Titel:
Schadensersatz, Fahrzeug, Bescheid, Minderung, Sittenwidrigkeit, Software, Kaufpreis, Berichterstattung, Streitwert, Sachmangel, Zeitpunkt, Beschaffenheit, Immissionen, Schaden, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, unternehmerische Entscheidung
Schlagworte:
Schadensersatz, Fahrzeug, Bescheid, Minderung, Sittenwidrigkeit, Software, Kaufpreis, Berichterstattung, Streitwert, Sachmangel, Zeitpunkt, Beschaffenheit, Immissionen, Schaden, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, unternehmerische Entscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62525
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 47.506,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.09.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi SQ5 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.822,96 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.08.2019 zu zahlen Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 46 % und die Beklagte 54 % zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 75.084,28 € festgesetzt
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Pkw-Kauf im Zusammenhang mit den in der öffentlichen Berichterstattung als „Abgasskandal“ bekannt gewordenen Vorgängen.
2
Die Klagepartei erwarb im Jahr 2015 von einem Händler den Pkw Audi SQ5 mit der Fahrgestellnummer … als Neufahrzeug (Anlage K1). Der Kaufpreis belief sich auf 70.130,01 € (brutto). Bei Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs wies dieses eine Laufleistung von 0 Kilometer auf. Die Klagepartei schloss zur Finanzierung des Kaufpreises einen Darlehensvertrag bei der A2. Bank ab. Dadurch entstanden ihr Finanzierungskosten in Höhe von 4.954,28 €. Das Darlehen ist abbezahlt. In dem Wagen ist ein von der Beklagten hergestellter 3,0-Liter-Dieselmotor des Typs EA897evo eingebaut, dessen Motorsoftware zur Optimierung der Emissionswerte im behördlichen Prüfverfahren beigetragen hat. Die betroffenen Fahrzeuge nutzen unter festgelegten Bedingungen eine schadstoffmindernde Aufheizstrategie. Hierbei müssen die festgelegten Bedingungen kumulativ vorliegen, damit die Aufheizstrategie anspringt. Die zu den Parametern gehörenden Werte sind so eng gefasst, dass die Aufheizstrategie nahezu ausschließlich im Prüfzyklus (NEFZ) unter den dort definierten Prüfbedingungen wirkt. Schon kleinere Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führen zur Abschaltung der Aufheizstrategie und zu einer Verschlechterung der Stickoxidwerte (NOx). Das KBA stufte diese Strategie als unzulässige Abschalteinrichtung ein und ordnete einen verpflichtenden Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an. Die Beklagte nimmt auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamts für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs Audi SQ5 3.0 TDI (EU6) eine Aktualisierung der Motorsoftware vor.
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Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 110.187 Kilometer.
4
Die Klagepartei forderte die Beklagte außergerichtlich durch Anwaltsschreiben vom 31.07.2019 unter Fristsetzung zum 14.08.2019 zur Zahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sowie Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten erfolglos auf.
5
Die Klagepartei behauptet, die Beklagte habe in der Motorsteuerung des Motors eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Das Fahrzeug sei daher durch die Beklagte bezüglich der Schadstoffwerte manipuliert worden.
6
Die Klagepartei beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 70.130,01 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent seit dem 27.01.2015 bis 14.08.2019 und seither von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zzgl. Finanzierungskosten in Höhe von EUR 4.954,28 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 19.318,53 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Pkws Audi SQ5 3.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer ... zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 15.08.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 3.196,34 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2019 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte Partei behauptet, es komme in dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz.
9
Die vom KBA beanstandete Konditionierung des Warmlaufmodus im Straßenbetrieb habe mit der in den Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 verbauten Umschaltlogik, die dauerhaft zwischen dem Betrieb auf dem Prüfstand und dem Betrieb auf der Straße unterscheidet, nichts zu tun. Mit dem Software-Update werde der Anwendungsbereich einer bereits im Fahrzeug vorhandenen Funktion ausgeweitet und keine neue Funktion geschaffen. Die Beklagte trägt vor, das am Fahrzeug durchgeführte Softwareupdate habe keine negativen Auswirkungen und ist der Ansicht, es sei für die Klagepartei kein Schaden eingetreten.
10
Das Gericht hat zur Sache mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der Sitzung des Landgerichts Ingolstadt vom 25.06.2020 wird verwiesen. Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises zzgl. Finanzierungskosten abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Weiter besteht ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte auf Zahlung von Prozesszinsen auf die Hauptforderung sowie auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in der aus dem Tenor ersichtlichen Höhe. Im Übrigen war die Klage als unbegründet abzuweisen.
12
Die von der Beklagten getroffene unternehmerische Entscheidung, dass der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete Motor in unterschiedliche Fahrzeugtypen und damit auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaut und dieser sodann in Verkehr gebracht wird, war sittenwidrig (vgl. ausführlich OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019 – 17 U 160/18). Durch diese Entscheidung ist der Klagepartei kausal ein Schaden entstanden, nämlich der Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug. Die Beklagte hatte auch im Zeitpunkt ihrer Entscheidung Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände.
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Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB sind erfüllt.
14
Die Entscheidung der Beklagten, dass ein – mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehener Motor – in das streitgegenständliche Fahrzeug eingebaut und dieses mit der erschlichenen Typgenehmigung in Verkehr gebracht wird, stellt eine sittenwidrige Handlung dar.
15
Dass auch das streitgegenständliche Fahrzeug über eine solche, aus Verfahren mit EA189-Motoren gerichtsbekannte Abschalteinrichtung verfügt, steht zur Überzeugung des Gerichts hinreichend durch den bestandskräftigen, am 23.01.2018 veröffentlichten Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes fest: Der Rückruf bezieht sich explizit auf die Entfernung der unzulässigen Abschalteinrichtung, wobei ein Software-Update zur Entfernung einer Motorsteuergeräte-Software notwendig ist, durch welche Stickoxidwerte im Vergleich zwischen Prüfstandlauf und realem Fährbetrieb verschlechtert werden und korrespondiert mit dem eigenen Aufforderungsschreiben der Beklagten vom Januar 2019 (Anlage K22). Die Beklagte räumt selbst ein, dass diese auf Anordnung des KBA für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs eine Aktualisierung der Motorsoftware vornimmt. Vor diesem Hintergrund ist das Bestreiten der Beklagten, in dem Fahrzeug der Klagepartei sei keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, nicht ausreichend und ist rechtlich unerheblich.
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Das Kraftfahrt-Bundesamt bewertete für die Motoren des Typs EA189 diese Motorsteuerung als den einschlägigen Rechtsvorschriften nicht entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung und erließ gerichtsbekannt per Bescheid vom 15.10.2015 nachträgliche Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung und gab der Beklagten auf, die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen.
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Davon ist auch für das streitgegenständliche Fahrzeug auszugehen, da mit Bescheid vom Dezember 2017 das Kraftfahrt-Bundesamt gleichsam für den gegenständlichen Motor die Anordnung einer nachträglichen Nebenbestimmung zur EG-Typengenehmigung anordnete und die Beklagte verpflichtete die unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen.
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Die Herstellung und das Inverkehrbringen von Dieselmotoren unter Verwendung einer Motorsteuerungssoftware, durch welche Stickoxidwerte im Vergleich zwischen Prüfstandlauf und realem Fährbetrieb verschlechtert werden und damit das Emissionsverhalten des Motors auf dem Prüfstand im Normzyklus anders gesteuert wird als im regulären Fährbetrieb, erfüllt die Voraussetzungen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung der jeweiligen Käufer derartiger Fahrzeuge im Sinne von § 826 BGB.
19
Bei einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles verstößt das Verhalten der Beklagten gegen die guten Sitten.
20
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verhalten sittenwidrig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH NJW 2014, 1098).
21
Das Verhalten der Beklagten ist deshalb als sittenwidrig anzusehen, da als Beweggrund für das Inverkehrbringen der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motorsteuerung nur eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung in Betracht kommt, außerdem die Beklagte die EG-Typengenehmigung für alle mit der Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Kfz von den dafür zuständigen Erteilungsbehörden erschlichen hat, ohne dass die materiellen Voraussetzungen dafür vorlagen und zudem den Käufern eines mit einer derart erschlichenen EG-Typengenehmigung versehenen Fahrzeugs die Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs droht und das Fahrzeug insoweit auch bemäkelt ist. Bei Würdigung dieser Umstände ist das Verhalten der Beklagten als Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zu werten.
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Dabei geht das Gericht davon aus, dass die von der Beklagten durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs zum Einsatz gebrachte Motorsteuerung einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 i.V. m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 darstellt, weil sie eine Abschalteinrichtung ist, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert. Aus Art. 3 Nr. 4, 6 VO (EG) 715/2007 ergibt sich, dass Stickoxide, auf die sich die fragliche Motorsteuerung auswirkt, Immissionen im Sinne der Richtlinie sind. Nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 definiert die Abschalteinrichtung als ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdrück im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirkung des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Aus der umfassenden Formulierung und dem weitgefassten Schutzzweck der Richtlinie, die der Verbesserung der Luftqualität und der Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte sowie insbesondere einer erheblichen Minderung der Stickoxidemissionen bei Fahrzeugen mit Dieselmotoren dient – vergleiche Nr. 6 der Erwägungsgründe zur Richtlinie VO (EG) 715/2007 –, wird erkennbar, dass die Vorschrift umfassend auch solche Konstellationen abdecken soll, in denen konstruktionsbedingt, auch durch Steuerung technischer Einrichtungen mittels Software, Unterschiede zwischen dem Schadstoffausstoß im Testbetrieb und im Normalbetrieb bestehen. Dies folgt auch aus Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007: Danach hat der Hersteller ein Fahrzeug so auszurüsten und Bauteile, die das Emissionsverhalten zu beeinflussen geeignet sind, so zu konstruieren, zu fertigen und zu montieren, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen der Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Hierdurch wird erkennbar, dass eine Einrichtung, die zu geringerem Schadstoffausstoß im Testbetrieb und demgegenüber höherem Schadstoffausstoß bei Nutzung des Fahrzeugs im regulären Straßenverkehr führt, unterbunden werden soll.
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Die maßgebliche Schädigungshandlung der Beklagten liegt damit im Inverkehrbringen des Dieselmotors mit der gesetzeswidrigen Motorsteuerung. Dabei setzte sich die Beklagte gezielt – denn anders als gezielt ist der Einbau der geschilderten Motorsteuerung nicht denkbar – über die einschlägigen Rechtsvorschriften hinweg.
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Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motors kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Ein anderer Grund ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ersichtlich und die Beklagte trägt hierzu auch keinen anderen konkreten Grund vor.
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Zwar ist Gewinnstreben als Motiv des Handelns eines Wirtschaftsunternehmens nicht verwerflich; im Gegenteil ist es der in einer Marktwirtschaft anerkannte Zweck eines Unternehmens, wirtschaftliche Gewinne zu erzielen und zu mehren. Allerdings führen die Tragweite der Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer hohen Zahl von Fahrzeugen verbaut wird, die Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens sowie die in Kauf genommenen drohenden erheblichen Folgen für die Käufer in Form der Stilllegung der erworbenen Fahrzeuge zur Sittenwidrigkeit der Entscheidung der Beklagten im Sinne des § 826 BGB. Vorliegend hat sich die Beklagte in diesem Gewinnstreben nicht nur gezielt über zwingende Rechtsvorschriften hinweggesetzt und damit deren dem Schutz der Allgemeinheit vor Luftverschmutzung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen dienenden Zweck missachtet. Vielmehr hat sie zugleich dadurch die Interessen einer großen Zahl an Käufern derartiger Fahrzeuge und damit auch der Klagepartei verletzt. Der zum Einsatz gebrachte Dieselmotor wurde in Großserie produziert und in hohen Stückzahlen verkauft. Die Beklagte hat durch ihr Verhalten bewirkt, dass eine unübersehbare Vielzahl an Kunden, die um die Hintergründe der Motorsteuerung weder wussten noch wissen konnten, weil diese erst später bekannt wurden, Fahrzeuge erhielten, die wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung den einschlägigen Zulassungsvorschriften nicht entsprachen und die erforderliche Typgenehmigung nur erhalten hatten, weil die Beklagte die Funktionsweise der Motorsteuerung im Genehmigungsverfahren nicht offengelegt hatte. Die Käufer trugen damit das Risiko, dass den mit diesem Motor ausgestatteten Fahrzeugen die Typgenehmigung entzogen werden könnte. Diese Möglichkeit war nicht fernliegend und zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages im Grad ihres Risikos nicht abschätzbar. Dies ergibt sich aus der Anordnung seitens des Kraftfahrzeugbundesamtes zur Entwicklung von Nachrüstungsmaßnahmen für die betroffenen Fahrzeuge durch die Beklagte, damit die betroffenen Fahrzeuge letztlich die behördliche Freigabe erhielten und damit einen Entzug der Typgenehmigung verhinderten. Diese Entwicklung war zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages jedoch nicht absehbar, insbesondere deshalb, weil die infolge der Einstufung der Abschalteinrichtung als unzulässig durch das Kraftfahrt-Bundesamt erforderlich gewordenen Nachrüstungsmaßnahmen durch die Beklagte erst – aufwändig – entwickelt werden mussten. Den Käufern eines betroffenen Fahrzeugs drohte damit zunächst ein Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs und nach Aufspielen des Softwareupdates bleibt zumindest eine Bemäkelung des Fahrzeugs: Auch wenn die Beklagte Nachteile des Softwareupdates wie beispielsweise einen höheren Kraftstoffverbrauch bestreitet, ist es naheliegend, dass reine Software-Lösungen (ohne Veränderung der Hardware) keine vollkommene Abhilfe bezüglich der erhöhten Abgaswerte bei gleichbleibender Funktionalität des Fahrzeugs schaffen können, da ansonsten für die Beklagte von Anfang an überhaupt kein Grund bestanden hätte, die ursprüngliche Software zu verwenden.
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Darüber hinaus hat sich die Beklagte über die Interessen einer Vielzahl von Kraftfahrzeug-Verkäufern hinweggesetzt, denen die Motorsteuerung der Dieselmotoren zunächst ebenso wenig bekannt war und bekannt sein konnte wie den Käufern. Die Verkäufer, unter denen vor allem eigene Vertragshändler der Beklagten waren, hafteten den Käufern gegenüber verschuldensunabhängig aus kaufrechtlicher Gewährleistung, weil die Ausstattung eines Fahrzeugs mit der rechtswidrigen Motorsteuerung eine Abweichung von der üblicherweise zu erwartenden Beschaffenheit eines Fahrzeugs ist und damit einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB begründet. Die Beklagte hat so eine Vielzahl von gutgläubigen Verkäufern, insbesondere solche, mit denen sie selbst langfristig vertraglich verbunden ist, verschuldensunabhängigen Gewährleistungsrechten der Käufer ausgesetzt.
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Dem Schadensersatzanspruch des Klägers aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB steht nicht entgegen, dass die rechtlichen Regelungen für die Typgenehmigung, insbesondere die Verordnung (EG) 715/2007, nicht primär dem Individualschutz dienen, sondern Belangen der Allgemeinheit. Der relevante Schutzzweckzusammenhang zwischen der deliktischen Handlung der Beklagten und dem eingetretenen Vermögensschaden ist gegeben.
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Zum einen sind die Vorschriften über die Übereinstimmungserklärung zumindest insoweit individualschützend, als sie den Schutz des Interesses des einzelnen Käufers eines Pkws daran bezwecken, ein ohne Weiteres zulassungsfähiges und auch ohne weiteres Zutun dauerhaft zulassungsfähiges Fahrzeug zu erhalten. Die Überstimmungserklärung stellt insoweit eine Erklärung des Fahrzeugherstellers dar, in der er dem Fahrzeugkäufer versichert, dass das von ihm erworbene Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung mit den in der Europäischen Union geltenden Rechtsvorschriften übereinstimmte.
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Zum anderen beruht die Annahme einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch die Beklagte nicht primär und ausschließlich auf einem Verstoß gegen diese Rechtsnormen, sondern, wie vorstehend dargestellt, auf einer Gesamtwürdigung einer Vielzahl von Umständen. Ein zentraler die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten begründender Gesichtspunkt ist dabei die geschilderte Verletzung von Interessen der Käufer. Das sittenwidrige Verhalten der Beklagten berührt damit auch die Rechtssphäre des Klagepartei.
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Der Klagepartei ist durch den Abschluss des Kaufvertrags des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch ein Schaden entstanden.
31
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also hier die Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit der oben beschriebenen Software, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
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Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber, wie die Klagepartei hier, infolge des der Beklagten zur Last fallenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte die Beklagte offengelegt, dass das in Verkehr gebrachte Fahrzeug mit der oben beschriebenen Software ausgestattet ist, hätte die Klagepartei davon abgesehen, dieses Fahrzeug zu erwerben. Dabei spielt es keine Rolle, welches konkrete Motiv für den einzelnen Erwerber bestimmend ist. Ein Teil der Käufer mag besonderen Wert darauf gelegt haben, im Interesse des Umweltschutzes ein Fahrzeug zu nutzen, das die geltenden Grenzwerte für Abgasemissionen einhält, ein anderer Teil nicht. Aber nach Ansicht des Gerichts waren zumindest alle Erwerber interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterlag.
33
Zudem werden von der Vorschrift des § 826 BGB, die Auffangcharakter hat, ohnehin alle vermögens- und nichtvermögensrechtlichen Beeinträchtigungen umfasst (BeckOGK/Spindler, 1.8.2019, BGB § 826 Rn. 19).
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Der Umstand, dass sich das Risiko eines Entzugs der Typgenehmigung in der Folge nicht verwirklichte, weil es der Beklagten gelang, eine solche Maßnahme der zuständigen Behörden durch die Entwicklung – insoweit streitig – geeigneter Nachrüstungsmaßnahmen zu verhindern, steht der Annahme eines Schadens nicht entgegen. Denn für den Eintritt eines Schadens kommt es auf den Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses und damit hier auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an. Der Schaden ist auch nicht nachträglich entfallen. Denn der Schaden liegt, dies ist die Konsequenz der Abweichung von einer strengen Anwendung der Differenzhypothese, nicht in einem Minderwert oder einer konkreten Funktionsbeeinträchtigung des Fahrzeugs, sondern im Abschluss des Vertrages als solchem. Die Bindung an den Vertrag, deren Beseitigung der Kläger im Rahmen des Schadensersatzes beanspruchen kann, würde auch mit der Nachrüstung des Fahrzeugs nicht entfallen.
35
Die oben genannte Entscheidung der Beklagten ist auch kausal für den der Klagepartei entstandenen Schaden.
36
Es ist anerkannt, dass es bei täuschendem bzw. manipulativem Verhalten für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung ausreichend ist, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. BGH vom 12.05.1995, Az. V ZR 34/94, NJW 1995, 2361). Diese Grundsätze sind nach Ansicht des Gerichts auch auf die hier vorliegende Situation zu übertragen.
37
Es ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass der Käufer ein Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er von der oben beschriebenen Software gewusst hätte. Denn bei Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung drohen Maßnahmen der zuständigen Behörden bis hin zur Stilllegung. Hauptzweck des Autokaufs ist, wie auch im vorliegenden Fall, grundsätzlich das Führen des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr.
38
Daran ändert auch der Grundsatz nichts, dass bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (Voraussetzung des Schutzzweckzusammenhangs zur Vermeidung einer ausufernden Haftung bei sittenwidrigem Verhalten, vgl. MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 826 Rn. 46 ff.). Allerdings war vorliegend bereits die Entscheidung der Beklagten, die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Motoren in den betroffenen Fahrzeugen zu verbauen sittenwidrig und die entsprechenden Erwerber der Fahrzeuge auch unmittelbar von diesem Verhalten betroffen. Selbst wenn man der Vorschrift des § 27 EG-FGV lediglich einen öffentlich-rechtlichen Schutzcharakter zusprechen will, ist dies unschädlich (siehe OLG Karlsruhe, OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019 – 17 U 160/18).
39
Auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB, nämlich Schädigungsvorsatz und Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, liegen vor. Es ist zwar nicht klar, wer konkret die entsprechenden Entscheidungen bei der Beklagten getroffen hat. Derjenige, der diese getroffen hat, wusste aber sowohl von den oben dargelegten, den Sittenverstoß begründenden Umständen, als auch von den Folgen dieser Entscheidung einschließlich des Schadens für die Erwerber der betroffenen Fahrzeuge.
40
Dieser Vorsatz ist der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeugs über eine entsprechende Anwendung von § 31 BGB zuzurechnen.
41
Dabei bedarf es nicht explizit einer Zurechnung an die Organe im aktienrechtlichen Sinne. Vielmehr muss im Rahmen der Rechtsprechung zur Repräsentantenhaftung auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet werden, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob diese Personen satzungsgemäß oder (nur) im Rechtsverkehr die juristische Person vertreten, da letztere nicht selbst darüber entscheiden soll (durch die eigene Satzung), für welche Personen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will (vgl. BGH III ZR 296/11).
42
Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
43
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt ist für das Gericht jedoch nicht anzuzweifeln, da insoweit ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar ist.
44
Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher zur Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen, sodass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte, § 291 ZPO. Ist eine solche Einstellung, wie hier ausnahmslos bei jedem Motor dieser Serie auffindbar, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Entscheidung dafür, die Motoren mit dieser Einstellung planvoll und absichtlich zu produzieren und in den Verkehr zu bringen angesichts der Tragweite und Risiken für die Gesamtgeschicke des Konzerns durch die Geschäftsleitung selbst getroffen wurde und damit gemäß § 31 BGB zurechenbar ist (vgl. auch LG Krefeld, Urteil vom 12.07.2017, Az. 7 O 159/16).
45
Der Vorstand hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen. Es ist im Hinblick auf die gesetzlichen Bestimmungen davon auszugehen, dass bei den Beklagten organisatorische Maßnahmen etwa durch Einrichtung einer Innenrevision oder Controlling in der Weise getroffen wurden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet ist.
46
Hierbei sind auch folgende Punkte zu beachten: Zum einen war zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des Motors das Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel möglichst geringer Kohlendioxidemission und der Begrenzung der Stickoxidemissonen allgemein bekannt und hätte Anlass zu einer sehr genauen Prüfung geben müssen, als aus Sicht der für die Motorenentwicklung zuständigen Mitarbeiter die Auflösung dieses Zielkonflikts angeblich gelungen war; zum anderen nahm zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber den Erlass eines Verbots von verbotenen Abschalteinrichtungen in Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG vor und wies daher auf dieses Problem in besonderer Weise hin. Die Repräsentanten mussten wegen dieser Warnwirkung also ohne Weiteres mit der Möglichkeit rechnen, dass eine solche Einrichtung verwendet würde. Dadurch, dass sie trotz der durch die Verordnung offenkundig gemachten Möglichkeit, dass eine solche Einrichtung verwendet werden könnte, nicht eingriffen und dennoch die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellten bzw. deren Ausstellung nicht verhinderten, ist auch ihnen zumindest ein bedingter Vorsatz durch Unterlassen zur Last zu legen.
47
Gemäß § 31 BGB ist die juristische Person für Schäden verantwortlich, die ein Organ oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.
48
Zu den unter § 31 BGB fallenden Repräsentanten der Fahrzeughersteller gehören unabhängig davon, ob sie deren verfassungsmäßige Vertreter sind oder nicht, auch über den Wortlaut der Norm hinaus, diejenigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sein, sodass auch sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (vgl. BGHZ 49, 19; BGH NJW 1998, 1854; BGH WM 2005, 701).
49
Zu den unter § 31 BGB fallenden Repräsentanten gehören damit also auch diejenigen Angestellten, denen die Motor- und Softwareentwicklung bzw. die Entscheidung über die verwendeten Motoren oblag. Daneben kommen als Personen, für die eine Haftung nach § 31 BGB bejaht werden muss, auch alle weiteren Repräsentanten der Hersteller in Betracht, die in irgendeiner Form auf diese Entscheidungen hätten Einfluss nehmen können.
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Der deliktische Schadensersatz ist auf das negative Interesse gerichtet, sodass im vorliegenden Fall nur eine Rückabwicklung, also Zahlung des Kaufpreises durch die Beklagte an die Klagepartei Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei in Betracht kommt.
51
Im Rahmen der Rückabwicklung muss sich die Klagepartei den Abzug von Gebrauchsvorteilen in Form einer Nutzungsentschädigung gefallen lassen.
52
Die Ausführungen der Klagepartei, dass sie eine solche bei sittenwidriger Täuschung nicht schulde, verfangen nach Ansicht der Kammer nicht. Bei der Nutzungsentschädigung handelt es sich um einen Vorteilsausgleich, der nach Überzeugung der Kammer auch bei einer deliktischen Haftung vorzunehmen ist. Nach dem im Deutschen Recht geltenden Schadensausgleich soll nämlich der Geschädigte durch die schädigende Handlung grundsätzlich nicht besser gestellt werden, als ohne das schädigende Ereignis, §§ 249 ff BGB. Da die Klagepartei aber offensichtlich ein Bedürfnis für die Nutzung eines Pkws – zu privaten und/oder beruflichen Zwecken – hatte und das streitgegenständliche Fahrzeug entsprechend genutzt hat, wie sich aus der Kilometerleistung ergibt, ist davon auszugehen, dass sie für den Fall, dass sie dieses Fahrzeug nicht gekauft hätte, ein anderes Fahrzeug erworben und ebenfalls in gleicher Weise genutzt hätte, was zu einem entsprechenden Verschleiß und Wertverlust geführt hätte.
53
Die Nutzungsentschädigung, die die Klagepartei an die Beklagte im Wege der Zug-um-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist nach Überzeugung der Kammer im vorliegenden Fall auf 27.577,71 € festzusetzen. Dies ergibt sich nach gerichtlicher Schätzung gemäß § 287 ZPO. Die Berechnung nimmt die Kammer dabei nach folgender Formel vor:
Bruttokaufpreis (€) x gefahrene Strecke (km)
Restleistung bei Vertragsschluss (km)
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Die für die Finanzierung des Fahrzeuges aufgewandten Beträge sind Teil der Kosten für die Beschaffung des Fahrzeuges (der für den Vertrag getätigten Aufwendungen) und daher grundsätzlich auch von dem nach §§ 249 ff. BGB im Wege der Naturalrestitution zu leistenden Schadensersatz, der hier darauf zielt, die Klagepartei so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie das streitbefangene Fahrzeug nicht erworben hätte, umfasst (vgl. zum Ganzen: KG Berlin, Urteil vom 26.09.2019 – 4 U 77/18 -BeckRS 2019, 22712, beck-online, Rn. 165ff.). Darauf, dass der Klagepartei Finanzierungskosten möglicherweise auch anlässlich des Erwerbs eines anderen Fahrzeuges entstanden wären („Sowieso“-Kosten) kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg berufen, zumal nicht unterstellt werden kann, dass derartige Kosten bei jedem Ersatzgeschäft in der nämlichen Höhe angefallen wären.
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Der anlässlich der Finanzierung des Fahrzeuges aufgewandte Betrag ist aber nicht in voller Höhe als vergebliche Aufwendung anzuerkennen. Vielmehr stand auch dieser Aufwendung die – mithilfe der Darlehensfinanzierung erkaufte – Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeuges gegenüber, so dass sich die Klagepartei auch auf die Finanzierungskosten eine Nutzungsvergütung anzurechnen lassen hat.
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Diese errechnet sich ebenfalls nach der oben dargestellten Formel.
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Da die Klagepartei das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 0 erworben hat, hat sie bei einem Kilometerstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung von 110.187 Nutzungsentschädigung für 110.187 gefahrene Kilometer zu leisten.
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Das Gericht geht im Rahmen der Berechnung weiter aufgrund einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 300.000 km aus (so auch LG München I, Az. 23 O 23033/15).
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Die Nutzungsentschädigung beläuft sich daher auf 75.084,29 € (Kaufpreis zzgl. Finanzierungskosten) x 110.187 (gefahrene km) : 300.000 (Restlaufzeit bei Kauf) = 27.577,71 €.
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Es verbleibt daher ein Rückzahlungsbetrag an die Klagepartei in Höhe von 75.084,29 € – 27.577,71 € = 47.506,58 €.
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Sollte zum Zeitpunkt der Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte eine Veränderung der Laufleistung des Fahrzeugs gegenüber der Laufleistung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung eingetreten sein, so wird diese entsprechend zu berücksichtigen sein. Da für die vorliegende Entscheidung jedoch die Lage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, sind derartige Veränderungen im Tenor dieses Urteils nicht zu berücksichtigen.
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Der klägerische Anspruch ist ab Rechtshängigkeit zu verzinsen. § 291 BGB.
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Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind nach § 249 BGB in der tenorierten Höhe aus dem zuzusprechenden Klageantrag zu 1) zu ersetzen. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB.
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Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
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Bezüglich des Klageantrags zu 1) war Nutzungsersatz in Höhe von 27.577,71 € anzusetzen und in Abzug zu bringen (siehe hierzu oben). Diesen hat die Klagepartei jedoch im Termin auf 19.318,53 € beziffert, weshalb die Klage in Höhe der Differenz abzuweisen war.
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Zinsen nach § 849 BGB ab Kaufvertragsschluss bzw. Bezahlung des Kaufpreises schuldet die Beklagte nicht.
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§ 849 BGB ist bereits dem Wortlaut nach nicht anwendbar. Die Beklagte hat weder eine Sache der Klagepartei entzogen noch beschädigt. Der Kaufpreis ging vielmehr an den Verkäufer. Außerdem ist § 849 BGB zwar über den bloßen Wortlaut hinaus auch auf die Entziehung von Geldmitteln anzuwenden (BGH, Versäumnisurteil vom 26. 11. 2007 – II ZR 167/06, NJW 2008, 1084), allerdings ist der Anwendungsbereich auf die Überlassung von Geldern ohne gleichzeitig nutzbare Gegenleistung zu beschränken. Der Zinsanspruch nach § 849 BGB soll nämlich mit einem pauschalierten Mindestbetrag den Verlust der Nutzbarkeit einer Sache ausgleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn der Geschädigte eine nutzbare Gegenleistung erhalten hat, auch wenn diese später im Rahmen eines Schadensersatzanspruches an den Schädiger übereignet wird. Denn durch einen Fahrzeugkauf, den die Klagepartei in jedem Fall beabsichtigte und nach dem sie das Fahrzeug auch nutzte, hätte sie auch ohne die Täuschung der Beklagten den Kaufpreis nicht gewinnbringend anlegen können. Ein allgemeiner Rechtsgedanke dahingehend, dass Schadensersatzansprüche ab dem Zeitpunkt der Entstehung zu verzinsen seien, ist dem deutschen Recht fremd (Wagner, in: MüKo, § 849 Rn. 4) .
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Ferner hat die Klagepartei keinen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Der Antrag ist zwar zulässig, da sich das Feststellungsinteresse aus § 756 I ZPO ergibt. Die materiellen Voraussetzungen des Annahmeverzugs nach §§ 293 ff. BGB liegen jedoch nicht vor.
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Ein Annahmeverzug der Beklagten (§§ 293, 298 BGB) liegt nicht vor, denn die dazu erforderliche Leistungsbereitschaft der Klagepartei, namentlich ihre Beschränkung auf die ihr gebührende Gegenleistung im Rahmen der letztgenannten Bestimmung, lässt sich zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) feststellen. Der Gläubigerverzug endet für die Zukunft, wenn eine seiner Voraussetzungen entfällt (Palandt/Grüneberg, BGB, 75. Auflage, § 293 Rn. 11).
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Es kann dahinstehen, ob das außergerichtliche Aufforderungsschreiben vom 31.07.2019 ein ordnungsgemäßes Angebot i.S.d. §§ 294 f. BGB darstellt, da die Klagepartei jedenfalls zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung mehr als die ihr gebührende Gegenleistung gefordert hat. In der mündlichen Verhandlung hat die Klagepartei die von ihr zu leistende Nutzungsentschädigung mit EUR 19.318,53 beziffert und somit zum Ausdruck gebracht, dass sie sich eine Nutzungsentschädigung nur in dieser Höhe anrechnen lassen will und darüber hinaus nicht leistungsbereit ist. Zudem hat die Klagepartei Deliktszinsen in Höhe von 12.757,90 € zu Unrecht beantragt. Hierin liegt eine Zuvielforderung und somit kein ordnungsgemäßes Angebot i.S.d. §§ 294 f. BGB. Der Schuldner ist leistungsbereit, wenn er seine Leistung erfüllungstauglich anbietet. Eine Verknüpfung der Leistungshandlung mit zusätzlichen, also nicht vertragsgemäßen Bedingungen ist nur erfüllungstauglich, wenn sich der Gläubiger darauf einlässt, denn sie entspricht nicht der vom Schuldner zu erbringenden Leistung und kann daher vom Gläubiger ohne Rechtsnachteile zurückgewiesen werden (BGH, Urteil vom 10.10.1984 – VIII ZR 244/83 = NJW 1985, 336, 367). Bietet der Schuldner die Erfüllung lediglich unter nicht vertragsgerechten Bedingungen und Vorbehalten an, gerät der Gläubiger durch die Ablehnung des Angebots nicht in Annahmeverzug (vgl. BGH, Beschluss vom 08.11.1994 – XI ZR 85/94 = ZIP 1994, 1839; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 07. November 2007 – 3 U 100/06 –, Rn. 81, juris).
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Das ist hier nicht der Fall. Die Klagepartei hat der Beklagten die Rückübereignung des gegenständlichen Fahrzeugs nur Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer erheblich zu geringen Nutzungsentschädigung zzgl. Deliktszinsen angeboten. Die Beklagte hat sich hierauf unstreitig zu keinem Zeitpunkt eingelassen. Die Klagepartei war daher spätestens zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht hinreichend leistungsbereit. Der von ihr geltend gemachte Zahlungsanspruch steht ihr, wie erörtert, in beantragter Forderungshöhe nicht zu.
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Gleiches gilt in Bezug auf die Begründung des Schuldnerverzugs hinsichtlich der Kaufpreiserstattung (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB), weil der Schuldner nur in Verzug geraten kann, wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet. Soweit die Klagepartei Verzugszinsen bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit begehrt, war die Klage daher abzuweisen.
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Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten war die Klage abzuweisen, soweit mehr als 1,3 Geschäftsgebühren geltend gemacht wurden.
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Da es sich vorliegend um ein Massenverfahren handelt, bei dem der wesentliche Aufwand beim Klägervertreter gleichzeitig für eine Vielzahl von Verfahren anfällt, und es sich bei den eingereichten Schriftsätzen ausschließlich um Textbausteine handelt, ist ein höherer Ansatz als der Mittelsatz von 1,3 für die Geschäftsgebühr (Nr. 2300 Anlage 1 VV RVG) nicht gerechtfertigt. Die Sach- und Rechtslage ist weder umfangreich noch schwierig i.S.d. Nr. 2300 Anlage 1 VV RVG.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 Abs. 1 ZPO.
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Angesichts der Höhe der beantragten, aber nicht ausgeurteilten Deliktszinsen von 12.757,90 € war ein fiktiver Streitwert zu bilden und anhand dessen die Obsiegens- und Unterliegensquote zu ermitteln (vgl. hierzu MüKo-Schulz, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 92 Rn. 4). Dieser fiktive Streitwert (75.084,29 € zuzüglich der Deliktszinsen) beträgt 87.842,19 €. Hiervon obsiegt die Klagepartei in Höhe von 47.506,58 €, mithin von etwa 54%.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
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Der Streitwert bemisst sich allein nach der Höhe des Leistungsantrags zu 1. wie er in der Klageschrift zum Ausdruck kam. Mangels Angabe zur damaligen Höhe eines abzuziehenden Nutzungsersatzes verbleibt es bei der Höhe des Kaufpreises.