Titel:
Erkrankung, Krankenversicherung, Bescheid, Leistungen, Krankheit, Behandlungsmethode, MDK, Widerspruchsbescheid, Gemeinschaftspraxis, Krankenhausbehandlung, Gutachten, Attest, Anerkennung, Krankenbehandlung, medizinische Notwendigkeit, neue Behandlungsmethode, nicht ausreichend
Schlagworte:
Erkrankung, Krankenversicherung, Bescheid, Leistungen, Krankheit, Behandlungsmethode, MDK, Widerspruchsbescheid, Gemeinschaftspraxis, Krankenhausbehandlung, Gutachten, Attest, Anerkennung, Krankenbehandlung, medizinische Notwendigkeit, neue Behandlungsmethode, nicht ausreichend
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 25.11.2021 – L 4 KR 276/20
BSG Kassel, Beschluss vom 01.03.2023 – B 1 KR 1/22 B
Fundstelle:
BeckRS 2020, 62325
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer angleichenden Brustoperation mittels Lipofilling (Eigenfett-Transfer) als Sachleistung.
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Bei der im Jahr 1964 geborenen Klägerin besteht ein Zustand nach Mamma Ablatio links bei Mammakarzinom mit einer anschließenden DIEP-Lappen-Rekonstruktion im April 2018.
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Trotz der DIEP-Lappen-Rekonstruktion besteht weiterhin eine Größenasymmetrie zwischen beiden Brüsten.
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Am 22. November 2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine angleichende Brustoperation mittels Lipofilling.
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Die Klägerin legte ein Attest der Gemeinschaftspraxis H., Ästhetische und Plastische Chirurgie vom 16. November 2018 vor. Hier wird ausgeführt, dass nach der DIEP-Lappen-Rekonstruktion eine gute Projektion der Brust bestehe, allerdings liege eine Asymmetrie zur gesunden Gegenseite vor. Die Klägerin wünsche zur Beseitigung der Asymmetrie eine weitere Füllung der rekonstruierten Brust. Dies sei aufgrund der Asymmetrie medizinisch indiziert. Als Therapieempfehlung wurde ein Lipofilling der rekonstruierten Seite unter stationären Bedingungen in der Dr. G.- Klinik vorgeschlagen.
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Mit Schreiben vom 28. November 2018 informierte die Beklagte die Klägerin über die Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK).
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Mit Bescheid vom 21. Dezember 2018 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass nach Rücksprache mit dem MDK aus medizinischer Sicht derzeit keine Indikation zu geplanten angleichenden Brustoperation bestehe.
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Die Antragstellerin legte hiergegen am 02. Januar 2019 Widerspruch ein.
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Mit Gutachten vom 15. Januar 2019 kam der MDK zu dem Ergebnis, dass eine medizinische Notwendigkeit zum Ausgleich der Brustasymmetrie nicht nachvollziehbar sei. Eine Entstellung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liege nicht vor. Bei dem Lipofilling (Eigenfett-Transfer) handele es sich um eine sog. neue Behandlungsmethode. Eine solche könne erst nach einer positiven Bewertung durch den gemeinsamen Bundessausschuss zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden. Eine solche liege nicht vor. Eine medizinische Notwendigkeit zur stationären Durchführung bestehe nicht. Ein Ausnahmetatbestand zu dem Bewertungsverfahren des Gemeinsamen Bundesausschusses sei nicht ersichtlich. Insbesondere handele es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Die aktuelle Datenlage sei nicht ausreichend, um den Nutzen der Methode Lipofilling im Rahmen der Brustrekonstruktion nach Mammakarzinom für die klinische Krankenversorgung nach evidenzbasierten Kriterien zu belegen. Zudem werde die Unbedenklichkeit des Lipofillings in Bezug auf die onkologische Sicherheit nach wie vor in der Literatur unterschiedlich bewertet.
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Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens legte die Klägerin ein Attest ihrer Frauenärztin H. vom 25. Februar 2019 vor, aus dem hervorgeht, dass die Klägerin durch die Brustasymmetrie massiv psychisch belastet sei. Aufgrund der psychischen Belastung werde eine Angleichung der linken Brust mittels Lipofilling empfohlen.
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Mit Gutachten vom 18. April 2019 nahm der MDK ergänzend dahingehend Stellung, dass für die psychiatrischen Probleme Methoden der Psychiatrie zur Behandlung zur Verfügung stehen würden. Körperlich stünden allein kosmetische Aspekte im Vordergrund. Eine Entstellung im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts liege nicht vor. Eine Leistungspflicht der Beklagten für die beantragte Brustangleichung mittels Lipofilling sei weiterhin zu verneinen.
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Mit Attest vom 17. Mai 2019 führte auch die Allgemeinmedizinerin Dr. G. aus, dass die Klägerin durch die Brustasymmetrie stark psychisch belastet sei. Auch sie sprach sich für eine Brustangleichung mittels Lipofilling aus.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 01. August 2019 wies die Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wiederholte sie im Wesentlichen die Ausführungen des MDK.
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Mit ihrer am 06. August 2019 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
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Zur Begründung verwies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf die Therapieempfehlungen der behandelnden Ärzte. Es stehe auch noch die Rekonstruktion der Brustwarze aus, dies sei aber erst nach Abschluss des Brustaufbaus sinnvoll.
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Die Klägerin legte im Klageverfahren eine Stellungnahme der ärztlichen Psychoonkologin S. vor. Diese bestätigt, dass die Klägerin durch die verbliebene Brustasymmetrie massiv psychisch belastet sei. Der Klägerin sei die Kostenübernahme eines angleichenden Eingriffs in die gesunde rechte Brust zugesagt worden. Dies lasse die Klägerin zutiefst verzweifeln. Aus psychookologischer Sicht werde daher die finanzielle Unterstützung des Lipofillings auf der erkrankten Brustseite empfohlen.
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Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
- 1.
-
den Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. August 2019 aufzuheben.
- 2.
-
Die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine stationäre Brustangleichung mittels Lipofilling als Sachleistung zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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Im Rahmen der Klageerwiderung führte die Beklagte aus, dass die medizinische Notwendigkeit für eine brustangleichende Operation nicht in Zweifel gezogen werde. Jedoch könne die beantragte Operationsmethode mittels Lipofilling aufgrund fehlender Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nicht übernommen werden.
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Mit Schreiben vom 26. November 2019 stellte die Beklagte klar, dass von ihrer Seite zu keinem Zeitpunkt empfohlen worden sei, einen angleichenden Eingriff an der gesunden Brustseite vorzunehmen. Die beantragte Leistung sei abgelehnt worden, weil es sich bei der gewünschten Behandlungsmethode Lipofilling um keine vom Gemeinsamen Bundesausschuss anerkannte Behandlungsmethode handele.
21
Die Kammer hat die Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt.
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Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen. Wegen der Einzelheiten wird auf sie ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.
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Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01. August 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Sachleistungsanspruch auf die beantragte Brustangleichung mittels Lipofilling unter stationären Bedingungen.
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Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
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Aus Sicht der Kammer kann vorliegend dahinstehen, ob der auch nach der DIEP-Lappen-Rekonstruktion verbliebenen Größenasymmetrie noch ein Krankheitswert zukommt. Vor dem Hintergrund der von Klägerin in Form des Mammakarzinoms durchgemachten Erkrankung wäre dies vorliegend unter dem Gesichtspunkt denkbar, dass der Anspruch auf Krankenbehandlung durch ärztliches Handeln vorrangig darauf gerichtet ist, Erkrankte unter Wahrung ihrer körperlichen Integrität zu heilen. Wird zur Behandlung in den Körper eingegriffen (im vorliegenden Fall durch Mamma Ablatio links), ist dieser möglichst – als Teil der einheitlichen ärztlichen Heilbehandlung – wiederherzustellen, sei es mit körpereigenem oder mit körperfremdem Material (vgl. BSG, Urt. v. 08.03.2016 – B 1 KR 35/15 R, Rn. 18 zitiert nach juris).
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Aber selbst bei Anerkennung eines Krankheitswertes der Brustasymmetrie hat die Klägerin keinen Anspruch auf die konkret beantragte Brustangleichung mittels Lipofilling. Denn diese Behandlungsmethode fällt nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung.
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Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V unterliegt den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Er umfasst folglich nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist – wie hier – bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V nur dann der Fall, wenn der Gemeinsame Bundessausschuss (GBA) in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 i.V.m. § 135 Abs. 1 SGB V wird der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt.
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Ärztliche „Behandlungsmethoden“ im Sinne der GKV sind medizinische Vorgehensweisen, denen ein eigenes theoretisch-wissenschaftliches Konzept zugrunde liegt, das sie von anderen Therapieverfahren unterscheidet und das ihre systematische Anwendung in der Behandlung bestimmter Krankheiten rechtfertigen soll. Das Lipofilling stellt seine solche Behandlungsmethode dar. „Neu“ ist eine Methode, wenn sie zum Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist. Auch dies ist in Bezug auf die Behandlungsmethode Lipofilling der Fall.
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Wie der MDK im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zutreffend ausgeführt hat, gibt es in Bezug auf die Behandlungsmethode Lipofilling noch keinen positiven Beschluss des GBA. Damit ist die Methode Lipofilling noch nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen.
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Anhaltspunkte für eine Ausnahme von dem Empfehlungsvorbehalt sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann sich die Klägerin nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V stützen, der nur lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankungen erfasst. Dies ist in Bezug auf die beantragte Brustangleichung jedoch nicht der Fall.
32
Die Kammer schließt sich im Übrigen den Ausführungen des MDK an, dass die aktuelle Datenlage bisher nicht ausreichend ist, um den Nutzen der Methode Lipofilling im Rahmen der Brustrekonstruktion nach Mammakarzinom für die klinische Krankenversorgung nach evidenzbasierten Kriterien zu belegen. Überzeugend führt der MDK darüber hinaus aus, dass die Unbedenklichkeit des Lipofillings in Bezug auf die onkologische Sicherheit dieser Behandlungsmethode nach wie vor in der Literatur unterschiedlich bewertet wird (so auch Hess. LSG, Beschluss vom 31.10.2014 – L 1 KR 197/14).
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Die Klägerin kann das beantragte Lipofilling vorliegend auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer notwendigen Krankenhausbehandlung beanspruchen. Wie der MDK für die Kammer überzeugend ausgeführt hat, wird ein Lipofilling regelmäßig ambulant durchgeführt. Dies ist für die Kammer vor dem Hintergrund des relativ geringen Aufwandes schlüssig (vgl. auch Hess. LSG, Beschluss vom 31.10.2014 – L 1 KR 197/14, Rn. 22 zitiert nach juris). Auch im konkreten Fall der Klägerin gibt es aus Sicht der Kammer keinerlei Hinweise auf die Notwendigkeit einer stationären Behandlung. Im Attest der Gemeinschaftspraxis H. wird zwar eine entsprechende „Empfehlung“ ausgesprochen. Worauf diese Empfehlung beruht bleibt jedoch völlig offen. Im Übrigen kann allein eine Empfehlung noch keine Notwendigkeit begründen. Vor diesem Hintergrund greift vorliegend der Grundsatz „ambulant vor stationär“ im Sinne des § 39 SGB V ein.
34
Da die Behandlungsmethode „Lipofilling“ nicht in den Leistungskatalog der Beklagten fällt, kann die Klägerin einen entsprechenden Anspruch auch nicht unter dem Gesichtspunkt ihres psychischen Leidensdrucks bzw. dem Gesichtspunkt einer Entstellung begründen.
35
Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine psychische Belastung nicht mit einem chirurgischen Eingriff in eine an sich gesunde Körperstruktur, sondern ausschließlich mit Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie zu behandeln ist (vgl. BSG, Urt. v. 19.10.2004 – B 1 KR 3/03 R; Urt. v. 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R, zitiert nach juris).
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Ausgehend von der Fotodokumentation der Praxis H. ist die Asymmetrie der Brüste auch nicht derart schwer ausgeprägt, dass hier von einer Entstellung auszugehen wäre. Von einer Entstellung, der ein Krankheitswert beizumessen wäre, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur dann auszugehen, wenn die körperliche Auffälligkeit so erheblich ist, dass sie sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi „im Vorbeigehen“ bemerkbar macht und regelmäßig zur Fixierung des Interesses anderer auf den Betroffenen führt. Im Fall einer Brustasymmetrie, die im Alltagsleben durch Kleidung verdeckbar bzw. durch entsprechende Einlagen ausgleichbar ist, ist das nicht der Fall (vgl. BSG, Urt. v. 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R zitiert nach juris).
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Abschließend weist die Kammer darauf hin, dass die Beklagte auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmal ihre Bereitschaft erklärt hat, die Kosten für eine Brustangleichung mit einer zugelassenen Behandlungsmethode im Fall der Klägerin zu tragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.