weiteren Verlauf in einer Dosis von 150 mg in 28-tägigen Abständen wird ab Rechtskraft dieses Beschlusses für die Dauer von 6 Wochen genehmigt.
Die Behandlung hat zu unterbleiben bzw. ist abzubrechen, wenn sich aus den durchgeführten EKGs oder den Blutentnahmen Gegenindikationen ergeben.
Blutentnahmen sind vor Beginn der Behandlung und anschließend vor der dritten Applikation durchzuführen zur Kontrolle des Blutbildes sowie der Leber- und Nierenfunktionswerte. Vor der Applikation sind die Ergebnisse der Blutentnahmen abzuwarten. EKGs sind vor der Behandlung und vor der dritten Applikation durchzuführen.
2. Die Entnahme einer Blutprobe beim Betroffenen gegen seinen natürlichen Willen wird diesbezüglich zu den in Ziffer 1. Zeitpunkten, längstens für die Behandlungsdauer von 6 Wochen, genehmigt.
Die Anordnung hat durch einen Arzt oder einer Ärztin zu erfolgen, die Blutentnahme ist von einem Arzt durchzuführen oder zu überwachen und zu dokumentieren
3. Die Fixierung des Betroffenen zur Durchführung der Zwangsmedikatjon sowie der Blutentnahmen und der EKGs wird genehmigt.
Der Durchführende hat sich vor und während der Maßnahme jeweils von der Unbedenklichkeit zu überzeugen. Die Beschränkung darf sich immer nur auf das unbedingt erforderliche Maß erstrecken. Eine schriftliche Aufzeichnung über Art und Dauer ist zu erstellen und das Personal muss für den Betroffenen stets erreichbar sein.
4. Die genannten Maßnahmen sind unter der Verantwortung eines Arztes durchzuführen und zu dokumentieren.
Dem Betroffenen ist vor jeder Verabreichung die freiwillige Einnahme des Medikamentes bzw. die freiwillige Durchführung der Blutentnahme und des EKG zu ermöglichen und seine Verweigerung zu dokumentieren. Die Fixierung ist nur zulässig, solange und soweit es erforderlich ist, zur Durchführung der o.g. Maßnahmen.
Gründe
1
Mit Schreiben der Antragsstellerin vom 21.01.2019 (hierbei handelt es sich wohl um einen Schreibfehler, so dass von 2020 auszugehen ist), hier eingegangen am 05.02.2020, hat diese die Genehmigung der Medikation des Betroffenen gegen dessen Willen mit Xeplion-Depot beantragt. Auf den Antrag wird Bezug genommen.
2
Gegen den Betroffenen wird nach dem BayMRVG im BKH ... eine Unterbringung nach S. 63 StGB seit Rechtskraft des Anlassurteils am 10.1 1 .2017 vollzogen.
3
Mit Beschluss 12.02.2020 wurde der Sachverständige ... mit der Erstattung eines schriftlichen Gutachtens beauftragt. Das schriftliche Gutachten vom 16.04.2020 ging hier am 17.04.2020 ein. Hinsichtlich der Einzelheiten wird hierauf Bezug genommen.
4
Mit demselben Beschluss wurde dem Betroffenen zunächst Rechtsanwältin ... bestellt. Mit Schriftsatz vom 14.02.2020 zeigte sich Rechtsanwalt- ... als Verfahrensbevollmächtigter des Betroffenen an und beantragte die Ablehnung des gegenständlichen Antrags des ... . Mit Beschluss vom 17.02.2020 wurde daraufhin die Bestellung von Rechtsanwältin- als Verfahrenspflegerin aufgehoben.
5
Mit bereits benanntem Schriftsatz vom 14.02.2020 legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen eine Vorsorgevollmacht des Betroffenen vom 04.01.2015 sowie eine Patientenverfügung des Betroffenen vom 24.06.2005, 22.09.2007 bzw. 27.03.2011 vor. Bei diesen Unterlagen befand sich zudem eine „Anlage A (Ergänzung zu der am 4.01.2015 erstellten Vollmacht)“ vom 11.01.2015, wonach der Betroffene ausdrücklich seine Behandlung mit Neuroleptika gegen seinen Willen untersagt. In diesem Zusammenhang legte der Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 12.05.2019 (wohl 2020) u.a. den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.12.2016 (Az 5 Ks 102 Js 1478/15) aus dem Anlassverfahren vor, mit welchem die Zwangsmedikation des Betroffenen mit Zyprexa angeordnet worden war, wobei die genannten Patientenverfügungen und Vollmachten als wirksam erachtet worden waren.
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Beigezogen wurden das Anlassurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 05.01.2017 (Az. 5 Ks 102 Js 1478/15), das im Anlassverfahren erholte psychiatrische Sachverständigengutachten von -vom 30.04.2016, die Verfahren Az. 71 XVII 440/16 und Az. 73 XVII 1249/15 des Amtsgerichts Nürnberg – Betreuungsgericht – sowie das Verfahren Az. 1 XIV 299/15 des Amtsgerichts Ansbach – Betreuungsgericht.
7
Zunächst wurde mit Verfügung vom 17.04.2020 Anhörungstermin auf den 1 1 .05.2020 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 30.04.3019 (wohl 2020) beantragte der Verfahrensbevollmächtigte die Verlegung dieses Termins. Mit Verfügung vom 07.05.2020 wurde der Termin daher zunächst auf den 13.05.2020 verlegt.
8
Mit Schriftsatz vom 12.05.2019 (wohl 2020) lehnte der Verfahrensbevollmächtigte den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
9
Mit Verfügung vom 12.05.2020 wurde der Termin vom 13.05.2020 aufgehoben, da aus Sicht des Gerichts Nachermittlungen betreffend die vorgelegten Patientenverfügungen durch Beiziehung der Akten aus vorangegangenen Verfahren erforderlich waren. Zudem war über die Ablehnung des Sachverständigen zu entscheiden.
10
Mit Beschluss des Gerichts vom 14.05.2020 wurde der Antrag des Verfahrensbevollmächtigten auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 08.06.2020 legte der Vorsorgebevollmächtigte des Betroffenen Beschwerde gegen diesen Beschluss ein. Der sofortigen Beschwerde wurde mit Beschluss vom 18.06.2020 nicht abgeholfen und die Akten wurden dem Landgericht Regensburg zur weiteren Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht Regensburg wies die sofortige Beschwerde mit Beschluss vom 25.06.2020 zurück.
11
Mit Verfügung vom 28.08.2020 wurde erneut Termin zur mündlichen Anhörung für den 21 .09.2020 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 07.09.2020 beantragte der Verfahrenspfleger die Verlegung dieses Termins. In der Folge wurde der Termin mit Verfügung vom 08.09.2020 auf den 05.10.2020 verlegt.
12
Der Betroffene, der Verfahrenspfleger sowie die bevollmächtigte Mutter und der bevollmächtigte Bruder des Betroffenen wurden am 05.10.2020 mündlich angehört. Diverse Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes waren anwesend. Behandler des BKH- nahmen nicht an der Anhörung teil. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Anhörungsvermerk verwiesen.
13
Mit Verfügung vom 03.11.2020 wurde eine ergänzende Stellungnahme des BKH -angefordert. Die ergänzende Stellungnahme vom 05.11.2020 ging am selben Tag hier ein. Mit Verfügung vom 05.11.2020 wurde die ergänzende Stellungnahme an den Betroffenen, den Verfahrensbevollmächtigten sowie seine beiden Vorsorgebevollmächtigten mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis spätestens 11 . 1 1.2020 übersandt.
14
Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf sämtliche vorgenannten Schriftstücke vollumfänglich Bezug genommen.
15
Die im Tenor genannte Behandlungsmaßnahme ist gem. Art. 6 III Nr. 2, IV, V BayMRVG zu genehmigen.
16
a) Das Verfahren richtet sich nunmehr nach S. 312 Nr. 4 FamFG nach dem FamFG. Art. 6 VI BayMRVG ist dadurch derogiert und nicht mehr anzuwenden.
17
b) Das Gericht kann die beantragen Maßnahmen genehmigen, wenn
„1 . ärztlich über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken der beabsichtigten Maßnahmen aufgeklärt wurde,
2. zuvor frühzeitig, ernsthaft und ohne Druck auszuüben versucht wurde, die Zustimmung der untergebrachten Person zu erhalten,
3. die Maßnahmen geeignet sind, das Behandlungsziel zu erreichen,
4. mildere Mittel keinen Erfolg versprechen,
5. der zu erwartende Nutzen die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt,
6. Art und Dauer auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt werden und
7. in den Fällen des Abs. 3 Nr. 1 und 2 zusätzlich
a) die untergebrachte Person krankheitsbedingt zur Einsicht in die Schwere und die Behandlungsbedürftigkeit ihrer Krankheit oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht nicht fähig ist und
b) der nach S 1901a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zu beachtende Wille der untergebrachten Person den Maßnahmen nicht entgegensteht.
Die Behandlungsmaßnahmen sind durch einen Arzt oder eine Ärztin anzuordnen. Die Maßnahmen sind zu dokumentieren und durch einen Arzt oder eine Ärztin durchzuführen, zu überwachen und in regelmäßigen Abständen auf ihre Eignung, Notwendigkeit und Angemessenheit zu überprüfen. Die Anordnung der Maßnahme gilt höchstens für zwölf Wochen und kann wiederholt getroffen werden.“ (Art. 6 IV BayMRVG)
18
c) Diese Voraussetzungen liegen vor.
19
Der Betroffene wurde ausweislich des Antrags des BKH -I. 1 ff. der Akte) über Art, Dauer, Erfolgsaussichten und Risiken aufgeklärt.
20
Dieser Dokumentation wurde von keinem Beteiligten widersprochen.
21
Aus den gleichen Unterlagen ergibt sich auch, dass diverse Überzeugungsversuche stattgefunden haben. Ein Überzeugungsversuch im Anhörungstermin scheiterte ebenfalls. Der Betroffene gab an, keine Medikamente zu benötigen. Als Alternative sieht er selbst eine homöopathische Behandlung.
22
Die tenorierte Medikation ist auch geeignet, das Behandlungsziel zu erreichen.
23
Das steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des Sachverständigengutachtens vom 16.04.2020 sowie der Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Anhörung fest.
24
Bei dem Sachverständigen Dr. -handelt es sich um einen Arzt für Neurologie und Psychiatrie, der dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren als zuverlässiger und kompetenter Sachverständiger bekannt ist. Er ist zudem am BKH als leitender Arzt auch klinisch tätig und besitzt die notwendige klinische Erfahrung.
25
Der Betroffene ist dem Sachverständigen bereits von mehreren Vorbegutachtung bekannt (vgl. Gutachten vom 14.05.2016 aus dem beigezogenen Verfahren Az. 71 XVII 440/16 des Amtsgerichts Nürnberg), wobei längere Explorationen möglich gewesen seien. Im Rahmen der gegenständlichen Begutachtung war nach den Ausführungen des Sachverständigen keine Exploration möglich, da der Betroffene in keinster Weise auf den Sachverständigen reagiert habe.
26
Der Sachverständige kommt hinsichtlich der Diagnose zu dem Ergebnis, dass bei dem Betroffenen eine paranoide Schizophrenie (ICD-IO F20.0) vorliege mit weiterhin bestehenden paranoiden Wahnideen, Realitätsverkennungen und wohl auch immer wieder katatonen Symptomen.
27
Die durch den Sachverständigen gestellte Diagnose steht im Einklang mit der durch das BKH -gestellten Diagnose.
28
Der Sachverständige führt weiter aus, dass der Betroffene einen vollständigen Realitätsverlust aufweise, seine Krankheit selbst nicht erkennen könne und jegliche Behandlung strikt ablehne.
29
Aufgrund der florid psychotischen Symptomatik sei er als nicht einwilligungsfähig anzusehen.
30
Aufgrund der Angaben des Sachverständigen ist daher nach Ansicht des Gerichts davon auszugehen, dass der Betroffene seinen Willen krankheitsbedingt nicht frei bestimmen kann und nicht über eine ausreichende Einsichtsfähigkeit verfügt, um Für und Wider einer psychiatrischen Medikation vernunft- und realitätsorientiert gegeneinander abzuwägen und eine Entscheidung nach kritischer und vernunftorientierter Abwägung unter Integration persönlicher Werte und Ziele unabhängig von den krankheitsbedingten Einflüssen zu treffen.
31
Zur Behandlung der psychotischen Symptomatik komme nach den Angaben des Sachverständigen aus psychiatrischer Sicht im aktuellen Zustand lediglich die Gabe von neuroleptisch wirksamen Medikamenten in Frage. Eine Beeinflussung der Symptomatik auf nichtmedikamentösem Wege sei derzeit nicht möglich, der Betroffene sei keinerlei verbaler Interventionen zugänglich.
32
Der Sachverständige führt weiter aus, dass als Alternative zu einer neuroleptischen Therapie allenfalls eine Elektrokonvulsionstherapie in Frage käme, deren Durchführung gegen den expliziten Willen des Betroffenen jedoch nicht möglich sei. An eine solche Maßnahme wäre jedoch allenfalls als ultima ratio bei einer schweren, malignen Katatonie zu denken.
33
Der Sachverständige gibt allerdings zu bedenken, dass im Verlauf der jahrelangen Unterbringung beim Betroffenen bereits eine gewisse Chronifizierung eingetreten sei, so dass die Erfolgsaussichten der Medikation nicht mehr so hoch einzuschätzen seien wie sie es möglicherweise vor einigen Jahren gewesen wären. Eine vollständige Remission der Psychose durch die Gabe von Neuroleptika sei fraglich. Allerdings sei mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass zumindest eine Besserung des psychopathologischen Bildes eintrete dergestalt, dass die Wahnideen etwas in den Hintergrund treten und der Betroffene zumindest in die Lage versetzt werde, am normalen Stationsalltag teilzunehmen und anderen Menschen weniger ängstlich und damit auch weniger misstrauisch und eventuell fremdaggressiv gegenübertreten zu können. Der Betroffene könne in diesem Fall möglicherweise auf eine weniger gesicherte Station und irgendwann in eine betreuende Einrichtung verlegt werden. Ohne eine Behandlung komme es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einer weiteren Chronifizierung der Psychose mit immer wieder auftretenden Verhaltensstörungen auch im Sinne von fremdaggressiven Durchbrüchen. Daher bestehe bei einer neuroleptischen Behandlung durchaus eine Aussicht auf Erfolg, die nach Auffassung des Sachverständigen die mit der Medikation verbundenen Risiken übersteige.
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Dem schließt sich das Gericht aufgrund des Berichts des BKH und des persönlichen Eindrucks in der Anhörung an. Ohne eine neuroleptische Behandlung besteht demnach die Gefahr einer weiteren Chronifizierung der Erkrankung sowie des Verbleibs im derzeit psychopathologisch hochgradig beeinträchtigten Zustand und damit letztendlich auch die Gefahr, dass der Betroffene nie mehr ein eigenständiges Leben wird führen können. Zudem besteht angesichts der Ausführungen des Sachverständigen weiterhin die Gefahr fremdaggressiven Verhaltens.
35
Bei der zunehmenden Chronifizierung handelt es sich auch um eine konkrete schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit, da mit zunehmender Chronifizierung des Störungsbilds ein Autonomieverlust einhergeht. Zudem besteht ohne kontinuierliche antipsychotische Behandlung mit ausreichend wirksamen Psychopharmaka ein anhaltendes Risiko erheblicher fremdaggressiver sowie selbstschädigender Verhaltensweisen. Ferner dient die Medikation der Herstellung einer Therapiefähigkeit und somit der Vorbereitung einer Entlassung, wenn auch in ferner Zukunft. Die vom Sachverständigen erwähnte Alternativbehandlung kommt aus dem von ihm genannten Gründen nicht in Betracht. Zudem wäre sie nach seinen Angaben ultima ratio.
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Sowohl die Diagnose als auch die daraus folgende drohende Chronifizierung mit ihren Folgen stehen zur Überzeugung des Gerichts fest. Angesichts der vorstehenden Ausführungen kann die Behandlung sämtliche in Art. 6 Abs. 3 BayMRVG genannten Behandlungsziele erreichen.
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Die Blutentnahme zur Kontrolle des Blutbildes sowie der Leber- und Nierenfunktionswerte und die Durchführung eines EKGs sind ausweislich des Sachverständigengutachtens in regelmäßigen Abständen anzuraten.
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Mildere Mittel im Sinne von Psychotherapie, anderen therapeutischen Maßnahmen oder Überzeugungsversuchen versprechen ausweislich der Angaben des Sachverständigen jedenfalls derzeit keinen Erfolg.
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Dem schließt sich das Gericht aufgrund des Berichts des BKH und des persönlichen Eindrucks XIV in der Anhörung an.
40
Der zu erwartende Nutzen überwiegt die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich.
41
Das Gericht macht sich hier das Sachverständigengutachten zu eigen.
42
Angesichts der drohenden Gesundheitsgefahren für den Betroffenen, der seine Autonomie größtenteils zu verlieren droht, und der Gefahren für andere Personen sind die Beeinträchtigungen sowohl durch die Applikation als auch durch die Medikation selbst deutlich nachrangig.
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Dazu hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass den Risiken in der Regel durch entsprechende Gegenmittel und frühzeitige Erkennung durch regelmäßige Kontrollen entgegengewirkt werden kann. Gegebenenfalls könne auch auf ein weniger nebenwirkungsreiches Medikament gewechselt werden. Hinzu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit extrapyramidalmotorischer Störungen nach den Angaben des Sachverständigen bei Xeplion deutlich geringer sei als bei sog. klassischen hochpotenten Neuroleptika wie Haloperidol.
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Die niedrige Wahrscheinlichkeit schwerer Gesundheitsgefahren und die mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende (weitere) Chronifizierung sind hier in ein Verhältnis zu setzen. Dabei überwiegt der Nutzen aber deutlich, weil letztlich konkret keine schweren Gesundheitsgefahren durch die Behandlung zu erwarten sind.
45
Art und Dauer der Maßnahme sind auf das zwingend erforderliche Maß beschränkt.
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Hinsichtlich der Dosierung führt der Sachverständige aus, dass die seitens des BKH ... beantragte Dosierung geeignet sei, eine Besserung des Krankheitsbildes zu erreichen, und dass diese sich im üblichen mittleren Rahmen bewege. Der Sachverständige empfiehlt allerdings die Genehmigung der Medikation für einen Zeitraum von zunächst 6 Wochen.
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Die Medikation ist daher nach Ansicht des Gerichts auf das Mindestmaß beschränkt. Auch andere Alternativen als mildere Mittel sind folglich zur Überzeugung des Gerichts nicht gegeben.
48
Der Betroffene ist krankheitsbedingt zur Einsicht in die Schwere und die Behandlungsbedürftigkeit seiner Krankheit oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht nicht fähig.
49
Der Betroffene besitzt zur Überzeugung des Gerichts ausweislich des Antrags des BKH, der Ausführungen des Sachverständigen und des persönlichen Eindrucks in der Anhörung keinerlei Krankheitseinsicht.
50
Der Betroffene ist ausweislich des Gutachtens und des Ergebnisses der Anhörung frei von jeder Krankheitseinsicht und daher auch einwilligungsunfähig. Wer den Defekt nicht erkennen kann, kann auch nicht informiert einwilligen.
51
Mangels Krankheitseinsicht kann der Betroffene auch zwingend die Behandlungsbedürftigkeit und die Schwere seiner Krankheit nicht erkennen.
52
Die bei der Akte befindlichen Patientenverfügungen und Vollmachten stehen der angeordneten Zwangsmedikation nicht entgegen.
53
Wie bereits ausgeführt, liegen eine Vorsorgevollmacht des Betroffenen vom 04.01.2015 sowie eine Patientenverfügung des Betroffenen vom 24.06.2005, 22.09.2007 bzw. 27.03.2011 vor. Zudem wurde eine „Anlage A (Ergänzung zu der am 4.01.2015 erstellten Vollmacht)“ vom 11.01.2015 vorgelegt, wonach der Betroffene ausdrücklich seine Behandlung mit Neuroleptika untersagt.
54
Trotz der durchgeführten Ermittlungen war es nicht möglich festzustellen, ob der Betroffene bereits zu den o.g. Zeitpunkten derart schwer erkrankt war, dass er die Vollmachten bzw. Patientenverfügungen nicht mehr nach seinem freien Willen erteilen bzw. treffen konnte und als einwilligungsunfähig anzusehen war.
55
Die Anlasstat ereignete sich am 02.10.2015. Aus dem beigezogenen Anlassgutachten von Dr. ... - vom 30.04.2016 ergeben sich keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene bereits vor der Anlasstat unter der gegenständlichen Erkrankung litt (insb. S. 18 des Gutachtens). Dort wird beschrieben, dass vor dem Jahr 2015 wohl keine aggressiven Verhaltensweisen beim Betroffenen beobachten worden seien. Es hätten sich zwar gelegentlich Verhaltensauffälligkeiten gezeigt, die Ursache hierfür sei jedoch nicht bekannt. Dr. -äußerte die Vermutung, dass die Erteilung einer Betreuungsvollmacht zugunsten der Mutter des Betroffenen aus Anlass psychopathologischer Auffälligkeiten erfolgt sein könnte, da die Erstellung einer derartigen Vollmacht aufgrund des Alters des Betroffenen ungewöhnlich gewesen sei. Aus dem Gutachten ergeben sich zusammenfassend jedoch keine konkreten Belege dafür, dass der Betroffene zu den in Rede stehenden Zeitpunkten bereits einwilligungsunfähig erkrankt war.
56
Im Rahmen der mündlichen Anhörung konnte der Sachverständige Dr. ... ebenfalls keine Angaben dazu machen, wie lange die Erkrankung des Betroffenen bereits besteht, insbesondere ob sie bereits vor der Anlasstat bestanden hat.
57
Das Landgericht Nürnberg-Fürth ging in seinem Beschluss vom 23.12.2016 (Az. 5 Ks 102 Js 1478/15) von der Wirksamkeit der genannten Patientenverfügungen bzw. Vollmachten aus. Die im hiesigen Verfahren vorgelegten Dokumente wurde auch damals vorgelegt. Das Landgericht nahm ebenfalls an, dass keine gesicherten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Betroffene bereits im Januar 2015 keinen selbstbestimmten Willen mehr bilden konnte. Allerdings merkte das Landgericht Nürnberg-Fürth, dass es Auffälligkeiten bei der Vorlage der Dokumente gegeben habe und dass es zudem von der Vollmacht vom 04.01.2015 zwei verschiedene Versionen gebe. Dies reichte jedoch nach Ansicht der Kammer nicht aus, um hinreichend sicher festzustellen, dass die in „Anlage A“ enthaltene Patientenverfügung nicht vom Willen des Betroffenen getragen war.
58
Aus dem beigezogenen Verfahren des Amtsgerichts Ansbach, Az. 1 XIV 299/15, ergibt sich ebenfalls lediglich, dass der Betroffene im Mai 2015 unter einer akuten Psychose litt. Weitere belastbare Anhaltspunkte, die für eine Unwirksamkeit der Patientenverfügung sprechen könnten, folgen auch nicht aus dem Verfahren des Amtsgerichts Nürnberg, Az. 73 XVII 1249/15.
59
Aus dem beigezogenen Verfahren des Amtsgerichts Nürnberg, Az. 71 XVII 440/16, ergeben sich ebenfalls Auffälligkeiten hinsichtlich der Vorlage der „Anlage A“. Aus einem Schreiben der Betreuungsstelle der Stadt Nürnberg vom 19.10.2016 folgt, dass die genannte Anlage wohl im Frühjahr des Jahres 2016 von Seiten der Bevollmächtigten nicht erwähnt worden sei, obwohl sie laut Datierung bereits seit dem Jahr 2015 existiert. Letztlich äußerte auch das Landgericht Nürnberg-Fürth als Beschwerdeinstanz im Beschluss vom 27.01.2017 Zweifel an der formellen Wirksamkeit der „Anlage A“, ging jedoch im Ergebnis davon aus, dass die Inhalte jedenfalls dem Willen des Betroffenen entsprechen.
60
Letztlich kommt es allerdings nach Ansicht des Gerichts nicht darauf an, ob die Patientenverfügung tatsächlich wirksam erstellt wurde. Im Umkehrschluss zu Art. 6 Abs. 4 S. 1 Nr. 7 'it. a und b BayMRVG konnte eine Zwangsbehandlung unabhängig von der Wirksamkeit der Patientenverfügung angeordnet werden. Nach der genannten Vorschrift darf eine Patientenverfügung lediglich in den Fällen des Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 und 2 BayMRVG nicht entgegenstehen. Hierbei sind die Zwangsbehandlungen zum Zwecke des Erreichens der Entlassfähigkeit sowie der Abwendung einer konkreten Gefahr für das Leben oder einer konkreten schwerwiegenden Gefahr für die Gesundheit der untergebrachten Person genannt. Nach Abs. 3 Nr. 3 kann allerdings eine Behandlungsmaßnahme auch erfolgen, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit ei* ner anderen Person in der Einrichtung abzuwenden. Hierauf nimmt Abs. 4 Nr. 7 explizit nicht Bezug, d.h. im Umkehrschluss kann eine Zwangsbehandlung zu diesem Zwecke auch bei Vorliegen einer entgegenstehenden Patientenverfügung erfolgen.
61
Dieser Gesetzeswortlaut wurde neu gefasst durch Art. 38b des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG) vom 24. Juli 2018, mit welchem auch die Vorschriften des BayMRVG angepasst wurden. Die Gesetzesbegründung findet sich in der Drucksache 17/21573 des Bayerischen Landtags. Dort wird in der Begründung zu Art. 38b BayPsychKHG auf die Begründung zu Art. 20 BayPsychKHG verwiesen. In der Begründung zu Art. 20 Abs. 3 BayPsychKHG wird zunächst ausgeführt, dass die Regelung in Abs. 3 und 4 der Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG zu Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen der untergebrachten Person im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung dienen. Nach der Gesetzesbegründung zur Art. 20 Abs. 3 Nr. 3 ist eine Behandlungsmaßnahme gegen den natürliChen Willen der untergebrachten Person angesichts der erheblichen mit ihr verbundenen Belastungen nur bei einer konkreten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person in der Einrichtung zulässig. Unter diesen Voraussetzungen ist die Behandlungsmaßnahme zu diesem Zwecke folglich explizit zulässig. Nach der Begründung handelt es sich bei anderen Personen in der Einrichtung z.B. um Ärzte, Pflegekräfte, sonstige in der Einrichtung beschäftigte Personen, aber auch um andere untergebrachte Personen und Besucher(innen). Zu Abs. 4 S. 1 Nr. 7 wird ausgeführt, dass das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person seine Grenze in den Grundrechten Dritter findet. Daher sind Behandlungsmaßnahmen zum Schutz Dritter ohne Rücksicht auf die Einsichtsfähigkeit der Person oder ihren entgegenstehenden freien Patientenwillen zulässig.
62
Im vorliegenden Fall bestehen derartige konkrete Gefahren für das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person in der Einrichtung.
63
Aus dem Antrag des BKH vom 21.01.2020 geht zunächst hervor, dass es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen tätlichen Übergriffen des Betroffenen auf Mitarbeiter der Antragstellerin gekommen ist.
64
Aus der aktuellen Stellungnahme vom 05.11.2020 folgt, dass diese konkrete Gefahr weiterhin besteht. Der Betroffene befindet sich nach wie vor im Akuthaus und wird mit einer maximalen Absonderungszeit von bis zu 14 Stunden pro Tag geführt. Aufgrund der unkalkulierbaren Fremdgefährdung anlässlich des massiven Wahnerlebens und der Wahndynamik findet die offene Führung entweder mit Bauchgurt und Handfesselung oder ohne Fesselung in Anwesenheit von drei Sicherheitsdienstmitarbeitern statt. Das BKH -schildert weiter, dass es im Zeitraum März 2020 bis Oktober 2020 zu mehreren Übergriffen auf Personen der Einrichtung kam. Der Betroffene bedrohte mehrfach das Pflegepersonal und die Sicherheitsdienstmitarbeiter. Zudem warf er in mehreren Fällen Gegenstände nach ihnen. Zuletzt warf der Betroffene im Oktober 2020 ein Telefon in Richtung der Sicherheitsdienstmitarbeiter. Insbesondere ereigneten sich die Vorfälle im Zimmer des Betroffenen.
65
Daher liegt weiterhin eine konkrete Gefahr für die Gesundheit oder gar das Leben anderer Personen in der Einrichtung vor, sogar im hoch gesicherten Bereich der Antragstellerin.
66
Eine dauerhafte Unterbringung im Isolierzimmer ist kein milderes Mittel. Auch bei einer derart isolierten Unterbringung besteht selbstverständlich Kontakt zwischen dem Betroffenen und den Mitarbeitern des BKH
67
Wenngleich dieser Kontakt auf ein sehr geringes Maß beschränkt ist, kommt es dennoch – wie von Seiten der Antragstellerin beschrieben – zu Übergriffen von Seiten des Betroffenen. Hinzu kommt, dass das BayMRVG explizit zu diesem Zwecke die Zwangsbehandlung erlaubt. Aus dem Wortlaut des Art. 6 BayMRVG sowie aus den Gesetzesmaterialien hierzu geht nicht hervor, dass eine Isolierung o.Ä. der Zwangsbehandlung zu diesem Zwecke vorgehen muss. Aus Sicht des Gerichts würde in diesem Fall die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Zwangsbehandlung leerlaufen.
68
Daher steht die Patientenverfügung einer Zwangsbehandlung nicht entgegen.
69
Die Anordnung erfolgte ausweislich des Antrags durch einen Arzt.
70
Die Anordnung gilt nur für 6 Wochen.
71
Die beantragte Blutentnahme ist gem. Art. 6 III Nr. 2, IV, V BayMRVG zu genehmigen. Sie ist notwendig zur Durchführung bzw. Kontrolle der o.g. Therapie, die dringend notwendig ist, um eine weitere Chronifizierung und weiteres fremdgefährdendes Verhalten des Betroffenen zu verhindern. Daher ist sie nach den gleichen Grundsätzen zu genehmigen.
72
Die Genehmigung der Fixierung beruht auf Art. 27 BayMRVG. Demnach können Anordnungen nach diesem Gesetz durch unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden. Nachdem es sich um ei_ – ne regelmäßige Freiheitsentziehung in der Freiheitsentziehung handelt, ist diese durch das Gericht nach Art. 104 Il GG zu genehmigen.
73
Angesichts des berichteten Verlaufs und den Äußerungen des Betroffenen in der Anhörung ist auch mit Widerstand durch den Betroffenen zu rechnen. Dies folgt insbesondere aus den Schilderungen der Antragstellerin in den bei der Akte befindlichen Stellungnahme hinsichtlich des fremdaggressiven Verhaltens des Betroffenen. Hierzu kann vollumfänglich auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Ohne Fixierung ist zu befürchten, dass die Maßnahmen nicht mit der erforderlichen Sicherheit und nicht ohne erhebliche Gefahren für den Betroffenen und die BehandJer durchgeführt werden können. Sollte dies allerdings konkret nicht erforderlich sein, sind die Maßnahmen natürlich zu unterlassen.